Künstliche Intelligenz in der Personalgewinnung
Die HR-Bereiche stellten sich am Anfang der Pandemie auf eine "kurze Zwangspause zu Hause" ein, mit einigen Wochen mit Online-Bewerbungsgesprächen und virtuellem Onboarding. Nun leben sie seit weit über einem Jahr den Recruiting-Alltag im Homeoffice. Anpassen an diese neue Situation müssen sich alle: Recruiter und Recruiterinnen, Kandidaten und Kandidatinnen sowie die Unternehmensstrukturen. Die Digitalisierung spielt sowohl in Bewerbungsprozessen als auch in der Dokumentation und Kommunikation die entscheidende Rolle.
Mit künstlicher Intelligenz im Recruiting Stereotype vermeiden
Eine große Hilfe, um die Abläufe für HR und Bewerbende schneller und übersichtlicher zu gestalten, bieten KI-Technologien und maschinelles Lernen. In Personalabteilungen unterstützen sie beim Bewerbermanagement oder beim Aus- und Bewerten vieler Bewerberdaten.
Bei künstlicher Intelligenz (KI) sprechen wir von Systemen, die vermenschlichtes Lernen und Denken auf einen Computer übertragen – sie werden sozusagen intelligent. Je mehr ein System mit Daten gefüttert wird, desto genauer trainiert ist es. Es findet eigenständig Antworten oder hilft dabei, Probleme zu lösen – zum Beispiel die Herausforderung, objektive Entscheidungen zu treffen.
Denn obwohl das äußere Erscheinungsbild, Geschlecht oder andere persönliche Merkmale keinen Einfluss auf Personalentscheidungen haben sollten, sieht der Standard in Unternehmen anders aus. Es herrschen weiterhin (unterbewusste) Vorurteile, vor denen keiner von uns sicher ist. Die sogenannten "Unconscious Bias" beschreiben unbewusste Voreingenommenheiten, die aufgrund von Erfahrungen und Erinnerungen bei jeder Entscheidung zum Tragen kommen. Herr Müller, Herzblut-Recruiter, findet Menschen mit festem Händedruck vertrauenswürdiger, wohingegen Frau Schmidt aus dem Personalmarketing Bewerbende als unsympathisch empfindet, die bei Arbeitgeber XY gearbeitet haben.
Um diesen Vorurteilen entgegenzuwirken, setzen Arbeitgeber auf Quoten oder das Mehraugenprinzip bei Personalentscheidungen. Viel effektiver wäre doch die Wahl eines oder einer Bewerbenden rein aufgrund seiner oder ihrer Qualifikation für den Job. Und genau dabei hilft KI. Die KI interessiert es – anders als Herrn Müller und Frau Schmidt – nicht, ob jemand einen festen Händedruck hat oder vorher für ein "unsympathisches" Unternehmen arbeitete.
Bewerbungsprozesse mit KI smarter gestalten
Beim CV-Parsing liest eine KI-Software relevante Informationen aus dem Lebenslauf heraus. Eine Studie von 2018 zeigte, dass sich Recruiting-Verantwortliche mit einem zweiseitigen Lebenslauf gerade mal 43 Sekunden befassen – unmöglich, hierbei alle relevanten Daten herauszulesen. Die KI bewertet im Gegensatz dazu alle verfügbaren Daten und entscheidet auf dieser Basis, ob jemand geeignet ist oder nicht.
Wenn Informationen zur Auswertung der Kandidatenpassung fehlen, setzen Unternehmen zusätzlich einen Chatbot ein, um diese gezielt zu erfragen. Für das Recruiting bieten sich dabei zwei Vorteile: Der Chatbot übernimmt den aufwendigen Kommunikationswechsel per E-Mail und verbessert durch den schnellen Austausch die Candidate Experience enorm. Denn KI kennt weder Feierabend noch Wochenende und kann im Bewerbungsprozess stellvertretend den raschen Erstkontakt oder ein Follow-up übernehmen.
Beim Einsatz von KI-Lösungen steht aber eines klar im Vordergrund: Es geht um das Zusammenspiel von Mensch und Assistent. KI kann und soll nicht die Arbeit des Recruiters oder der Recruiterin übernehmen. Vielmehr verschafft sie zum Beispiel durch Automatisierungen Raum für das, was im Recruiting-Prozess zählt: den individuellen Kontakt zum Bewerber und zur Bewerberin. Durch automatisierte Abläufe und die Übernahme von administrativen Aufgaben bleibt mehr Zeit für persönliche Telefonate oder Bewerbungsgespräche. Die Technik eignet sich allerdings nicht dazu, für Einstellungen relevante Faktoren wie Team-Fit oder relevante Soft Skills einzuschätzen.
Weitere Einsatzgebiete von KI im Recruiting
KI-Technologien können nicht nur im Bewerbungs- und Auswahlprozess unterstützen, sondern haben sich in der Praxis auch bei der Verbreitung von Stellenausschreibungen bewährt. Auf Social-Media-Plattformen hilft die Technik dabei, Vakanzen ausschließlich an passende Bewerberinnen und Bewerber auszuspielen. Anhand der gesammelten anonymisierten Daten stellt die angelernte KI immer genauere Zielgruppen für Stellen zusammen. Sie beruft sich dabei auf Faktoren wie Jobtitel, Wohnort oder Interessen, aber auch auf die Interaktion mit ähnlichen Stellenanzeigen.
Genauso passen die Algorithmen von Social-Media-Kanälen wie Facebook oder Twitter Anzeigen stetig an geeignete Kandidaten an: Wie viel Text führt zur besten Bewerbungsquote? Welches Bild hat die meisten Klicks generiert? Wie oft muss jemand die Stelle sehen, bevor er oder sie sich bewirbt?
Ein anderes Gebiet von KI im Recruiting ist Text-to-Speech. In Zeiten von Podcasts und Smart-Home-Geräten scheint es ein logischer Schritt, auch Stellenanzeigen als Audio-Varianten zu präsentieren. Mit computergenerierten Stimmen lässt sich ohne Zeitaufwand oder professionelles Equipment eine qualitative Audioversion der Stellenausschreibung generieren. Ein Unterschied zwischen Mensch und Maschine ist nur mit genauem Zuhören erkennbar. Die Audioversionen eignen sich als Werbung auf Streaming-Plattformen wie Spotify ( ein Beispiel können Sie hier anhören). Gleichzeitig gehen wir damit einen weiteren Schritt Richtung Inklusion: Auch Stellensuchende, die nicht lesen können, erhalten Zugang zu vakanten Stellen.
Algorithmen sind nur so gut, wie wir sie trainieren
Wenn KI in der Personalgewinnung zum Einsatz kommt, ist sie bei der Programmierung immer auf den Menschen angewiesen. Für den Lernprozess nutzt sie ausschließlich die vom HR-Softwareentwickler zur Verfügung gestellten Daten. Stellen wir der KI also Daten zur Verfügung, die lediglich einen Teilaspekt beleuchten, einseitig oder manipuliert sind, erlernt das System das gleiche Bias-Denken wie der Mensch und hemmt womöglich sogar die Vielfalt im Unternehmen.
Beim Training der Technologie sollten wir deswegen große Datensätze verwenden, die immer wieder geprüft werden. Nicht umsonst hat der Ethikbeirat HR-Tech in 2020 neue Richtlinien eingeführt, um einen verantwortungsvollen Umgang mit KI zu unterstützen. Dazu Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und Mitglied des Ethikbeirats HR-Tech: "Wir müssen ganz am Anfang, im Ursprung der Entwicklung, Beschäftigte und Interessenvertretungen beteiligen und gemeinsam diesen Prozess der Entwicklung von Zielen für eine KI, die Umsetzung und auch die Überprüfung neu organisieren.“
KI beschleunigt, automatisiert oder modernisiert Recruiting-Prozesse
Eines haben die vorgestellten Anwendungsgebiete gemeinsam: Sie beschleunigen, automatisieren oder modernisieren Prozesse in der Personalgewinnung. Sie sind schon heute überall zu finden und im Recruiting aktiv im Einsatz. Sie unterstützen HR-Abteilungen dabei, neue Wege zu gehen und sich Zeit für relevante Aufgaben zu nehmen. Aber jede Technologie lässt sich nur dann zielführend einsetzen, wenn Mensch und Assistent zusammenarbeiten und Personalabteilungen Umstrukturierungen offen begegnen.
Sämtliche Beiträge zu unseren Online-Themenwochen "Trends im Recruiting 2021" finden Sie hier.
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