Der Bertelsmann-Konzern möchte künftig im Markt für HR Tech mitmischen – und unterstreicht dieses Vorhaben mit der Neupositionierung seiner Employer-Branding- und Recruiting-Agentur Embrace und dem dazugehörigen Plattformgeschäft, beispielsweise die Website Ausbildung.de. Als Teil einer noch weiter reichenden organisatorischen Neuausrichtung gehört die Marke künftig zu Bertelsmann Investments, einem der definierten Wachstumsbereiche des Unternehmens. Man wolle die Agentur zu einer der führenden HR-Tech-Firmen in Deutschland formen, wird Carsten Coesfeld, CEO der Investmentsparte, in einer Pressemeldung zitiert. Diese Entwicklung soll CEO Gero Hesse vorantreiben. Hesse, den viele Personalerinnen und Personaler als Blogger hinter "Saatkorn" kennen, baut die Agentur und das Plattformgeschäft seit 2011 als Intrapreneur bei Bertelsmann aus. Er gilt als ausgewiesener Themenexperte für Recruiting und Employer Branding und ist bestens vernetzt in der HR-Tech-Szene.
Softwaregeschäft soll Skaleneffekte ermöglichen
"Wir wollten jetzt strategische Investments für künftiges Wachstums im Themen- und Geschäftsfeld Employability schaffen", sagt Hesse. Damit möchte Embrace einen Weg einschlagen, der für die Branche eher ungewöhnlich ist. Das Beratungsgeschäft der Agentur soll mit einem technologiegetriebenen Plattformgeschäft kombiniert werden. Von letzterem verspreche sich das Unternehmen Skaleneffekte, erklärt Hesse. Mittelfristig wolle Embrace eine eigenes HR-Ökosystem aufbauen, dass sich am Mitarbeiterlebenszyklus ausrichte. Dafür plant das Unternehmen ein bis zwei Übernahmen von HR-Tech-Startups pro Jahr. "Wir streben Mehrheitsbeteiligungen an", sagt Hesse. Die Marken sollen hingegen erhalten bleiben. Dies sei Teil der Strategie. "Wir wollen ein Avenger-Team für HR Tech zusammenstellen", sagt Hesse. Der Vergleich zu den Marvel-Superhelden passt insofern, als dass für ein Superteam auch Superfinanzen erforderlich sind.
Bertelsmann macht Investitionen möglich
Die stellt Bertelsmann Investments im Rahmen des Wachstumsbereichs Bertelsmann Next bereit. Zwischen fünf und sechs Milliarden an Investitionsgeldern stehen dem Bertelsmann Konzern in den nächsten Jahren zur Verfügung. Wie viel davon in HR-Technologie fließen soll, möchte Hesse nicht verraten. Wenig dürfte es nicht sein, blickt man auf die Investitionssummen, die HR-Startups in den vergangenen Jahren eingesammelt haben. Nachdem Venture Capital bislang häufig aus den USA in deutsche Technologiefirmen floss, könnte nun ein finanzstarker deutscher Player entstehen. Hesse mag den Begriff nicht. Er sieht Bertelsmann als strategischen Investor, der ein langfristiges Geschäftsmodell entwickeln möchte. "Wir wetten nicht auf Startups in der Frühphase, sondern schauen uns solche an, die bereits profitabel sind oder kurz davor stehen", sagt Hesse. Das behaupten auch andere klassische Venture Capital Player. Schließen dürften selbstbewusste Gründerinnen und Gründer wenig Interesse daran haben, an einen launischen Geldgeber zu geraten.
Hesse genießt das Vertrauen der HR-Szene
Sein Ansehen in der HR-Community könnte für Hesse im Werben um die Startups ein Vorteil sein. Seine Marktübersicht HR-Tech, in der er zuletzt 416 Softwareanbieter für Deutschland, Österreich und die Schweiz listete, ließe sich von diesem Hintergrund als mögliche Einkaufliste verstehen. Die Marktentwicklung könnte Embrace dabei in die Karten spielen. Die Finanzierungssummen würden, im Vergleich zu den letzten Jahren, inzwischen geringer ausfallen, sagt Hesse. Auch insgesamt würde es für Startups schwieriger, an Fremdkapital zu gelangen als noch bisher. Das könnte eine Konsolidierung des Marktes zur Folge haben – die Experten bereits seit einiger Zeit erwarten. Deshalb seien viele Gründerinnen und Gründer auf Planungs- und Entwicklungssicherheit für ihr Unternehmen bedacht und eher zum Verkauf bereit, glaubt Hesse. Wie viel Gestaltungsspielraum ihnen im Falle eines Mehrheitsverkaufs an Bertelsmann am Ende tatsächlich bliebe, ist schwer vorherzusagen.
Spagat zwischen Agentur- und Softwaregeschäft
Denn ein HR- und Software-Ökosystem wie es Hesse vorschwebt, ist im Grunde nichts anderes als eine Komplettlösung, die statt auf eine Dachmarke auf Einzelmarken setzt. Heißt, die einzelnen Bestandteile müssen ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sein. Das könnte den Entwicklungsspielraum für die Einzellösungen einschränken. Hesse sieht das sogar als Vorteil. "Mein Eindruck ist, dass viele Startups momentan zu sehr auf einzelne Features setzen." Zielführender sei, Lösungen ganzheitlicher zu denken. Geht Hesses Rechnung auf, könnte am Ende eine Art Mini-Suite für die Aufgabenfelder Finden, Einstellen und Binden von Mitarbeitenden entstehen. Die Ausgangslage dafür ist günstig. Ein Ende des Arbeits- und Fachkräftemangels in den Unternehmen ist mittelfristig nicht in Sicht.
Zunächst aber muss Hesse die ersten Bausteine seines neuen Ökosystems zusammensetzen. Die bisherigen Gespräche mit Startups seien vielversprechend verlaufen, behauptet Hesse. Er hoffe darauf, noch im Laufe des Jahres 2023 die ersten Zukäufe vermelden zu können. Die eigentliche Arbeit, um Agentur-, Software- und Datengeschäft zu verzahnen, dürfte dann erst beginnen. Hesse ist überzeugt, mit diesem Ansatz ein Alleinstellungsmerkmal im Markt zu besitzen. Doch an der Idee sind schon andere vor ihm gescheitert. Bleibt also abzuwarten, ob es ihm gelingt.
Zur Serie: Im "Marktgespräch HR Tech" spricht die Haufe Online Redaktion in regelmäßigen Abständen mit Geschäftsführern und Geschäftsführerinnen etablierter Softwarehäuser sowie aufstrebender Startups und beleuchtet dabei die Entwicklungen und Trends im Markt für HR-Software.