Narzissmus bei Führungskräften

Einen Vorgesetzten wie US-Präsident Donald Trump wünscht sich niemand. Der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth hat ihm früh eine narzisstische Persönlichkeit attestiert. Er wirft einen Blick in die Narzisstenseele und erläutert, was man tun kann, wenn sich der Chef als kleiner Trump entpuppt.

Wirtschaft + Weiterbildung: Herr Professor Wirth, Narzissten wollen nach oben – und schaffen das oft auch, wie Sie in Ihrem Buch "Narzissmus und Macht" schreiben. Bei Donald Trump, dem Sie schon früh eine narzisstische Persönlichkeit attestiert haben, sollten Sie recht behalten. Ist das nicht genau der Typ Erfolgsmensch, den wir in der Wirtschaft sehen möchten?

Hans-Jürgen Wirth: Was ihre Energie, ihren Durchsetzungswillen und ihren Hunger nach Erfolg anbelangt, sind solche Erfolgsmenschen sicherlich in der Wirtschaft, in der Politik, aber auch im Sport sehr willkommen. Aber positiv bewertete Eigenschaften wie Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit können auch umschlagen in Selbstüberschätzung, Arroganz und Rücksichtslosigkeit. Dies ist dann der Fall, wenn narzisstisch gestörte Menschen nach Macht streben, um damit ihr mangelhaftes Selbstwertgefühl zu kompensieren. Sie suchen Macht und Erfolg um jeden Preis, um ihre Größen- und Allmachtsfantasien auszuleben. Macht wirkt wie eine Droge: Die Selbstzweifel verfliegen, das Selbstbewusstsein steigt. Macht übt deshalb gerade auf solche Personen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, die ausgeprägt narzisstische Züge aufweisen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Warum ist es so schwer, Narzissten zu stoppen?

Wirth: Ungezügelte Selbstbezogenheit, Siegermentalität, und Größenfantasien sind Eigenschaften, die der narzisstisch gestörten Persönlichkeit den Weg in die Schaltzentralen der Macht ebnen. Indem sich der narzisstisch gestörte Führer vorzugsweise mit Jasagern, Bewunderern und gewitzten Manipulatoren umgibt, verschafft er sich eine Bestätigung seines Selbstbildes, untergräbt jedoch zugleich seine realistische Selbstwahrnehmung und verfestigt seinen illusionären und von Feindbildern geprägten Weltbezug. Fremdenhass und Gewalt gegen Sündenböcke zu schüren, gehört zu den bevorzugten Herrschaftstechniken narzisstischer Führerpersönlichkeiten.

Wirtschaft + Weiterbildung: Trotzdem scheitern viele Narzissten ...

Wirth: Geblendet von seinen eigenen Größen- und Allmachtsfantasien und von der Bewunderung, die ihm seine Anhänger entgegenbringen, verliert der Narzisst den Kontakt zur gesellschaftlichen Realität und muss letztlich scheitern, auch wenn er zeitweise noch so grandiose Erfolge feiern kann. Häufig folgt nach glänzenden Siegen ein jäher und unerwarteter Absturz, weil der narzisstische Herrscher einerseits im Vollgefühl seiner Omnipotenz den Bogen überspannt und andererseits seine paranoide Weltsicht stets neue Feinde sucht und hervorbringt, an denen er schließlich scheitert.

Wirtschaft + Weiterbildung: Sind Narzissten glückliche Menschen – zumindest, solange sie sich nicht selbst ein Bein stellen?

Wirth: Glück ist ja für uns alle nur ein relativ flüchtiger Zustand. Wir fühlen uns vor allem dann glücklich, wenn wir von anderen anerkannt und geliebt werden. Narzissten haben aber das Problem, dass sie versuchen, sich Anerkennung und Liebe durch Geld, Macht und Imponiergehabe zu erkaufen und zu erzwingen. Jedoch verschleiern sie damit nur ihre fundamentale Abhängigkeit von der Zuwendung ihrer Mitmenschen, ohne sie wirklich aufheben zu können. Denn erzwungene oder gekaufte Anerkennung ist nicht authentisch und nährt im Narzissten die Ungewissheit, ob sie denn echt und ernst gemeint sei. Die daraus entstehenden Zweifel und Selbstzweifel führen zu narzisstischer Bedürftigkeit und narzisstischer Wut, die mit einer weiteren Steigerung des Machtgebarens beantwortet werden. Aus dieser Dynamik leitet sich der suchtartige Charakter von Machtprozessen ab, die sich aus narzisstischen Konflikten speisen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Unternehmen suchen für Führungs­positionen keine grauen Mäuse, sondern Alphatiere, die ihren Mitarbeitern zeigen, wo es langgeht. Sind die üblichen Auswahlinstrumente – Assessment Center oder Headhunting – möglicherweise Einfallstore für Narzissten?

Wirth: Auswahlverfahren für Führungspositionen, die besonders die Stressresistenz und Durchsetzungsfähigkeit der Kandidatinnen und Kandidaten testen, können in der Tat dazu führen, dass Eigenschaften wie Rücksichtslosigkeit und Egomanie begünstigt werden. Aber letztlich hängt es davon ab, welche Eigenschaften die Organisation präferiert. In modernen Organisationen werden von den Führungskräften ja auch Teamgeist, Einfühlungsvermögen, ein integrativer Führunsgsstil und das Bewusstsein für ethische Standards verlangt. Die Skandale bei weltbekannten Firmen wie Siemens, VW und der Deutschen Bank haben ja hoffentlich auch die positive Auswirkung, dass man dort erkennt, dass ethische Richtlinien eingehalten werden müssen.

Wirtschaft + Weiterbildung: In welchen Unternehmen dürften mehr Narzissten anzutreffen sein: kleinen und mittleren, die familiengeführt sind, oder großen, internationalen mit angestellten Managern?

Wirth: Es hängt nicht von der Größe der Unternehmen ab. Es wird leicht übersehen, dass es sich bei Narzissmus und Macht um elementare Bestandteile des menschlichen Zusammenlebens handelt, die in allen sozialen, kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen eine zentrale Rolle spielen. Narzissten findet man nicht nur in den oberen Ebenen der Politik, sondern auch im Sportverein, in Familienunternehmen und Berufsvereinigungen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Woran merke ich, dass mein Chef eine narzisstische Persönlichkeit ist?

Wirth: Wenn der Chef immer recht behalten will, gerne scharfe Kritik austeilt, gleichzeitig aber leicht gekränkt reagiert, wenn man anderer Meinung ist oder ihn gar kritisiert, dann liegt der Verdacht nahe, dass er ausgeprägt narzisstische Charakterzüge aufweist.

Wirtschaft + Weiterbildung: Und nun? Wie soll ich reagieren, wenn sich mein Chef als Narzisst entpuppt?

Wirth: Wichtig ist, sich nicht mit ihm in einen narzisstischen Machtkampf zu verstricken, das heißt, man sollte die emotionalen Ausbrüche des Chefs nicht zu persönlich nehmen. Man sollte sich also weder von seiner überzogenen Kritik kränken und verunsichern lassen noch sich von seinen Schmeicheleien und seinem übertriebenen Lob verführen lassen, und schon gar nicht sollte man sich auf einen Wettkampf einlassen, wer denn der Bessere, Klügere und Überlegene ist. Stattdessen sollte man sich auf die anstehenden sachlichen Probleme konzentrieren und deren sachlich angemessene Bearbeitung in den Mittelpunkt der Gespräche und der eigenen Arbeit stellen. Denn der grundlegende Fehler des Narzissten besteht darin, dass er nicht lösungsorientiert arbeitet, sondern seine Führungsposition dazu missbraucht, um seine Selbstwertprobleme zu kompensieren. Dafür sollte man sich möglichst nicht einspannen lassen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Besteht die Chance, dass ich ihn "um­erziehen" kann?

Wirth: Diese Chance ist äußerst gering. Zum einen ist es nicht die Aufgabe einer Mitarbeiterin, eines Mitarbeiters, den Chef umzuerziehen. Es besteht dann eher die Gefahr, dass man sich persönlich verstrickt. Vor allem aber ist es grundsätzlich sehr schwer, einen anderen Menschen "umzuerziehen" – sogar in einer Partnerschaft. Man sollte eher bei sich selbst ansetzen, also sein eigenes Verhalten ändern und beispielsweise darauf achten, dass man sich nicht auf die Machtspielchen des narzisstischen Partners einlässt.

Wirtschaft + Weiterbildung: Wie vertrauenswürdig und integer sind Narzissten? Oder um auf Donald Trump zurückzukommen: Muss ich damit  rechnen, ständig mit "alternativen Fakten" konfrontiert zu werden?

Wirth: Ausgeprägte Narzissten wie Trump sind weder vertrauenswürdig noch integer. Sie schenken anderen Menschen kein Vertrauen, sondern bauen auf Macht, Kontrolle und "Deals". Ihr eigenes Handeln ist von Misstrauen, Drohungen und kalter Berechnung bestimmt. Deshalb können sie sich auch gar nicht vorstellen, dass gemeinschaftliches Handeln auf wechselseitigem Vertrauen basiert. Eine Ausnahme bilden allenfalls Verwandte. Deshalb hat Trump auch einige Mitglieder seiner eigenen Familie zu seinen engsten Beratern gemacht. Da Vertrauen, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit für Narzissten keine Rolle spielen, sind sie auch nicht integer, sondern biegen sich die Wirklichkeit so zurecht, wie sie ihnen in den Kram passt. Unverfrorene Lügen und die schamlose Präsentation "alternativer Fakten" gehören zu den hervorstechenden Machttechniken ausgeprägter Narzissten.

Wirtschaft + Weiterbildung: Bitte einen Tropfen Balsam auf die Narzisstenseele: Welche guten Seiten haben diese Persönlichkeiten?

Wirth: Narzissten sind begeisterungsfähig und einsatzbereit – vor allem, wenn es um ihre eigenen Projekte geht. Sie können andere mitreißen und bei ihren Anhängern starke Gefühle auslösen. Vor allem sollte man aber zwischen einem gesunden und einem übersteigerten und damit problematischen Narzissmus unterscheiden. Diese Unterscheidung ist theoretisch wichtig, auch wenn sie praktisch oft nicht leicht zu treffen ist und wenn die Übergänge fließend sind. So ist es einer Führungsperson durchaus erlaubt, ihre gesunden narzisstischen Strebungen in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Die gesunden narzisstischen Wünsche und Bedürfnisse sind ein wichtiges Stimulans für die Führungsaufgabe. Beispielsweise ist es unproblematisch, wenn eine Leitungsperson stolz auf die Arbeit und die Erfolge ist, die sie selbst und die von ihr geleitete Gruppe erbracht haben. Ihr Selbstwertgefühl sollte sich durch solche Erfolge steigern, sie sollte sich auch gerne mit ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit zeigen und sich dafür anerkennen, feiern und gegebenenfalls auch wählen lassen. Das alles sind Ausdrucksformen eines gesunden Narzissmus, die der sachlichen Arbeit und auch der Entwicklung der Persönlichkeit des Leiters dienen und der Weiterentwicklung der Gruppenidentität förderlich sind.

Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth ist Psychoanalytiker und psychologischer Psychotherapeut. Seit 2010 hat er eine außerplanmäßige Professur für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt am Main inne. Wirth ist auch Gründer des Psychosozial-Verlags, in dem 2002 sein Grundlagenwerk "Narzissmus und Macht" erschienen ist.

Das Interview führte Christoph Stehr, freier Journalist in Hilden.


Tipp zum Weiterlesen:

Dieses Interview ist ein Auszug aus Ausgabe 03/2017 der " Wirtschaft + Weiterbildung". In der Titelstrecke dieses Hefts lesen Sie im Beitrag "Die Klugen kämpfen nicht" mehr darüber, wie sich der Einzelne gegen narzisstische Chefs wehren kann.


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