Welche Chancen Künstliche Intelligenz für HR bietet
So viel vorweg: Dies wird kein Abgesang auf die menschliche Arbeit. Jedoch ein Blick in die kommenden Monate. Ich bin sicher, dass die KI die Arbeitsweise von Unternehmen und verschiedenen Industriezweigen revolutionieren wird. Über alle Arbeitsbereiche hinweg: Von Forschung und Entwicklung über Produktion bis hin zu Zentralfunktionen – die Auswirkungen sind vielschichtig und versprechen bahnbrechende Veränderungen. Blicken wir jedoch in die HR-Bereiche, so stelle ich fest: Viele von uns befinden sich in der Startphase. So glauben doch viele von uns HRlern, da die Personalabteilungen den Fokus auf Menschen haben, werden wir als Letzte betroffen sein.
Wir stehen erst am Anfang, die vielfältigen Möglichkeiten zu erfassen, die Künstliche Intelligenz uns bietet. Wie wird die KI die Personalarbeit transformieren? Welche neuen Chancen und Herausforderungen ergeben sich für HR-Abteilungen?
Klar ist bereits jetzt: Wir als Personaler sind nicht nur die aktiven Transformationsgestalter im Unternehmen, wir müssen uns gleichzeitig und gleichermaßen selbst transformieren. Diese Herausforderung stellt uns, auch mit Blick auf unsere Ressourcen, auf eine Probe. Wesentlich ist für mich, drei Handlungsstränge hierbei zu differenzieren. Erstens: Wie transformieren wir die HR-Funktionen selbst? Was ändert sich für HR durch Künstliche Intelligenz? Hierbei geht es unter anderem beispielsweise um die Schnittstelle zu unseren Kunden, die meiner Meinung nach eine drastische Veränderung erfahren wird. Weitere Stichworte sind die Neukalibrierung des HR-Operating Models oder auch eine Qualitätssicherung, die auch ethische Aspekte beinhaltet. Zweitens: Wie tragen wir als HR dazu bei, dass die KI-Transformation mit Blick auf die Mitarbeitenden im gesamten Konzern erfolgreich stattfindet? Und drittens: Wie stellen wir sicher, dass wir als Arbeitgeber unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden?
HR und die Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz
Die Schnittstelle zwischen HR und unseren internen Kunden wird sich disruptiv verändern. Warum? Weil die Interaktion mit einer KI sich deutlich unterscheidet zu den bisherigen technischen, herkömmlichen Schnittstellen. Ein spannendes Beispiel hierfür liefert eine jüngst veröffentlichte Studie aus dem medizinischen Bereich. Forscher untersuchten, ob mit Künstlicher Intelligenz gegebene Antworten empathischer auf Patientenfragen wirken, verglichen mit den Antworten von Ärzten. Es handelte sich hierbei um einen Doppelblindversuch, sprich die Beurteilenden kannten die Quelle nicht und konnten nicht zuordnen, ob eine Antwort von einem Arzt oder einer KI stammte. Das Ergebnis war überraschend: Die KI-generierten Antworten übertrafen die Antworten der Ärzte sowohl in der Qualität als auch im Einfühlungsvermögen der Antworten. Eine Erkenntnis, die die Debatte darüber, wie empathisch KI vom User wahrgenommen wird, neu entfacht (vgl. Fußnote).
Was bedeutet diese Studienerkenntnis nun für uns als HRler? Ein Aspekt, der sich zeigt, ist die Vielschichtigkeit bei der Nutzung von KI in Bezug auf Empathie. Es geht nicht mehr um eine rein technische Anwendung. Sondern darum, dass die Nutzung von KI Emotionen bei uns auslösen kann und wir uns im besten Fall gut aufgehoben fühlen. Lassen Sie mich das an einem Beispiel konkretisieren. Wenn eine Mitarbeitende oder ein Mitarbeitender beispielsweise herausfinden möchte, wie viele Tage Sonderurlaub ihr oder ihm bei der eigenen Hochzeit zustehen, erhält die oder der Fragenstellende unmittelbar die Antwort auf die Frage. Die KI erschließt sich außerdem weiteren Kontext und setzt das Ereignis in einen holistischen Zusammenhang. Zusätzlich zu einer empathisch wirkenden Gratulation beantragt die KI den Sonderurlaub im HR-System und exekutiert den Prozess unmittelbar.
Was auf den ersten Blick vermeintlich trivial klingt, lässt sich gedanklich schnell ausbauen zu einem Dialog, der hochgradig „persönlich“ wahrgenommen werden kann. Der Mitarbeitende fühlt sich persönlich betreut und unterstützt bei HR-Fragestellungen. Dies bedeutet, dass für viele Mitarbeitende die Zusammenarbeit mit HR verbessert wird, im Vergleich beispielsweise zu den derzeitigen Applikationen, die wir aus dem HR-Bereich bisher kennen. Dachten wir bisher, dass KI-Prozesse im HR-Bereich nicht so betroffen sind, so zeigt uns der Einsatz von KI, dass es sich anders verhält: KI kann Emotionen beim Menschen auslösen. Das Besondere an der KI ist die individualisierte Begleitung von Mitarbeitenden, die von der Erstellung von individuellen Entwicklungsplänen bis hin zur On-The-Job-Coaching reichen kann.
Die KI fungiert auch als Begleitung und Hilfe bei den täglichen Führungsaufgaben und unterstützt unter anderem sogar das menschliche Miteinander. Denken wir beispielsweise an Führungskräfte, die sowohl an das Führen von Gesprächen mit Teammitgliedern erinnert als auch durch individualisierte Gesprächsleitfäden unterstützt werden. Der Gesprächsleitfaden wird bei der Terminsetzung direkt mitgeliefert. Nicht nur für regelmäßige Gespräche, sondern vielleicht auch für kritisches Feedback. Machbare KI-Nutzung, um Führungskräfte zu entlasten, um den emotionalen Faktor im hektischen Joballtag nicht zu vernachlässigen. Wir können unsere Führungskräfte motivieren, begeistern und begleiten durch ein KI-System.
KI ersetzt keinen Menschen, sondern entlastet ihn
Wir sprechen hier nicht von Utopie. Bei Covestro bauen wir derzeit eine erste Version des digitalen KI-Assistenten. Und erkennen hier sehr viel Potenzial. Das betrifft die Arbeitsentlastung von Führungskräften, optimiertes Führen und vereinfachte Prozesse. Was wir hierbei immer im Blick haben: Die KI ist ein Hilfsinstrument und muss als solches begriffen werden. Sie ersetzt keinen Menschen, sondern sie entlastet den Menschen. Vorerst wird der Mensch noch eine Weile die letzte Instanz sein, der die finale Entscheidung trifft. Wie autonom wir diese Systeme am Ende des Tages entscheiden lassen wollen, wird eine der zentralsten ethischen und rechtlichen unternehmerischen Fragestellungen werden.
Was genau bedeutet KI nun also für das Operating Model in HR? Jeder, der mithilfe von generativer KI schon mal Workshop-Konzepte erstellt hat, kann dies unmittelbar nachvollziehen. Unsere Kolleginnen und Kollegen, die dies zum ersten Mal erleben, erfahren durch dieses einfache Beispiel, wie disruptiv KI ist. Die Konzepterstellung ist in vielen Personalbereichen im CoE (Center of Expertise) verankert und wird vom HR-Business Partner auf den jeweiligen Bereich spezifiziert. Wenn jetzt die KI in der Lage ist, hochwertige Konzepte in kürzester Zeit zu erstellen, stellt sich die Frage: Wer wird zukünftig die Verantwortung für die Konzepterstellung übernehmen? Das CoE? Der HR-Business Partner? Oder am Ende des Tages die Führungskraft selbst? Solche Veränderungen bieten auch Chancen. So können sich die HR-Business Partner stärker auf Aufgaben fokussieren wie Coaching oder die Diskussion strategischer Fragen mit Führungskräften, Workshop-Moderation und Durchführung. Viele strategische HR-Business-Partner-Aufgaben werden für längere Zeit menschlich bleiben.
Dadurch stellt sich jedoch auch unmittelbar die Frage der Qualitätssicherung. Welche Kontrollmechanismen müssen wir implementieren, wenn wir KI nutzen? Hier könnte sich die Frage nach neuen Jobprofilen im HR-Bereich stellen. Wir als HRler sind gezwungen, durch die KI unseren Wertbeitrag neu zu definieren und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Was wir seit Jahren immer wieder diskutieren, erhält jetzt eine neue Dringlichkeit.
KI-Transformation des Unternehmens und die Aufgabe von HR
Bei Covestro beschäftigen sich aktuell diverse Abteilungen intensiv mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Um die KI-Transformation im Unternehmen mit Blick auf die Mitarbeitenden voranzutreiben, gehen die Abteilungen HR und IT&D (IT und Digitalisierung) das Thema KI bei Covestro holistisch an. KI-Experten aus dem IT-Bereich bilden mit den HR-Business Partnern Tandems, um verschiedene Aspekte zu prüfen und ihr Fachwissen einzubringen. So werden die menschliche und technische Seite von Anfang an gemeinsam gedacht.
Was wir genauso benötigen: eine selbstbewusste Belegschaft. Wichtig ist hier der respektvolle und vor allem ehrliche Diskurs. Unsere Mitarbeitenden sind aufgefordert, ihre Gedanken und Meinungen frei mit uns zu teilen, wenn sie erste Erfahrungen mit Künstlicher Intelligenz gemacht haben. Das heißt auch, dass sie Sorgen und Ängste benennen. Dieses Mal stelle ich fest: Die Sorgen und Ängste, die offenen Fragen hinsichtlich KI umfassen sehr viele Jobprofile, auch und besonders akademische Jobprofile. Waren diese in früheren Digitalisierungswellen nicht so stark betroffen, so verhält es sich dieses Mal anders. Das bedeutet, dass durch die Veränderungen die berufliche Identität infrage gestellt werden kann. Die Expertise, die durch ein jahrelanges Studium erarbeitet wurde, erscheint durch Knopfdruck ersetzbar zu sein. Daher müssen wir den Ängsten und Sorgen bei der Einführung von KI im Unternehmen hohe Beachtung schenken. Dafür muss es auch einen betrieblichen Raum geben. Bei Covestro ermutigen wir unsere Mitarbeitenden, sich mit Expertinnen und Experten und Führungskräften auszutauschen und aktiv an Diskussionen teilzunehmen. Durch kontinuierliche Schulungen im Bereich Künstliche Intelligenz fördern wir die Kompetenzen unserer Belegschaft und sorgen dafür, dass sie selbstbewusst mit den Herausforderungen der KI umgehen können. Diese Schulungen führen Kolleginnen und Kollegen aus, die sich konkret mit den Fragestellungen von Covestro und KI auseinandersetzen. Der Inhalt ist also nicht nur graue Theorie, sondern mit vielen Arbeitsbeispielen aus dem alltäglichen Arbeitsumfeld angereichert.
Eine Belegschaft, die in den Transformationsprozess von Covestro einbezogen wird, ist in der Lage, aktiv mitzugestalten. Unser Ziel im Bereich HR ist es, unsere Mitarbeitenden zu befähigen und ihre Teilnahme zu ermöglichen, damit sie sich auf zukünftige Entwicklungen konzentrieren können, anstatt sich sorgenvoll im Hier und Jetzt zu verlieren.
Für unseren HR-Berufskontext heißt das: neue Berufsfamilien rund um KI werden entstehen, von Qualitätssicherung zur Bewertung ethischer Standards zu der Übersetzung unserer ureigenen Firmenkultur, bis zu Prompt-Engineering. Die Geschwindigkeit, mit der sich KI weiterentwickelt, ist rasant. Im deutschen Kontext ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mitbestimmungsgremien von entscheidender Relevanz. Wir brauchen Leitplanken wie den EU-AI-Act, wie wir als Unternehmen KI regeln. Dies muss sowohl auf betrieblicher, aber auch auf politischer Ebene geregelt werden.
KI und der Blick auf die Rolle des Arbeitgebers
Was ist Künstliche Intelligenz nun – Hysterie, Utopie, Dystopie? Das mag jetzt jeder für sich beantworten. Wir als HR-Verantwortliche müssen die Herausforderungen und Chancen aufzeigen, die die Nutzung Künstlicher Intelligenz uns bietet. Das bedeutet meiner Meinung nach auch, dass wir das verbindende Glied im Unternehmen sein können, zwischen Technik und Mensch. Genauso müssen wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Dialog treten, um Fragen aufzuspüren und Antworten zu liefern. Das ist besonders wichtig, wenn wir an die möglichen Gefahren denken, die durch den Einsatz von KI entstehen können. Hier möchte ich die Aufmerksamkeit nochmal auf den Autonomie-Aspekt richten. Wie viel Autonomie wollen wir den KI-Systemen zugestehen – und wie handhaben wir die damit möglichen einhergehenden Risiken? Das sind Fragen, die den ethischen Rahmen über das eigene Unternehmen hinaus betreffen.
Wir müssen uns mit unserer Kompetenz, mit unserem originären Fokus auf die Belegschaft als gesellschaftliche Stimme verstehen und aktiv Veränderungen begleiten. Meiner Meinung nach auch im gesellschaftlichen Diskurs, als HRler, mit unserem ureigenen Blick auf die Zukunft der Mitarbeitenden. Das heißt schlussendlich auch, dass wir als Arbeitgeber eine gesellschaftliche Verantwortung haben, die wir wahrnehmen müssen. Als Personaler haben wir die Aufgabe, die Zukunft der Arbeit mitzugestalten. Das bedeutet auch, über Unternehmen und Industrien hinweg.
Lassen Sie uns jetzt aktiv die Transformation mitgestalten und die Chancen erkennen und nutzen, die dies für uns als HRler bietet.
Fußnote: Studie Patienten und Empathie: Ayers JW, Poliak A, Dredze M, et al. Comparing Physician and Artificial Intelligence Chatbot Responses to Patient Questions Posted to a Public Social Media Forum. JAMA Intern Med. 2023;183(6):589–596. doi:10.1001/jamainternmed.2023.1838
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 3/2024. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.
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