Praxistipps: Peer-to-Peer Learning im Unternehmen etablieren
"Gemeinsam lernt es sich am besten" – ein Prinzip, das sich nicht nur im schulischen Lernalltag bewährt hat, sondern auch in der Arbeitswelt von Relevanz ist. Denn: Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen dem, was Menschen allein lernen können und dem, was sie durch die Unterstützung und den Austausch mit anderen lernen können. Das gemeinschaftliche Lernen kann Menschen helfen, ihr Wissen über ein bestimmtes Thema erheblich zu erweitern.
In der Entwickler-Community läuft das Peer-to-Peer Learning sehr dynamisch und ein Großteil erfolgt unbewusst mittels "Soft Learning", also durch Observation und Inspirationen durch Andere. Die Community lebt von ihren Mitgliedern: den verschiedenen Stärken und Schwächen jedes Einzelnen, dem immer etwas unterschiedlichen Technologieverständnis, dem ungefilterten Austausch, der Offenheit und Zugänglichkeit zum intellektuellen Gut der Peers.
Peer-to-Peer Learning erfolgreich im Unternehmen implementieren
Natürlich sind es längst nicht nur Entwicklerinnen und Entwickler, sondern Mitarbeitende aus allen erdenklichen Arbeitsbereichen, die den Wunsch verspüren zu lernen, zu wachsen und zu experimentieren – ein Wunsch, der von vielen Unternehmen leider noch allzu oft vernachlässigt wird. Das kann dazu führen, dass sie sich in ihrer begrenzten Freizeit nach alternativen Lernmöglichkeiten oder sogar nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten umsehen.
Was können Unternehmen also tun, um ein produktives Umfeld zu schaffen, das gemeinsames Lernen unter Mitarbeitenden fördert – und damit nicht zuletzt auch die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden sowie die eigene Innovationskraft stärkt? Welche Möglichkeiten gibt es, das Peer-to-Peer Learning in etablierte Weiterbildungsprogramme zu integrieren und welche Voraussetzungen müssen hierfür geschaffen werden?
Aus meiner Erfahrung sind hierfür die folgenden vier Schritte ausschlaggebend:
1. Die richtige Lernkultur etablieren
Häufig nennen Mitarbeitende den Aspekt "Entwicklungsmöglichkeiten" als zentralen Faktor für die Wahl ihres Arbeitsplatzes. Für Unternehmen bedeutet dies zunächst, eine grundlegende Kultur des Lernens im Unternehmen zu verankern. Essenziell dabei ist vor allem die offene Konversation und der Dialog mit den Mitarbeitenden – welchen Karriereweg verfolgen sie; welche Ziele haben sie? Führungskräfte sollten herausfinden, was ihren Mitarbeitenden Spaß macht, wo ihre besonderen Stärken liegen und ihnen schließlich auch die Art von beruflicher Entwicklung bieten, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht, sowie konkrete Möglichkeiten zur Umsetzung schaffen. Im Bereich kollaborativen Lernens bedeutet das in erster Linie: Freiraum und Raum schaffen.
2. Lernzeit: Freiraum für Mitarbeiterentwicklung schaffen
Angesichts des oft hektischen Arbeitsalltags ist es wichtig, Freiraum in Form von strukturierten Zeiten für die Mitarbeiterentwicklung zu schaffen und Mitarbeitende darin zu ermutigen, ihre Fähigkeiten bewusst auch während der Arbeitszeit weiterzuentwickeln.
3. Community: Einen Raum zum Austausch bieten
Der ideale Raum wiederum besteht meiner Erfahrung nach im Zugang zu einer Community aus Peers sowie einer entsprechenden Plattform, auf der aktives Peer-to-Peer Learning und fachlicher Austausch kontinuierlich und unkompliziert – auch mit externen Mitgliedern – stattfinden kann. Das zentrale Stichwort lautet Inklusion: In der Community treffen sich Menschen mit den verschiedensten Hintergründen, neue Netzwerke entstehen und Mitarbeitende haben die Möglichkeit, sich darüber auszutauschen, was "draußen in der Welt" los ist und woran sie aktuell arbeiten.
4. Formate für Lernaktivitäten etablieren
Die Community bildet das Forum für langfristiges, kollaboratives Lernen. Gleichzeitig ist sie auch der zentrale Ausgangspunkt für kurzfristigere interne und externe Peer-to-Peer-Learning-Aktivitäten, die Anreize für innovatives Denken setzen. Im Entwickler-Umfeld haben sich hierfür bereits eine ganze Reihe von Formaten wie Challenges oder Hackathons etabliert.
Peer-to-peer Learning: Praxisbeispiele aus der Entwickler-Community
Dies möchte ich an einigen Anwendungsbeispielen aus der Praxis konkretisieren: Bei SAP veranstalten wir ein globales Programm namens "Innovator Challenge" mit über 1.500 teilnehmenden SAP-Mitarbeitenden. Die teilnehmenden Teams haben rund sechs Monate Zeit, um - basierend auf einer beliebigen Idee - einen neuen, technischen Prototyp mit einer SAP-Technologie zu entwickeln. Am Ende der Innovator Challenge präsentieren die Teams ihre Prototypen bei den Finals vor einer Jury aus SAP-Führungskräften und Expertinnen und Experten. Dadurch wird ihr Engagement mit Sichtbarkeit und Feedback belohnt und angemessen wertgeschätzt. Die besten Teams gewinnen Awards in unterschiedlichen Kategorien, die sie bei einer abschließenden virtuellen Preisverleihung erhalten.
Das Programm ist darauf ausgerichtet, Mitarbeitende mit ähnlichen Interessen und Fähigkeiten zusammenzubringen, um praktische Erfahrungen mit Produkten und Dienstleistungen zu sammeln. Es ermöglicht den Entwickelnden nicht nur, mehr über Technologien zu erfahren, mit denen sie nicht jeden Tag arbeiten, sondern bietet ihnen auch ein unterhaltsames und vor allem sicheres Umfeld, in dem sie Innovationen entwickeln und ihre speziellen Fähigkeiten ausbauen können. Darüber hinaus knüpfen sie neue Kontakte im Unternehmen: Viele der Innovator-Challenge-Teams bestehen aus Mitarbeitenden, die sich vorher noch nicht kannten. Der Netzwerkeffekt zeigt sich über eine längere Dauer des Programms besonders stark.
Interdisziplinäre Projekte und Kooperationen fördern Produktivität
Neben rein internen Challenges bieten wir außerdem Peer-to-Peer-Learning-Angebote für alle Mitglieder in der frei zugänglichen SAP-Community – ein Beispiel ist die AppGyver Low Code/No Code Challenge. Generell ist der Bereich Low Code/No Code (LCNC) ein gutes Beispiel dafür, wie sich das Wissen unterschiedlicher Bereiche zusammenbringen und zu etwas Neuem formen lässt. Mit den entsprechenden LCNC-Tools kann die Lücke zwischen IT- und Business-Spezialisten überbrückt werden, denn sie versetzt die Letztgenannten in die Lage, als sogenannte Citizen Developers selbst technische Lösungen zu erarbeiten. Dadurch kann die Kooperation zwischen beiden "Lagern" optimiert und die Ergebnisse schneller nutzbar gemacht werden. Mehr noch: Es entsteht eine neue interdisziplinäre Diversität, die alle Beteiligten in ihrem Verständnis weiterbringt und zu höherer Produktivität, einer geringeren Entwicklungszeit sowie zu besseren Workflows führt.
Kollaboratives Lernen ist kein "nice to have" mehr
Kollaboratives Peer-to-Peer Learning ist in seinem Potenzial nicht zu unterschätzen. Mit dem richtigen organisatorischen Rahmen erhalten Mitarbeitende einen sicheren Ort, der sie zur aktiven Teilnahme motiviert, da der Nutzen für sich und andere unmittelbar erkennbar ist – den Teilnehmenden erschließt sich eine schier unerschöpfliche Quelle des Wissens. Unternehmen beziehungsweise Führungskräfte wiederum sollten diese Form des Lernens heutzutage nicht mehr nur als "nice to have" verstehen, sondern vielmehr als essenziellen Aspekt in der Weiterentwicklung ihrer Mitarbeitenden anerkennen – indem sie ihnen im Arbeitsalltag den notwendigen Raum und Freiraum dafür schaffen und gezielte Anreize für das Lernen im Team setzen.
Über den Autor: Thomas Grassl ist Vice President Developer and Community Relations bei SAP. In seiner Position ist er verantwortlich für die globalen Entwickler- und Community-Programme von SAP. Als erfahrener Vermarkter und Entwickler arbeitet er eng mit Entwicklerinnen und Entwicklern, Community-Mitgliedern, Unternehmen, Partnern und Startups auf der ganzen Welt zusammen, um ihnen zu helfen, neue technologische Innovationen zu erlernen und anzuwenden, um komplexe Geschäftsprobleme zu lösen.
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