Rz. 15
Im Verhältnis der unter dem Rang des BUrlG stehenden Regelungen in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung und einem Arbeitsvertrag gilt die Einschränkung des Einzelvergleichs, wie er durch § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG vorgegeben ist, dann nicht, wenn das Verhältnis dieser Regelungen zueinander und nicht im Verhältnis zum BUrlG zur Prüfung steht (zur speziellen Problematik zwischen Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag s. Rz. 17-18). Bei der Frage, ob eine arbeitsvertragliche Regelung im Verhältnis zu einer tariflichen Regelung oder einer Regelung in einer Betriebsvereinbarung günstiger ist, ist deshalb nicht jede einzelne Bestimmung ins Verhältnis zu derjenigen der Ranghöheren zu setzen (Einzelvergleich), sondern es erfolgt ein Sachgruppenvergleich. Dieser Sachgruppenvergleich beinhaltet die Feststellung, welche Regelungen in den zu vergleichenden Regelungswerken (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung bzw. Tarifvertrag) überhaupt in einem sachlichen Zusammenhang stehen und miteinander verglichen werden können (s. Rz. 21). Maßgebend ist vor allem, ob die Bestimmungen denselben Gegenstand betreffen, hilfsweise die Verkehrsanschauung. Nach Auffassung des BAG gehören z. B. Dauer des Urlaubs, Länge der Wartezeit und Höhe des Urlaubsgelds zusammen, ebenso tariflicher Grundlohn und tarifliche Lohnzuschläge.
Rz. 16
Beispiel
Auf ein Arbeitsverhältnis findet ein Manteltarifvertrag (MTV) kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Der MTV enthält keine ausdrückliche Regelung über Vertragsstrafen. Er schließt die einzelvertragliche Vereinbarung von Vertragsstrafen auch nicht ausdrücklich aus. Der MTV enthält jedoch Bestimmungen, nach denen der Arbeitnehmer bei begründeter außerordentlicher Kündigung durch den Arbeitgeber nur Anspruch auf den gesetzlichen und nicht den im Übrigen höheren tariflichen Urlaub hat; ferner hat der Arbeitnehmer bei verschuldeter fristloser Entlassung gezahltes Urlaubsgeld in voller Höhe zurückzuzahlen. Darüber hinaus entfällt bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund grob treuwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers der Anspruch auf Zahlung der tariflichen Sonderzuwendung, die ggf. für das laufende Jahr zurückzuzahlen ist. Im Arbeitsvertrag vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien eine Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatsgehalts für den Fall, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nicht antritt, das Arbeitsverhältnis unter Vertragsbruch auflöst oder der Arbeitgeber durch schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst wird. Der Arbeitnehmer wird wegen Diebstahls außerordentlich gekündigt. Er meint, dass der Arbeitgeber neben den tariflichen Sanktionen nicht auch noch die vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe verlangen könne.
Lösung
Ob der Arbeitsvertrag eine zuungunsten des Arbeitnehmers abweichende Abmachung i. S. d. § 4 Abs. 3 TVG enthält, erfordert einen Vergleich zwischen der einschlägigen tariflichen und der abweichenden vertraglichen Regelung. Vorliegend geht es in den tariflichen Regelungen um den Urlaub des Arbeitnehmers und um tarifliche Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung). Demgegenüber geht es im Arbeitsvertrag nur und ausschließlich um Vertragsstrafen bei Vertragsbruch und berechtigter fristloser Entlassung durch den Arbeitgeber wegen schuldhaft vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers. Die Regelungskomplexe Urlaub und tarifliche Sonderzahlung einerseits sowie vertragliche Vertragsstrafe andererseits haben nichts miteinander zu tun und sind nicht miteinander vergleichbar. Es handelt sich um sachlich verschiedene Regelungsbereiche, sodass einzelvertragliche Vertragsstrafen durch tarifliche Urlaubsregelungen und tarifliche Regelungen über Sonderzahlungen nicht ausgeschlossen werden, auch wenn beide Regelungswerke dasselbe Verhalten sanktionieren. Im Übrigen dürften bei einem Vergleich nur der Urlaubsanspruch insgesamt sowie tarifliche Sonderzahlungen insgesamt mit der vertraglichen Vertragsstrafenregelung verglichen werden, nicht bloß einzelne Teile der tariflichen Regelung (Verbot der "Rosinentheorie").
Steht fest, dass der Arbeitsvertrag ungünstiger als die Betriebsvereinbarung bzw. der Tarifvertrag ist, tritt als Folge des Günstigkeitsprinzips an Stelle des Arbeitsvertrags die Regelung der Betriebsvereinbarung bzw. des Tarifvertrags (hinsichtlich der weitergehenden Überprüfung an den Mindestbedingungen des BUrlG s. Rz. 8 ff. und 18).