Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Betriebsratswahl. Aktualisierung der Wählerliste. Einspruchsrecht und Anfechtungsberechtigung. Bekanntgabe in elektronischer Form. Betriebsrat. Wahlanfechtung. Wählerliste. Einspruch
Leitsatz (amtlich)
Ein Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste nach § 4 Abs. 1 WO ist nicht Voraussetzung dafür, in einem späteren Wahlanfechtungsverfahren die Aufnahme nicht Wahlberechtigter in die Wählerliste rügen zu können.
Orientierungssatz
1. Nach § 4 Abs. 1 WO kann gegen die Richtigkeit der Wählerliste vor Ablauf von zwei Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand schriftlich Einspruch eingelegt werden. Der Wahlvorstand ist verpflichtet, über den Einspruch unverzüglich zu entscheiden. Der Einspruch gegen die Wählerliste während des Wahlverfahrens ist keine Voraussetzung dafür, in einem späteren Wahlanfechtungsverfahren die Aufnahme nicht Wahlberechtigter in die Wählerliste rügen zu können.
2. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 WO ist ein Abdruck der Wählerliste vom Tag der Einleitung der Wahl bis zum Abschluss der Stimmabgabe an geeigneter Stelle im Betrieb zur Einsichtnahme auszulegen. Ergänzend kann der Abdruck der Wählerliste nach § 2 Abs. 4 Satz 3 WO mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik bekannt gemacht werden. Änderungen der Wählerliste sind in gleicher Weise bekannt zu machen wie die ursprüngliche Wählerliste. Macht der Wahlvorstand von der Möglichkeit Gebrauch, die Wählerliste ergänzend mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik bekannt zu machen, sind Änderungen auch dort zu veröffentlichen.
3. Die Pflicht des Betriebsrats nach § 19 WO, die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren, soll die nachträgliche Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Betriebsratswahl ermöglichen. Die Stimmabgabe der Wähler kann nur durch die aufzubewahrenden Wählerlisten mit den Stimmabgabevermerken festgestellt werden. Weitergehende Recherchen dazu, ob bestimmte Wähler an der Wahl teilgenommen haben oder nicht, sind nicht zulässig. Ausgeschlossen ist damit auch eine nachträgliche Aufklärung dazu, ob ein wahlberechtigter Arbeitnehmer in Kenntnis oder Unkenntnis seines Wahlrechts oder aus anderen Gründen nicht an der Wahl teilgenommen hat.
Normenkette
BetrVG § 14 Abs. 1, § 18a Abs. 5, § 19 Abs. 1-2, § 126; Erste Verordnung zur Durchführung des BetrVG vom 11. Dezember 2001 (WO) § 2 Abs. 4, § 4 Abs. 1-2, § 19
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juli 2015 – 18 TaBV 1/15 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die zu 6. beteiligte Arbeitgeberin betreibt eine Klinik zur Akutversorgung und anschließenden medizinischen und beruflichen Rehabilitation von Patienten in den Fachrichtungen Orthopädie und Neurologie. Sie arbeitet eng mit der Universitätsklinik U zusammen. Die Chefärzte der Abteilungen Neurologie und Orthopädie werden von der Arbeitgeberin und der Universitätsklinik beschäftigt. Sie teilen bei der Universitätsklinik angestellte Ärzte teilweise auch in Dienstpläne bei der Arbeitgeberin ein.
Am 26./27. März 2014 fand in dem Betrieb der Arbeitgeberin eine Betriebsratswahl statt, aus der der zu 5. beteiligte Betriebsrat hervorging. Zur Vorbereitung der Wahl hatte der Wahlvorstand am 28. Januar 2014 ein Wahlausschreiben erlassen. Dieses lautet auszugsweise:
„1. |
Mit diesem Wahlausschreiben und den dazugehörigen Wählerlisten sowie der Wahlordnung (WO) zum Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist die Betriebsratswahl eingeleitet. Die Wählerlisten und die Wahlordnung hängen für jedermann zugänglich in bzw. an den Schaukästen an der Zentralumkleide (Bauteil A, EG), im Vorraum zur Verwaltung (Bauteil C, EG) sowie im Gang zum Wirtschaftshof (Bauteil A, 1. UG), zur Einsichtnahme aus. Wahlausschreiben, Wählerlisten und Wahlordnung können außerdem im Intranet eingesehen werden. |
… |
|
4. |
Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer/-innen, die am letzten Tag der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 7 BetrVG) und in die Wählerliste eingetragen sind (§ 2 Abs. 3 WO). |
…” |
|
Die am 28. Januar 2014 mit dem Wahlausschreiben ausgehängte sowie im Intranet veröffentlichte Wählerliste enthielt mit fortlaufender Nummerierung die Namen der wahlberechtigten Mitarbeiter. Neben den Arbeitnehmern der Arbeitgeberin waren in der Wählerliste unter der Rubrik „Mitarbeiter … -Universitätsklinik” 14 Ärzte als Wahlberechtigte genannt, die keinen Arbeitsvertrag mit der Arbeitgeberin, sondern mit der Universitätsklinik U hatten. Weitere Mitarbeiter der Universitätsklinik U (ärztliches und nichtärztliches Personal), die ebenfalls im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigt wurden, waren nicht in der Wählerliste vermerkt.
Die Liste der weiblichen Beschäftigten endete mit der Ordnungsnummer 585. Aufgelistet waren ab der Ordnungsnummer 577 folgende Namen:
„Mitarbeiter weiblich – Universitätsklinik |
577 A |
C |
581 H |
T |
578 F |
M |
582 H |
B |
579 H |
N |
583 R |
M |
580 H |
A |
584 S |
I |
Mitarbeiter weiblich – Sonstige (z.B. Gastärzte) |
585 M |
N” |
|
|
Nach dem 28. Januar 2014 nahm der Wahlvorstand Ergänzungen in der Wählerliste vor, ohne die im Intranet veröffentlichte Fassung entsprechend zu ändern. Jedenfalls eine der ausgehängten Wählerlisten hatte am Wahltag folgenden Inhalt:
„… |
|
590 A |
C |
591 B |
S |
592 F |
M |
593 H |
N |
594 H |
A |
595 H |
T |
Mitarbeiter weiblich – Sonstige (z.B. Gastärzte) |
|
602 M |
N” |
Zur Wahl wurden zwei Vorschlagslisten zugelassen. Von den abgegebenen Stimmen entfielen 228 Stimmen auf die Liste I (Freie Liste ver.di) und 220 Stimmen auf die Liste II (konstruktive Liste). Das Wahlergebnis wurde am 28. März 2014 bekannt gegeben. Nach Abschluss der Wahl wurden die ausgehängten Abdrucke der Wählerliste vom Wahlvorstand vernichtet.
Die zu 1. bis 4. beteiligten Antragstellerinnen haben die Betriebsratswahl vom 26./27. März 2014 mit der am 11. April 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift angefochten. Während des Wahlverfahrens hatten sie keinen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste beim Wahlvorstand eingelegt.
Innerhalb der Anfechtungsfrist haben die Antragstellerinnen geltend gemacht, der Wahlvorstand habe in die Wählerliste Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Universitätsklinik aufgenommen, die nicht wahlberechtigt seien. Nach Ablauf der Anfechtungsfrist haben die Antragstellerinnen weitere Wahlfehler gerügt. Sie haben ua. die Auffassung vertreten, die Unwirksamkeit der Wahl folge daraus, dass die im Intranet veröffentlichte Wählerliste am 26./27. März 2014 nicht mit dem in einem Schaukasten ausgehängten Abdruck der Wählerliste übereingestimmt habe. In der Liste der weiblichen Beschäftigten im Intranet seien 585 Beschäftigte, im Aushang zuletzt 602 Beschäftigte aufgeführt gewesen.
Die Antragstellerinnen haben zuletzt beantragt,
die Betriebsratswahl vom 26. und 27. März 2014 im Betrieb der Arbeitgeberin für unwirksam zu erklären.
Die Arbeitgeberin hat sich den Ausführungen der Antragstellerinnen angeschlossen. Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Antragstellerinnen hätten die Wahl nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form angefochten. Innerhalb der Anfechtungsfrist seien nur Fehler der Wählerliste gerügt worden. Dies hätte jedoch einen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste während des Wahlverfahrens erfordert, der – unstreitig – unterblieben sei. Die spätere Geltendmachung anderer Verstöße gegen Wahlvorschriften sei daher ausgeschlossen. Im Übrigen sei nicht gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden. Der Wahlvorstand habe zwar die Wählerliste nach dem 28. Januar 2014 um 17 Personen ergänzt, ohne die im Intranet veröffentlichte Liste entsprechend zu ändern. Die Abweichung könne sich aber nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben, da vier der 17 Arbeitnehmerinnen an der Wahl teilgenommen hätten, sieben Arbeitnehmerinnen unabhängig von dem Inhalt der im Intranet veröffentlichten Wählerliste Kenntnis von ihrem Wahlrecht gehabt hätten und zwei Arbeitnehmerinnen die Liste im Intranet nicht eingesehen hätten. Nur bei vier Beschäftigten sei eine Klärung des Sachverhaltes nicht möglich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Wahl für unwirksam erklärt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrags. Die Antragstellerinnen und die Arbeitgeberin beantragen die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Wahlanfechtungsantrag zu Recht stattgegeben. Die am 26./27. März 2014 durchgeführte Betriebsratswahl ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam.
I. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Zur Anfechtung berechtigt sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber. Die Wahlanfechtung ist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, zulässig.
II. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
1. Die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung liegen vor.
a) Die Antragstellerinnen sind wahlberechtigte Arbeitnehmerinnen des Betriebs und damit nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Sie haben die Wahl fristgerecht angefochten. Der Wahlvorstand hat das Wahlergebnis am 28. März 2014 bekannt gegeben. Der Wahlanfechtungsantrag ist am 11. April 2014 und damit innerhalb der Anfechtungsfrist von zwei Wochen beim Arbeitsgericht eingegangen.
b) Der Wahlanfechtungsantrag vom 11. April 2014 entspricht den gesetzlichen Anforderungen.
aa) Die Anfechtungsberechtigten müssen innerhalb der Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend machen und einen Sachverhalt darlegen, der Anlass zu der Annahme geben kann, es sei bei der Wahl gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts verstoßen worden (vgl. zuletzt BAG 21. März 2017 – 7 ABR 19/15 – Rn. 20). Es muss ein betriebsverfassungsrechtlich erheblicher Grund vorgetragen werden, der möglicherweise die Anfechtung rechtfertigt. Ist innerhalb der Anfechtungsfrist ein solcher Sachverhalt vorgetragen worden, sind auch alle später nachgeschobenen Gründe zu prüfen, die die Anfechtbarkeit der Wahl begründen können.
bb) Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift vom 11. April 2014. Mit ihr haben die Antragstellerinnen geltend gemacht, bei der Wahl sei gegen Vorschriften über das Wahlrecht verstoßen worden, weil in die Wählerliste nicht nur bei der Arbeitgeberin, sondern auch bei der Universitätsklinik angestellte Personen sowie ein ausgeschiedener „Gastarzt” und eine Praktikantin aufgenommen worden seien. Diese seien nicht wahlberechtigt. Damit haben die Antragstellerinnen eine Verletzung des § 7 BetrVG gerügt. Sie haben daher einen betriebsverfassungsrechtlich erheblichen Grund vorgetragen, der möglicherweise die Anfechtung rechtfertigt. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerinnen während des Wahlverfahrens keinen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste gemäß § 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung des BetrVG vom 11. Dezember 2001 (WO) beim Wahlvorstand erhoben hatten. Nach § 4 Abs. 1 WO können zwar Einsprüche gegen die Richtigkeit der Wählerliste nur vor Ablauf von zwei Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand schriftlich eingelegt werden. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 WO hat der Wahlvorstand über einen Einspruch unverzüglich zu entscheiden. Ein Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste während des Wahlverfahrens ist jedoch nicht Voraussetzung dafür, in einem späteren Wahlanfechtungsverfahren die Aufnahme nicht Wahlberechtigter in die Wählerliste rügen zu können (vgl. etwa DKKW/ Homburg 15. Aufl. § 19 Rn. 6; ErfK/Koch 17. Aufl. § 19 BetrVG Rn. 3; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 19 Rn. 59 f.; HWGNRH/Nicolai 9. Aufl. § 19 Rn. 23; Wlotzke in Wlotzke/Preis/Kreft BetrVG 4. Aufl. § 19 Rn. 5; aA Fitting 28. Aufl. § 19 Rn. 14 und § 4 WO Rn. 5 jeweils mwN; Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 19 Rn. 9 f. mwN; offengelassen von BAG 21. März 2017 – 7 ABR 19/15 – Rn. 16; 14. November 2001 – 7 ABR 40/00 – zu B II 2 der Gründe; 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B II 5 b der Gründe, BAGE 72, 161 zu § 4 WO 1953).
(1) § 19 BetrVG sieht seinem Wortlaut nach insoweit keine Einschränkung des Anfechtungsrechts vor. Eine solche Einschränkung ergibt sich auch nicht aus § 4 Abs. 1 WO. Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift besteht darin, eine möglichst zeitnahe und abschließende Klärung von Beanstandungen der Wählerliste noch während des Wahlverfahrens zu erreichen. Die Regelung soll damit zwar eine ansonsten nur mögliche Anfechtung der Wahl vermeiden. Weder das BetrVG noch die WO sehen aber vor, dass eine Entscheidung des Wahlvorstands über die Richtigkeit der Wählerliste verbindliche Wirkung hat oder ein nicht rechtzeitig durch einen Einspruch gerügter Verstoß gegen Vorschriften über das Wahlrecht geheilt wird. Erst in einem späteren Anfechtungsverfahren kann verbindlich geklärt werden, ob eine Entscheidung des Wahlvorstands, eine Person in die Wählerliste aufzunehmen oder von dieser zu streichen, zu Recht erfolgt ist. Soweit die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl wegen möglicher Verstöße gegen Wahlvorschriften ausnahmsweise aufgrund vorheriger Klärungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden soll, ist dies im BetrVG ausdrücklich bestimmt. So ordnet etwa § 18a Abs. 5 Satz 2 BetrVG an, dass eine Wahlanfechtung wegen einer fehlerhaften Zuordnung der leitenden Angestellten nach Durchführung eines Zuordnungsverfahrens ausgeschlossen ist. Eine solche Einschränkung des Anfechtungsrechts ist für den unterbliebenen Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste nicht vorgesehen.
(2) Eine Einschränkung des Anfechtungsrechts durch § 4 Abs. 1 WO wäre auch nicht durch die Ermächtigung zum Erlass von Wahlordnungen in § 126 BetrVG legitimiert. Während die Vorgängerregelung in § 87 Buchst. g BetrVG 1952 (BGBl. I S. 694) vorsah, dass die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats zur Regelung der Wahlen des Betriebsrats Regelungen über die Anfechtung der Wahl erlässt, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dazu durch § 126 Nr. 1 – 7 BetrVG nicht mehr befugt. Diese Verordnungsermächtigung erstreckt sich nur auf Ordnungs- oder Verfahrensbestimmungen zur Durchführung der Wahl, zur Ermittlung des Wahlergebnisses und zur Aufbewahrung der Wahlakten. Regelungen zur Überprüfung von Betriebsratswahlen im Rahmen einer Anfechtung und zum Anfechtungsrecht sind in § 126 WO nicht genannt. Ohne gesetzliche Verordnungsermächtigung können die Bestimmungen der WO als niederrangige Rechtsnormen gegenüber dem Gesetz weder zusätzliche materielle Voraussetzungen aufstellen noch von den gesetzlichen Anforderungen Ausnahmen zulassen. Sie können somit das gesetzliche Anfechtungsrecht nicht einschränken (Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 19 Rn. 60; vgl. zur Normhierarchie auch BAG 21. März 2017 – 7 ABR 19/15 – Rn. 28; 29. März 1974 – 1 ABR 27/73 – zu II 4 b der Gründe, BAGE 26, 107; 25. Juni 1974 – 1 ABR 68/73 – zu II 3 c der Gründe; vgl. zur gesetzeskonformen Auslegung SchwbVWO BAG 23. Juli 2014 – 7 ABR 61/12 – Rn. 27).
2. Die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG liegen ebenfalls vor. Bei der Wahl wurde gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis hierauf beruht.
a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Wahlvorstand gegen § 2 Abs. 4 WO verstoßen hat, indem er die Wählerliste nachträglich um 17 Personen ergänzt hat, ohne die im Intranet veröffentlichte Fassung der Liste entsprechend zu ändern.
aa) Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 WO ist ein Abdruck der Wählerliste vom Tag der Einleitung der Wahl bis zum Abschluss der Stimmabgabe an geeigneter Stelle im Betrieb zur Einsichtnahme auszulegen. Ergänzend kann der Abdruck der Wählerliste nach § 2 Abs. 4 Satz 3 WO mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik bekannt gemacht werden. Die ordnungsgemäße Anfertigung und Bekanntmachung der Wählerliste bis zum Abschluss der Stimmabgabe sind wesentliche Voraussetzungen für die Durchführung der Betriebsratswahl. Dies ergibt sich daraus, dass die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts nach § 2 Abs. 3 WO von der Eintragung in die Wählerliste abhängt.
bb) Der Wahlvorstand ist wegen der Bedeutung der Aufnahme wahlberechtigter Arbeitnehmer in die Wählerliste dazu verpflichtet, die Richtigkeit der Wählerliste laufend zu überprüfen. Er hat nicht nur nach § 4 Abs. 2 Satz 1 WO unverzüglich über Einsprüche gegen die Richtigkeit der Wählerliste zu entscheiden, die gemäß § 4 Abs. 1 WO binnen zwei Wochen nach Erlass des Wahlausschreibens erhoben werden. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 WO soll der Wahlvorstand die Wählerliste vielmehr auch nach Ablauf der Einspruchsfrist auf ihre Vollständigkeit hin überprüfen (vgl. zu § 4 Abs. 3 WO 1953 BAG 27. Januar 1993 – 7 ABR 37/92 – zu B III 2 b der Gründe, BAGE 72, 161). Werden Änderungen vorgenommen, sind diese in gleicher Weise bekannt zu machen wie die ursprüngliche Wählerliste. Der Wahlvorstand ist zwar nicht dazu verpflichtet, die Wählerliste auch in elektronischer Form zu veröffentlichen. Macht er aber von der durch § 2 Abs. 4 Satz 3 WO eröffneten Möglichkeit einer ergänzenden Bekanntmachung der Wählerliste mittels der im Betrieb vorhandenen Informationsund Kommunikationstechnik Gebrauch, muss er auch im Verlauf des Wahlverfahrens vorgenommene Änderungen der Wählerliste auf entsprechendem Wege bekannt machen (vgl. Kreutz/Jacobs GK-BetrVG 10. Aufl. § 4 WO Rn. 9; Forst in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 2 WO Rn. 16). Arbeitnehmer, die sich über ihre Wahlberechtigung informieren wollen, müssen nicht mit Abweichungen zwischen den im Betrieb ausgelegten und den im Intranet veröffentlichten Wählerlisten rechnen. Eröffnet der Wahlvorstand mehrere Informationsquellen, hat er dafür Sorge zu tragen, dass diese durchgehend übereinstimmen.
b) Der Verstoß gegen § 2 Abs. 4 WO konnte das Wahlergebnis beeinflussen.
aa) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (st. Rspr., vgl. etwa BAG 12. Juni 2013 – 7 ABR 77/11 – Rn. 39, BAGE 145, 225; 18. Juli 2012 – 7 ABR 21/11 – Rn. 30 mwN).
bb) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis ohne den Verstoß gegen § 2 Abs. 4 WO anders ausgefallen wäre. Es ist denkbar, dass wahlberechtigte Arbeitnehmer nur über das Intranet Einblick in die Wählerliste genommen und von einer Wahlbeteiligung Abstand genommen haben, weil sie – fehlerhaft – in der im Intranet veröffentlichten Liste bis zuletzt nicht aufgeführt waren. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass dies bei zumindest 13 der nachträglich in die Wählerliste aufgenommenen Beschäftigten der Fall sein kann. Da das Wahlergebnis eine Stimmendifferenz von nur acht Stimmen zwischen den beiden Vorschlagslisten ausweist, könnte sich der festgestellte Fehler im Wahlverfahren auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat den Vortrag des Betriebsrats, von den 17 nachträglich in die Wählerliste aufgenommenen Personen hätten vier gewählt, sieben weitere hätten von ihrem Wahlrecht Kenntnis gehabt, zwei weitere hätten keinen Einblick in die Wählerliste genommen und hinsichtlich vier weiterer Personen habe eine Klärung nicht erfolgen können, als zutreffend unterstellt und angenommen, die dargestellten Umstände seien nicht geeignet, eine Beeinflussung des Wahlergebnisses durch die unterbliebene Veröffentlichung der geänderten Wählerliste im Intranet auszuschließen. Von den 17 nachträglich in die Wählerliste aufgenommenen Personen hätten nur vier gewählt. Bei den 13 weiteren Personen könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie durch die Nichtaufnahme in die im Intranet veröffentlichte Wählerliste von der Wahrnehmung ihres Wahlrechts abgehalten wurden.
(2) Diese Würdigung ist im Ergebnis rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Die Rüge des Betriebsrats, das Landesarbeitsgericht habe den Sachverhalt unter Verletzung von § 90 Abs. 2 iVm. § 83 Abs. 1 ArbGG nur unzureichend aufgeklärt, greift nicht durch. Der Vortrag des Betriebsrats, Recherchen hätten ergeben, dass sieben der 17 nachträglich in die Wählerliste aufgenommenen Beschäftigten Kenntnis von ihrem Wahlrecht gehabt hätten und zwei weitere Arbeitnehmer keine Einsicht in die im Intranet veröffentlichte Wählerliste genommen hätten, ist unbeachtlich, weil er einer Aufklärung durch das Landesarbeitsgericht nicht zugänglich ist. Nachträgliche Recherchen über das Wahlverhalten einzelner Wahlberechtigter verletzen den durch § 14 Abs. 1 BetrVG gewährleisteten Grundsatz der geheimen Wahl und sind deshalb unzulässig. Daher hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis auch zu Recht davon abgesehen zu ermitteln, ob und ggf. aus welchem Grund vier weitere Arbeitnehmer, bei denen die Recherchen des Betriebsrats erfolglos waren, von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht haben.
(a) Nach dem Grundsatz der geheimen Wahl darf die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden. Dies dient dem Zweck, den Wähler vor jeglichem sozialen Druck zu schützen. Der Grundsatz der geheimen Wahl gilt nicht nur für den eigentlichen Wahlakt, sondern auch für die Wahlvorbereitung sowie nach Beendigung der Wahl gegenüber Auskunftsverlangen über die Stimmabgabe. Einschränkungen des Grundsatzes der geheimen Wahl sind nur zulässig, wenn diese zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Wahl erforderlich sind (BAG 12. Juni 2013 – 7 ABR 77/11 – Rn. 20 mwN, BAGE 145, 225). Das durch § 14 Abs. 1 BetrVG auch für die Betriebsratswahl gewährleistete Wahlgeheimnis ist lediglich durch die Stimmabgabevermerke nach § 12 Abs. 3 WO sowie durch die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Wahlakten nach § 19 WO durchbrochen (BAG 12. Juni 2013 – 7 ABR 77/11 – Rn. 19, aaO). § 19 WO normiert die Pflicht des Betriebsrats, die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren. Die Aufbewahrungspflicht soll es ermöglichen, auch nach Abschluss der Betriebsratswahl vom Inhalt der Wahlakten Kenntnis zu nehmen, um die Ordnungsmäßigkeit der Betriebsratswahl überprüfen zu können (BAG 12. Juni 2013 – 7 ABR 77/11 – Rn. 23 mwN, aaO). Daraus ergibt sich ein Recht zur Einsichtnahme in die mit den Stimmabgabevermerken versehene Wählerliste (BAG 12. Juni 2013 – 7 ABR 77/11 – Rn. 22, aaO). Weitergehende Recherchen dazu, ob bestimmte Wähler an der Wahl teilgenommen haben oder nicht, sind nicht zulässig. Die Stimmabgabe der Wähler kann nicht auf andere Weise als durch die Vermerke in der Wählerliste festgestellt oder bewiesen werden (BAG 12. Juni 2013 – 7 AZR 77/11 – Rn. 19, aaO). Das durch § 14 Abs. 1 BetrVG geschützte Wahlgeheimnis verbietet jede weitergehende Recherche und Befragung der Wahlberechtigten dazu, ob und aus welchen Gründen sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Sowohl die Vorlage von Fragebögen als auch die Vernehmung von Arbeitnehmern über die Teilnahme an der Wahl stellen einen unzulässigen Eingriff in den Grundsatz der geheimen Wahl nach § 14 Abs. 1 BetrVG dar. Es darf auch niemand durch eine „freiwillige Befragung” zur Auskunft angehalten werden, ob er an der Wahl teilgenommen hat. Ein derart wesentlicher Eingriff in das Wahlgeheimnis bedürfte jedenfalls eines formal ausgestalteten und rechtssicher handhabbaren Verfahrens insbesondere dazu, wer auf welcher Grundlage Beweis erheben kann, welche Beweismittel zulässig sein sollen und wie bei einem „non liquet” zu entscheiden ist. Ein solches Verfahren sieht die Wahlordnung aber nicht vor (BAG 12. Juni 2013 – 7 ABR 77/11 – Rn. 26, aaO). Ausgeschlossen ist damit auch eine nachträgliche Aufklärung dazu, ob ein wahlberechtigter Arbeitnehmer in Kenntnis oder Unkenntnis seines Wahlrechts nicht an der Wahl teilgenommen hat. Dies lässt sich nicht anhand der aufzubewahrenden Wahlunterlagen feststellen, sondern würde eine unzulässige Befragung des Wahlberechtigten zu seiner Motivation für oder gegen die Teilnahme an der Wahl voraussetzen.
(b) Danach verbieten sich Recherchen dazu, ob sieben der nach dem Vortrag des Betriebsrats auf der im Intranet veröffentlichten Wählerliste nicht geführten Arbeitnehmerinnen trotz Kenntnis von ihrem Wahlrecht nicht an der Wahl teilgenommen haben, oder ob sie ihre Wahlberechtigung zwar kannten, aber aufgrund der fehlerhaft unterbliebenen Aufnahme in die Wählerliste davon ausgingen, nicht wählen zu dürfen. Auch Ermittlungen dazu, weshalb vier weitere Arbeitnehmerinnen nicht an der Wahl teilgenommen haben, was der Betriebsrat nach seinem Vorbringen nicht klären konnte, sind nicht zulässig. Gleiches gilt für Ermittlungen dazu, ob zwei weitere Arbeitnehmerinnen die im Intranet veröffentlichte Wählerliste nicht eingesehen haben und deshalb aus anderen Gründen als einer vermeintlich fehlenden Wahlberechtigung nicht gewählt haben. Es kann daher nicht aufgeklärt werden, ob diese insgesamt 13 Beschäftigten nicht an der Wahl teilgenommen haben, weil sie nicht in der im Intranet veröffentlichten Wählerliste genannt waren oder ob sie aus anderen Gründen von der Ausübung ihres Wahlrechts abgesehen haben. Bei einer Abweichung von acht Stimmen zwischen den beiden Vorschlagslisten ist daher nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis auf dem Wahlfehler beruht.
Unterschriften
Gräfl, M. Rennpferdt, Kiel, Busch, Strippelmann
Fundstellen
Haufe-Index 11394928 |
BAGE 2018, 27 |
BB 2018, 116 |
BB 2018, 380 |
DB 2018, 133 |