Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg. sozialversicherungsrechtliche Meldepflichten gegenüber der Krankenkasse
Leitsatz (amtlich)
Eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangt, ihn für einen bestimmten Zeitraum bei der zuständigen Krankenkasse anzumelden. Für einen solchen Rechtsstreit sind nicht die Gerichte für Arbeitssachen, sondern die Sozialgerichte zuständig.
Orientierungssatz
- Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch abgeleitet wird. Maßgebend ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird.
- Ob eine Pflicht des Arbeitgebers besteht, den Arbeitnehmer bei der Einzugsstelle zu melden, beurteilt sich nach den sozialversicherungsrechtlichen Meldevorschriften des SGB IV. Der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung steht nicht entgegen, dass die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eine auf § 242 BGB beruhende Nebenpflicht des Arbeitgebers begründen können. Die arbeitsrechtliche Nebenpflicht wird inhaltlich durch Regelungen des SGB IV ausgestaltet. Es gibt keine konkrete arbeitsrechtliche Vorschrift, die bestimmt, wann und mit welchem Inhalt eine Meldung zu erfolgen hat.
- Arbeitspapiere iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e ArbGG sind Papiere und Bescheinigungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu erteilen hat. Hierzu gehören nicht die Meldungen, die der Arbeitgeber nach § 28a Abs. 1 bis 3 SGB IV gegenüber der Krankenkasse abgeben muss.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3; SGB IV § 28a
Verfahrensgang
Tenor
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über die Verpflichtung des beklagten Insolvenzverwalters, den Kläger für einen bereits verstrichenen Zeitraum zur Sozialversicherung anzumelden und hierbei vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs.
Der Kläger war seit dem 20. Oktober 2003 bei der K… GmbH & Co. KG als Kraftfahrer gegen ein Bruttomonatsgehalt von 1.850,00 Euro beschäftigt. Über das Vermögen der K… GmbH & Co. KG wurde am 15. Juni 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Insolvenzschuldnerin meldete den Kläger, nachdem dieser nicht mehr zur Arbeit erschienen war, zum 20. November 2003 bei der zuständigen Krankenkasse ab, woraufhin sich der Kläger privat krankenversicherte. Mit Schreiben vom 14. Januar 2004 kündigte die Insolvenzschuldnerin das Arbeitsverhältnis zum 15. Februar 2004.
Mit einer am 24. Februar 2004 beim Sozialgericht Stuttgart eingereichten Klage, die er mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verband, begehrte der Kläger von der Insolvenzschuldnerin, ihn “zur gesetzlichen Krankenversicherung bzw. Sozialversicherung ab dem 20.11.2003 bis zum 15.2.2004 anzumelden”. Durch Beschlüsse vom 7. April 2004 (– S 8 KR 1162/04 – und – S 8 KR 1163/04 ER –) erklärte sich das Sozialgericht für unzuständig und verwies beide Verfahren an das Arbeitsgericht Stuttgart. Am 1. Juli 2004 schlossen der Kläger und der Beklagte in dem vor dem Arbeitsgericht weitergeführten einstweiligen Verfügungsverfahren folgenden Vergleich:
“1. Die Parteien stellen ausser Streit, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen auf die ordentliche, betriebsbedingte Kündigung d. Gemeinschuldn. vom 14.01.2004 mit Ablauf des 15.02.2004 endete und der Kläger rückwirkend bis 15.02.2004 zur Sozialversicherung angemeldet wird.
…”
In der Hauptsache nahm der Kläger seine Klage zurück.
Mit Schreiben vom 1. Juli 2004 bat der Beklagte die zuständige Krankenkasse um Berichtigung der Abmeldung des Klägers zum 20. November 2003. Die Krankenkasse lehnte dies mit der Begründung ab, eine nachträgliche Anmeldung zur Sozialversicherung sei nur zulässig, wenn gleichzeitig Vergütungsansprüche für die Zeit nach dem 20. November 2003 gemeldet würden, woran es jedoch fehle.
Den Antrag des Klägers, ihm eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs vom 1. Juli 2004 zu erteilen, lehnte das Arbeitsgericht wegen mangelnder Bestimmtheit des Vergleichs ab. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.
Mit einer am 7. Oktober 2004 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger nunmehr folgenden Antrag angekündigt:
Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bei der AOK Baden-Württemberg, Stelle K…, anzumelden für den Zeitraum vom 20. November 2003 bis zum 15. Februar 2004.
Der Kläger ist der Auffassung, aus dem Vergleich vom 1. Juli 2004 ergebe sich nicht nur die Verpflichtung des Beklagten, den Kläger überhaupt bei der Krankenkasse anzumelden. Vielmehr könne der Vergleich nur so ausgelegt werden, dass der Beklagte der Krankenkasse auch erklären müsse, für den fraglichen Zeitraum bestünden Vergütungsansprüche. Den Beklagten treffe darüber hinaus die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, den Kläger bei der zuständigen Krankenkasse anzumelden.
Das Arbeitsgericht hat sich für “sachlich unzuständig” erklärt und den Rechtsstreit an das “sachlich zuständige” Sozialgericht Stuttgart verwiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser begehrt der Kläger, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig zu erklären.
In einem weiteren beim Arbeitsgericht Stuttgart anhängigen Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten Annahmeverzugslohn. Bezüglich der für die Zeit vom 1. bis zum 15. Februar 2004 erhobenen Lohnforderungen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen zu Recht verneint. Zwischen den Parteien besteht keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.
I. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch abgeleitet wird (GmS-OGB 10. April 1986 – GmS-OGB 1/85 – BGHZ 97, 312, 313 f.; BGH 23. Februar 1988 – VI ZR 212/87 – BGHZ 103, 255, 256; Senat 11. Juni 2003 – 5 AZB 1/03 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 84 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 59). Maßgebend ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird (Senat 16. Februar 2000 – 5 AZB 71/99 – BAGE 93, 310, 312; 30. August 2000 – 5 AZB 12/00 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 51).
II. Mit dem angekündigten Klageantrag begehrt der Kläger die Erfüllung einer sozialversicherungsrechtlichen und damit öffentlich-rechtlichen Pflicht des Beklagten.
1. Der Arbeitgeber hat nach § 28a SGB IV iVm. der gemäß § 28c SGB IV erlassenen Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung (DEÜV) für jeden kraft Gesetzes in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherten Beschäftigten (§§ 5 ff. SGB V, §§ 1 ff. SGB VI, §§ 20 ff. SGB XI und §§ 24 ff. SGB III) der Einzugsstelle Meldung zu erstatten. Er hat der Einzugsstelle ua. Beginn und Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 28a Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IV) sowie die Unterbrechung der Entgeltzahlung (§ 28a Abs. 1 Nr. 8 SGB IV) mitzuteilen. Der Inhalt der Meldungen bestimmt sich im Wesentlichen nach § 28a Abs. 3 SGB IV. Die DEÜV regelt maßgeblich das formelle Meldeverfahren, wie Fristen, Änderung, Berichtigung und Stornierung der Meldung und konkretisiert den Inhalt der Meldungen. Die Versicherungsträger können die Meldepflichten, soweit diese privaten Personen oder Institutionen obliegen und in Streit stehen, durch Verwaltungsakt feststellen und nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes oder des jeweiligen Landes vollstrecken. Die Nichtbeachtung der Meldevorschriften kann nach § 111 Abs. 1 SGB IV eine Ordnungswidrigkeit darstellen.
Ob der vom Kläger erhobene Anspruch besteht, kann allein unter Heranziehung dieser öffentlich-rechtlichen Vorschriften beantwortet werden. Diese geben einem Streit um den Inhalt der abzugebenden Meldungen das Gepräge. Ebenso ist nach dem Recht der Sozialversicherung zu beurteilen, ob angesichts der umfassenden Prüfpflichten der Einzugsstelle überhaupt ein Rechtsschutzinteresse des Klägers für seine Klage besteht. Insoweit kann der Streit der Parteien um die inhaltliche Änderung einer gegenüber der Krankenkasse erstatteten Meldung grundsätzlich nicht anders beurteilt werden als der Streit um die Berichtigung einer Arbeitsbescheinigung oder einer nachträglichen Korrektur einer Lohnsteuerbescheinigung (vgl. dazu Senat 13. Juli 1988 – 5 AZR 467/87 – BAGE 59, 169, 174; 11. Juni 2003 – 5 AZB 1/03 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 84 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 59). Für die Bestimmung des Rechtswegs ist die mögliche Unzulässigkeit der Klage allerdings ohne Auswirkungen. Der Rechtsweg richtet sich allein nach der Natur des Klagebegehrens und nicht danach, ob der eingeklagte Anspruch gerechtfertigt ist (BGH 23. Februar 1988 – VI ZR 212/87 – BGHZ 103, 255, 259).
2. Der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung des Beklagten steht nicht entgegen, dass die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eine auf § 242 BGB beruhende Nebenpflicht des Arbeitgebers begründen können (Senat 15. Januar 1992 – 5 AZR 15/91 – BAGE 69, 204, 210 mwN; 11. Juni 2003 – 5 AZB 1/03 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 84 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 59). Die arbeitsrechtliche Nebenpflicht wird inhaltlich durch Regelungen des SGB IV ausgestaltet. Es gibt keine konkrete arbeitsrechtliche Vorschrift, die bestimmt, wann und mit welchem Inhalt eine Meldung zu erfolgen hat. Auch der zwischen den Parteien am 1. Juli 2004 geschlossene Vergleich enthält insoweit keine eigenständige Regelung. Der Beklagte ist in dem Vergleich keine Verpflichtung eingegangen, die losgelöst von den sozialversicherungsrechtlichen Grundlagen besteht. Er hat lediglich “unstreitig gestellt”, den Kläger zur Sozialversicherung anzumelden. Anhaltspunkte dafür, dass dem Vergleich über die gesetzlichen Meldepflichten hinaus ein Regelungsgehalt zukommen sollte, mit dem die Pflichten des Beklagten im Hinblick auf die Meldung des Klägers zur Sozialversicherung inhaltlich abweichend vom Gesetz festgelegt werden sollten, sind nicht ersichtlich.
3. Die Gerichte für Arbeitssachen sind des Weiteren nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e ArbGG zuständig. Auch dem Streit ”über Arbeitspapiere” muss für die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zugrunde liegen (zuletzt Senat 11. Juni 2003 – 5 AZB 1/03 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 84 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 59). Hinzu kommt, dass es sich bei der begehrten Meldung nicht um Arbeitspapiere im Sinne dieser Vorschrift handelt. Dies sind Papiere und Bescheinigungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu erteilen hat (Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 2 Rn. 81; ErfK/Koch 5. Aufl. § 2 ArbGG Rn. 25). Hierzu gehören jedoch nicht die Meldungen, die nach § 28a Abs. 1 bis 3 SGB IV gegenüber der Krankenkasse abzugeben sind.
III. Einer Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht steht nicht der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 7. April 2004 entgegen. Ob formell rechtskräftig gewordene Verweisungsbeschlüsse auch insoweit Bindungswirkung entfalten, als sie nach Klagerücknahme bei erneuter Klageerhebung in derselben Sache einer gegenteiligen Rechtswegentscheidung entgegenstehen, kann offen bleiben. Eine solche Bindungswirkung kann allenfalls dann eintreten, wenn es sich bei dem neuen Rechtsstreit um denselben Streitgegenstand handelt, auf den sich die rechtskräftig gewordene Verweisungsentscheidung bezieht. Das ist hier nicht der Fall. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger, anders als im vorangegangenen Prozess, nicht nur die Anmeldung bei der Krankenkasse als solche, sondern – wie sich aus der Klagebegründung ergibt – auch die Verpflichtung des Arbeitgebers, das Bestehen von Vergütungsansprüchen in die Meldung aufzunehmen. Hierbei handelt es sich um einen Anspruch, der sich auf den Inhalt der bereits vom Arbeitgeber erstatteten Meldung bezieht und hinsichtlich derer der Kläger eine Änderung begehrt. Der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 7. April 2004 umfasst den hier geltend gemachten Streitgegenstand nicht vollständig und steht deshalb einer Verweisung nicht entgegen.
C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck
Fundstellen
Haufe-Index 1453456 |
BAGE 2007, 131 |
BB 2006, 1008 |
DB 2006, 168 |
NJW 2006, 171 |
EBE/BAG 2005, 186 |
FA 2006, 24 |
NZA 2005, 1429 |
ZAP 2006, 107 |
ZTR 2006, 157 |
EzA-SD 2005, 17 |
EzA |
AUR 2006, 38 |
ArbRB 2006, 44 |
NJW-Spezial 2006, 85 |
FSt 2006, 520 |
SPA 2006, 6 |