Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Erschwerniszulage durch Einigungsstelle. Befangenheit des Vorsitzenden
Leitsatz (amtlich)
- Sieht ein Tarifvertrag eine Erschwerniszulage vor, deren Höhe vom Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt werden soll, kann hierin die Einräumung eines echten Mitbestimmungsrechts liegen, wenn die tarifliche Regelung Voraussetzungen und Umfang der Zulage offenläßt. Wird bei dieser Rechtslage zwischen den Betriebspartnern kein Einvernehmen erzielt, kann die Einigungsstelle nach § 76 BetrVG angerufen werden und verbindlich entscheiden.
- Der Vorsitzende einer Einigungsstelle kann von den Beteiligten wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 1032 Abs. 1 ZPO analog). Das Ablehnungsrecht verliert, wer sich auf die Verhandlung der Einigungsstelle rügelos einläßt, obwohl ihm die Ablehnungsgründe bekannt sind (§ 43 ZPO analog).
Normenkette
BetrVG §§ 76, 87 Abs. 1 Nr. 10; ZPO §§ 42-43, 1032 Abs. 1; ArbGG § 98; Lohntarifvertrag für die Sägeindustrie in Baden-Württemberg vom 3. Juni 1992 §§ 4-5
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 1. Juni 1994 – 2 TaBV 6/93 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen der Holzindustrie und beschäftigt ca. 290 Arbeitnehmer. Weiterer Beteiligter ist der in ihrem Betrieb gewählte Betriebsrat. Die Arbeitgeberin gehört dem Verband der Säge- und Holzindustrie Baden-Württemberg e.V. an. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß nur ein kleiner Teil der Mitgliedsfirmen dieses Verbandes einen Betriebsrat hat.
Auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer finden der Bundesmanteltarifvertrag für die Sägeindustrie und übrige Holzbearbeitung (BMS) sowie die regional abgeschlossenen Lohn- und Gehaltstarifverträge für die Sägeindustrie in Baden-Württemberg Anwendung. Der Lohntarifvertrag (LTV) vom 3. Juni 1992 lautet auszugsweise wie folgt:
Ҥ 4
Lohnregelung
- …
Zulagen auf die Tariflöhne sind zu gewähren, soweit sie durch besondere Leistungen, Erfahrungen und Erschwernisse begründet sind. Die Höhe derselben wird vom Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegt.
…
§ 5
Meinungsverschiedenheiten
Bei Meinungsverschiedenheiten, die sich aus diesem Vertrag in einzelnen Betrieben ergeben, sind, wenn Verhandlungen zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat zu keinem Ergebnis führen, die Vertragsparteien zwecks Klärung und Schlichtung einzuschalten.
…”
Mit Schreiben vom 11. Juni 1992 forderte der Betriebsrat von der Arbeitgeberin unter Hinweis auf § 4 Nr. 3 LTV, allen Beschäftigten der Abteilung Mosaikparkett ab 1. Juli 1992 eine Erschwerniszulage von 25 % auf den Tariflohn zu gewähren. Die Arbeitgeberin lehnte das ab. Mit Schreiben vom 8. Juli 1992 bat der Betriebsrat die Tarifvertragsparteien im Hinblick auf § 5 LTV, zum Zwecke der Schlichtung tätig zu werden. Unter dem 20. August 1992 richtete der Betriebsrat ein weiteres Schreiben an die Tarifvertragsparteien, das auszugsweise wie folgt lautet:
“…
Das Schlichtungsverfahren kam bisher nicht zustande. Sollten wir auch bis zum 28. August 1992 keinen konkreten Hinweis von Ihnen beiden über ernsthafte Schlichtungsversuche erhalten haben, gehen wir davon aus, diese Angelegenheit berührt Sie nicht weiter und werden die nach dem Betriebsverfassungsgesetz vorgesehene Einigungsstelle anrufen.”
Nachdem eine Reaktion der Tarifvertragsparteien wiederum unterblieb, beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht, den Vorsitzenden einer Einigungsstelle zu bestellen. Diesem Begehren wurde mit rechtskräftig gewordenem Beschluß vom 27. November 1992 stattgegeben.
Die daraufhin zusammengetretene Einigungsstelle fällte am 28. Juni 1993 einen Spruch. Dieser regelt mit Wirkung ab 1. Juli 1992 die Zahlung einer Erschwerniszulage an die Beschäftigten der Abteilung Mosaikparkett, die besonderen Belastungen durch Holzstaub oder Lärm ausgesetzt sind. Die Höhe der Zulagen richtet sich nach Prozentsätzen des jeweiligen Tariflohns und beträgt zwischen 2 % und 12 %. Diese Sätze sind in einer nach Holzstaub und Lärm getrennten Belastungsstaffelung festgelegt. Nach dem Spruch der Einigungsstelle ergeben sich die tatsächlichen Belastungswerte aus dem jeweils neuesten Lärm- bzw. Staubmeßgutachten aufgrund berufsgenossenschaftlicher oder gewerbeaufsichtsrechtlicher Auflagen.
Mit ihrem am 2. August 1993 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat die Arbeitgeberin die Unwirksamkeit des ihr am 20. Juli 1993 zugeleiteten Spruchs der Einigungsstelle geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle sei für die Entscheidung des Streits über Grund und Höhe der Erschwerniszulage nicht zuständig. Der Tarifvertrag regele abschließend, ob eine solche Zulage zu gewähren sei. Ein Mitbestimmungsrecht über deren Höhe sei nicht vorgesehen. § 4 Nr. 3 LTV enthalte keine Öffnungsklausel, welche die nähere Ausgestaltung den Betriebspartnern vorbehielte. Sofern ein Einvernehmen mit dem Betriebsrat nicht erreicht werde, habe sie als Arbeitgeberin die Höhe der Zulagen gemäß §§ 315 ff. BGB allein festzulegen.
Außerdem sei die Anrufung der Einigungsstelle unzulässig gewesen, weil das in § 5 LTV vorgesehene Schlichtungsverfahren nicht ausgeschöpft worden sei. Der Spruch sei auch deshalb unwirksam, weil der Vorsitzende parteiisch gewesen sei. Er habe gemeinsam mit dem Betriebsrat einen neuen Antrag ausgearbeitet und formuliert, der anschließend vom Betriebsrat zur Abstimmung gestellt worden sei. Die Einigungsstelle habe auch den Begriff der “besonderen Erschwernis” verkannt. Eine solche könne nur branchenbezogen ermittelt werden. Erst bei Überschreitung der branchenüblichen Lärm- bzw. Staubbelastungen seien besondere Erschwernisse anzunehmen, während normale Erschwernisse bereits mit der Lohngruppe abgegolten würden. Nicht berücksichtigt habe die Einigungsstelle, daß im Betrieb Masken und auch Ohrenkapseln zur Verfügung stünden. Dadurch würden die Belastungen neutralisiert, die sich aus den gutachtlich festgestellten erhöhten Lärm- und Staubwerten ergäben. Die Benutzung dieser Vorbeugemittel sei keine besondere Erschwernis. Letztlich könnten besondere Erschwernisse allenfalls dann gegeben sein, wenn die staatlich festgesetzten Grenzwerte überschritten würden. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der Spruch der Einigungsstelle sei auch rechtswidrig, weil die Belastungswerte weder bestimmt noch bestimmbar seien. Die Einigungsstelle habe bei ihrem Spruch auch nicht die wirtschaftliche Lage des Unternehmens berücksichtigt. Im Bereich Eigenproduktion sei im Jahre 1992 ein Verlust von 1.700.000,-- DM entstanden. Die Produktion im Bereich Mosaikparkett weise für 1992 ein Minus von 1,27 DM pro Quadratmeter Parkett aus.
Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle vom 28. Juni 1993, dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin zugeleitet am 20. Juli 1993, unwirksam ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, aus § 4 Nr. 3 LTV ergebe sich ein echtes Mitbestimmungsrecht. Dieses sei im Fall der Nichteinigung der Parteien über eine Einigungsstelle erzwingbar. Da die Tarifvertragsparteien kein Interesse an einer Schlichtung gezeigt hätten, habe er die Einigungsstelle anrufen dürfen. Fehler im Verfahren der Einigungsstelle lägen nicht vor. Die Einigungsstelle habe auch die Grenzen des von ihr zu wahrenden billigen Ermessens nicht überschritten.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat ihn auf die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihren Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Spruch der Einigungsstelle zu Recht als wirksam angesehen.
I. Die Einigungsstelle war für die getroffene Entscheidung zuständig. Hinsichtlich des Regelungsgegenstandes besteht ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Dies gilt sowohl für die Regelung der vergütungsrechtlich maßgebenden Erschwernis, als auch für die Festsetzung der Höhe der Erschwerniszulagen.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß das dem Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zustehende gesetzliche Mitbestimmungsrecht die Zuständigkeit der Einigungsstelle nur teilweise begründet. Nach dem Gesetz hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Die Beteiligung des Betriebsrats in diesem Bereich soll den Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten Lohngestaltung schützen. Es geht um die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges. Die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit soll durch die Mitbestimmung des Betriebsrats gewährleistet werden (vgl. nur BAG Großer Senat Beschluß vom 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 3b der Gründe; Senatsbeschluß vom 14. Dezember 1993 – 1 ABR 31/93 – AP Nr. 65 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 1a der Gründe).
Nach dem Betriebsverfassungsgesetz ist die Einigungsstelle nur für die Aufstellung und Ausgestaltung derartiger Entlohnungsgrundsätze zuständig. Ihr Spruch regelt, für welche Arbeiten und für welche Erschwernisse eine Zulage angemessen ist; er differenziert ferner nach dem Grad der Erschwernisse, von dem die Höhe der Zulagen abhängen soll, und er legt schließlich eine Berechnungsmethode fest, nach der der maßgebende Erschwernisgrad zu ermitteln ist. Alle diese Regelungen betreffen die betriebliche Lohngestaltung. Sie bestimmen abstrakte Tatbestände, nach denen sich die Zahlung der tariflich angeordneten Erschwerniszulage richten soll. Damit beantworten sie Fragen der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit. Es geht darum, durch einen Katalog erschwerter Arbeiten und abgestufter Erschwernisgrade sicherzustellen, daß für vergleichbare Belastungen auch gleiche Zulagen gewährt werden (vgl. schon Senatsbeschluß vom 22. Dezember 1981 – 1 ABR 38/79 – BAGE 37, 255 – AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).
2. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht nicht hinsichtlich der Lohn- oder Gehaltshöhe, also auch nicht hinsichtlich der Frage, ob überhaupt eine Erschwerniszulage zu bezahlen ist (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. schon Senatsbeschluß vom 22. Dezember 1981, aaO; Senatsbeschluß vom 27. Oktober 1992 – 1 ABR 17/92 – AP Nr. 61 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 1 der Gründe; Senatsbeschluß vom 14. Juni 1994 – 1 ABR 63/93 – AP Nr. 69 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B I der Gründe). Dennoch ist die Einigungsstelle auch für die Regelung dieser Fragen zuständig. Das folgt hier aus dem Tarifvertrag. § 4 Nr. 3 LTV verpflichtet den Arbeitgeber, Erschwerniszulagen zu gewähren. Indem er für die Höhe der Zulage das Einvernehmen mit dem Betriebsrat fordert, begründet er ein zwingendes Beteiligungsrecht des Betriebsrats. Das führt zu einer Kompetenz der Einigungsstelle in den Fällen, in denen Arbeitgeber und Betriebsrat kein Einvernehmen erzielen können.
a) Gem. § 4 Nr. 3 LTV sind Zulagen auf die Tariflöhne zu gewähren, soweit sie durch besondere Leistungen, Erfahrungen und Erschwernisse begründet sind. Unter solchen Voraussetzungen steht Arbeitnehmern grundsätzlich ein Anspruch auf Zahlung einer Zulage zu. Gegen diese tarifliche Regelung bestehen zumindest insoweit keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, als es um eine Zulage für Erschwernisse geht. Die Tarifvertragsparteien müssen die Arbeitsbedingungen nicht selbst abschließend und in allen Einzelheiten festlegen. Sie können Rahmenbedingungen aufstellen und deren Konkretisierung Dritten – insbesondere auch dem Arbeitgeber oder den Betriebspartnern – überlassen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit muß eine derartige Delegation aber nach Art und Umfang hinreichend deutlich sein (BAG Urteil vom 28. November 1984 – 5 AZR 195/83 – AP Nr. 2 zu § 4 TVG Bestimmungsrecht).
Diesen Voraussetzungen genügt die hier zu beurteilende Rahmenregelung. Der Begriff der Erschwernis ist zwar ausfüllungsbedürftig, aber nach objektiven Kriterien bestimmbar. Er kann bezogen auf den jeweiligen Arbeitsplatz konkretisiert werden. Unter Arbeitserschwernissen sind schon nach allgemeinem Wortsinn belastende Begleitumstände einzuordnen, etwa Schmutz, Staub, Lärm, Hitze und Erschütterungen. Der Umfang der Delegation ist danach noch hinreichend durch die tarifliche Regelung selbst bestimmt. Ob dies auch für die im Tarifvertrag genannten Merkmale Leistung und Erfahrung gilt, mag fraglich sein. Beide Begriffe lassen einen objektivierbaren Rahmen kaum erkennen. Sie überlassen es letztlich den Betriebspartnern, ob und was sie als besondere Leistung ansehen und als zuschlagswürdig honorieren wollen. Ob eine so weitreichende Delegation nach geltendem Tarifrecht zulässig ist, kann aber hier offenbleiben. § 4 Nr. 3 LTV setzt die Merkmale Leistung, Erfahrung und Erschwernis ersichtlich nicht kumulativ voraus. Die Zulage ist also auch dann vorgesehen, wenn allein Erschwernisse in Betracht kommen. Nur um eine solche Regelung geht es hier.
b) Bei der Bestimmung von Grund und Höhe der Zulage räumt der Tarifvertrag dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht ein. Dies ergibt eine an Wortlaut und Sachzusammenhang orientierte Auslegung von § 4 Nr. 3 LTV.
Der Begriff des Einvernehmens besagt zwar nicht eindeutig, daß dieses notfalls mit Hilfe des Spruchs einer Einigungsstelle erzwungen werden könne. Wenn aber ein Schlichtungsverfahren ausgeschlossen wäre, hätte die Vorschrift rein appellative Bedeutung. Sie verpflichtete dann nur zu einem Versuch der Verständigung, bei dessen Scheitern der Arbeitgeber allein entscheiden könnte und sich nur einer gerichtlichen Kontrolle aufgrund individueller Zahlungsklagen stellen müßte. Das wäre ungewöhnlich.
Will man dennoch dem Wortlaut der Tarifbestimmung eine restriktive Tendenz entnehmen (so für einen Tarifvertrag der Chemischen Industrie Senatsbeschluß vom 22. Dezember 1981 – 1 ABR 38/79 – BAGE 37, 255 = AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung), ist hier ergänzend der Gesamtzusammenhang der Regelung zu berücksichtigen. § 4 Nr. 3 LTV enthält lediglich eine allgemein gehaltene Vorgabe über die Art der Zulage und keine Vorgabe über ihre Voraussetzungen und Höhe. Dieser Verzicht auf die Festlegung näherer Rahmenkriterien spricht dafür, daß die Bindung an das Einvernehmen des Betriebsrats für die Tarifvertragsparteien entscheidend war, also im Sinne des Erfordernisses einer echten Vereinbarung zu verstehen ist. Dies wäre möglicherweise anders zu sehen, wenn die Tarifpartner einzelne abzugeltende Erschwernisse bereits vorgegeben und hinsichtlich der Höhe einen konkreten Rahmen in Form etwa eines Mindest- und eines Höchstsatzes festgelegt hätten (so der der Senatsentscheidung vom 22. Dezember 1981, aaO, zugrunde liegende Tarifvertrag). Der Verzicht hierauf und die Beschränkung auf einen Grundtatbestand zeigen, daß die Tarifpartner eine betriebliche Regelung erwarteten, bei der dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zustehen sollte (vgl. für diesen Fall auch Senatsbeschluß vom 22. Dezember 1981, aaO, zu B IV 2a der Gründe).
c) Dem steht nicht entgegen, daß dem tarifschließenden Arbeitgeberverband in der Mehrzahl Betriebe angehören, in denen kein Betriebsrat gebildet ist. Die tarifliche Regelung könnte mit dem Landesarbeitsgericht dahin ausgelegt werden, daß bei Fehlen eines Betriebsrats der Arbeitgeber die Höhe der Zulagen allein festlegt, man könnte aber die Zulagenregelung auch so verstehen, daß sie nur dort gelten soll, wo ein Betriebsrat vorhanden ist. Nur mit der gemeinsamen Entscheidung der Betriebspartner bzw. der ersetzenden Entscheidung durch eine Einigungsstelle ist eine verbindliche Festlegung von Zulagen praktikabel. Kann mangels Bestehens eines Betriebsrats eine solche Regelung nicht getroffen werden, stellt sich nämlich die Frage, wer das Bestimmungsrecht wahrnimmt, wenn der Arbeitgeber untätig bleibt. Letztlich müßten dann die Gerichte nach Maßgabe des § 315 BGB kollektive Vergütungsgrundsätze schaffen. Angesichts weithin fehlender Vorgaben wäre dies eine kaum lösbare Aufgabe.
d) Bei dieser Rechtslage ist auch ohne eine ausdrückliche Regelung für Konfliktfälle auf das gesetzliche Modell zurückzugreifen, nämlich die verbindliche Entscheidung durch die Einigungsstelle nach Maßgabe des § 76 Abs. 5 BetrVG. Einigungsstellen sind auch dann zuständig, wenn das Mitbestimmungsrecht nicht durch das Betriebsverfassungsrecht, sondern durch Tarifvertrag begründet wird.
Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Bereich der sozialen Mitbestimmung können durch Tarifvertrag erweitert werden (grundlegend Senatsbeschluß vom 18. August 1987 – 1 ABR 30/86 – BAGE 56, 18 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972). Es bedarf hier keiner Erörterung der Grenzen, bis zu denen die Tarifvertragsparteien die Regelung materieller Arbeitsbedingungen der Regelungsbefugnis der Betriebspartner übertragen können (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 18. August 1987, aaO, zu B II 3b der Gründe). Zulagen bilden nur einen Randbereich der Lohngestaltung. Mit den Tariflöhnen, an denen sich Zulagen zu orientieren haben, bestimmen die Tarifpartner die zentralen Arbeitsbedingungen selbst. Zulagen sind im allgemeinen dazu bestimmt, die betrieblichen Gegebenheiten sachgerecht zu erfassen. Mit der entsprechenden Erweiterung des Mitbestimmungsrechts wird auch kein völlig neues Aufgabengebiet übertragen; es bleibt “wesensmäßig” Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten (vgl. dazu Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 87 Rz 11). Zu verweisen ist insoweit auf § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG, wonach der Geldfaktor, damit aber auch die Lohnhöhe selbst, der erzwingbaren Mitbestimmung unterliegt (vgl. dazu im einzelnen Senatsbeschluß vom 13. September 1983 – 1 ABR 32/81 – BAGE 43, 278 = AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie).
3. Der Zuständigkeit der Einigungsstelle steht nicht § 5 LTV entgegen. Danach sind bei betrieblichen Meinungsverschiedenheiten, die sich aus dem Tarifvertrag ergeben, die Tarifvertragsparteien “zwecks Klärung und Schlichtung einzuschalten”, wenn Verhandlungen zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat zu keinem Ergebnis führen. Diese Regelung ersetzt nicht die Einigungsstelle durch eine tarifliche Schlichtungsstelle im Sinne des § 76 Abs. 8 BetrVG. Hierzu hätte es einer eindeutigen Ersetzungsregelung bedurft. Es fehlt aber jeder Hinweis auf die Einrichtung einer solchen Schlichtungsstelle.
Die vorgesehene Einschaltung der Tarifvertragsparteien ist dem nicht gleichzusetzen. Die Vorschrift verpflichtet die Betriebspartner nur, zunächst eine tarifliche Schlichtung zu versuchen. Inwieweit hierin ein echtes Verfahrenshindernis für die Anrufung der Einigungsstelle liegt, bedarf an dieser Stelle keiner Klärung. Unstreitig hat der Betriebsrat die Tarifvertragsparteien angeschrieben. Diese sind trotz mehrfacher Aufforderung nicht schlichtend tätig geworden. Jedenfalls nach diesem vergeblichen Versuch ist davon auszugehen, daß nunmehr die Anrufung der Einigungsstelle zulässig ist.
II. Die Arbeitgeberin rügt vergeblich eine Parteilichkeit des Einigungsstellenvorsitzenden. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß insoweit kein Verfahrensfehler ersichtlich ist.
Ergeben sich im laufenden Einigungsstellenverfahren Anhaltspunkte für eine Parteilichkeit des Vorsitzenden der Einigungsstelle, kann dieser in entsprechender Anwendung von § 1032 Abs. 1 ZPO in Verb. mit § 42 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (Berg in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 76 Rz 66; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 76 Rz 41; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 76 Rz 13a; Kreutz, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 76 Rz 45; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 76 Rz 19; Stege/Weinspach, BetrVG, 7. Aufl., § 76 Rz 15b; Etzel, Betriebsverfassungsrecht, 4. Aufl., Rz 1233; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 232 II 2c; Dütz, AuR 1973, 353, 359 f.; Heinze, RdA 1990, 262, 272; Schönfeld, Das Verfahren vor der Einigungsstelle, 1988, S. 106 ff.; ders., DB 1988, 1996, 2000, 2001; so jetzt auch Sbresny-Übach, AR-Blattei SD 630 Rz 13, 14; für eine Kündigung bzw. eine Abberufung aus wichtigem Grund (Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 76 Rz 15). Die demgegenüber vertretene Auffassung, eine Ablehnung wegen Parteilichkeit komme nicht in Betracht, ein entsprechendes Fehlverhalten des Vorsitzenden könne nur im Zusammenhang mit der Anfechtung des Spruchs der Einigungsstelle selbst geltend gemacht werden, überzeugt nicht (so aber Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 98 Rz 30; Leinemann, GK-ArbGG, Stand Juni 1995, § 98 Rz 57; Lepke, BB 1977, 49, 51; LAG Hamm Beschluß vom 2. Juni 1992 – 13 TaBV 70/92 –, BB 1992, 1929; grundsätzlich ablehnend auch Pünnel, Die Einigungsstelle des BetrVG 1972, 3. Aufl., Rz 101 ff., der aber verschiedene Ausnahmen machen will). Zwar fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, daraus läßt sich aber nichts schließen, weil das Verfahren der Einigungsstelle insgesamt kaum geregelt ist. Maßgebend sind allgemein anerkannte elementare Verfahrensgrundsätze, die dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes zu entnehmen sind, und der Funktion der Einigungsstelle als eines Organs, das normative Regelungen erzeugt, Rechnung tragen (Senatsbeschluß vom 18. Januar 1994 – 1 ABR 43/93 – AP Nr. 51 zu § 76 BetrVG 1972, unter B II 1 der Gründe). Zu diesen Grundsätzen gehört der Anspruch auf einen unparteiischen Entscheidungsträger, soweit das Gesetz einen solchen vorsieht. Dies zeigen insbesondere auch die Regelungen der §§ 1032 ff. ZPO für das dem Einigungsstellenverfahren ähnliche schiedsgerichtliche Verfahren. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften hinsichtlich der Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle ist geboten, weil dieser Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung unparteiisch zu sein hat (§ 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
Bedenken, ein Befangenheitsantrag, über den nach überwiegender Auffassung im Verfahren gemäß § 98 ArbGG zu entscheiden ist (vgl. etwa Kreutz, aaO, § 76 Rz 45; Heinze, RdA 1990, 272, 273), führe zu einer Verzögerung des Einigungsstellenverfahrens, sind im Ergebnis nicht durchschlagend. Es ist im Sinne der Beschleunigung nichts gewonnen, wenn in Kenntnis eines die Unparteilichkeit des Vorsitzenden berührenden Grundes erst das Einigungsstellenverfahren zum Abschluß gebracht werden muß, ehe der Spruch wegen eines Verfahrensverstoßes angegriffen werden kann (so zu Recht Schönfeld, aaO, S. 107, 108; ders., DB 1988, 2000, 2001).
Die entsprechende Anwendung der Regelungen über die Ablehnung wegen Befangenheit führt jedoch zu einer zeitlichen Begrenzung des Antragsrechts. Aus dem Rechtsgedanken des § 43 ZPO folgt, daß sich ein Beteiligter, der sich in Kenntnis eines Ablehnungsgrundes auf die weitere Verhandlung einläßt, diesen Grund später nicht mehr geltend machen kann.
Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Die Arbeitgeberin hat vor Abschluß des Einigungsstellenverfahrens keinen Ablehnungsantrag gestellt. Sie kann daher mit ihren Einwendungen nachträglich nicht mehr gehört werden. Im übrigen ist ihr Vortrag wenig geeignet, den Verdacht der Befangenheit nahezulegen.
III. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß der Spruch der Einigungsstelle die Grundsätze billigen Ermessens nicht verletzt.
Nach § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG faßt die Einigungsstelle ihre Beschlüsse “unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen”. Diese Ermessensentscheidung kann von den Gerichten für Arbeitssachen nur daraufhin überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten worden sind. Ausgehend von den festgestellten Belangen des Betriebes und der Arbeitnehmer ist zu prüfen, ob die getroffene Regelung noch als billiger Ausgleich gelten kann. Ein Verstoß in diesem Sinne ist etwa dann anzunehmen, wenn die Entscheidung deutlich erkennbar keine sachgerechte Interessenabwägung enthält, weil die Einigungsstelle die Belange der einen Seite völlig übergangen hat (vgl. etwa Senatsbeschluß vom 27. Oktober 1992 – 1 ABR 4/92 – BAGE 71, 259 = AP Nr. 29 zu § 95 BetrVG 1972; Senatsbeschluß vom 14. Dezember 1993 – 1 ABR 31/93 – AP Nr. 65 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).
Eine solche Ermessensüberschreitung ist nicht ersichtlich. Holzstaub und Lärm als besondere Erschwernisse anzusehen, ist durch den Wortsinn des § 4 Nr. 3 LTV gedeckt. Daß es sich um Belastungen handelt, die über die allgemein üblichen Erschwernisse hinausgehen, ergibt sich bereits aus der Art und dem Mindestgrad der festgesetzten Belastungsfaktoren. Die Einigungsstelle hat den Begriff der Erschwernis auch zu Recht betriebsbezogen und nicht branchenbezogen verstanden. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, ist die den Betriebspartnern überlassene Konkretisierung typischerweise nur betriebsbezogen möglich, weil die Betriebspartner regelmäßig nur die Verhältnisse ihres Betriebes und nicht die anderer Betriebe oder der gesamten Branche ermitteln und zugrunde legen können. Die Aufstellung der Belastungsstaffel nach Maßgabe der von der Arbeitgeberin selbst in Auftrag gegebenen Gutachten ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Soweit die unteren Werte dieser Staffel unter den durch einschlägige Gesetze oder Verordnungen vorgegebenen Grenzwerten liegen, widerspricht das nicht dem Tarifvertrag. Die Ermittlung der an den jeweiligen Arbeitsplätzen herrschenden aktuellen Belastungen aufgrund von Lärm- und Staubmeßgutachten, die aufgrund berufsgenossenschaftlicher oder gewerbeaufsichtsrechtlicher Auflagen erstellt werden, gewährleistet einen objektiven Maßstab. Die Werte sind ohne weiteres bestimmbar.
Hinsichtlich der von der Arbeitgeberin behaupteten Verluste in der Abteilung Mosaikparkett hat das Landesarbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, daß es nicht auf einzelne Abteilungen, sondern allenfalls auf die wirtschaftliche Lage des Gesamtbetriebes oder des Unternehmens ankommt. Daß die Höhe der von der Einigungsstelle festgelegten Zulagensätze unangemessen wäre, ist nicht erkennbar. Die Arbeitgeberin hat auch keine Zahlen genannt, aus denen die durch den Spruch der Einigungsstelle bedingten zusätzlichen Belastungen ersichtlich würden.
Das Landesarbeitsgericht hat weiter festgestellt, die Einigungsstelle habe bei ihrer Entscheidung nicht außer acht gelassen, daß die Arbeitgeberin den Arbeitnehmern Hilfsmittel in Gestalt von Kapseln und Masken gegen Lärm und Staub zur Verfügung stelle; die Einigungsstelle habe sich durch eine Betriebsbegehung über die tatsächlichen Auswirkungen informiert. Diese Feststellungen sind nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden. Es kann daher nicht angenommen werden, daß die Einigungsstelle einen wesentlichen Umstand außer acht gelassen hätte. Daß durch entsprechende Schutzmittel die Belastungen zwar gemindert werden, aber nicht völlig entfallen, liegt auf der Hand. Das Arbeiten mit Maske oder mit Ohrenschützern stellt für sich schon eine gewisse Erschwernis dar. Eine Ermessensüberschreitung ist danach vom Landesarbeitsgericht zu Recht verneint worden.
Unterschriften
Dieterich, Wißmann, Rost, Schneider, Münzer
Fundstellen
BAGE, 104 |
JR 1996, 176 |
NZA 1996, 156 |