Entscheidungsstichwort (Thema)
Allgemeinverbindlicherklärung. Wirksamkeit. Kleine Zahl. Schätzung
Orientierungssatz
1. Die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 5. November 2012 (BAnz. AT 23. November 2012 B9) des Entgelttarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 2012 (AVE ETV 2012) ist wirksam.
2. Die Deutsche Rentenversicherung als Sozialversicherungsträger ist nicht von Amts wegen nach § 98 Abs. 3 Satz 1, § 83 Abs. 3 ArbGG am Verfahren über die Wirksamkeit einer AVE oder entsprechenden Rechtsverordnung zu beteiligen. Eigene Rechte stehen ihr im Zusammenhang mit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nicht zu. Die Antragsbefugnis nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG als Partei eines ausgesetzten Rechtsstreits bleibt davon unberührt.
3. Für die Ermittlung der sog. Kleinen Zahl nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF war vorrangig die tatsächliche Anzahl der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer zu ermitteln. Standen solche Daten nicht zur Verfügung, weil der maßgebliche Arbeitgeberverband sie nicht erhebt, konnte auch insoweit eine sorgfältige Schätzung ausreichen. Auf die Ursache des Fehlens von Daten kam es nicht an.
4. Maßstab für die gerichtliche Kontrolle des Erlasses einer AVE sind allein die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen. Dies gilt unabhängig davon, ob spätere tatsächliche Erkenntnisse sich zugunsten oder zulasten der Antragsteller auswirken.
Normenkette
ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98; TVG § 5 (in der bis 14. August 2014 geltenden Fassung)
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 7. gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 2015 – 4 BVL 1/15 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 5. November 2012 (BAnz. AT 23. November 2012 B9) des Entgelttarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 2012 (AVE ETV 2012).
Der Landesbezirk Nordrhein-Westfalen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG, Beteiligte zu 6.) und der Beteiligte zu 4. – der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) Nordrhein-Westfalen e.V. – vereinbarten am 4. Mai 2012 einen „Entgelttarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen” (ETV 2012).
§ 1 |
– Geltungsbereich – lautet: |
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„Dieser Tarifvertrag gilt: |
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1.1 |
räumlich: für das Land Nordrhein-Westfalen. |
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1.2 |
fachlich: für alle Betriebe, die gewerbsmäßig beherbergen und/oder Speisen und/oder Getränke abgeben. Hierzu gehören auch z. B. Betriebe der Handelsgastronomie, der Systemgastronomie, der Gemeinschaftsverpflegung und der Caterer. Zum fachlichen Geltungsbereich gehören ebenfalls sonstige Dienstleister, die branchentypische Aufgaben des Gastgewerbes in Institutionen oder anderen Unternehmen übernehmen. Weiter sind Reservierungs- und Verwaltungsbetriebe des Gastgewerbes oder gastgewerbliche Nebenbetriebe erfasst. |
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1.3 |
persönlich: für alle Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie Auszubildende der unter Ziffer 1.2 fallenden Betriebe, jedoch nicht für Musiker und Artisten.” |
Mit Schreiben vom 17. Juli 2012 beantragte die NGG beim Beteiligten zu 2. – dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS) – die AVE des ETV 2012. Der Antrag war inhaltlich beschränkt auf die Tarifgruppen 1 und 2 und wurde auf Anregung des MAIS mit Schreiben vom 7. August 2012 mit folgender Einschränkung hinsichtlich des fachlichen Geltungsbereichs versehen:
„Die Allgemeinverbindlicherklärung beider Tarifverträge erstreckt sich nicht auf Betriebe/Unternehmen, die dem jeweils gültigen, zwischen dem Bundesverband der Systemgastronomie e.V., München, und der Gewerkschaft NGG vereinbarten Entgelttarifvertrag bzw. dem jeweils gültigen Spezialentgelttarifvertrag für Mitgliedsunternehmen der Systemgastronomie der Landesverbände im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e.V. ebenfalls vereinbart mit der NGG, unterfallen und diesen anwenden. Dies wird unwiderlegbar vermutet, wenn der Betrieb/das Unternehmen jeweils entsprechendes mittelbares oder unmittelbares Mitglied einer der vorgenannten vertragsschließenden Arbeitgeberorganisationen ist.”
Der Antrag wurde, ebenso wie der Termin für die Verhandlung des Tarifausschusses, im Bundesanzeiger bekanntgemacht. Dem Beteiligten zu 2. wurde das Recht zur Entscheidung über den Antrag nach § 5 Abs. 6 TVG mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 24. August 2012 übertragen.
Im Folgenden holte der Beteiligte zu 2. zur Feststellung, ob bei tarifgebundenen Arbeitgebern nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des ETV 2012 fallenden Arbeitnehmern beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF; sog. 50 %-Quote), Auskünfte bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), bei dem Beteiligten zu 4., bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten und beim Landesbetrieb für Information und Technik Nordrhein-Westfalen – Geschäftsbereich Statistik – (IT NRW) ein.
Nach der von der BA übersandten Statistik waren zum Stichtag 31. Dezember 2011 (Datenstand September 2012) 147.225 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sowie 187.545 geringfügig Beschäftigte im Gastgewerbe (Beherbergung und Gastronomie) tätig. Nebst 2.742 kurzfristig Beschäftigten ergab sich eine Gesamtzahl von 337.512 Arbeitnehmern. Registriert waren 25.776 Betriebe, wobei nur solche Betriebe ausgewiesen waren, in denen mindestens ein sozialversicherungspflichtig Beschäftigter tätig war. Die Beteiligte zu 4. teilte mit Schreiben vom 31. August 2012 mit, dass sie 14.431 Mitgliedsbetriebe habe, in denen Arbeitnehmer beschäftigt seien. Angaben zur Anzahl der in den Mitgliedsbetrieben beschäftigten Arbeitnehmer machte sie unter Hinweis auf fehlende Informationen nicht. Der Landesbetrieb IT NRW teilte mit, dass dem Hotel- und Gastgewerbe mit Stichtag 31. Dezember 2011 25.776 Betriebe angehörten. Das Statistische Jahrbuch Nordrhein-Westfalen 2011 wies hingegen 41.995 gastgewerbliche Unternehmen mit 44.952 örtlichen Einheiten (Stichtag 31. Dezember 2009) aus, wobei es sich hierbei um hochgerechnete Ergebnisse einer Stichprobenerhebung handelte und ua. auch rein inhabergeführte Betriebe ohne Arbeitnehmer berücksichtigt worden waren.
Am 24. Oktober 2012 tagte der Tarifausschuss und befürwortete die beantragte AVE. In einer Ministervorlage vom 26. Oktober 2012 gelangte der Beteiligte zu 2. zu dem Ergebnis, dass im Geltungsbereich des Tarifvertrags insgesamt 337.512 Arbeitnehmer in 25.776 Betrieben beschäftigt seien. Bei 14.431 Betrieben handele es sich um Mitgliedsbetriebe des DEHOGA. Unter der Annahme, dass die Mitgliedsunternehmen im Durchschnitt nicht weniger Arbeitnehmer als die Betriebe insgesamt beschäftigten (durchschnittlich 13,09 Arbeitnehmer), ging das MAIS von 188.902 bei den tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmern aus und damit von einer Quote von 56 %. Eine anhand der Zahlen des Statistischen Jahrbuchs des IT NRW durchgeführte Kontrollrechnung kam unter Berücksichtigung eines Anteils von 16,5 % Betrieben ohne Arbeitnehmer zu einer Quote von 50,5 %. Ein öffentliches Interesse an der beantragten AVE bestehe im Hinblick auf die Situation in der Branche.
Der ETV 2012 wurde vom damaligen Minister für Arbeit, Soziales und Integration am 5. November 2012 mit den beantragten Einschränkungen für allgemeinverbindlich erklärt. Dies wurde im Bundesanzeiger bekanntgemacht. Der ETV 2012 ist nach Mitteilung der Tarifvertragsparteien mit dem 31. Dezember 2014 „völlig außer Kraft getreten” (BAnz AT 23. Januar 2015 B6).
Der Antragsteller und Beteiligte zu 7. ist Franchise-Nehmer eines Pizza-Lieferdienstes in Wuppertal. Er war im maßgeblichen Zeitraum nicht Mitglied des DEHOGA. Nach einer Betriebsprüfung für den Zeitraum 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2013 nahm die Deutsche Rentenversicherung Rheinland ihn ua. für den Geltungszeitraum der angegriffenen AVE auf die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch. Hierüber ist ein Verfahren vor den Sozialgerichten anhängig.
Der Beteiligte zu 7. hat die Auffassung vertreten, die Allgemeinverbindlicherklärung des ETV 2012 sei unwirksam. Die Ermittlung des Beschäftigtenquorums nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF weise erhebliche Mängel auf. Die Ermittlung des Quorums auf der Grundlage einer durchschnittlichen Beschäftigtenzahl pro Betrieb sei angesichts des Gesetzeszwecks keine zulässige Erkenntnismethode. Die Statistik der BA weise zudem im Vergleich zu anderen Statistiken, insbesondere der des IT NRW, die geringste Zahl an Unternehmen im Gastgewerbe aus. Das statistische Material sei zum Teil veraltet, andere Auskunftsquellen seien vom Beteiligten zu 2. nicht ausgeschöpft worden. Der Beteiligte zu 4. habe darlegen müssen, wie viele Mitarbeiter in den Mitgliedsunternehmen beschäftigt seien. Hierzu habe er die von ihm geführte Beitragsstatistik vorlegen müssen, aus der zumindest die Zahl der Vollzeitstellen ersichtlich sei, um eine Plausibilitätsprüfung zu ermöglichen. Die Annahme, dass die Mitgliedsunternehmen der Beteiligten zu 4. im Durchschnitt ebenso viele Arbeitnehmer beschäftigten wie die Unternehmen der gesamten Branche, sei nicht haltbar. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die nicht verbandsangehörigen Unternehmen der Systemgastronomie und der Pizza-Lieferdienste. Während die Mitgliedsunternehmen des Beteiligten zu 4. überwiegend mit Vollzeitkräften arbeiteten, seien in der Systemgastronomie und den Pizza-Lieferdiensten viele geringfügig Beschäftigte tätig, mithin deutlich mehr Personen. Im Übrigen fehle es am öffentlichen Interesse für den Erlass der AVE. Das nach wie vor geringe Einkommen in der Branche zeige, dass die in der Vergangenheit ausgesprochenen AVE keine Wirkung erzielt hätten.
Der Beteiligte zu 7. hat beantragt,
festzustellen, dass die mit Wirkung vom 4. September 2012 durch den Beteiligten zu 2. ausgesprochene AVE des Entgelttarifvertrags für das Gaststätten- und Hotelgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 2012 unwirksam war.
Die Beteiligten zu 2., 4. und 6. haben die Zurückweisung des Antrags beantragt. Sie haben die Auffassung vertreten, die AVE ETV 2012 sei formell und materiell wirksam.
Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge der beiden damaligen Antragsteller auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der AVE ETV 2012 zurückgewiesen und deren Wirksamkeit festgestellt. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 7. sein Ziel weiter. Die Nichtzulassungsbeschwerde des ehemals Beteiligten zu 1. hat der Senat als unzulässig verworfen.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Antragstellers und Beteiligten zu 7. ist unbegründet. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die AVE ETV 2012 sei formell und materiell wirksam, ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
I. Der Beteiligte zu 7. ist antragsbefugt und hat ein Interesse an der begehrten Feststellung. Alle am Verfahren zu beteiligenden Vereinigungen oder Stellen sind beteiligt worden.
1. Das Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist hinsichtlich der angegriffenen AVE ETV 2012 statthaft. Unschädlich ist, dass diese vor Inkrafttreten des § 98 ArbGG nF am 16. August 2014 erlassen wurde; unerheblich ist auch, wann die AVE außer Kraft getreten ist (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 36 ff., BAGE 156, 213).
2. Der Beteiligte zu 7. ist nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG antragsbefugt. Er macht geltend, durch die AVE in seinen Rechten verletzt zu sein (vgl. dazu im Einzelnen BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 44 ff., BAGE 156, 213). Er wird ua. für den Geltungszeitraum der angegriffenen AVE von der Deutschen Rentenversicherung Rheinland auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen auf Grundlage des ETV 2012 in Anspruch genommen, ohne Mitglied der tarifvertragschließenden Parteien gewesen zu sein. Die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen hängt damit maßgeblich davon ab, ob der ETV 2012 wirksam für allgemeinverbindlich erklärt und damit auf den Betrieb des Beteiligten zu 7. erstreckt wurde. Die zwischenzeitliche Beendigung der AVE ändert hieran nichts, da das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Sein Interesse an der begehrten Feststellung besteht deshalb weiterhin (vgl. dazu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 58, BAGE 156, 213).
3. Alle nach § 98 Abs. 3, § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligenden Vereinigungen und Stellen sind im vorliegenden Verfahren vom Landesarbeitsgericht beteiligt worden.
a) Zu den Beteiligten gehören gem. § 98 Abs. 3 Satz 3 ArbGG der Beteiligte zu 7. als Antragsteller, die Behörde, die den Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt hat (Beteiligter zu 2.), sowie die Tarifvertragsparteien, die den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag abgeschlossen haben, die Beteiligten zu 4. und 6. (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 77 ff., BAGE 156, 213).
b) Nicht zu beteiligen ist hingegen die Deutsche Rentenversicherung Rheinland. Diese setzt die Bestimmungen über die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung um, ohne über eigene Rechte im Zusammenhang mit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu verfügen (vgl. auch BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 84, BAGE 156, 213, zu einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien).
c) Ebenso wenig kam eine Beteiligung konkurrierender Tarifvertragsparteien in Betracht, da durch solche kein Antrag gestellt wurde (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 82, BAGE 156, 213).
II. Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer AVE oder einer entsprechenden VO nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 iVm. § 98 ArbGG sind gemäß § 2a Abs. 2 ArbGG im Beschlussverfahren auszutragen. Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforscht das Gericht hierbei den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen, wobei die am Verfahren Beteiligten nach § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben. Diese Grundsätze gelten gem. § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG entsprechend im Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE oder VO (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 86 ff., BAGE 156, 213). Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen.
III. Gegen die Wirksamkeit von § 5 TVG aF bestehen keine Bedenken. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht oder die Europäische Menschenrechtskonvention liegt nicht vor. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten (vgl. grundlegend BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 94 ff., BAGE 156, 213).
IV. Der ETV 2012 wurde vom Minister für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen für allgemeinverbindlich erklärt. Die AVE ETV 2012 verfügt somit über die erforderliche hinreichende demokratische Legitimation (vgl. dazu umfassend BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn 138 ff., BAGE 156, 213).
V. Eine Verletzung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften liegt nicht vor. Der obersten Arbeitsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen ist gemäß § 5 Abs. 6 TVG das Recht zur Entscheidung übertragen worden. Die AVE ETV 2012 ist weder an Art. 80 Abs. 1 GG noch am Maßstab des § 24 VwVfG zu messen (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 132, BAGE 156, 213). Anderweitige Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der AVE ETV 2012 nach dem TVG bzw. der TVG-DVO bestehen nicht, Verfahrensfehler sind nicht erkennbar. Die bereits im Antrag erfolgte Einschränkung der Reichweite der AVE ist nicht zu beanstanden. Derartige Einschränkungsklauseln sind grundsätzlich zulässig (vgl. dazu BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 195, BAGE 156, 213), Einwendungen wurden von keinem Beteiligten erhoben.
VI. Die AVE ETV 2012 ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht bereits deshalb unwirksam, weil sie nicht im öffentlichen Interesse geboten erscheint (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF). Hiervon geht das Landesarbeitsgericht zutreffend aus.
1. Bei der Frage, ob die AVE eines Tarifvertrags im öffentlichen Interesse geboten erscheint, hat der Beteiligte zu 2. eigenverantwortlich zu prüfen, ob die Vorteile der AVE eines Tarifvertrags etwaige Nachteile überwiegen. Hierbei sind sowohl die Interessen der tarifgebundenen als auch diejenigen der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegenüberzustellen. Allein das Interesse der Tarifvertragsparteien, welches sie mit ihrem AVE-Antrag zum Ausdruck bringen, genügt ebenso wenig wie das positive Votum des Tarifausschusses. Die Entscheidung des Beteiligten zu 2. ein öffentliches Interesse für die AVE anzunehmen, ist nur in beschränktem Umfang gerichtlich nachprüfbar, da ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt. Dieser weite Beurteilungsspielraum ist eine Ausprägung des auch mit Rechtsetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens und kann nicht mit verwaltungsrechtlichen Maßstäben gleichgesetzt werden. Durch die Stellungnahme- und Einspruchsrechte, wie sie in § 5 Abs. 2 und Abs. 3 TVG geregelt sind, ist eine verfahrensmäßige Absicherung der Interessenabwägung gegeben, die eine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass der Beteiligte zu 2. seinen weiten Beurteilungsspielraum sachgerecht nutzt. Dieser wird erst dann rechtswidrig ausgeübt, wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zwecks der Ermächtigung in § 5 TVG und der hiernach zu berücksichtigenden öffentlichen und privaten Interessen – einschließlich der Interessen der Tarifvertragsparteien – schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist (vgl. grundlegend BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 123 ff., BAGE 156, 213).
2. Nach diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, dass der Beteiligte zu 2. ein öffentliches Interesse iSv. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG aF für die AVE ETV 2012 angenommen hat. Für die AVE sprechen mehrere Umstände von erheblichem Gewicht. Nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern entstehen dadurch keine so großen Nachteile, dass die Entscheidung des Beteiligten zu 2. schlechthin unvertretbar oder unverhältnismäßig und damit das ihm zustehende normative Ermessen bei Rechtsetzungsakten überschritten wäre.
a) Die Bejahung des öffentlichen Interesses an der beantragten AVE wurde darauf gestützt, dass die nicht tarifgebundenen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil hätten. Außerdem werde die Allgemeinheit dadurch geschädigt, dass das Gastgewerbe einen hohen Anteil von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beschäftigt, die ihr Einkommen durch Hilfe zum Lebensunterhalt aufstocken müssen. Damit würden die Sozialkassen erheblich geschädigt, was zu finanziellen Belastungen des Bundes und des Landes NRW führe. Hingegen würden durch die Allgemeinverbindlichkeit die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme und der öffentlichen Finanzen unterstützt. Dies ist – wovon das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist – nicht zu beanstanden.
b) Der Kampf gegen „Lohndrückerei und Schmutzkonkurrenz” ist als öffentliches Interesse anerkannt (vgl. BAG 12. Oktober 1988 – 4 AZR 244/88 –; BVerwG 3. November 1988 – 7 C 115/86 – zu 4 a der Gründe, BVerwGE 80, 355). Entsprechend ist es auch in der Vergangenheit sowie in anderen Bundesländern zu AVE der Entgelttarifverträge im Hotel- und Gaststättengewerbe gekommen, da ohne Allgemeinverbindlicherklärung die Gefahr weitergehender geringer und geringster Bezahlung noch größer wäre (vgl. BAG 12. Oktober 1988 – 4 AZR 244/88 –; ähnlich BAG 24. Januar 1979 – 4 AZR 377/77 – BAGE 31, 241: „unangemessen niedriger Löhne bzw. Urlaubsbezüge entgegenwirken”). Da die Personalkosten ein wesentlicher Faktor im Gastgewerbe sind, liegt der Wettbewerbsvorteil durch Unterbieten der tarifvertraglichen Vergütung auf der Hand. Soweit von dem Beteiligten zu 7. darauf hingewiesen wird, dass es bereits in der Vergangenheit Allgemeinverbindlicherklärungen gegeben hat, ohne dass das Problem beseitigt worden wäre, spricht dies nicht dagegen, durch die AVE zumindest zu versuchen, flächendeckend dieser Situation entgegenzuwirken. Im Übrigen werden durch die niedrigen Löhne auch die sozialen Sicherungssysteme belastet. Der Schutz der finanziellen Stabilität der Systeme der sozialen Sicherung, die bei hoher Arbeitslosigkeit oder bei niedrigen Löhnen verstärkt in Anspruch genommen werden, ist ein Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung (vgl. BVerfG 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 – Rn. 87, 89). Das Interesse der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, die Löhne unternehmensbezogen festzulegen, muss demgegenüber zurücktreten. Deren Belastung hält sich auch deshalb in Grenzen, weil nur die Tarifgruppen 1 und 2 für allgemeinverbindlich erklärt wurden.
VII. Der Beteiligte zu 2. durfte zum Zeitpunkt des Erlasses der AVE auch davon ausgehen, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vH der unter den Geltungsbereich des ETV 2012 fallenden Arbeitnehmer beschäftigt haben (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TVG aF; sog. 50 %-Quote). Die entsprechenden Annahmen des Landesarbeitsgerichts zur Ermittlung der Großen und der Kleinen Zahl sind rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
1. Der Beteiligte zu 2. hat die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, unabhängig davon, ob eine Tarifbindung vorliegt (Große Zahl), zutreffend mit 337.512 angenommen (147.225 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, 187.545 geringfügig Beschäftigte, 2.742 kurzfristig Beschäftigte).
a) Für die Ermittlung der Großen Zahl kommt es darauf an, wie viele Arbeitnehmer insgesamt unter den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrags fallen. Maßgeblich ist dabei der Begriff des Geltungsbereichs, wie er im TVG auch an anderer Stelle (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) verwendet wird. Ist der Geltungsbereich im Tarifvertrag selbst beschränkt, sind in solchen Betrieben beschäftigte Arbeitnehmer nicht bei der Ermittlung der Großen Zahl zu berücksichtigen. Für die Ermittlung der Großen Zahl ist es hingegen unerheblich, ob die AVE mit Einschränkungen hinsichtlich des betrieblichen Geltungsbereichs ergangen ist. Vielmehr ist auch im Fall eines bereits eingeschränkten Antrags auf AVE oder einer Einschränkung der AVE ohne Antrag durch das zuständige Ministerium auf den tariflichen Geltungsbereich abzustellen (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 187 f. mwN, BAGE 156, 213). Allerdings ist bei Ermittlung der Großen Zahl und einer nachfolgenden gerichtlichen Überprüfung zu berücksichtigen, dass eine exakte Feststellung nahezu unmöglich ist und deshalb eine sorgfältige Schätzung ausreicht. Stets erforderlich ist aber eine Ausschöpfung aller greifbaren Erkenntnismittel und eine möglichst genaue Auswertung des verwertbaren statistischen Materials (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 200, aaO).
b) Von diesen Grundsätzen ist der Beteiligte zu 2. ausgegangen und hat die Große Zahl ohne Berücksichtigung der beantragten Einschränkungen der AVE ermittelt. Er hat sich dabei im Kern auf die Statistik der BA gestützt, was vom Landesarbeitsgericht gebilligt wurde. Dies lässt keine Rechtsfehler erkennen; Einwendungen gegen die Ermittlung der Großen Zahl erhebt auch die Rechtsbeschwerde nicht.
aa) Nach der Statistik der BA, die der Entscheidung zur AVE zugrunde lag, waren mit Stichtag 31. Dezember 2011 und Datenstand September 2012 im Gastgewerbe in Nordrhein-Westfalen 147.225 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, 187.545 geringfügig Beschäftigte und 2.742 kurzfristig Beschäftigte tätig. Hierbei handelte es sich um die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die AVE aktuellsten zur Verfügung stehenden Daten.
bb) Die Daten der BA sind grundsätzlich aussagekräftig. Das Meldeverfahren zur Sozialversicherung, in das alle Arbeitnehmer (einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten) einbezogen sind, die der Kranken- oder Rentenversicherungspflicht oder Versicherungspflicht nach dem SGB III unterliegen, bildet die Grundlage. Auf Basis der Meldungen zur Sozialversicherung durch die Betriebe wird vierteljährlich (stichtagsbezogen) der Bestand an sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten ermittelt. Ehemalige Beschäftigte sind in der Statistik nicht mehr enthalten. Auch die Selbständigen und die unbezahlt mithelfenden Familienangehörigen werden nicht einbezogen. Da die Daten somit nicht lediglich stichprobenartig erhoben und dann hochgerechnet werden, ist eine hohe Zuverlässigkeit gegeben. Die von der BA zur Einteilung der Beschäftigten verwendeten Wirtschaftszweige stimmen im Wesentlichen mit dem fachlichen Geltungsbereich des ETV 2012 überein.
cc) Das Landesarbeitsgericht ist auch ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass Zahlen aus anderen Quellen nicht dieselbe Verlässlichkeit wie die Zahlen der BA aufweisen. Einwände hiergegen erhebt die Rechtsbeschwerde nicht. Dass der Bereich der Schwarzarbeit von der Statistik der BA nicht abgebildet wird, liegt auf der Hand. Naturgemäß fehlt es aber auch an anderen belastbaren Daten, die insoweit eine seriöse Schätzung ermöglichen würden.
2. Auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Beteiligte zu 2. habe die Kleine Zahl zutreffend ermittelt und deshalb zum Zeitpunkt der Entscheidung über den AVE-Antrag von einer Erfüllung der 50 %-Quote ausgehen dürfen, hält einer Überprüfung durch den Senat stand. Die von der Rechtsbeschwerde hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
a) Zur Bestimmung der Kleinen Zahl ist vorrangig die tatsächliche Anzahl der in tarifgebundenen Betrieben beschäftigen Arbeitnehmer zu ermitteln. Eine exakte Feststellung wird aber in manchen Fällen schwierig sein, so dass deshalb auch eine sorgfältige Schätzung ausreichen kann (vgl. BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 13/03 – zu II 5 der Gründe mwN, BAGE 108, 155). Dies setzt voraus, dass die Feststellung der tatsächlichen Zahl für das Ministerium mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden oder unmöglich wäre. Bei der Kleinen Zahl ist es zumindest naheliegend anzunehmen, dass die tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbände aufgrund von Angaben ihrer Mitgliedsverbände bzw. deren Mitgliedsunternehmen in der Lage sind, die Zahl der bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer mitzuteilen, ohne auf das Erfordernis einer (vollständigen) Schätzung angewiesen zu sein. Die verbandsangehörigen Unternehmen sind von den Verbänden erfasst. Die Unternehmen kommen als zuverlässige Auskunftgeber in Betracht und wissen, wie viele Arbeitnehmer bei ihnen arbeiten. Zudem verfügen die Verbände oftmals auch über eigene Erkenntnisse zur Anzahl der in den Mitgliedsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 208, BAGE 156, 289). Soweit die Angaben auf notwendigen Schätzungen beruhen, muss das zuständige Ministerium die Schätzgrundlagen ermitteln, um eine angemessene Bewertung im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle vornehmen zu können (vgl. BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 213, aaO).
b) Maßstab für die gerichtliche Kontrolle der Ermittlung dieser Zahlen sind allein die zum Zeitpunkt der behördlichen Prüfung tatsächlich vorhandenen und verwertbaren Informationen. Eine nachträgliche Erhebung oder statistische Aufbereitung von Daten mit dem Ziel, diese zu einem Zeitpunkt nach der ministeriellen Entscheidung verwendbar zu machen, scheidet aus. Von der Behörde kann nicht verlangt werden, im Rahmen der ihr auferlegten und zukommenden sorgfältigen Prüfung auch Daten zu berücksichtigen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden und verfügbar sind. Bei der gerichtlichen Überprüfung ist kein anderer Zeitpunkt zugrunde zu legen als bei der zu überprüfenden Entscheidung. Dies ist der Zeitpunkt des Erlasses der AVE (BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15 – Rn. 85 f.; 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 206, BAGE 156, 213). Das gilt unabhängig davon, ob spätere tatsächliche Erkenntnisse sich zugunsten oder zulasten der Antragsteller auswirken.
c) Das Landesarbeitsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat im Ergebnis in rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass sich die Schätzung des MAIS, wonach zum Zeitpunkt der Entscheidung über die AVE 56 %, jedenfalls aber 50,5 % der Arbeitnehmer im Geltungsbereich des ETV 2012 bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt gewesen seien, als tragfähig erweist.
aa) Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beteiligte zu 4. als tarifvertragschließender Arbeitgeberverband dem Beteiligten zu 2. keine Daten über die genaue Anzahl der in den Mitgliedsbetrieben beschäftigten Arbeitnehmer übermittelt, da er über solche nicht verfügte. Mitgeteilt wurde lediglich die Anzahl der Mitgliedsbetriebe (14.431 Betriebe). Auch in den Verhandlungen im Tarifausschuss hat der Vertreter des Beteiligten zu 4. ausdrücklich erklärt, über keine entsprechenden Zahlen zu verfügen.
bb) Der Beteiligte zu 2. konnte und musste trotz der fehlenden Angaben durch den – eigentlich insoweit sachnähesten – Beteiligten zu 4. über den Antrag der anderen Tarifvertragspartei (Beteiligte zu 6.) auf Erlass der AVE entscheiden. Allein die fehlende Zurverfügungstellung von Daten über die Kleine Zahl durch einen beteiligten Arbeitgeberverband stellt für sich genommen keinen Ablehnungsgrund dar; hierfür bot § 5 TVG aF keine Grundlage. Maßgeblich ist auch nicht, auf welchem Weg die für die ministerielle Entscheidung notwendigen Grundlagen ermittelt werden, sondern ausschließlich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 5 TVG aF, zu denen insbesondere das Erreichen der 50 %-Quote nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG aF zählte, vorlagen (BAG 21. September 2016 – 10 ABR 33/15 – Rn. 135, BAGE 156, 213). Deshalb ist auch unerheblich, aus welchem Grund es an entsprechenden Zahlen fehlte und ob dem Arbeitgeberverband eine Zählung der in den Mitgliedsbetrieben beschäftigten Arbeitnehmer möglich und/oder zumutbar gewesen wäre. Die Durchführung einer solchen Zählung durch das MAIS schied jedenfalls aus.
Wenn Informationen über die tatsächlichen Mitgliederzahlen für die Entscheidung über die AVE objektiv nicht zur Verfügung standen, ist entscheidend, ob aufgrund anderer vorhandener Zahlen eine hinreichend sichere Schätzgrundlage für die Kleine Zahl bestand.
cc) Das Landesarbeitsgericht nimmt in rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandender Weise an, dass der Beteiligte zu 2. von hinreichend sicheren Schätzgrundlagen zur Ermittlung der Kleinen Zahl ausgegangen ist und anderes Datenmaterial, was dem gefundenen Ergebnis entgegenstünde, zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht zur Verfügung stand. Die Anzahl der Betriebe im Geltungsbereich des ETV 2012 wurde durch den Beteiligten zu 2. zutreffend ermittelt. Er durfte auch auf Grundlage der zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse davon ausgehen, dass in tarifgebundenen Betrieben jedenfalls nicht weniger Beschäftigte als in nicht tarifgebundenen tätig waren, und hieraus auf die Kleine Zahl schließen. Einer zusätzlichen Heranziehung der Einteilung in Beitragsklassen des Beteiligten zu 4. bedurfte es nicht. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde überzeugen nicht.
(1) Die Annahme des Beteiligten zu 2. zur Anzahl der im Geltungsbereich des ETV 2012 existierenden Betriebe und der dortigen durchschnittlichen Beschäftigtenzahl ist nicht zu beanstanden.
(a) Das MAIS ist zunächst von den 25.776 Betrieben ausgegangen, die von der BA erfasst waren. Deren Zahlen sind – wie dargelegt – bezogen auf den Geltungsbereich des ETV 2012 grundsätzlich zur Ermittlung der 50 %-Quote geeignet und wurden auch für die Ermittlung der Großen Zahl herangezogen. Rein inhabergeführten Betriebe, dh. solche, in denen ausschließlich der Inhaber und gegebenenfalls noch mithelfende Familienangehörige außerhalb eines Arbeitsverhältnisses tätig waren, waren in den Zahlen der BA nicht enthalten. Ebenso fehlten Betriebe, die Arbeitnehmer ausschließlich im Rahmen geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse iSv. § 8 SGB IV beschäftigten, da die BA nur Betriebe erfasste, die mindestens einen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hatten. Daten über die Anzahl dieser Betriebe gibt es – wie das Landesarbeitsgericht ermittelt hat – bei der BA nicht. Der Beteiligte zu 2. hatte dieses Problem erkannt und deshalb eine Kontrollberechnung anhand von Daten der Landesstatistik (IT NRW) vorgenommen. Da die aktuellsten dort zur Verfügung stehenden Daten aus dem Jahre 2009 stammten und darüber hinaus die jeweilige Bezugsgröße nach den Angaben von IT NRW nur eingeschränkt mit denjenigen aus früheren Jahren vergleichbar war, hat das Ministerium einen Zehn-Jahres-Durchschnitt gewählt, um eine brauchbare Schätzgröße zu ermitteln. Dies ist vom Landesarbeitsgericht zu Recht unbeanstandet geblieben. Die so ermittelte Anzahl von 34.335 Betrieben enthielt allerdings – im Gegensatz zur Statistik der BA – auch die rein inhabergeführten Betriebe. Deswegen hat das MAIS auf Grundlage einer Untersuchung des Instituts für Arbeit und Qualifizierung (IAQ) der Universität Duisburg-Essen einen Abzug iHv. 16,5 % vorgenommen, weil das nach der dortigen Studie der Anzahl der ausschließlich selbstständig Erwerbstätigen im Gastgewerbe entspricht. Im Ergebnis kam der Beteiligte zu 2. so auf eine maximale Zahl von 28.670 Unternehmen mit mindestens einem abhängig sozialversicherungspflichtig oder geringfügig Beschäftigten.
(b) Soweit das Landesarbeitsgericht im Wege der Amtsermittlung zusätzlich eine Auskunft der BA vom 8. Dezember 2015 herangezogen hat, war dies allerdings rechtsfehlerhaft. Wie sich aus der Auskunft ergibt, bezieht sich diese zwar auf den Zeitpunkt März 2012, allerdings ausgehend von einem Datenstand November 2015 und ist zusätzlich mit dem Hinweis versehen, dass diese Daten aufgrund einer rückwirkenden Revision der Beschäftigungsstatistik im August 2014 von zuvor veröffentlichten Daten früherer Stichtage abweichen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung für die AVE lagen diese Daten nicht vor und können deshalb im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der AVE nicht – auch nicht zur bloßen Plausibilitätskontrolle – verwendet werden (vgl. BAG 25. Januar 2017 – 10 ABR 81/16 (F) – Rn. 13; 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 190, BAGE 156, 289). Dieser Rechtsfehler wirkt sich allerdings nicht aus, da die übrigen vom Landesarbeitsgericht angestellten Kontrollüberlegungen seine Entscheidung tragen.
(c) Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Art der Ermittlung der Anzahl der Betriebe wendet, überzeugt dies nicht. Zwar trifft – wie dargelegt – zu, dass die Anzahl der Betriebe mit ausschließlich geringfügig Beschäftigten nicht eindeutig zu ermitteln ist. Die vom MAIS herangezogenen tatsächlichen Erkenntnisse sind aber auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt worden. Vielmehr behauptet sie lediglich, gerade unter den nicht tarifgebundenen Betrieben wie Pizzadiensten oder „Eckkneipen” seien viele, die Arbeitnehmer ausschließlich in geringfügigem Umfang iSv. § 8 SGB IV beschäftigten. Diese Behauptung ist allerdings vom Antragsteller und Beteiligten zu 7. weder durch den Vortrag von Tatsachen, beispielsweise aus dem eigenen Tätigkeitsfeld (Pizzalieferdienst), noch durch die Darlegung entsprechender statistischer oder wissenschaftlicher Erkenntnisse untermauert worden. Das Landearbeitsgericht durfte deshalb diesen Einwand als nicht durchgreifend ansehen. Dabei kommt es auf die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Kontrollüberlegung – die ihrerseits ohne konkrete Schätzgrundlage ist –, wonach ein Anteil von ca. 12 % aller Betriebe jedenfalls nicht erreicht werde, nicht an.
(d) Ausgehend von insgesamt 337.512 im Geltungsbereich des ETV 2012 zum maßgeblichen Zeitpunkt beschäftigten Arbeitnehmern ergab sich bei Zugrundelegung der Zahlen der BA (25.776 Betriebe, ohne Betriebe mit ausschließlich geringfügig Beschäftigten) eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl von 13,09; unter Berücksichtigung einer Zahl von 28.670 Betrieben (alle Betriebe mit Arbeitnehmern) eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl von 11,8.
(2) Der Beteiligte zu 2. durfte hinsichtlich der Anzahl der tarifgebundenen Betriebe von den Angaben des Beteiligten zu 4. über die Zahl seiner Mitgliedsbetriebe (14.431 Betriebe) ausgehen, die von diesem selbst schon um Mitgliedsbetriebe ohne Arbeitnehmer bereinigt worden war. Der Beteiligte zu 4. hatte hierzu die Mitgliedszahlen bei seinen Bezirksverbänden abgefragt, die schriftlich Auskunft erteilt haben. Gegen die Plausibilität dieser Zahlen wendet sich auch die Rechtsbeschwerde nicht (vgl. zur Erforderlichkeit einer Plausibilitätsprüfung BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – Rn. 213, BAGE 156, 289).
(3) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch unbeanstandet gelassen, dass der Beteiligte zu 2. seiner Schätzung die Annahme zugrunde legte, in tarifgebundenen Betrieben seien durchschnittlich jedenfalls nicht weniger Arbeitnehmer als in nicht tarifgebundenen Betrieben beschäftigt gewesen. Dies entsprach der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die AVE gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis, dass die Tarifbindung über die Betriebsgrößenklassen hinweg steigt. Solche Erkenntnisse lagen dem MAIS nicht nur aus bundesweiten Untersuchungen über alle Branchen hinweg vor, sondern auf Grundlage einer aktuellen Auswertung des IAB-Betriebspanel 2011 auch für Nordrhein-Westfalen. Aus dieser ergab sich im Übrigen auch, dass in der Kategorie „Übrige Dienstleistungen”, die Beherbergung und Gastronomie einschloss, 60 % der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt waren. Erkenntnisse über eine andere Verteilung der Betriebsgrößen zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Betrieben im Geltungsbereich des ETV 2012 gab es hingegen nicht und sind im Verfahren von den Antragstellern auch nicht vorgebracht worden. Auch die Rechtsbeschwerde benennt keine konkreten Anhaltspunkte für die von ihr aufgestellte Behauptung, im Geltungsbereich des ETV 2012 sei die Arbeitnehmeranzahl in nicht tarifgebundenen Betrieben wegen einer höheren Teilzeitquote generell höher, in tarifgebundenen Betrieben würden hingegen überwiegend Vollzeitkräfte beschäftigt. Zwar ist zutreffend und statistisch belegbar, dass im Hotel- und Gaststättengewerbe generell mit einer bezogen auf alle Branchen deutlich überdurchschnittlichen Anzahl von geringfügig Beschäftigten gearbeitet wird. Statistische oder durch Tatsachen untermauerte Anhaltspunkte dafür, dass deren Einsatz gerade in nicht tarifgebundenen Betrieben nochmals in relevantem Umfang höher sein soll, sind aber weder vorgetragen noch erkennbar.
Auf die Angaben des Beteiligten zu 4. in einem früheren verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. OVG NRW 16. November 2012 – 4 A 46/11 –) kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese bezogen sich zum einen auf andere Zeiträume, zum anderen stellen sie die generelle Annahme, wonach die Tarifbindung mit der Betriebsgröße ansteigt, nicht in Frage. Im Übrigen ist das OVG Nordrhein-Westfalen unter Berücksichtigung dieser Umstände ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die dort angegriffene AVE rechtswirksam ergangen ist. Ebenso wenig sind konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden oder erkennbar, dass Betriebe der Systemgastronomie – die in den Geltungsbereich des ETV fallen und damit zu berücksichtigen sind – dieses Bild hinsichtlich der Betriebsgröße der tarifgebundenen Betriebe verfälschen oder verändern könnten.
(4) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde mussten weder der Beteiligte zu 2. noch das Landesarbeitsgericht zur weiteren Aufklärung beim Beteiligten zu 4. ggf. vorhandene Zahlen über die Einteilung der Mitglieder in Beitragsklassen heranziehen. Schon nach dem Vortrag des Antragstellers ließe sich hieraus nicht im Ansatz die tatsächliche Anzahl der Beschäftigten in den Mitgliedsbetrieben des Beteiligten zu 4. ermitteln. Zum einen müssen die Verbandsmitglieder die Anzahl ihrer Beschäftigten zur Ermittlung des Mitgliedsbeitrags in (fiktive) Vollzeitbeschäftigte umrechnen. Insoweit müsste eine Rückrechnung auf Grundlage statistischer Werte erfolgen, um die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten auch nur im Ansatz erfassen zu können, wobei die von der Rechtsbeschwerde mit Nachdruck aufgeworfene Fragestellung des Anteils der geringfügig Beschäftigten hier besonders virulent werden würde. Auch die Rechtsbeschwerde räumt insoweit ein, dass es sich (nur) um eine „grob nach Vollzeitstellen gegliederte Mitgliederstatistik” handelt. Zum anderen lässt die Einteilung in Beitragsklassen nach „von-bis”-Spannen keine seriöse Schätzung der tatsächlichen Anzahl der Beschäftigten zu. Es würde sich schon die Frage stellen, ob mit dem oberen, dem unteren oder einem Mittelwert der jeweiligen Spanne zu rechnen ist. Insbesondere bei größeren Betrieben – die damit für die Kleine Zahl eine besondere Bedeutung haben – würde sich darüber hinaus auswirken, wo die oberste Stufe der Beitragsklasse beginnt, und es wäre völlig unklar, von welcher Arbeitnehmerzahl bei einer solchen – wohl nach oben offenen – Gruppe auszugehen wäre.
(5) Auf Grundlage dieser Erwägungen hat das Landesarbeitsgericht die Annahme des Beteiligte zu 2. unbeanstandet gelassen, dass mindestens 170.286 Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren und damit die erforderliche Quote nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG aF – selbst unter Zugrundelegung zurückhaltender Annahmen hinsichtlich der Tarifbindung – zum Zeitpunkt der Entscheidung über die AVE mit 50,5 % (knapp) erreicht war. Dies ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
C. Im vorliegenden Verfahren werden Kosten nicht erhoben, § 2 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Linck, Brune, W. Reinfelder, R. Baschnagel, D. Kiel
Fundstellen
Haufe-Index 11418190 |
BB 2018, 179 |