Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebungsklage gegen Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts. außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist bei Betriebsstillegung und tariflicher Alterssicherung
Normenkette
BGB § 626; ArbGG § 110; ZPO § 561 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. Dezember 1996 – 10 Sa 448/96 – wird auf Kosten des Landes zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Mit der Aufhebungsklage begehrt das Land Berlin gem. § 110 ArbGG die Aufhebung bühnenschiedsgerichtlicher Schiedssprüche, mit denen erst- wie zweitinstanzlich der Klage der jetzigen Anfechtungsbeklagten (im folgenden: Beklagte) gegen eine außerordentliche Kündigung vom 27. September 1993 stattgegeben worden war.
Die am 12. Mai 1939 geborene Beklagte war seit 1960 mit jeweils auf das Spielzeitende befristeten Arbeitsverträgen als Schauspielerin an den Staatlichen Schauspielbühnen des Landes engagiert, zuletzt zu einem Monatsgehalt von 8.639,68 DM brutto.
Der Senat des Landes Berlin beschloß am 22. Juni 1993 die Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen, nämlich des Schiller-Theaters, der Werkstatt und des Schloßtheaters. Nachdem der Stillegungsbeschluß am 16. September 1993 durch das Abgeordnetenhaus gebilligt worden war, fand die letzte Vorstellung in diesen Theatern am 4. Oktober 1993 statt. Mit Schreiben vom 27. September 1993, der Beklagten zugegangen am 28. September 1993, kündigte das Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 31. Juli 1994.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts findet auf das Arbeitsverhältnis der Normalvertrag Solo Anwendung, abgeschlossen zwischen dem Deutschen Bühnenverein und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehörigen (NV Solo vom 1. Mai 1924 i.d.F. des Tarifvertrags vom 12. Juli 1993), ferner der Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht (TVM vom 23. November 1977 i.d.F. des letzten Änderungstarifvertrages vom 18. Juni 1991).
§ 15 NV Solo lautet wie folgt:
- „Der Vertrag kann von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
- Wichtiger Grund zur sofortigen Lösung des Vertrages ist der Umstand, aufgrund dessen die Fortsetzung des Dienstverhältnisses einer Vertragspartei nicht mehr zugemutet werden kann, insbesondere Tätlichkeiten, erhebliche Beleidigungen, unsittliche Zumutungen, beharrliche Verweigerung oder schwere Vernachlässigung der Dienstleistungen, wiederholt unpünktliche Zahlung der Vertragsvergütungen.”
§ 2 TVM hat folgenden Wortlaut:
„(1) Das Arbeitsverhältnis endet mit dem im Arbeitsvertrag vereinbarten Zeitpunkt. Ein mindestens für ein Jahr (Spielzeit) abgeschlossener Arbeitsvertrag verlängert sich zu den gleichen Bedingungen um ein Jahr (Spielzeit), es sei denn, eine Vertragspartei teilt der anderen bis zum 31. Oktober der Spielzeit, mit deren Ablauf der Arbeitsvertrag endet, schriftlich mit, daß sie nicht beabsichtigt, den Arbeitsvertrag zu verlängern (Nichtverlängerungsmitteilung).
(2) Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als acht Jahre (Spielzeiten), muß die Nichtverlängerungsmitteilung der anderen Vertragspartei bis zum 31. Juli der jeweils vorangegangenen Spielzeit schriftlich zugegangen sein.
(3) Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als fünfzehn Jahre (Spielzeiten), kann der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungsmitteilung nach Absatz 2 nur aussprechen, um das Arbeitsverhältnis unter anderen Vertragsbedingungen – auch außerhalb des im Arbeitsvertrag angegebenen Theaters (ein Arbeitgeber in selbständiger Rechtsform auch bei seinem oder einem seiner rechtlichen oder wirtschaftlichen Träger) – fortzusetzen.
Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als fünfzehn Jahre (Spielzeiten) und hat das Mitglied in dem Zeitpunkt, in dem die Nichtverlängerungsmitteilung spätestens zugegangen sein muß (Absatz 2), das 58. Lebensjahr – ein weibliches Bühnenmitglied das 55. Lebensjahr – vollendet, kann der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungsmitteilung nach Absatz 2 nur aussprechen, um das Arbeitsverhältnis unter anderen Vertragsbedingungen bei dem im Arbeitsvertrag angegebenen Theater fortzusetzen.
(4) …”
Mit der am 15. Oktober 1993 beim Bezirksbühnenschiedsgericht eingereichten Feststellungsklage hat die Beklagte die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung geltend gemacht und die Weiterbeschäftigung gefordert. Sie hat dazu u.a. die Auffassung vertreten, die Staatlichen Schauspielbühnen seien ausweislich mehrerer Gastspiele und des Weiterbetriebs der Werkstätten nicht aufgelöst worden; im übrigen liege im Hinblick auf die beabsichtigte Vermietung des Schiller-Theaters ein Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 1 BGB vor.
Die Beklagte hat, soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung, als Schiedsklägerin vor dem Bezirksschiedsgericht beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung mit Schreiben vom 27. September 1993 nicht zum 31. Juli 1994 aufgelöst wird.
Das Land Berlin hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Land hat die Auffassung vertreten, es sei ihm nicht zumutbar gewesen, mit der Fortsetzung des Vertrages der Klägerin die Gage weiter zu zahlen, ohne die geschuldeten Dienste abnehmen zu können. Es hat behauptet, die Staatlichen Schauspielbühnen seien geschlossen. Sämtliche künstlerischen bzw. künstlerischtechnischen Mitarbeiter hätten eine Nichtverlängerungsmitteilung bzw. die außerordentliche Kündigung erhalten. Nach Dezember 1993 gebe es auch keine auswärtigen Produktionen der ehemaligen Staatlichen Schauspielbühnen mehr, die Verwaltungsorganisation der Bühnen sei aufgelöst.
Durch den Schiedsspruch vom 19. Januar 1994 – Az.: 78/93 – hat das Bezirksbühnenschiedsgericht Berlin dem Feststellungsantrag der Beklagten stattgegeben.
Gegen den ihm am 28. Februar 1994 zugestellten Schiedsspruch hat das Land am 7. März 1994 beim Bühnenoberschiedsgericht Frankfurt am Main Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 2. Mai 1994 gesetzten Berufungsfrist am 27. April 1994 begründet. Die Berufung wurde durch Schiedsspruch vom 3. November 1994 – BOSchG 14/94 – zurückgewiesen.
Mit der gegen diesen am 14. April 1995 zugestellten Schiedsspruch gerichteten und am 24. April 1995 eingereichten arbeitsgerichtlichen Aufhebungsklage hat das Land u.a. geltend gemacht, das Bühnenoberschiedsgericht habe zu Unrecht angenommen, die außerordentliche Kündigung bei Auflösung eines Theaters sei tarifvertraglich ausgeschlossen und auch in diesem Fall sei die Nichtverlängerungsmitteilung die einzig zulässige Möglichkeit für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr sei die Aufzählung der Kündigungsgründe in § 15 NV Solo nicht abschließend. Auch stünden die älteren, unter § 2 Abs. 3 Satz 2 TVM fallenden Mitarbeiter nicht schlechter als die unter § 2 Abs. 3 Satz 1 fallenden jüngeren Mitarbeiter, da auch diesen außerordentlich mit sozialer Auslauffrist gekündigt worden sei.
Das Land hat beantragt,
unter Aufhebung des Schiedsspruchs des Bühnenoberschiedsgerichts Frankfurt am Main vom 3. November 1994 – BOSchG 14/94 – den erstinstanzlichen Schiedsspruch abzuändern und die Feststellungsklage ebenfalls abzuweisen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Aufhebungsklage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, von den Vorinstanzen sei zutreffend erkannt worden, daß hinsichtlich der unter § 2 Abs. 3 Satz 2 TVM fallenden Mitglieder eine tarifliche Regelungslücke vorliege mit der Folge, daß entsprechend § 2 Abs. 3 Satz 1 TVM eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Theater erfolgen müsse. Selbst im Falle einer wirksamen außerordentlichen Kündigung sei als Parallele zur sozialen Auslauffrist für die Beendigung die längste Frist für eine Beendigung durch Nichtverlängerungsmitteilung heranzuziehen mit der Folge, daß frühestens eine Beendigung zum 31. Juli 1995 hätte erfolgen können.
Das Arbeitsgericht hat die Aufhebungsklage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das Land seinen Aufhebungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Landes ist unbegründet (§ 15 NV Solo, § 626 BGB). Es ist nicht ersichtlich, daß das Land die streitige außerordentliche Beendigungskündigung nicht durch eine zumutbare Weiterbeschäftigung der Beklagten außerhalb des stillgelegten Theaters vermeiden konnte.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, selbst wenn das Bühnenoberschiedsgericht zu Unrecht eine Tariflücke bejaht und daher § 2 Abs. 3 Satz 1 TVM analog angewandt hätte, sei jedenfalls im Ergebnis die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB unwirksam, da das Tatsachenvorbringen des Landes zu den Möglichkeiten einer anderweitigen Weiterbeschäftigung der Beklagten unsubstantiiert gewesen sei.
II. Diese Entscheidung hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Das Landesarbeitsgericht hat offengelassen, ob § 15 NV Solo bei Auflösung eines Theaters eine außerordentliche Kündigung von Arbeitnehmern zuläßt, deren Arbeitsverhältnis gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 TVM nicht mehr durch Nichtverlängerungsmitteilung beendet werden kann. Die Frage ist zu bejahen.
a) Der normative Teil von Tarifverträgen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auszulegen wie ein Gesetz; zu berücksichtigen sind zunächst der Wortlaut, ferner der in den Tarifnormen zum Ausdruck gekommene Wille der Tarifvertragsparteien, der tarifliche Gesamtzusammenhang sowie notfalls ergänzend die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse, die Entstehungsgeschichte und eine praktische Tarifübung (vgl. Urteil vom 24. November 1993 – 4 AZR 407/92 – BAGE 75, 107 = AP Nr. 39 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; Urteil vom 16. Mai 1995 – 3 AZR 395/94 – AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie, zu I 1 der Gründe). Verwenden die Tarifvertragsparteien den Begriff des wichtigen Grundes, so ist bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, daß diesem Begriff dieselbe Bedeutung zukommt wie in § 626 BGB (BAG Urteil vom 29. August 1991 – 2 AZR 59/91 – AP Nr. 58 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 2 a der Gründe; Urteil vom 12. September 1974 – 2 AZR 535/73 – AP
Nr. 1 zu § 44 TVAL II, zu II 3 c der Gründe, m.w.N.; KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB -Rz 47).
b) Aus Wortlaut und Zweck des § 15 NV Solo sind Anhaltspunkte für eine von den Tarifvertragsparteien gewollte Abweichung von § 626 BGB nicht zu entnehmen. § 15 NV Solo schließt die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung nicht aus. Die Aufzählung in § 15 Nr. 2 NV Solo ist ausweislich des Wortlauts „insbesondere” nicht erschöpfend.
Entgegen der Annahme des Bühnenoberschiedsgerichts folgt aus § 2 a Abs. 1 a TVM kein Ausschluß der außerordentlichen Kündigung wegen Theaterschließung. Nach dieser Vorschrift ist unter bestimmten Voraussetzungen bei Auflösung des Theaters ein Übergangsgeld zu zahlen. Es ist schon sehr fraglich, ob die Annahme des Bühnenoberschiedsgerichts zutrifft, dieser Anspruch auf Zahlung eines Übergangsgeldes bestehe nur, wenn die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses infolge Theaterschließung durch eine Nichtverlängerungsmitteilung erfolge. Der Wortlaut des § 2 a TVM gibt für eine solche Anspruchsvoraussetzung nichts her. Jedoch könnte selbst dann, wenn man annehmen wollte, bei einer durch Theaterschließung bedingten Beendigung mittels außerordentlicher Kündigung oder ordentlicher Kündigung des Arbeitgebers bestehe kein Anspruch auf Übergangsgeld, hieraus nicht geschlossen werden, daß eine solche Beendigung nicht möglich sei.
Der Ausschluß der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung wegen Theaterschließung folgt auch nicht aus § 2 Abs. 3 TVM. Danach ist zwar die Möglichkeit, einen befristeten Arbeitsvertrag durch sog. Nichtverlängerungsmitteilung zu beenden (§ 2 Abs. 1 TVM), nach 15 Spielzeiten und Erreichen des 58. Lebensjahres bzw. bei weiblichen Bühnenmitgliedern des 55. Lebensjahres auf eine Weiterbeschäftigung unter anderen Vertragsbedingungen bei demselben Theater beschränkt (§ 2 Abs. 3 Satz 2 TVM). § 2 TVM enthält damit aber lediglich Einschränkungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf und Nichtverlängerungsmitteilung, also Einschränkungen für die ordentliche Beendigung, gerade keine Einschränkungen für die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Liegt somit kein tariflicher Ausschluß der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung, dessen Wirksamkeit ohnehin problematisch wäre, vor, mußten die Tarifvertragsparteien entgegen der Auffassung des Bühnenoberschiedsgerichts auch nicht die gesonderte Möglichkeit einer solchen Kündigung schaffen.
2. Kommt, wie dargelegt, dem Begriff des wichtigen Grundes i.S.v. § 15 NV Solo dieselbe Bedeutung zu wie bei § 626 BGB, ist für das Vorliegen eines wichtigen Grundes auf die zu § 626 BGB entwickelten Anforderungen zurückzugreifen.
a) Danach rechtfertigen dringende betriebliche Erfordernisse in aller Regel nur eine ordentliche Kündigung, was sich aus § 1 Abs. 2 KSchG, dem ultima-ratio-Prinzip und dem Grundsatz ergibt, daß der Arbeitgeber nicht das Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer abwälzen darf; ausnahmsweise kommt nach ständiger Rechtsprechung eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung aber dann in Betracht, wenn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen und eine Versetzung in einen anderen Betrieb des Unternehmens nicht möglich ist (BAG Urteil vom 28. März 1985 – 2 AZR 113/84 – BAGE 48, 220, 225 = AP Nr. 86 zu § 626 BGB, zu B III 2 der Gründe, m.w.N.).
b) Die Beklagte war als Schauspielerin an den Staatlichen Schaupielbühnen beschäftigt; alle drei Theater wurden geschlossen. Eine ordentliche Kündigung war im Hinblick auf die jeweils zum Spielzeitende befristeten Arbeitsverträge nicht möglich (§ 620 BGB i.V.m. § 2 Abs. 1 TVM). Es ist nichts dafür ersichtlich, daß die Parteien von § 10 Ziff. 1 NV Solo Gebrauch gemacht und die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung vereinbart hätten. Auch eine ordentliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch Fristablauf und Nichtverlängerungsmitteilung war nicht möglich. Eine solche Nichtverlängerungsmitteilung mit dem Inhalt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses war bereits deshalb ausgeschlossen, weil gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 TVM nach 15 Jahren ununterbrochenem Bestehen des Arbeitsverhältnisses nur noch eine Nichtverlängerungsmitteilung mit dem Ziel der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu anderen Vertragsbedingungen – auch außerhalb des im Arbeitsvertrag angegebenen Theaters – zulässig ist. Zudem fiel die Beklagte zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges (28. September 1993) unter § 2 Abs. 3 Satz 2 TVM: Am 31. Juli 1993, an dem gemäß § 2 Abs. 2 TVM spätestens eine Nichtverlängerungsmitteilung zum 31. Juli 1994 (Spielzeitende) hätte zugehen müssen, war die Beklagte zwar noch nicht 55 Jahre alt und daher lediglich nach § 2 Abs. 3 Satz 1 TVM geschützt; an dem für § 2 Abs. 3 Satz 2 TVM maßgeblichen nächsten Zeitpunkt, in dem die Nichtverlängerungsmitteilung spätestens zugegangen sein mußte (31. Juli 1994), wäre die Beklagte jedoch bereits 55 Jahre alt gewesen. Da die Kündigung nicht-spätestens am 31. Juli 1993, sondern danach zuging, war die Beklagte somit auch nach § 2 Abs. 3 Satz 2 TVM geschützt. Eine ordentliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch Nichtverlängerungsmitteilung war also im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht mehr möglich.
Die vom Senat zur Möglichkeit der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung aufgestellten Grundsätze sind auch im vorliegenden Fall eines befristeten und daher ordentlich nicht kündbaren Arbeitsverhältnisses anwendbar, in dem eine Beendigung durch Fristablauf wegen tariflichen Altersschutzes ausscheidet. Damit lag entgegen der Auffassung des Bühnenoberschiedsgerichts ein an sich geeigneter Grund für eine außerordentliche Beendigungskündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB, § 15 NV Solo vor. Der Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts erweist sich jedoch aus einem anderen Grund als richtig (§ 563 ZPO).
3. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheidet eine außerordentliche Beendigungskündigung nach § 626 BGB regelmäßig dann aus, wenn die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz, auch zu schlechteren Bedingungen, und somit eine außerordentliche Änderungskündigung möglich ist (vgl. BAG Urteil vom 25. März 1976 – 2 AZR 127/75 – AP Nr. 10 zu § 626 BGB Ausschlußfrist; KR-Hillebrecht, a.a.O., Rz 197 ff., m.w.N.; zur unbestrittenen Zulässigkeit der außerordentlichen Änderungskündigung, vgl. KR-Rostr 4. Aufl., § 2 KSchG Rz 30, m.w.N.). Damit besteht für die Beurteilung der vorliegenden außerordentlichen Kündigung nicht die vom Bühnenschiedsgericht angenommene Regelungslücke und keine Notwendigkeit zu einer analogen Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 1 TVM, weil im Falle einer zumutbaren Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an einem anderen Theater die Beendigung bereits nach dem ultima-ratio-Grundsatz wegen des Vorranges der Änderungskündigung unwirksam wäre.
4. Insoweit haben die Vorinstanzen zutreffend angenommen, das Land habe nicht ausreichend dargelegt, daß mildere Mittel, insbesondere eine außerordentliche Kündigung mit dem Angebot einer Weiterbeschäftigung an einem anderen Theater, nicht in Betracht gekommen seien.
a) Da es sich beim Aufhebungsverfahren um ein revisionsähnliches Verfahren handelt, besteht grundsätzlich entsprechend § 561 Abs. 2 ZPO eine Bindung der Arbeitsgerichte an den vom Bühnenoberschiedsgericht festgestellten Sachvortrag; neues Vorbringen im Aufhebungsverfahren ist in der Regel nicht zulässig (vgl. BAG Urteil vom 31. Oktober 1963 – 5 AZR 283/62 – BAGE 15, 87, 97 = AP Nr. 11 zu § 101 ArbGG 1953, zu II 1 der Gründe; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 110 Rz 6). Maßgeblich für die Prüfung des wechselseitigen Parteivorbringens zur anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist somit der Prozeßstoff des bühnenschiedsgerichtlichen Verfahrens. Die Annahme des Bühnenoberschiedsgerichts, das Vorbringen des Landes zur anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit sei unsubstantiiert, beruht allerdings auf einer Wertung des Prozeßstoffes; sie ist daher keine den Senat bindende Tatsachenfeststellung i.S.v. § 561 Abs. 2 ZPO. Jedoch läßt die diesbezügliche vom Arbeitsgericht und vom Landesarbeitsgericht übernommene Würdigung des Bühnenoberschiedsgerichts keinen Rechtsfehler erkennen.
b) Das Vorbringen des Landes erschöpft sich letztlich darin, daß es erfolglos an alle Staatsbühnen und sonstigen Theater Berlins eine Liste aller Bühnenmitglieder der aufgelösten Theater versandt habe mit der Bitte zu prüfen, ob eines dieser Mitglieder an einem anderen Haus beschäftigt werden könne. Dies ist unzureichend.
Bestreitet der Arbeitnehmer im Falle einer betriebsbedingten Kündigung nur den Wegfall des Arbeitsplatzes, so reicht der allgemeine Vortrag des Arbeitgebers, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei nicht möglich, aus. Auf nähere Darlegungen des Arbeitnehmers, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, muß der Arbeitgeber aber eingehend erläutern, aus welchem Grund eine Beschäftigung auf einem entsprechenden Arbeitsplatz nicht möglich gewesen sei (BAG Urteil vom 24. März 1983 – 2 AZR 21/82 – BAGE 42, 151, 158 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 2 der Gründe, m.w.N.). Dabei genügt es für die Darlegungen des Arbeitnehmers, wenn er angibt, an welchen Betrieb er denkt und welche Art der Beschäftigung gemeint ist (vgl. BAG Urteil vom 24. März 1983 – 2 AZR 21/82 – BAGE 42, 151, 159 = AP, a.a.O.; ebenso für eine personenbedingte Kündigung Urteil vom 5. August 1976 – 3 AZR 110/75 – AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 3 b der Gründe); der Arbeitnehmer muß keinen freien Arbeitsplatz benennen (BAG Urteile vom 25. Februar 1988 – 2 AZR 500/87 – RzK I 5 c Nr. 26, zu B II 2 c dd der Gründe und vom 5. August 1976 – 3 AZR 110/75 – AP, a.a.O.).
Die Beklagte hat vorgetragen, das Land könne nicht überzeugend darlegen, daß es die Beklagte als bekannte Schauspielerin nicht an einer der zahlreichen anderen Staatlichen Bühnen beschäftigen könne; die Personalhoheit der Intendanten schließe dies nicht aus, da sie nur im Auftrage und in Vollmacht des Senators für Kulturelle Angelegenheiten ausgeübt werde. Damit hat die Klägerin Art und Ort der anderweitigen Tätigkeit hinreichend bestimmt benannt.
Demgegenüber sind die Darlegungen des Landes schon deshalb nicht ausreichend, weil sich aus ihnen nicht ergibt, daß keine für eine Weiterbeschäftigung der Beklagten geeigneten Arbeitsplätze vorhanden waren, von denen im Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhergesagt werden konnte, daß sie bis zum Ablauf der zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs einzuräumenden Auslauffrist frei würden (vgl. zur Berücksichtigung solch künftig frei werdender Arbeitsplätze BAG Urteil vom 15. Dezember 1994 – 2 AZR 327/94 – AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
c) Mit tariflichen Regelungen, die bei Erreichen eines bestimmten Alters und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit den Ausschluß der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung beinhalten, wird der besondere Schutz dieser Arbeitnehmergruppen bezweckt; diesem Schutzzweck würde es widersprechen, die nur ausnahmsweise und im Hinblick auf die ordentliche Unkündbarkeit zulässige außerordentliche betriebsbedingte Kündigung als fristlose zuzulassen und den besonders geschützten Arbeitnehmer somit schlechter zu stellen als jeden ordentlich kündbaren Arbeitnehmer. Daher ist es zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs dem Arbeitgeber in derartigen Fällen zuzumuten, den Arbeitsvertrag bis zum Ablauf der ordentlichen gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist fortzusetzen (BAG Urteil vom 28. März 1985 – 2 AZR 113/84 – BAGE 48, 220, 227 = AP Nr. 86 zu § 626 BGB, zu B IV 1 der Gründe; KR-Hillebrecht, a.a.O., Rz 207, jeweils m.w.N.).
Diese Grundsätze sind auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden, in dem die ordentliche Beendigung ebenfalls kraft Tarifrechts ausgeschlossen war. Es macht keinen Unterschied, ob es sich um einen befristeten oder einen unbefristeten Arbeitsvertrag handelt; der bezweckte Schutz vor ordentlicher Beendigung ist derselbe. Da die Beklagte aufgrund des Schutzzwecks von § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 TVM jedenfalls nicht schlechter stehen darf als ein nur acht Jahre beschäftigter Mitarbeiter, dem im Zeitpunkt der Kündigung gegenüber der Beklagten lediglich eine Nichtverlängerungsmitteilung zum 31. Juli 1995 hätte ausgesprochen werden können, ist auf diese Frist abzustellen. Der Hinweis des Landes auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Nichtverlängerungsmitteilung keine Kündigung sei, geht fehl. Das Bundesverwaltungsgericht hat lediglich angenommen, daß der Ausspruch einer Nichtverlängerungsmitteilung keine Kündigung in personalvertretungsrechtlichem Sinne sei und daher bei ihrem Ausspruch keine Beteiligung des Personalrates wie bei einer Kündigung erforderlich sei (BVerwG Beschluß vom 1. Oktober 1965 – VII P 14.64 – BVerwGE 22, 92 = AP Nr. 1 zu § 72 PersVG Rheinland-Pfalz). Folgerungen für die Länge der sozialen Auslauffrist können aus dieser Entscheidung nicht gezogen werden.
Bezogen auf in dem genannten Zeitraum vorhersehbar frei werdende Arbeitsplätze hat das Land eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Beklagte offensichtlich nicht einmal geprüft.
d) Im übrigen läßt sich aber dem Vorbringen des Landes schon bezogen auf die von ihm eingeräumte kürzere Auslauffrist nicht entnehmen, warum im einzelnen an den in Betracht zu ziehenden Theatern keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestand. Der Hinweis des Landes, es habe alle anderen Staatsbühnen angesprochen, reicht bereits deshalb nicht aus, weil detaillierte Antworten der Bühnen nicht wiedergegeben worden sind. Die bloße Angabe des Landes, es habe im Ergebnis dieser Befragung kein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden können, beinhaltet lediglich ein Pauschalvorbringen, das für die Beklagte im Hinblick auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an einem der Theater nicht weiter einlassungsfähig war. Abgesehen davon, daß das Land im Hinblick auf den tarifrechtlich starken Beendigungsschutz der Beklagten gegebenenfalls auch gehalten war, einen geeigneten Arbeitsplatz durch Nichtverlängerungsmitteilung gegenüber einem nicht besonders geschützten Schauspieler freizumachen, sind jedenfalls gesteigerte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers zur fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu stellen, wenn er sich von einem „unkündbaren” Arbeitnehmer durch eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen trennen will. Das Land hätte deshalb angesichts der von der Beklagten für eine Weiterbeschäftigung geäußerten Vorstellungen im einzelnen unter Erläuterung der Stellen- und Organisationspläne dartun müssen, weshalb eine Weiterbeschäftigung der Beklagten an einem der anderen Theater unmöglich oder jedenfalls unzumutbar gewesen sein soll. An einem solchen Vorbringen fehlt es, weshalb zu Lasten des Landes von entsprechenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten und damit von der Unwirksamkeit der streitigen Kündigung ausgegangen werden muß.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Engel, Dr. Kirchner
Fundstellen
Haufe-Index 1254436 |
NZA 1998, 833 |