Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergangenheitsbezogene Statusbeurteilung. Feststellungsinteresse. vergangenheitsbezogene Statusklage. Arbeitsverhältnis. freie Mitarbeit. Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst. abstrakte Klärung des Sozialstatus. abstrakte Klärung der Kündigungsfrist. Prozeßrecht
Orientierungssatz
- Begehrt der Kläger die Feststellung, daß ein nunmehr unstreitig begründetes Arbeitsverhältnis bereits in der Vergangenheit bestanden habe, richtet sich das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) nach den Grundsätzen der vergangenheitsbezogenen Statusklage.
- Hiernach bedarf das Feststellungsinteresse einer besonderen Begründung. Es ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn sich gerade aus dieser Feststellung Rechtsfolgen für Gegenwart oder Zukunft ergeben. Die bloße Möglichkeit des Eintritts solcher Folgen reicht nicht aus.
- Die Klärung des “Sozialstatus” oder der Kündigungsfrist für einen Folgeprozeß der Parteien begründet regelmäßig kein Feststellungsinteresse.
Normenkette
ZPO § 256; BAT § 19; KSchG §§ 9-10
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Mai 2001 – 10 Sa 1092/00 – aufgehoben, soweit es auf die Berufung der Klägerin festgestellt hat, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch im Zeitraum vom 3. September 1998 bis zum 31. August 1999 bestanden hat.
In diesem Umfange wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 16. März 2000 – 10 Ca 557/98 – zurückgewiesen.
- Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 3/4 und der Beklagten zu 1/4 auferlegt.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen auch schon in der Vergangenheit ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Die Beklagte betreibt in privater Trägerschaft eine Ausbildungsschule für Damenschneiderei und Modedesign. Die Klägerin war bei der Beklagten seit August 1995 als Lehrkraft für das Fach Schnittechnik tätig. Die Beschäftigung erfolgte nach den Vereinbarungen der Parteien im Rahmen einer freien Mitarbeit gegen eine Vergütung von 35,00 DM je Unterrichtsstunde. Ein schriftlicher Vertrag bestand nicht.
Nachdem sich die Parteien zu Beginn des Schuljahres 1998/99 über den Umfang des von der Klägerin zu erteilenden Unterrichts nicht einigen konnten, begehrte die Klägerin den Abschluß eines Arbeitsvertrags ab dem 1. September 1998. Im Oktober 1998 erhob die Klägerin die vorliegende Feststellungsklage, daß sie seit dem 1. Dezember 1995 in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stehe. Am 30. Juli 1999 schlossen die Parteien mit Wirkung ab dem 1. September 1999 einen Arbeitsvertrag. Danach erhielt die Klägerin für eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden entsprechend 34 Unterrichtsstunden eine monatliche Vergütung von 3.500,00 DM brutto. Darüber hinaus wurde eine Kündigungsfrist von “sechs Wochen zum Beginn der niedersächsischen Ferien am Ende des Schuljahres” vereinbart. Eine verspätet zugegangene Kündigung sollte als Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt gelten.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2001 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 27. Juni 2001. Hiergegen hat die Klägerin noch im Mai 2001 Kündigungsschutzklage erhoben. In diesem Rechtsstreit hat die Beklagte einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG gestellt. Die Klägerin hat klageerweiternd Vergütungsansprüche für die Monate Juni 2001 bis Januar 2002 geltend gemacht. Das Verfahren ist durch Beschluß des Arbeitsgerichts bis zum rechtskräftigen Abschluß des vorliegenden Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO ausgesetzt.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei bereits im Zeitraum vom 1. Dezember 1995 bis zum 31. August 1999 bei der Beklagten als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Ihre Beschäftigung als “freie Mitarbeiterin” sei auf Veranlassung und Druck der Beklagten so vereinbart worden. In Wahrheit habe es sich um ein Arbeitsverhältnis gehandelt. Der Umfang des Unterrichts und die Stundenpläne seien nicht abgesprochen, sondern von der Beklagten einseitig angeordnet worden.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß sie seit dem 1. Dezember 1995 als angestellte Lehrerin in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stehe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klägerin habe vor dem 1. September 1999 in keinem Arbeitsverhältnis gestanden. Die Vereinbarung eines freien Mitarbeiterverhältnisses sei auf ausdrücklichen Wunsch der Klägerin erfolgt. Die zeitliche Lage und der Umfang des Unterrichts seien nicht vorgegeben gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung teilweise abgeändert und festgestellt, daß zwischen den Parteien seit dem 3. September 1998 ein Arbeitsverhältnis bestehe. Hiergegen richten sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen beider Parteien. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die vollständige Abweisung des Feststellungsantrags. Die Klägerin will, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, weiterhin die Feststellung erreichen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits seit dem 1. Dezember 1995 bis zum 31. August 1999 (und nicht erst – wie von der Beklagten vertreten – seit dem 1. September 1999) bestanden habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet, die Revision der Klägerin unbegründet. Der Feststellungsantrag der Klägerin ist insgesamt unzulässig. Der Klage fehlt es an dem gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse.
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
- Das besondere Feststellungsinteresse des § 256 Abs. 1 ZPO muß als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, gegeben sein. Sein Vorliegen ist von Amts wegen zu prüfen. Dabei hat das Gericht den Sachverhalt nicht selbständig zu untersuchen. Vielmehr hat der Kläger die erforderlichen Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (vgl. nur BAG 21. Juni 2000 – 5 AZR 782/98 – BAGE 95, 141, 144; 17. Oktober 2001 – 4 AZR 720/00 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 65 = EzA ZPO § 256 Nr. 58; 17. April 2002 – 5 AZR 458/00 – nv.).
- Der Senat hat gegenwartsbezogene Klagen von Beschäftigten auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses in ständiger Rechtsprechung als zulässig angesehen. Das Interesse an einer alsbaldigen Feststellung ergibt sich hier daraus, daß bei einem Erfolg der Klage die zwingenden gesetzlichen Vorschriften, die ein Arbeitsverhältnis gestalten, auf das Vertragsverhältnis der Parteien unabhängig von den getroffenen Vereinbarungen anzuwenden sind, und zwar sofort und nicht erst in Zukunft. Darauf, ob über einzelne Bedingungen des Vertragsverhältnisses Streit besteht, kommt es nicht an. Solange das Rechtsverhältnis nicht wirksam beendet ist, kann die Statusfrage jederzeit zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden. Jedenfalls dann, wenn sich die gegenwärtigen tatsächlichen Umstände seit Vertragsbeginn nicht geändert haben, bedarf es auch keines gesonderten Feststellungsinteresses für einen bis dahin zurückreichenden Klageantrag (BAG 15. Dezember 1999 – 5 AZR 457/98 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 59 = EzA ZPO § 256 Nr. 2; 15. Dezember 1999 – 5 AZR 3/99 – BAGE 93, 112, 118).
- Dagegen bedarf das Interesse an der Feststellung, ein vergangenes Rechtsverhältnis sei ein Arbeitsverhältnis gewesen, einer besonderen Begründung. Die Erwägungen, mit denen das Rechtsschutzbedürfnis für gegenwartsbezogene Feststellungsklagen zu bejahen ist, treffen auf Klagen, die auf Feststellung eines bereits beendeten Rechtsverhältnisses gerichtet sind, nicht zu. Bei beendeten Vertragsverhältnissen ist in aller Regel klar erkennbar, welche Ansprüche noch im Raum sind. Das Feststellungsinteresse ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn sich gerade aus dieser Feststellung Rechtsfolgen für Gegenwart oder Zukunft ergeben. Die bloße Möglichkeit des Eintritts solcher Folgen reicht nicht aus. Mit der Feststellung des Arbeitsverhältnisses muß vielmehr zugleich feststehen, daß eigene Ansprüche des Klägers gerade aus dem Arbeitsverhältnis zumindest dem Grunde nach noch bestehen oder gegnerische Ansprüche zumindest in bestimmtem Umfang nicht mehr gegeben sind. Anderenfalls könnte die Feststellungsklage weder dem Rechtsfrieden noch der Prozeßökonomie dienen (BAG 15. Dezember 1999 – 5 AZR 457/98 – aaO; 21. Juni 2000 aaO, S 144 f.; 17. April 2002 aaO).
- Bei dem Antrag der Klägerin handelt es sich weder um eine gegenwartsbezogene, noch um eine rein vergangenheitsbezogene Klage im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Senats. Der Antrag ist nicht ausschließlich auf ein vergangenes Rechtsverhältnis bezogen, weil das 1999 begründete Arbeitsverhältnis nicht unstreitig beendet ist. Er ist aber auch nicht auf die Feststellung gerichtet, daß im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ein Arbeitsverhältnis bestehe, sondern darauf, daß in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bereits ein – noch fortbestehendes – Arbeitsverhältnis bestanden habe. Das Feststellungsinteresse für derartige Klagen ist nach den Grundsätzen der vergangenheitsbezogenen Statusklagen zu beurteilen. Es folgt nicht wie bei gegenwartsbezogenen Klagen bereits daraus, daß die zwingenden gesetzlichen Vorschriften anzuwenden sind, die ein Arbeitsverhältnis gestalten. Deren Geltung steht nur noch für die Vergangenheit in Streit. Aufgrund des Arbeitsvertrags vom 30. Juli 1999 hat die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren für die Zeit ab dem 1. September 1999 erreicht. Es bedarf deshalb eines gesondert darzulegenden Feststellungsinteresses, weshalb in dem zwischen den Parteien streitigen vergangenen Zeitraum schon ein Arbeitsverhältnis bestanden haben soll.
- Leistungsansprüche aus dem streitigen Zeitraum behauptet die Klägerin selbst nicht.
Das erforderliche Feststellungsinteresse ist nicht nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Feststellung der Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst gegeben.
- Die Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst ist nicht lediglich eine Vorfrage, von der tarifliche Ansprüche abhängen, wie zB die Lohnstufen, die Sicherung des Lohnstandes bei Leistungsminderung, die Dauer der Gewährung von Krankenbezügen, die Jubiläumszuwendung, die Kündigungsfristen oder der Eintritt der Unkündbarkeit. Sie prägt vielmehr den Status des Angestellten und ist für eine Anzahl von Ermessensentscheidungen des Arbeitgebers, zB über die dienstliche Verwendung, die Heranziehung zu Vertretungen, die Zuteilung des Arbeitsplatzes oder die Berücksichtigung im Urlaubsplan von Bedeutung (vgl. etwa BAG 25. Oktober 2001 – 6 AZR 718/00 – AP BMT-G II § 6 Nr. 1 = EzA ZPO § 256 Nr. 62).
- Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterliegt demgegenüber weder dem BAT noch dem BMT-G II noch sonstigen Tarifverträgen. Die Betriebszugehörigkeit hat im Arbeitsverhältnis der Parteien keine dem öffentlichen Dienst vergleichbare Bedeutung. Der Arbeitsvertrag der Klägerin sieht keine dem § 19 BAT entsprechenden Regelungen vor.
- Die Klägerin hat sich nicht ausdrücklich auf mögliche Auswirkungen der Dauer der Betriebszugehörigkeit auf ihren sozialen Status berufen. Lediglich das Berufungsgericht hat hierauf abgestellt. Zudem hat das Arbeitsgericht Hannover in der Begründung des Aussetzungsbeschlusses (2 Ca 327/01) darauf abgehoben, die Dauer der Betriebszugehörigkeit gehöre zur Bemessungsgrundlage der Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG. Selbst wenn man annimmt, daß die Klägerin sich diese Begründungen zu eigen gemacht habe, begründet dies kein Feststellungsinteresse. Jedenfalls außerhalb des öffentlichen Dienstes, der Geltung vergleichbarer Tarifwerke oder vergleichbar umfangreicher Arbeitsverträge besteht kein Grund, den Sozialstatus abstrakt klären zu lassen. Sofern es im Kündigungsrechtsstreit auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit überhaupt ankommen sollte, wird dort über diese Vorfrage zu entscheiden sein.
Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich ebensowenig daraus, daß die Dauer des Arbeitsverhältnisses Auswirkungen auf die Kündigungsfrist haben kann.
- Zwar können von der Klärung des Bestands eines Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit, zB bei Streit über die zutreffende Kündigungsfrist, Leistungsansprüche abhängen, was ein Feststellungsinteresse begründet, wenn nicht eine Leistungsklage vorrangig geboten ist (BAG 17. April 2002 aaO, zu 1 der Gründe). Die Klägerin hat aber wegen von der Kündigungsfrist abhängiger Leistungsansprüche kein gesondertes Feststellungsinteresse, da sie die Vergütungsansprüche für Juni 2001 bis Januar 2002 bereits eingeklagt hat. Ein weitergehendes Interesse an der begehrten Feststellung hat sie nicht dargelegt. Ein solches ist auch nicht ersichtlich. Die Leistungsklage führt zu einer endgültigen Klärung des Bestehens etwaiger Vergütungsansprüche und ggf. zu einem vollstreckbaren Titel.
- Ein von den möglichen Leistungsansprüchen unabhängiges Feststellungsinteresse besteht nicht. Denn bei der Kündigungsfrist handelt es sich um eine abstrakte Rechtsfrage. Eine Entscheidung hierüber würde die Erstellung eines Rechtsgutachtens durch das Gericht bedeuten. Die ggf. einzuhaltende Kündigungsfrist stellt allenfalls eine Vorfrage sonstiger Ansprüche dar (vgl. BAG 25. Oktober 2001 aaO, zu B I 1 der Gründe).
- Hinzu kommt, daß im vorliegenden Fall die Feststellung des Zeitpunkts des Beginns des Arbeitsverhältnisses nicht geeignet ist, die maßgebliche Kündigungsfrist abschließend zu bestimmen. Es handelt sich um ein bloßes Element des im Wege der Vertragsauslegung zu bestimmenden Beendigungstermins. Hierzu sind zunächst die Tatsachengerichte im Kündigungsrechtsstreit berufen (vgl. BAG 4. Juli 2001 – 2 AZR 469/00 – DB 2002, 96; Diller NZA 2000, 293, 296).
- Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1, § 91 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. Unter Einbeziehung der vom Landesarbeitsgericht rechtskräftig erledigten Klageanträge hat die Klägerin zu 1/4 obsiegt. Sie hat deshalb 3/4 der übrigen Kosten des Rechtsstreits, die Beklagte das restliche Viertel zu tragen (§ 92 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Heel, Steinmann
Fundstellen
ARST 2003, 263 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 9 |
EzA |