Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von Krankenbezügen nach Rentenbewilligung. Rückforderung von Krankenbezügen nach Rentenbewilligung. befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Kenntnis vom Rentenbescheid. Vorschussfiktion. Anspruchsübergang auf den Arbeitgeber
Orientierungssatz
- Nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 1 Buchst. b BAT werden Krankenbezüge nicht über den Zeitpunkt hinaus gezahlt, von dem an der Angestellte Bezüge auf Grund eigener Versicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Hierunter fällt auch die befristet gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Nur der unabdingbare Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs Wochen nach den §§ 3, 12 EntgeltfortzahlungsG bleibt bestehen.
- Nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT gelten überzahlte Krankenbezüge als Vorschüsse auf die zustehenden Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dadurch ist abschließend bestimmt, dass der Angestellte insgesamt zur Rückzahlung von Krankenbezügen verpflichtet ist, auf die er keinen Anspruch hat. Das gesetzliche Bereicherungsrecht findet daneben keine Anwendung.
- Nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT können auch diejenigen Krankenbezüge als Vorschüsse zurückgefordert werden, die der Arbeitgeber nach Kenntnis des Rentenbescheids geleistet hat.
- Der Angestellte kann dem Rückforderungsanspruch nicht den Anspruchsübergang auf den Arbeitgeber nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 3 BAT entgegensetzen, soweit § 53 Abs. 4 SGB I eingreift. Hiernach ist der Rentenversicherungsträger zur Auszahlung an den Arbeitgeber nicht vor Ablauf des Monats verpflichtet, der dem Monat folgt, in dem er von der Übertragung des Anspruchs Kenntnis erlangt hat.
Normenkette
BAT §§ 59, 70-71; EntgeltfortzahlungsG §§ 3, 12; BGB § 814; SGB I § 53
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung von Krankenbezügen.
Die im Jahre 1960 geborene Klägerin ist seit dem 15. Juli 1991 als Krankenschwester bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 25. Juli 1991 zugrunde. Danach bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen.
Die Klägerin war vom 28. Oktober 2003 bis zum 16. April 2004 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte für diese Zeit Krankenbezüge. Auf den Zeitraum vom 9. Dezember 2003 bis zum 16. April 2004 entfielen 6.759,72 Euro netto.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2004 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin auf deren Antrag vom 26. Juli 2002 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis zum 30. Juni 2004. Der Bescheid ging der Beklagten am 2. Februar 2004 zu. Danach erhielt die Klägerin ab dem 1. März 2004 eine monatliche Rentenzahlung iHv. 286,70 Euro. Die BfA behielt die Nachzahlung für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis zum 29. Februar 2004 iHv. 7.119,59 Euro vorläufig ein und überwies der Klägerin am 24. Februar 2004 unter Berücksichtigung der Erstattungsansprüche der Krankenkasse insoweit 3.269,41 Euro. Den Antrag der Beklagten vom 8. Juni 2004 auf Erstattung der Krankenbezüge lehnte sie mit der Begründung ab, bei Bescheiderteilung sei der Erstattungsanspruch noch nicht geltend gemacht und nicht ersichtlich gewesen, dass die Klägerin Leistungen bezogen habe.
Die Beklagte forderte mit Schreiben vom 3. September 2004 und 25. Oktober 2004 die Krankenbezüge für die Zeit vom 9. Dezember 2003 bis zum 16. April 2004 iHv. 6.759,72 Euro zurück.
Die Klägerin hat geltend gemacht, für die Rückforderung der Beklagten bestehe keine Rechtsgrundlage. § 71 Abs. 2 BAT finde auf die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung keine Anwendung. Das gelte jedenfalls für die Zeit ab dem Erhalt des Rentenbescheids. Insoweit greife § 814 BGB ein. Zumindest sei der Anspruch verfallen.
Die Klägerin hat – soweit in der Revision noch von Interesse – beantragt
festzustellen, dass ein Anspruch der Beklagten auf Rückforderung von Bezügen iHv. 6.759,72 Euro netto nicht besteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und sich auf § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 BAT berufen. Die Ausschlussfrist sei eingehalten. Es bestehe keine tarifliche Pflicht, von der Rückforderung ganz oder teilweise abzusehen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass die Forderung der Beklagten in Höhe eines Betrags von 3.863,58 Euro (Entgeltfortzahlung für die Zeit ab dem 1. Februar 2004) nicht bestehe, und die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur vollen Zurückweisung der Berufung der Klägerin. Die Klage ist auch insoweit unbegründet, wie ihr das Landesarbeitsgericht stattgegeben hat.
I. Der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung geleisteter Krankenbezüge besteht auch für die Zeit vom 1. Februar bis zum 16. April 2004.
1. Auf Grund der Dauer des Arbeitsverhältnisses der Parteien richten sich die Ansprüche der Klägerin auf Krankenbezüge im Streitzeitraum nach § 71 BAT.
2. Nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 1 Buchst. b BAT werden Krankenbezüge nicht über den Zeitpunkt hinaus gezahlt, von dem an der Angestellte Bezüge auf Grund eigener Versicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält. Entsprechend dem eindeutigen Wortlaut, dem tariflichen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Vorschrift fällt hierunter auch die befristet gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Diese führt zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses (§ 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 BAT). Das haben die Vorinstanzen im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (23. Juni 2004 – 7 AZR 440/03 – BAGE 111, 148) überzeugend dargelegt. Nur der unabdingbare Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs Wochen nach den §§ 3, 12 EntgeltfortzahlungsG bleibt bestehen (BAG 29. Juni 2000 – 6 AZR 50/99 – AP BAT § 37 Nr. 11, zu B II 2 der Gründe), der im Streitfalle aber nicht berührt ist. Danach sind die Krankenbezüge der Klägerin ab dem 9. Dezember 2003 überzahlt worden. Gegen diese Beurteilung der Rechtslage als Ausgangspunkt für die weitere Rechtsprüfung wendet sich die Klägerin in der Revision nicht mehr.
3. Nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT gelten überzahlte Krankenbezüge als Vorschüsse auf die zustehenden Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Dadurch ist abschließend bestimmt, dass der Angestellte insgesamt zur Rückzahlung von Krankenbezügen verpflichtet ist, auf die er keinen Anspruch hat. Der Rückzahlungsanspruch beruht auf dem Tarifvertrag und nicht auf den Bestimmungen der §§ 812 ff. BGB. Das gesetzliche Bereicherungsrecht findet neben § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT keine Anwendung (BAG 25. Februar 1993 – 6 AZR 334/91 – BAGE 72, 290, 292 ff.; 30. September 1999 – 6 AZR 130/98 – AP BAT § 71 Nr. 1, zu 1 a, c der Gründe; 11. Oktober 2006 – 5 AZR 755/05 –, zu I 2 der Gründe).
4. Nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT können auch diejenigen Krankenbezüge als Vorschüsse zurückgefordert werden, die nach Kenntnis des Rentenbescheids geleistet worden sind. Der gegenteiligen Auffassung des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
a) Der Wortlaut der Tarifnorm differenziert nicht. Nach ihm gelten die überzahlten Krankenbezüge ohne Einschränkung als Vorschüsse. Auch ein bewusst überzahlter Betrag wird überzahlt. Ein Vorschuss auf Rentenleistungen setzt begrifflich nicht voraus, dass noch kein Rentenbescheid bekannt ist.
b) Für eine einschränkende, auf die Kenntnis des Arbeitgebers vom Rentenbescheid abstellende Auslegung finden sich im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes keine Anhaltspunkte.
c) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, der Grund für die tarifliche Regelung bestehe darin, für den nachträglichen Wegfall des Rechtsgrundes der Leistung Vorsorge zu treffen. Der im Vordergrund stehende Zweck der Vorschrift erfordert aber nicht eine allein hierauf gerichtete einschränkende Auslegung. Auch nach Vorlage und Kenntnisnahme des Rentenbescheids ist es keineswegs sinnlos, dem Arbeitnehmer die Krankenbezüge oder sonstige Bezüge vorläufig zu belassen. Die Nachzahlung der Rentenleistungen erfolgt vielfach erst später, so dass zu Lasten des Arbeitnehmers Zahlungslücken entstehen können. Angesichts der klaren tariflichen Vorschussregelung besteht kein Zwang zu einer sofortigen mit Risiken verbundenen Einstellung der Zahlungen. Der Arbeitnehmer weiß, dass das Arbeitsverhältnis ruht und er die Krankenbezüge nicht als solche auf Dauer behalten kann, sondern dass eine Verrechnung stattfinden wird. Ohnehin sind die Krankenbezüge zeitlich begrenzt. Diesem Sinn der Vorschrift entspricht es, Streit darüber zu vermeiden, wann der Arbeitgeber vom Rentenbescheid Kenntnis erlangt hat, welche Personen hierfür maßgebend sind und wie lange Zeit ggf. für die Einstellung oder gar das Anhalten von Zahlungen gewährt werden muss. Solche Streitigkeiten sind in § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT nicht angelegt.
d) § 814 BGB findet danach im Streitfall keine Anwendung. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, es gebe keine Anhaltspunkte für einen Vorbehalt der Rückforderung, oder ob nicht die Klägerin damit rechnen musste, die Beklagte wolle § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 2 BAT anwenden.
5. Die Klägerin kann die Beklagte nicht wegen eines Teils der Rückzahlungsforderung an die BfA verweisen. Die Auffassung, der Rentenanspruch der Klägerin sei gem. § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 3 BAT auf die Beklagte übergegangen, weshalb die Beklagte diesen Anspruch erfüllt habe, trifft nicht zu. Ob die Entgeltfortzahlung wegen der Vorschussfiktion eine Erfüllung des Rentenanspruchs bei dessen Fälligkeit bewirken kann, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls greift die Verweisung des § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 3 Halbs. 2 BAT auf § 53 SGB I ein. Nach § 53 Abs. 4 SGB I ist der Leistungsträger zur Auszahlung an den neuen Gläubiger nicht vor Ablauf des Monats verpflichtet, der dem Monat folgt, in dem er von der Übertragung des Anspruchs Kenntnis erlangt hat. Die BfA war deshalb zur Auszahlung der Rentenbeträge aus dem Streitzeitraum an die Beklagte nicht verpflichtet, denn sie erlangte von dem Anspruchsübergang erst durch das Schreiben der Beklagten vom 8. Juni 2004 Kenntnis. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihrerseits den Rentenanspruch durch Zahlung an die Klägerin erfüllt. § 53 Abs. 4 SGB I ist die gegenüber § 407 Abs. 1, § 412 BGB speziellere Vorschrift.
6. Die Beklagte war nicht verpflichtet, nach § 71 Abs. 2 Unterabs. 5 Satz 4 BAT von der Rückforderung abzusehen. Sie durfte die Entscheidung hierüber nach freiem Ermessen treffen (vgl. BAG 30. September 1999 – 6 AZR 130/98 – AP BAT § 71 Nr. 1, zu 5b der Gründe). Erhebliche Fehler hat die Klägerin nicht dargelegt. Gegen die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts wendet sich die Klägerin in der Revision auch nicht mehr.
7. Der Anspruch ist nicht auf Grund der Ausschlussfrist von sechs Monaten nach § 70 BAT verfallen. Die Geltendmachung vom 3. September 2004 war auch hinsichtlich der Überzahlung vom 27. Februar 2004 (vgl. § 36 Abs. 1 BAT) rechtzeitig, da sich die Erstattungsforderung der Beklagten erst aus dem Schreiben der BfA vom 15. Juli 2004 ergab. Die Kenntnis vom Vorschusscharakter der Zahlung ändert daran nichts. Auch hiergegen erhebt die Klägerin in der Revision keine Einwände mehr.
II. Die Klägerin hat gem. §§ 91, 97 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Laux, Heel, Rolf Steinmann
Fundstellen
Haufe-Index 1727162 |
FA 2007, 278 |
NZA 2007, 1007 |
ZTR 2007, 606 |
AP, 0 |
EzA-SD 2007, 16 |
PersV 2007, 416 |
ZMV 2007, 324 |
HzA aktuell 2007, 3 |