Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsausschluß bei Arbeitsunfall. Schadensersatz wegen eines Arbeitsunfalls. Haftungsausschluß für Personenschäden. vorsätzliches Herbeiführen eines Versicherungsfalls. Schadensersatz
Leitsatz (amtlich)
An den Grundsätzen der Rechtsprechung zum Umfang des Vorsatzes bei der Haftungsbeschränkung für Personenschäden auf Grund von Arbeitsunfällen wird auch unter den ab 1. Januar 1997 an die Stelle der §§ 636, 637 RVO getretenen §§ 104, 105 SGB VII festgehalten.
Orientierungssatz
Der Haftungsausschluß nach §§ 104 ff. SGB VII entfällt – wie nach bisherigem Recht – nur dann, wenn der Vorsatz des Schädigers sowohl die Verletzungshandlung als auch den Verletzungserfolg erfaßt.
Normenkette
SGB VII §§ 104-105, 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 110 Abs. 1; BGB §§ 276, 831
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 23. November 2001 – 9 Sa 175/01 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten dem Kläger Schadensersatz wegen eines vom Kläger am 16. August 1999 erlittenen Arbeitsunfalls zu leisten haben.
Der Kläger ist bei dem Beklagten zu 1), der einen baugewerblichen Betrieb unterhält, als Schlosser beschäftigt. Der Beklagte zu 2) ist als Arbeitskollege des Klägers ebenfalls bei dem Beklagten zu 1) beschäftigt.
Im Sommer 1999 wurde der Beklagte zu 1) beauftragt, auf der Baustelle B… eine Stahlbauhalle zu errichten. Es sollten ua. Montagearbeiten an Stahlträgern unterhalb der Dachkonstruktion in einer Höhe von sechs Metern ausgeführt werden. Zu diesem Zweck mietete der Beklagte zu 1) einen Teleskopstapler mit Arbeitskorb von der I… GmbH & Co. KG, die einen solchen am 3. August 1999 anlieferte. Der gelieferte Teleskopstapler war nicht geeignet, in Verbindung mit einem Arbeitskorb als Arbeitsplattform benutzt zu werden. Der Arbeitskorb konnte nicht absturzsicher an dem Teleskoparm befestigt werden. Technische Vorrichtungen, die das Abkippen der Gabel hätten verhindern können, waren nicht vorhanden. Das vermietete Hubfahrzeug war nicht als Arbeitsbühne zugelassen. Mitarbeiter der I… GmbH & Co. KG erklärten dem Beklagten zu 2), der einen Fahrausweis für motorisch angetriebene Flurförderfahrzeuge im innerbetrieblichen Werksverkehr besitzt und Baustellenleiter dieser Baustelle war, wie der gelieferte Teleskopstapler zu bedienen sei. Der Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) kontrollierten bei der Anlieferung nicht, ob Mängel an dem gelieferten Teleskopstapler vorhanden waren oder ob der gelieferte Gabelstapler für die beabsichtigte Nutzung geeignet und zugelassen war. Der gelieferte Teleskopstapler wurde vom 3. August 1999 bis zum 16. August 1999 eingesetzt.
Am 16. August 1999 erledigte der Kläger auf der genannten Baustelle Montagearbeiten unterhalb der Dachkonstruktion. Zu diesem Zweck stand er in dem hochgefahrenen Arbeitskorb des Teleskopstaplers, den der Beklagte zu 2) steuerte. Die am Teleskopstapler vorhandenen Stützen waren nicht ausgefahren. Als der Beklagte zu 2) den Steuerungshebel bedienen wollte, griff er irrtümlich nach dem Kipphebel. Dies führte dazu, daß der Arbeitskorb kippte, sich vom Arm löste und der Kläger aus einer Höhe von drei Metern zu Boden stürzte. Durch den Sturz erlitt der Kläger eine Oberarmschaftfraktur rechts und eine Radialisschädigung. Der genaue Umfang des Körperschadens, insbesondere ob dadurch ein Dauerschaden verursacht worden ist, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 17. März 2000 erklärte der Haftpflichtversicherer der I… GmbH & Co. KG sich gegenüber dem Kläger bereit, in eine Regulierung “berechtigter Schadensersatzansprüche mit einer Quote von 50 % einzutreten”. Die zuständige Berufsgenossenschaft hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt. Die Staatsanwaltschaft hat das gegen den Beklagten zu 2) geführte Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung mangels öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eingestellt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagten seien verpflichtet, die restlichen 50 % des Lohnausfalls zu zahlen, der durch seine Verletzung am 16. August 1999 entstanden sei und auf Grund seiner noch andauernden Erkrankungen entstehen werde. Mit der Klage hat er die hälftige Differenz zwischen Lohnanspruch und Krankengeld (330,21 DM) für die Zeit von September 1999 bis August 2000 und den Zukunftsschaden geltend gemacht. Er hat gemeint, der Beklagte zu 1) hafte für das schuldhafte Verhalten des Beklagten zu 2), da dieser gegenüber dem Beklagten zu 1) einen Freistellungsanspruch geltend machen könne; der Beklagte zu 2) hafte auf Grund seines vorsätzlichen Verhaltens unmittelbar. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, der Beklagte zu 2) sei nicht im Besitz eines Führerscheins für Gabelstapler, die mit einem Arbeitskorb bedient werden. Am Tag des Unfalls habe der Kläger den Beklagten zu 2) mehrfach aufgefordert, die seitlichen Stützen am Gabelstapler herauszufahren; der Beklagte zu 2) habe gemeint, dies sei nicht notwendig. Unmittelbar vor dem Unfall habe der Beklagte zu 2) angesetzt rückwärts zu fahren und seinen Kopf gedreht, um rückwärts zu sehen. Auf den Zuruf des Klägers, den Arbeitskorb herunterzufahren, habe der Beklagte zu 2) nicht reagiert.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 3.962,52 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
- festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner 50 % derjenigen seit dem September 2000 entstandenen materiellen Schäden zu zahlen haben, die dem Kläger auf Grund des Arbeitsunfalls vom 16. August 1999 künftig entstehen und nicht von dritter Seite gezahlt werden.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen, ihrer Haftung stehe der Haftungsausschluß der §§ 104, 105 SGB VII für Personenschäden bei Arbeitsunfällen entgegen. Sie haben die Auffassung vertreten, der Beklagte zu 2) habe jedenfalls nicht vorsätzlich gehandelt. Hierzu behaupten sie, der Beklagte zu 2) habe nach Beendigung der Arbeiten an der Montagestelle den Arbeitskorb herunterfahren wollen, dabei habe er versehentlich den falschen Hebel bedient. Eine etwaige Haftung wäre ohnehin gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen, da der Beklagte zu 2) jedenfalls den Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt habe. Für eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls sei nicht ausreichend, wenn sich das Wissen und Wollen des Schädigers allein auf die Handlung beziehe. Der Vorsatz müsse auch auf den Schaden gerichtet sein. Der Kläger habe Umstände, die ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln des Beklagten zu 2) begründeten, nicht vorgetragen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß er die eingetretenen Folgen billigend in Kauf genommen habe. Ebensowenig sei ein Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Beklagten zu 1) gegeben. Vorsätzliches Handeln des Beklagten zu 1) habe der Kläger nicht vorgetragen. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Beklagte zu 1), selbst wenn er die Gefahr erkannt haben sollte, daß ein Arbeitnehmer auf Grund des Nichtvorliegens einer Kippsicherung geschädigt werden könne, diese Folge durch den Einsatz des gelieferten Teleskopstaplers billigend in Kauf genommen habe.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Den Klageansprüchen steht der Haftungsausschluß nach §§ 104, 105 SGB VII entgegen.
Unterschriften
Hauck, Dr. Wittek, Laux, Dr. E. Vesper, Lorenz
Fundstellen
Haufe-Index 893653 |
BAGE 2004, 92 |
DB 2003, 724 |
NJW 2003, 1890 |
ARST 2003, 199 |
FA 2003, 125 |
FA 2003, 142 |
JR 2003, 262 |
NZA 2003, 436 |
ZTR 2003, 250 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 19 |
EzA |
NZS 2003, 606 |
PERSONAL 2003, 55 |
VersR 2003, 740 |
ArbRB 2003, 141 |
RdW 2003, 406 |
BAGReport 2003, 107 |