Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Sozialauswahl. Herausnahme von “Leistungsträgern” aus der Sozialauswahl. Interessenausgleich mit Namensliste. “Leistungsträgerregelung”. Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG. grobe Fehlerhaftigkeit nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG aF. Kündigungsschutz
Leitsatz (amtlich)
Bei der Herausnahme von “Leistungsträgern” aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG in der vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung muß der Arbeitgeber das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen.
Orientierungssatz
- Die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG bezieht sich auch auf die Gründe für die Ausklammerung einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aF (Bestätigung von BAG 10. Februar 1999 – 2 AZR 716/98 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 38).
- Bei der Herausnahme von “Leistungsträgern” aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG in der vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung muß der Arbeitgeber das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen.
- Ob der Maßstab der “groben Fehlerhaftigkeit” nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG auch auf die Auswahl der “Leistungsträger” nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aF anzuwenden ist, bleibt offen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3 S. 2, Abs. 5 S. 2 a.F., Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Mai 2000 – 15 Sa 2396/98 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 18. Juni 1998 – 2 Ca 83/98 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der 1956 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er trat am 1. Dezember 1978 in die Dienste der Beklagten, die ein Unternehmen der Druckindustrie betreibt. Der Kläger war zuletzt als Offsetkopierer in der Vorstufe (Offsetvorbereitung) bei einer durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung von 4.000,00 DM tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 100 Arbeitnehmer.
Am 16. Februar 1998 schloß die Beklagte mit dem bei ihr gewählten Betriebsrat einen “Interessenausgleich und Sozialplan”. Die darin enthaltene Namensliste weist insgesamt zwölf zu entlassende Mitarbeiter aus, darunter auch den Kläger.
Die Beklagte hat von 13 Mitarbeitern der Offsetvorbereitung zehn Mitarbeiter als “Leistungsträger” angesehen und nicht in die Sozialauswahl einbezogen. Soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse lauten die dem Betriebsrat mitgeteilten Sozialdaten wie folgt:
A. F., geboren 11.5.1971, Eintritt 1.8.1989, nicht verheiratet, Steuerklasse I. Ausbildung: Druckvorlagenherstellerin, Tätigkeit: Druckvorlagenherstellerin
R. H., geboren 1.12.1958, Eintritt 7.10.1985, nicht verheiratet, Steuerklasse I, Ausbildung: Schriftsetzer, Tätigkeit: Offsetmontierer
J. Ru., geboren 5.9.1963, Eintritt 9.6.1986, nicht verheiratet, Steuerklasse I, Ausbildung: Kraftfahrzeugmechaniker, Tätigkeit: Offsetmontierer
T. R., geboren: 21.5.1959, Eintritt 10.6.1985, verheiratet, Steuerklasse III/0, Ausbildung: Kraftfahrzeugschlosser, Tätigkeit: Offsetkopierer
K. P. (der Kläger), geboren: 10.9.1956, Eintritt 1.12.1978, verheiratet, Steuerklasse III/1,5, Ausbildung: Radio-/Fernsehtechniker, Tätigkeit: Offsetkopierer.
Alle genannten Mitarbeiter erhielten Vergütung nach der Lohngr. V des Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 12. Juli 1971.
Mit Schreiben vom 16. Februar 1998, das dem Kläger nach Abschluß von Interessenausgleich und Sozialplan ausgehändigt wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. August 1998.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe die Mitarbeiter F., H., Ru. und R. in die Sozialauswahl einbeziehen müssen. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergebe sich nicht, daß die Weiterbeschäftigung dieser Mitarbeiter im berechtigten betrieblichen Interesse liege (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aF). Ihre Herausnahme aus der Sozialauswahl sei nicht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG aF) zu prüfen. Jedenfalls sei aber die Sozialauswahl grob fehlerhaft. Außerdem sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 16. Februar 1998 aufgelöst wird.
Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Die Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter F., H., Ru. und R. habe im berechtigten betrieblichen Interesse gelegen. Frau F. und Herr H. seien druckspezifisch ausgebildet, während Herr Ru. an einem auslaufenden System arbeite, für das sich die Einarbeitung eines anderen Arbeitnehmers nicht lohne; Herr R. habe Sonderkenntnisse in der Plattenkopie sowie in Reinigung und Wartung. Selbst wenn man die Voraussetzungen eines “berechtigten betrieblichen Interesses” als nicht dargetan ansehe, so sei doch die Herausnahme dieser Mitarbeiter aus der Sozialauswahl jedenfalls nicht grob fehlerhaft iSd. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG aF. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß gehört worden.
Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nach Beweisaufnahme das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.
Unterschriften
Rost, Schmitz-Scholemann, Engel, Bühler
für den urlaubsabwesenden Richter
Bröhl
Fundstellen
Haufe-Index 839063 |
BB 2002, 2612 |
DB 2002, 2277 |
NJW 2002, 3797 |
BuW 2003, 217 |
ARST 2003, 108 |
FA 2002, 393 |
NZA 2003, 42 |
SAE 2003, 83 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 14 |
EzA |
AUR 2002, 476 |
ArbRB 2002, 359 |
BAGReport 2003, 12 |
SPA 2003, 6 |
SPA 2004, 1 |