Entscheidungsstichwort (Thema)
Schmerzensgeld und Schadensersatz im Berufsausbildungsverhältnis
Orientierungssatz
1. Auszubildende, die durch ihr Verhalten bei einem Beschäftigten desselben Betriebs einen Schaden verursachen, haften nach den gleichen Regeln wie andere Arbeitnehmer.
2. Entscheidend für das Vorliegen einer „betrieblichen Tätigkeit” und das Eingreifen des Haftungsausschlusses iSv. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse erbracht wurde.
3. Nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers muss zwingend eine betriebsbezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war.
4. Ein Schaden, der nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wird, sondern nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb, ist dem persönlichprivaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen.
5. Verhaltensweisen, die zu den Besonderheiten des Schulbetriebs gehören wie Spielereien, Neckereien und Raufereien, machen im betrieblichen Umfeld gerade keine „betriebliche Tätigkeit” aus, sondern führen zur Einordnung in den persönlichprivaten Bereich.
6. Das Haftungsprivileg des Arbeitnehmers und die Vorschrift des § 828 Abs. 3 BGB reichen aus, um den Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses im Betrieb Rechnung zu tragen und Auszubildende ausreichend zu schützen.
Normenkette
BGB § 276 Abs. 2, § 823 Abs. 1; BBiG § 10 Abs. 2, § 13; SGB VII § 105 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 20. August 2013 – 13 Sa 269/13 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch um die Zahlung eines vom Kläger beanspruchten Schmerzensgeldes sowie um die Feststellung einer weiter gehenden Schadensersatzpflicht des Beklagten.
Der Kläger und der Beklagte waren als Auszubildende bei einer Firma beschäftigt, die einen Kfz-Handel mit Werkstatt und Lager betreibt. Am Morgen des 24. Februar 2011 arbeitete der damals 19-jährige Beklagte an der Wuchtmaschine. Der damals 17-jährige Kläger, ein weiterer Auszubildender und ein anderer Arbeitnehmer waren im Raum, der Kläger mehrere Meter vom Beklagten entfernt in der Nähe der Aufzugstür. Der Beklagte warf mit vom Kläger abgewandter Körperhaltung ein ca. 10 g schweres Wuchtgewicht hinter sich. Dieses traf den Kläger am linken Auge, am Augenlid und an der linken Schläfe. Er wurde in einer Augenklinik behandelt. Im Herbst 2011 und im Frühjahr 2012 unterzog er sich erneut Untersuchungen und Eingriffen, wobei eine Kunstlinse eingesetzt wurde; Einschränkungen aufgrund einer Hornhautnarbe verblieben. Die zuständige Berufsgenossenschaft zahlt dem Kläger seit Juli 2011 aufgrund des Vorfalls eine monatliche Rente iHv. 204,40 Euro.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe das Wuchtgewicht vor dem Wurf vom Boden aufgehoben und aus einer Distanz von ca. 13 m auf ihn geworfen. Der Wurf sei mit gehöriger Kraft erfolgt, da anders die Weite des Wurfs nicht hätte erreicht werden können. Sämtliche in den von ihm vorgelegten ärztlichen Berichten diagnostizierten Beeinträchtigungen seines linken Auges gingen allein auf die durch den Beklagten am 24. Februar 2011 zugefügte Verletzung zurück. Einen für das Absolvieren der Führerscheinprüfung erforderlichen Sehtest habe er noch am 5. Juni 2010 ohne Weiteres bestanden. Er hat ein Schmerzensgeld von 175.000,00 Euro für angemessen gehalten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Mai 2011 zu zahlen;
- festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren, über den nach Ziff. 1 begehrten Anspruch hinausgehenden Schäden aus dem Vorfall vom 24. Februar 2011 zu ersetzen, soweit die Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und sonstige Dritte übergegangen sind.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mangels eines Auffangbehältnisses für nicht mehr benötigte Wuchtgewichte seien diese üblicherweise fallengelassen oder zur Seite/nach hinten geworfen worden, um sie abends zusammenzukehren und zu entsorgen. Am Morgen des 24. Februar 2011 habe er sich ebenso verhalten und – während er von der rechten Seite aus über die Wuchtmaschine gebeugt war – das Wuchtgewicht, das den Kläger traf, hinter sich geworfen, ohne den Kläger vorher wahrgenommen zu haben. Der Wurf sei weder gezielt noch mit großer Kraft erfolgt. Er habe sich dafür nicht gebückt und ein am Boden liegendes Wuchtgewicht aufgehoben, sondern das Wuchtgewicht aus dem Arbeitsvorgang heraus in der Hand gehabt. Er habe nicht damit gerechnet, eine Person zu treffen oder auch nur treffen zu können. Über sein Verhalten habe er sich keine Gedanken gemacht, da es sich um eine alltägliche Handlungsweise gehandelt habe.
Das Arbeitsgericht hat Beweis durch Zeugenvernehmung erhoben. Es hat den Beklagten zur Zahlung von 10.000,00 Euro Schmerzensgeld verurteilt und festgestellt, dass dieser verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren Schäden aus dem streitgegenständlichen Schadensereignis zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist. Einen auf eine monatliche Rentenzahlung gerichteten Antrag hat es abgewiesen. Auf die Berufung beider Parteien hat das Landesarbeitsgericht den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 25.000,00 Euro verurteilt. Es hat die Berufung des Klägers im Übrigen und die des Beklagten in vollem Umfang zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Beklagten hat der Senat die Revision für ihn zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Dem bestehenden Anspruch des Klägers kann § 105 Abs. 1 SGB VII nicht entgegengehalten werden. Die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses sind nicht erfüllt. Der Wurf des Beklagten erfolgte nicht in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit.
A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Anspruch folge aus § 823 Abs. 1 BGB iVm. § 253 Abs. 2 BGB. Der Wurf des Beklagten sei für die erlittene Verletzung des Klägers ursächlich. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Beklagte das Wuchtgewicht mit einem gewissen Kraftaufwand hinter sich durch den Arbeitsraum geworfen. Ein 10 g wiegendes Metallstück könne den Raum von ca. 13 m Länge, an dessen einem Ende der Beklagte und an dessen anderem Ende der Kläger stand, nur mit erheblichem Kraftaufwand überbrückt haben. Der eingesetzte Kraftaufwand sei ein Indiz für einen bewusst und gewollt ausgeführten Wurf. Der Beklagte habe auch gewusst, dass der Kläger dort stand. Allerdings scheide ein vorsätzliches Handeln bereits wegen der abgewandten Körperhaltung (Wurf nach hinten) aus. Der Beklagte habe unter Berücksichtigung seines eigenen Vortrags fahrlässig gehandelt, was sich auch aus der Würdigung der Beweisaufnahme ergebe. Ein Haftungsausschluss nach § 105 Abs. 1, § 106 Abs. 1 SGB VII komme nicht in Betracht. Der Wurf sei nicht betrieblich veranlasst gewesen. Die Höhe des begehrten Schmerzensgeldes sei mit 25.000,00 Euro anzusetzen, unter Berücksichtigung der Doppelfunktion des Schmerzensgeldanspruchs als Ausgleich für erlittene Unbill und zugleich als Genugtuung.
B. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
I. Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht bezogen auf beide Klageanträge in dem ausgeurteilten Umfang einen Anspruch des Klägers nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. § 253 Abs. 2 BGB bejaht. Die dagegen von der Revision vorgebrachten Gesichtspunkte, die sich nicht auf die Höhe des Schmerzensgeldes und den Umfang der Feststellung beziehen, tragen nicht.
1. Der Beklagte bestreitet nicht, dass das Wuchtgewicht, das den Kläger getroffen und verletzt hat, von ihm geworfen worden ist.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Landesarbeitsgericht die Frage eines vorhandenen Entsorgungsbehälters für Wuchtgewichte und die des genauen Hergangs (Wurf direkt aus dem Arbeitsvorgang heraus oder vorheriges Aufheben des Wurfgegenstandes vom Boden) dahinstehen lassen hat und den Verlauf des Wurfes (insbesondere: direkte Flugbahn oder indirekte nach Abprall an Boden oder Wand) nicht näher durch ein Sachverständigengutachten aufgeklärt hat. Vielmehr habe es nur auf das Ergebnis der Beweisaufnahme bezugnehmend ausgeführt, der Beklagte habe das Wuchtgewicht mit erheblichem Kraftaufwand hinter sich durch den Arbeitsraum geworfen.
Die Schlussfolgerung des Landesarbeitsgerichts, darin liege ein Indiz für einen bewusst und gewollt ausgeführten Wurf und für eine zwar nicht vorsätzliche, wohl aber fahrlässige Rechtsgutverletzung ist jedoch rechtsfehlerfrei.
a) Der eigene Vortrag des Beklagten einschließlich seiner Ausführungen im Rahmen der Beweisaufnahme trägt bereits dieses Ergebnis. Zudem hat der Beklagte auf Befragen des Arbeitsgerichts in der Kammerverhandlung vom 24. Januar 2013 ausgeführt, er habe das Wuchtgewicht „nach hinten geschleudert”.
b) Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht daraus geschlossen, dass es bei einem Wurf „nach hinten” mit abgewandtem Körper und mit Kraftaufwand („geschleudert”) für die Annahme der Fahrlässigkeit nicht darauf ankommt, ob die Flugbahn direkt oder indirekt verlaufen ist, ob der Beklagte unmittelbar aus dem Wuchtvorgang heraus geworfen oder zunächst das Wuchtgewicht vom Boden aufgehoben hat und ob ein Behälter zum Sammeln von Wuchtgewichten bereitstand. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, entspricht das Herumwerfen von Wuchtgewichten in einem Arbeitsraum, in dem andere Menschen anwesend sind oder mit ihrer Anwesenheit zu rechnen ist, nicht dem erforderlichen Maß an Umsicht und Sorgfalt, das auch von Auszubildenden zu erwarten ist.
Auch wenn unterstellt würde, dass ein Behälter zum Sammeln von Wuchtgewichten nicht bereitstand, lässt ein Wurf mit Kraftaufwand (oder gar „schleudern”) „nach hinten” die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) außer Acht. Bei einem Wurf nach hinten mit abgewandtem Körper – also unter Verzicht auf eine Sichtkontrolle des eigenen Tuns – mit Kraftaufwand – also weit entfernt von „fallen lassen” oder leichtem beiseite Werfen zum Zwecke der Entsorgung – liegt der Eintritt des Schadens nicht außerhalb des zu erwartenden Verlaufs der Dinge (für Letzteres BAG 24. April 2008 – 8 AZR 347/07 – Rn. 53). Es kann dahinstehen, ob es zutrifft, dass die Auszubildenden des Lehrbetriebs „üblicherweise” und „regelmäßig” mit nicht mehr benötigten Wuchtgewichten so oder ähnlich verfuhren. Daraus ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Allein eine Wiederholung fahrlässigen Verhaltens, ggf. durch verschiedene Beteiligte, ändert nichts an der Bewertung. Mit dem in den Wurf gelegten Kraftaufwand hat der Beklagte zudem in erheblichem Maß die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte damals Auszubildender war. Für den vorliegenden Fall ergibt sich weder aus dem Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrags noch aus dem BBiG, dass die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze nicht anzuwenden wären, § 10 Abs. 2 BBiG. Vielmehr gehört es zu den in § 13 BBiG aufgeführten Pflichten des Auszubildenden, die im Rahmen der Berufsausbildung aufgetragenen Aufgaben sorgfältig auszuführen, die für die Ausbildungsstätte geltende Ordnung zu beachten und Werkzeug, Maschinen und sonstige Einrichtungen pfleglich zu behandeln.
II. Den Klageansprüchen steht der Haftungsausschluss nach § 105 Abs. 1 SGB VII nicht entgegen. Die schädigende Handlung des Beklagten (kraftvoller Wurf mit Wuchtgewicht) war keine „betriebliche Tätigkeit”, auch nicht eines Auszubildenden.
1. Eine betriebliche Tätigkeit lag nicht vor.
a) Entscheidend für das Vorliegen einer „betrieblichen Tätigkeit” und das Eingreifen des Haftungsausschlusses iSv. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse erbracht wurde (BGH 30. April 2013 – VI ZR 155/12 – Rn. 13; BAG 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 110, 195; ErfK/Rolfs 15. Aufl. SGB VII § 105 Rn. 3). Eine betriebliche Tätigkeit in diesem Sinne liegt nicht nur dann vor, wenn eine Aufgabe verrichtet wird, die in den engeren Rahmen des dem Arbeitnehmer zugewiesenen Aufgabenkreises fällt, denn der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist nicht eng auszulegen. Er umfasst auch die Tätigkeiten, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen (BAG 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – aaO). Wie eine Arbeit ausgeführt wird – sachgemäß oder fehlerhaft, vorsichtig oder leichtsinnig –, ist nicht dafür entscheidend, ob es sich um eine betriebliche Tätigkeit handelt oder nicht (BAG 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – aaO; 14. März 1967 – 1 AZR 310/66 – zu b der Gründe; BGH 19. Dezember 1967 – VI ZR 6/66 – zu 2 der Gründe; KSW/v. Koppenfels-Spies 3. Aufl. § 105 SGB VII Rn. 3).
Aus der Zugehörigkeit des Schädigers zum Betrieb und einem Handeln im Betrieb des Arbeitgebers allein kann nicht auf eine Schadensverursachung durch eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden. Nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers muss zwingend eine betriebsbezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war. Ein Schaden, der nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wird, sondern nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb, ist dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt (BAG 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – zu II 3 b aa der Gründe, BAGE 110, 195).
b) Nach diesen Grundsätzen wurde der Schaden nicht durch eine betriebliche Tätigkeit des Beklagten verursacht. Dies ist unabhängig davon, ob der Wurf mit einem Wuchtgewicht erfolgte, das der Beklagte gerade von einem Fahrzeugrad entfernt hatte, also aufgrund des Arbeitsprozesses ohnehin in der Hand hielt, oder ob der Beklagte vor dem Wurf ein auf dem Boden liegendes Wuchtgewicht zum Zwecke des Wurfes aufgehoben hatte.
Wuchtgewichte sind zwar Betriebsmittel, allein deren Benutzung macht eine Tätigkeit jedoch nicht zu einer betrieblichen. Das Anbringen wie auch das Entfernen von Wuchtgewichten von Fahrzeugrädern gehörte am Morgen des 24. Februar 2011 zur betrieblichen Tätigkeit des Beklagten. Auch das Entsorgen der Wuchtgewichte ist damit verbunden. Falls ein Auffang- oder Sammelbehälter tatsächlich nicht vorhanden gewesen sein sollte, was dahinstehen kann, gehörte auch das Fallenlassen auf den Boden oder womöglich auch ein leichter Wurf auf den Boden („aus dem Weg”) zur betrieblichen Tätigkeit des Beklagten. Eine unsachgemäße oder fehlerhafte, unvorsichtige oder gar leichtsinnige Ausführung würde dann nichts daran ändern, dass eine betriebliche Tätigkeit vorlag.
Um solch eine Situation handelte es sich jedoch am Morgen des 24. Februar 2011 in dem Moment nicht, als der Beklagte das Wuchtgewicht warf, das den Kläger traf und verletzte. Selbst wenn der Beklagte das Wuchtgewicht nicht „extra” aufgehoben hat, sondern es noch in Ausführung seiner betrieblichen Tätigkeit in der Hand hielt, endete die Betriebsbezogenheit seiner Tätigkeit – oder wurde sie unterbrochen – als er den Wurf „nach hinten” mit abgewandtem Körper und mit Kraftaufwand („geschleudert”) ausführte. Das Herumwerfen von Wuchtgewichten in einem Arbeitsraum, in dem andere Menschen anwesend sind oder mit ihrer Anwesenheit zu rechnen ist, noch dazu mit Kraftaufwand, ist keine betriebliche Tätigkeit. Abgesehen von der Frage des Vorsatzes – die das Landesarbeitsgericht rechtlich zutreffend und ohne Beanstandung durch die Revision verneint hat – kommt es auf die Frage des Motivs für den Wurf nicht an. Nahe liegt eine neben der betrieblichen Arbeit verübte, gefahrenträchtige Spielerei oder Neckerei unter Auszubildenden. Das unterstreicht die Revision im Ergebnis, wenn sie auf „für Auszubildende typische … gruppendynamische Effekte” hinweist und bezogen auf die beteiligten Personen insgesamt „eine gewisse (Nach)Lässigkeit bei der Erfüllung ihrer Arbeitsleistung” konstatiert.
2. Für das Ausbildungsverhältnis im Betrieb gelten keine anderen Maßstäbe als für andere Beschäftigte. Entgegen der Auffassung der Revision gebieten hier weder eine „Unerfahrenheit im beruflichen Alltag” noch eine „noch nicht vorhandene berufliche Sozialisation” bei der Haftung besondere Maßstäbe anzuwenden.
a) Weder der Wortlaut von § 105 Abs. 1 SGB VII noch der Sinnzusammenhang oder Zweck enthalten einen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff der betrieblichen Tätigkeit anders aufzufassen wäre, wenn und weil Auszubildende beteiligt sind (vgl. auch BAG 9. August 1966 – 1 AZR 426/65 – zu I 2 d der Gründe, BAGE 19, 41 bezogen auf den insoweit wortgleichen § 637 Abs. 1 RVO und minderjährige „Lehrlinge”). Die Beteiligung von Auszubildenden an einem schadensverursachenden Vorfall hat keine Bedeutung für die Frage der Einordnung einer Tätigkeit als betriebliche oder nicht-betriebliche.
Zudem reichen das Haftungsprivileg des Arbeitnehmers und die Vorschrift des § 828 Abs. 3 BGB aus, um auch den Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses Rechnung zu tragen und Auszubildende ausreichend zu schützen (BAG 18. April 2002 – 8 AZR 348/01 – zu II 2 b ee der Gründe, BAGE 101, 107; 7. Juli 1970 – 1 AZR 507/69 –).
b) Anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 105 Abs. 1 SGB VII für die Haftungsfreistellung bei Schulunfällen, zuletzt zur Schulbezogenheit einer Schneeballschlacht unter Schülern an einer in der Nähe einer Schule gelegenen Bushaltestelle (BGH 15. Juli 2008 – VI ZR 212/07 –).
aa) Im Bereich der Schulunfälle ist für das Merkmal der betrieblichen Tätigkeit danach zu fragen, ob das Handeln des Schädigers „schulbezogen” war (ua. BGH 15. Juli 2008 – VI ZR 212/07 – Rn. 11 ff.; 28. April 1992 – VI ZR 284/91 – zu II 1 a der Gründe, zu dem insoweit wortgleichen § 637 Abs. 1 RVO). Daraus folgen bezogen auf die Besonderheiten des Schulbetriebs besondere Maßstäbe. Maßgeblich ist insoweit, ob die Verletzungshandlung auf der typischen Gefährdung aus engem schulischen Kontakt beruht und deshalb einen inneren Bezug zum Besuch der Schule aufweist. Anders als im betrieblichen Zusammenhang sind schulbezogen im Sinne dieser Rechtsprechung insbesondere Verletzungshandlungen, die aus Spielereien, Neckereien und Raufereien unter den Schülern hervorgegangen sind, ebenso Verletzungen, die in Neugier, Sensationslust und dem Wunsch, den Schulkameraden zu imponieren, ihre Erklärung finden; dasselbe gilt für Verletzungshandlungen, die auf übermütigen und bedenkenlosen Verhaltensweisen in einer Phase der allgemeinen Lockerung der Disziplin beruhen (ua. BGH 15. Juli 2008 – VI ZR 212/07 – Rn. 12).
bb) Diese schulbezogenen Maßstäbe können nicht auf Auszubildende im Betrieb übertragen werden. So machen Verhaltensweisen, die nach der Rechtsprechung zu den Besonderheiten des Schulbetriebs gehören wie Spielereien, Neckereien und Raufereien, im betrieblichen Umfeld gerade keine „betriebliche Tätigkeit” aus, sondern führen dort zur Einordnung in den persönlich-privaten Bereich. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
Nichts anderes ergibt sich aus der von der Revision angeführten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Rahmen der Schülerunfallversicherung zu typischen gruppendynamischen Prozessen unter Schülern (ua. BSG 7. November 2000 – B 2 U 40/99 R –). Auch diese Rechtsprechung betrifft die schulische Situation und eben nicht die betriebliche.
III. Da der genaue Verlauf des Wurfes dahinstehen kann, kommt es auf die diesbezüglich vom Beklagten erhobenen Verfahrensrügen zur weiteren Aufklärung und ggf. Beweiserhebung nicht an. Soweit darüber hinaus fehlende gerichtliche Hinweise nach § 139 ZPO gerügt werden, hat der Beklagte nicht konkret dargelegt, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert, insbesondere welchen tatsächlichen Vortrag er gehalten oder welche für die Entscheidung erheblichen rechtlichen Ausführungen er gemacht hätte.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Hauck, Breinlinger, Winter, Volz, Wankel
Fundstellen
Haufe-Index 8258397 |
BB 2015, 1971 |
BB 2015, 820 |
DB 2015, 15 |
DStR 2015, 12 |