Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Tariföffnungsklausel
Leitsatz (amtlich)
- Eine Tariföffnungsklausel gem. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG kann nur von den Parteien desjenigen Tarifvertrages vereinbart werden, der für eine Betriebsvereinbarung geöffnet werden soll.
- Die zuständigen Tarifvertragsparteien können eine Betriebsvereinbarung auch rückwirkend genehmigen. Die rückwirkende Kürzung tariflicher Ansprüche (hier Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich) ist allerdings begrenzt durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes.
- Das schutzwürdige Vertrauen auf unveränderten Fortbestand einer tariflichen Regelung entfällt, wenn die zuständige Gewerkschaft ihre Mitglieder darüber informiert, daß sie eine ungünstigere Betriebsvereinbarung genehmigt hat. Das gilt auch dann, wenn diese Genehmigung zunächst unwirksam ist, weil sie nicht mit dem eigentlich zuständigen Arbeitgeberverband, sondern nur mit dem Arbeitgeber vereinbart wurde, der an der abweichenden betrieblichen Regelung beteiligt war.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3; BGB § 134; TVG §§ 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die für sie maßgebliche tarifliche Regelarbeitszeit durch Betriebsvereinbarung wirksam verlängert worden ist.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie unterhält u.a. in Krefeld einen Betrieb, in dem ca. 300 Arbeitnehmer tätig sind. Insgesamt beschäftigt sie ca. 5000 Arbeitnehmer. Sie ist Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. Die Klägerin ist seit dem 18. November 1989 in Krefeld als Montiererin tätig. Sie ist Mitglied der IG Metall. Gemäß Nr. 4 des schriftlichen “Aushilfs-Arbeitsvertrages” vom 10. November 1989, der zunächst für die Zeit vom 18. November 1989 bis 31. März 1990 geschlossen wurde, gelten für das Arbeitsverhältnis “die gesetzlichen Regelungen, die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie und die Betriebsvereinbarungen des jeweiligen Standortes, sowie die Bestimmungen der Arbeitsordnung”.
Nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie in Nordrhein- Westfalen in der Fassung vom 11. Dezember 1996 betrug die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ab dem 1. Oktober 1995 35 Wochenstunden (§ 3 Nr. 1 MTV). Der Tarifvertrag wurde abgeschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. und der Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitungen Dortmund und Wuppertal. Gleichfalls am 11. Dezember 1996 schlossen diese Tarifvertragsparteien einen zum 1. Januar 1997 in Kraft tretenden “Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung 1997”, dessen § 6 lautet:
§ 6
Sonderfallregelung
Die Tarifvertragsparteien werden sich, wie bisher, in besonders gravierenden Fällen, z.B. zur Abwendung einer Insolvenz, darum bemühen, für einzelne Unternehmen Sonderregelungen zu finden, um damit einen Beitrag zum Erhalt der Unternehmen und der Arbeitsplätze zu leisten.
Am 27. September 1996 schlossen der Betriebsrat des Betriebes in Krefeld und die Unternehmensleitung der Beklagten eine “Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit/Flexible Arbeitszeit”. In dieser heißt es u.a.:
Präambel
Im Hinblick auf die angespannte wirtschaftliche Situation sind umfangreiche Maßnahmen erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit und die damit verbundene Sicherung der Arbeitsplätze zu erhalten. Unter anderem wird daher eine modifizierte Arbeitszeit mit der Möglichkeit einer flexiblen Wochenarbeitszeit eingeführt. Ziel ist es, auf Produktions- bzw. Beschäftigungsschwankungen rechtzeitig in einer bestimmten Bandbreite reagieren zu können, um somit eine optimale Auslastung sicherzustellen.
Sollte sich die wirtschaftliche Situation bei F… nennenswert verbessern, wird über eine entsprechende Rücknahme bzw. Vergütung verhandelt.
…
Arbeitszeit/Flexible Arbeitszeit
Arbeitszeit
Die tarifliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden pro Woche.
Die betriebliche Regelarbeitszeit beträgt generell 40 Stunden pro Woche.
Ein Teil der mehr geleisteten Arbeitszeit (1,5 Stunden) wird in Form von 9 freien Tagen ausgeglichen. Bis Jahresende aus betrieblichen Gründen nicht in Anspruch genommene V-Tage müssen bis spätestens 31.03. des Folgejahres genommen werden.
Diese Tage werden in Form von Brückentagen in einer gesonderten Vereinbarung festgelegt.
Festgelegte Brückentage gelten als genommen, wenn ein Mitarbeiter an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt.
Die von jedem Mitarbeiter zusätzlich erbrachte Arbeitszeit liegt jeweils um 3,5 Stunden über der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit. Eine Vergütung für diese zusätzlich geleisteten Stunden erfolgt nicht.
…
Monatliche Bezahlung
Die Monatsentgelte und -gehälter werden auf Basis der 35 Stunden/Woche (152,25 Monatsstunden) unverändert fortgezahlt.
Inkrafttreten und Kündigung
Diese Vereinbarung tritt am 01.01.1997 in Kraft. Sie kann unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Halbjahresende gekündigt werden, erstmalig zum 31.12.1998. In beiderseitigem Einvernehmen kann sie jederzeit aufgehoben werden.
Die Klägerin machte entsprechend einer Aufforderung der IG Metall mit (Formular-) Schreiben ohne Datum (Eingangsstempel der Beklagten vom 20. Februar 1997) für die Zeit ab 1. Januar 1997 die Vergütung der Arbeitszeit geltend, “die über die wöchentliche individuelle Arbeitszeit liegt (35 Stunden + 1,5 Stunden Regelung Brückentage) ab 1. Januar 1997 als Mehrarbeit mit den tariflich vorgesehenen Zuschlägen”. Am 8. April 1997 schlossen die IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, und die Beklagte eine “Vereinbarung”, in der es u.a. heißt:
Präambel
Aufgrund des seit 1990 zu beobachtenden außerordentlichen Marktpreisverfalls und der damit verbundenen Ergebnisverschlechterung des Unternehmens, vereinbaren F… AG und die IG Metall als einen Beitrag zur Stabilisierung der Standorte Köln und Krefeld die nachstehenden Regelungen. Diese sollen F… die Möglichkeit eröffnen, sich während der Laufzeit der Vereinbarung auf die veränderte Konkurrenzsituation einzustellen.
Dieser Vereinbarung sind gemäß schriftlicher Erklärung beigetreten der Gesamtbetriebsrat sowie die Betriebsräte Krefeld und Köln. Mit Schreiben vom 17. April 1997 informierte die IG Metall, Verwaltungsstelle Krefeld, “alle IG Metall Mitglieder” über den Abschluß der “Ergänzungsvereinbarung” vom 8. April 1997, die sich auf den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung vom 11. Dezember 1996 beziehe. In dem Schreiben heißt es u.a.:
Somit entfällt die Rechtsgrundlage für Klagen nach dem Individualrecht.
Am 22. Januar 1998 schlossen die Beklagte, die IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, sowie der Verband Metall Nordrhein-Westfalen eine “Tarifvereinbarung”. Diese hat folgenden Wortlaut:
In Kenntnis des Urteils des Arbeitsgerichts Krefeld vom 25. Nov. 1997 – 2 Ca 2712/97 – bestätigen die unterzeichnenden Parteien die am 8. April 1997 getroffene Vereinbarung, wonach die in der Betriebsvereinbarung vom 27. Sept. 1996 vereinbarten Regelungen die Zustimmung der Tarifvertragsparteien (§§ 77 Abs. 3, 87 BetrVG, § 4 MTV) haben.
Die Klägerin arbeitete von Januar bis Oktober 1997 jeweils 40 Stunden in der Woche, erhielt aber nur den Tariflohn für 35 Stunden. Inwieweit 1,5 Stunden wöchentlich durch Brückentage abgegolten wurden, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schriftsatz vom 8. September 1997, der Beklagten zugestellt am 12. September, erhob die Klägerin zunächst Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung vom 27. September 1996 nichtig und die Beklagte verpflichtet sei, die über 35 Stunden hinausgehende Arbeitszeit entsprechend dem Stundenlohn der Klägerin für die 35-Stunden-Woche zu vergüten. Diese Klage erweiterte sie mit Schriftsatz vom 12. November 1997, der Beklagten zugegangen am 25. November 1997, um den Antrag auf Zahlung von 5.215,20 DM.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf Bezahlung der tatsächlich gearbeiteten 40 Stunden mit dem tariflichen Stundenlohn. Einen Überstundenzuschlag hat sie nicht geltend gemacht. Die Betriebsvereinbarung vom 27. September 1996 verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG und sei daher nichtig. Daran ändere auch die Vereinbarung vom 8. April 1997 nichts. Diese sei schon ihrem Inhalt nach nicht als tarifliche Öffnungsklausel anzusehen. Sie entspreche auch nicht den Bestimmungen des Tarifvertrages über die Beschäftigungssicherung. Im übrigen müsse eine nichtige Betriebsvereinbarung neu abgeschlossen werden. Dies habe der “Beitritt” der Betriebsräte zur Vereinbarung vom 8. April 1997 nicht bewirkt. Außerdem könnten kollektive Regelungen nicht rückwirkend in entstandene Ansprüche eingreifen. Dies gelte auch für die Vereinbarung vom 22. Januar 1998.
Die Klägerin hat für wöchentlich fünf Stunden in dem Zeitraum von Januar bis Oktober 1997 den rechnerisch unstreitigen Betrag von 5.215,20 DM brutto geltend gemacht. Sie meint, die tarifliche Ausschlußfrist sei mit ihrem am 20. Februar 1997 zugegangenen Schreiben gewahrt. Im übrigen sei eine wirksame Geltendmachung auch in der Klageerhebung zu sehen. Dies gelte bereits für die zunächst erhobene Feststellungsklage, so daß die Ausschlußfrist jedenfalls für die ab 1. Juni 1997 fällig gewordenen Ansprüche gewahrt sei. Die Klägerin hat beantragt,
- festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit/Flexible Arbeitszeit vom 27. September 1996 nichtig ist und die Beklagte verpflichtet ist, die über 35 Stunden hinausgehende Arbeitszeit entsprechend dem Stundenlohn der Klägerin für die 35-Stunden-Woche zu vergüten,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.215,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. November 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die Feststellungsklage für unzulässig, die Zahlungsklage für unbegründet. Die Vereinbarung vom 8. April 1997 sei als Haustarifvertrag mit dem Inhalt einer tariflichen Öffnungsklausel anzusehen. Diese habe die in der Betriebsvereinbarung vom 27. September 1996 getroffene Regelung zum 1. Januar 1997 wirksam werden lassen. Selbst wenn man hierzu einen erneuten Abschluß der Betriebsvereinbarung verlange, sei dieser mit dem Beitritt der Betriebsräte zu der Vereinbarung vollzogen worden. Wenn die Vereinbarung vom 8. April 1997 nicht als Öffnungsklausel gelten könnte, dann sei sie als Haustarifvertrag mit einem der Betriebsvereinbarung entsprechenden Regelungsinhalt zu werten. Mit der weiteren Vereinbarung vom 22. Januar 1998 sei die Öffnungsklausel noch einmal ausdrücklich bestätigt worden. Eine rückwirkende Herabsetzung tariflicher Ansprüche sei grundsätzlich möglich. Die Vereinbarungen hätten dies zum 1. Januar 1997 bewirkt. Ein hinreichender Vertrauensschutz auf unveränderten Fortbestand der tariflichen Regelungen habe nicht mehr bestanden. Die Klägerin habe auch allenfalls Anspruch auf Zahlung von 3,5 Stunden wöchentlich, da 1,5 Stunden durch Freizeit abgegolten seien. Die Geltendmachung durch das Schreiben vom Februar 1997 habe sich schon dem Inhalt nach nur auf die Zahlung von 3,5 Stunden wöchentlich bezogen. Die Erhebung der Feststellungsklage sei zur Wahrung der Ausschlußfrist nicht ausreichend.
Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsantrag abgewiesen und die Beklagte zur Zahlung von 1.564,24 DM verurteilt (wöchentlich 5 Stunden für August bis Oktober); weitergehende Zahlungsansprüche hat es als verfristet angesehen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen; auf die Berufung der Klägerin hat es die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 4.1 19,18 DM verurteilt; es ist dabei davon ausgegangen, daß die Klägerin ihren Restlohn auch für die Monate Januar bis Juli 1997 fristwahrend geltend gemacht habe, allerdings nur für 3,5 Stunden wöchentlich.
Nach Erlaß des zweitinstanzlichen Urteils schlossen die IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und der Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. am 15. Juni 1998 einen Tarifvertrag betreffend “F… AG” (die Beklagte). Dieser enthält u.a. folgende Regelungen:
…
§ 1
Arbeitszeit/Flexible Arbeitszeit
…
Arbeitszeit
Die tarifliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden pro Woche.
Die betriebliche Regelarbeitszeit beträgt generell 40 Stunden pro Woche.
Ein Teil der mehr geleisteten Arbeitszeit (1,5 Stunden) wird in Form von 9 freien Tagen ausgeglichen. Bis Jahresende aus betrieblichen Gründen nicht in Anspruch genommene V-Tage müssen bis spätestens 31.03. des Folgejahres genommen werden.
Diese Tage werden in Form von Brückentagen in einer gesonderten Vereinbarung festgelegt.
Festgelegte Brückentage gelten als genommen, wenn ein Mitarbeiter an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt.
Die von jedem Mitarbeiter zusätzlich erbrachte Arbeitszeit liegt jeweils um 3,5 Stunden über der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit. Eine Vergütung für diese zusätzlich geleisteten Stunden erfolgt nicht.
…
Monatliche Bezahlung
Die Monatsentgelte und -gehälter werden auf Basis der 35 Stunden/Woche (152,25 Monatsstunden) unverändert fortgezahlt.
…
Inkrafttreten und Kündigung
Diese Vereinbarung tritt am 01.07.1998 in Kraft.
Im Oktober 1998 werden F…, Gesamtbetriebsrat, Betriebsräte, IG Metall Bezirksleitung und METALL NRW unter Berücksichtigung einer gegebenenfalls gegenüber 1996 verbesserten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens eine Vereinbarung über eine Rückführung der Zeitvolumen treffen.
Die Regelungen enden, soweit dem nicht diese Vereinbarung (vorstehender Absatz) entgegensteht, ohne Nachwirkung am 31.12.1998.
Im übrigen gelten die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens in ihrer jeweils gültigen Fassung.
§ 2
Abweichende Geltungsdauer
Die Regelungen des § 1 werden abweichend von § 1 viertletzter Absatz mit Wirkung 01.01.1997 in Kraft gesetzt.
§ 3
Salvatorische Klausel
Die Bestimmungen des § 1 befinden sich nach der Rechtsauffassung der Tarifvertragsparteien aufgrund der bisherigen betrieblichen und tariflichen Regelungen bereits seit dem 01.01.1997 in Kraft.
Hiervon unabhängig werden sie aus Gründen der Rechtssicherheit durch diesen Tarifvertrag zum einen durch § 1 ab 01.07.1998 in Kraft gesetzt, zum anderen durch § 2 rückwirkend zum 01.01.1997.
Sollte eine dieser Regelungen unwirksam sein, berührt dies nicht die Wirksamkeit der anderen Bestimmungen dieses Vertrages.
Mit der nur für die Beklagte zugelassenen Revision begehrt diese, die Klage insgesamt abzuweisen. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, soweit dieses der Zahlungsklage stattgegeben hat. Die hierfür gegebene Begründung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Sache ist jedoch noch nicht entscheidungsreif, da es weiterer Feststellungen bedarf.
- Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Oktober 1997 habe 35 Stunden betragen. Das folge aus der für das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung maßgeblichen tariflichen Arbeitszeitregelung. Sie sei weder durch die Betriebsvereinbarung vom 27. September 1996 noch durch die Vereinbarungen vom 8. April 1997 bzw. 22. Januar 1998 für den hier allein streitbefangenen Zeitraum wirksam abgeändert worden. Die Klägerin könne daher grundsätzlich die Bezahlung der über die wöchentliche Regelarbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden mit dem tariflichen Stundensatz verlangen.
Die Begründung des Landesarbeitsgerichts reicht nicht aus. Ihr ist zwar im Ergebnis darin zu folgen, daß die Vereinbarung vom 8. April 1997 noch keine Änderung der für die Klägerin maßgeblichen tariflichen Arbeitszeit bewirkte. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat aber die Tarifvereinbarung vom 22. Januar 1998 der umstrittenen Betriebsvereinbarung rückwirkend Geltung verschafft und damit zur entsprechenden Abänderung der Arbeitszeit und des Lohnes der Klägerin geführt. Diese Rückwirkung ist allerdings begrenzt durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes. Die Klägerin mußte jedoch mit einer rückwirkenden Genehmigung der Betriebsvereinbarung rechnen, nachdem die IG Metall sie über den Abschluß der Vereinbarung vom 8. April 1997 unterrichtet und darauf hingewiesen hatte, daß somit die Rechtsgrundlage für Klagen entfalle.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die tariflichen Bestimmungen der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie für Nordrhein-Westfalen Anwendung. Gemäß § 3 Nr. 1 Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 11. Dezember 1996 (MTV) betrug die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ab 1. Oktober 1995 und damit auch im hier streitigen Zeitraum (1. Januar bis 31. Oktober 1997) 35 Stunden wöchentlich. Gemäß § 3 Nr. 3 MTV kann die individuelle Arbeitszeit mit Zustimmung des Arbeitnehmers auf bis zu 40 Stunden wöchentlich verlängert werden, wobei der Arbeitnehmer dann allerdings einen Anspruch auf eine dieser Arbeitszeit entsprechende Bezahlung hat (§ 3 Nr. 3 Satz 3 MTV). Eine derartige Vereinbarung ist indes zwischen den Parteien nicht getroffen worden.
Die für das Arbeitsverhältnis der Parteien maßgeblichen und bis zum 31. Dezember 1996 auch praktizierten tariflichen Regelungen sind durch die Betriebsvereinbarung vom 27. September 1996 (BV 1996) zunächst nicht abgeändert worden. Diese verstieß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Danach können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die BV 1996 verlängerte jedoch die “betriebliche Regelarbeitszeit auf generell 40 Stunden pro Woche”. Sie hält selbst fest, daß die tarifliche Arbeitszeit nur 35 Stunden pro Woche beträgt, also von der betrieblichen Regelung abweicht. Die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit unterliegt auch nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Senatsbeschluß vom 22. Juni 1993 – 1 ABR 62/92 – AP Nr. 22 zu § 23 BetrVG 1972, unter B III 2c aa der Gründe). Der Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG gilt also uneingeschränkt.
Die BV 1996 legt weiter fest, daß 1,5 Stunden in Form von freien Tagen ausgeglichen werden, während für weitere 3,5 Stunden eine Vergütung ausgeschlossen wird; die Monatsentgelte und -gehälter bleiben trotz der Arbeitszeitverlängerung unverändert. Die BV 1996 regelt damit Fragen, die tariflich abweichend geregelt sind, nämlich die regelmäßige Wochenarbeitszeit einerseits wie auch die Lohnhöhe andererseits. Indem die Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich angeordnet wird, führt die Regelung zu einer Lohnkürzung. Diese Verletzung des Tarifvorrangs führt zur Unwirksamkeit der betrieblichen Regelung.
Das Landesarbeitsgericht ist weiter davon ausgegangen, daß auch die zwischen der Beklagten und der IG Metall am 8. April 1997 abgeschlossene “Vereinbarung” nicht zu einer wirksamen Erhöhung der Regelarbeitszeit ohne Lohnausgleich nach Maßgabe der BV 1996 geführt hat. Die Vereinbarung vom 8. April 1997 sei zwar als Haustarifvertrag anzusehen, dieser enthalte aber keine Tariföffnungsklausel im Sinne des § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Eine solche Klausel müsse sich aus einem Tarifvertrag eindeutig und positiv ergeben; es genüge nicht, daß sie sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermitteln lasse. An einer entsprechend klaren Regelung fehle es hier jedoch. Der Wortlaut der Vereinbarung lasse auch nicht hinreichend erkennen, daß die Tarifvertragsparteien den Inhalt der Betriebsvereinbarung als eigene Regelung übernehmen wollten. Die bloße Anheftung der unwirksamen Betriebsvereinbarung stelle keine solche Übernahme dar. Es hätte mindestens eines entsprechenden Hinweises im Text bedurft, wenn man nicht den gesamten Wortlaut wiederholen wollte. Dieser Begründung kann der Senat nicht folgen (a), dem Ergebnis ist aber dennoch zuzustimmen (b).
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, daß die Parteien der Vereinbarung vom 8. April 1997 eine Tariföffnungsklausel im Sinne des § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG schaffen wollten.
Die Vereinbarung kann formal als tarifliche Regelung betrachtet werden. Sie ist abgeschlossen worden zwischen Tarifvertragsparteien gem. § 2 Abs. 1 TVG, nämlich zwischen der IG Metall – hier vertreten durch den satzungsgemäß abschlußbefugten Landesbezirk – und der Beklagten als Arbeitgeberin. Die Schriftform ist gewahrt, § 1 Abs. 2 TVG. Erkennbares Regelungsziel war es, den maßgebenden Tarifvertrag für die BV 1996 zu öffnen. Das ergibt die Auslegung der Vereinbarung (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung nur BAG Urteil vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).
Die Vereinbarung vom 8. April 1997 regelt zwar nicht wörtlich, daß sie den Abschluß einer ergänzenden Betriebsvereinbarung zulassen will, dieses Ziel kommt aber deutlich schon in Nr. 1 der Regelung zum Ausdruck. Wenn dort als “Geltungsbereich” die an den Standorten jeweils am 27. September 1996 abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen bezeichnet werden, so zeigt das, daß man diese Betriebsvereinbarungen als wirksam behandeln, also eine Öffnung gegenüber dem Tarifvertrag zulassen wollte. Dies folgt ferner aus den Bestimmungen, in denen vereinbart wird, daß die Betriebspartner die IG Metall über “die Umsetzung der obigen Betriebsvereinbarungen” informieren (Nr. 2) und mit der IG Metall im Oktober 1998 eine Vereinbarung über die Rückführung der Zeitvolumina treffen wollen (Nr. 3). Die Betriebsvereinbarungen sollen ohne Nachwirkung am 31. Dezember 1998 enden (Nr. 4).
Dies alles ist nur vor dem Hintergrund verständlich, daß die Partner der Vereinbarung vom 8. April 1997 die betriebliche Regelung zulassen wollten. Sie setzten diese nicht nur als wirksam voraus, wie dies das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Gerade vor dem Hintergrund der schon entstandenen Diskussionen um die Wirksamkeit der BV 1996 – verdeutlicht an den formularmäßigen Schreiben, mit denen die Gewerkschaftsmitglieder ihre Ansprüche geltend machten – ging es den Parteien erkennbar um diese Problematik. Wortlaut, Zusammenhang und Anlaß der Regelung lassen hinreichend deutlich erkennen: Ziel der Vereinbarung war es, der BV 1996 als Betriebsvereinbarung Wirksamkeit zu verschaffen. Geplant war eine Öffnungsklausel im Sinne des § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Auch wenn man mit dem Landesarbeitsgericht strenge Anforderungen an die Eindeutigkeit einer solchen Klausel stellt – gemäß § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ist sie “ausdrücklich” zu vereinbaren –, bestehen hier keine Zweifel.
Dieses Ergebnis wird unterstrichen durch die spätere Vereinbarung vom 22. Januar 1998, in der die Parteien der Vereinbarung vom 8. April 1997 (neben dem Arbeitgeberverband) bestätigen, daß “die in der Betriebsvereinbarung vom 27. September 1996 vereinbarten Regelungen die Zustimmung der Tarifvertragsparteien (§§ 77 Abs. 3, 87 BetrVG, § 4 MTV) haben”.
- Die Vereinbarung vom 8. April 1997 ist danach nicht als Haustarifvertrag auszulegen, der die Regelungen der BV 1996 als eigene tarifliche Regelungen inhaltlich übernehmen wollte. Das ergibt sich nach der hier vertretenen Auslegung schon aus dem Regelungsziel. Eine Tariföffnungsklausel setzt gerade voraus, daß die Tarifvertragsparteien keine eigene inhaltliche Regelung treffen wollen, sondern dies den Betriebspartnern überlassen. Wortlaut und Gesamtzusammenhang der Vereinbarung vom 8. April 1997 lassen keinen Zweifel daran, daß die Beteiligten davon ausgingen, die inhaltliche Regelung solle in der Betriebsvereinbarung zu finden sein. Diese sollte umgesetzt werden. Ihre Laufzeit wurde ausdrücklich festgehalten. Nur im übrigen sollte es bei der Geltung der tariflichen Bestimmungen bleiben (Nr. 5). Daß es nicht um eine eigenständige Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag ging, macht weiter der ausdrückliche “Beitritt” der Betriebspartner deutlich. Daß die Parteien der Vereinbarung vom 8. April 1997 nur eine Tariföffnung schaffen wollten, wird bestätigt durch die Vereinbarung vom 22. Januar 1998, in der ausdrücklich auf § 77 Abs. 3 BetrVG verwiesen wird. Deutlicher als durch diese “authentische Interpretation” kann das Ziel der Vereinbarung vom 8. April 1997 nicht umschrieben werden.
Geht man dementsprechend davon aus, daß die Vereinbarung vom 8. April 1997 zwar nicht die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung als eigene übernommen hat, entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts aber als Tariföffnungsklausel anzusehen ist, ändert sich dennoch nichts an dem Ergebnis des Landesarbeitsgerichts. Diese Öffnungsklausel konnte nämlich den gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachtenden Vorrang des maßgeblichen MTV nicht beseitigen, weil sie nicht von den dafür allein zuständigen Parteien des MTV abgeschlossen wurde. Auf der Arbeitgeberseite war nicht der tarifschließende Arbeitgeberverband, sondern “nur” die tarifgebundene Arbeitgeberin beteiligt.
§ 77 Abs. 3 BetrVG sichert den Vorrang der aktualisierten und ausgeübten Tarifautonomie (vgl. nur Senatsurteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, unter I1 der Gründe). Im Geltungsbereich tariflicher Bestimmungen sollen betriebliche Regelungen grundsätzlich ausscheiden. Sie sind dann zulässig, wenn die Tarifvertragsparteien ihre Regelungsbefugnis ausdrücklich zurücknehmen (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG). Die Entscheidung darüber, ob sie eine solche Öffnung gegenüber ihren eigenen Regelungen zulassen wollen, kann aber nur von den Parteien des jeweiligen Tarifvertrages selbst getroffen werden. Tarifvertragsparteien können nicht unter Verzicht auf eine eigene inhaltliche Regelung lediglich zulassen, daß die Betriebspartner von Regelungen anderer Tarifvertragsparteien abweichen. Insoweit fehlt ihnen die Regelungskompetenz.
Daran scheitert die Vereinbarung vom 8. April 1997. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit folgt aus § 3 MTV. Dieser ist abgeschlossen worden zwischen der IG Metall – Bezirksleitungen Dortmund und Wuppertal – einerseits und dem Arbeitgeberverband Metall andererseits. Der Haustarifvertrag vom 8. April 1997 ist demgegenüber auf Arbeitgeberseite nicht von dem tarifschließenden Verband, sondern von der Arbeitgeberin selbst abgeschlossen worden. Daß der Verband dem zugestimmt oder die Arbeitgeberin zum Abschluß ermächtigt hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 6 TV Beschäftigungssicherung 1997 vom 11. Dezember 1996. Danach verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, sich in besonders gravierenden Fällen, z.B. zur Abwendung einer Insolvenz, darum zu bemühen, für einzelne Unternehmen Sonderregelungen zu finden, um damit einen Beitrag zum Erhalt der Unternehmen und der Arbeitsplätze zu leisten. Tarifvertragsparteien sind aber auch hier die IG Metall und der Arbeitgeberverband. § 6 TV Beschäftigungssicherung eröffnet also keine Regelungskompetenz auf Unternehmensebene.
- Diese Kompetenzgrenze kann auch nicht mit dem Argument überwunden werden, daß die Parteien der Vereinbarung vom 8. April 1997 in der Lage gewesen wären, eine dem Manteltarifvertrag vorgehende eigene inhaltliche Regelung durch Haustarifvertrag zu treffen. Allerdings wäre der Abschluß eines solchen Haustarifvertrages denkbar gewesen. Daß die Beklagte als Mitglied des Arbeitgeberverbandes an die von diesem abgeschlossenen Verbandstarifverträge gebunden ist, steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Die Frage, welcher der Tarifverträge bei einem Nebeneinander von Verbands- und Haustarifvertrag zur Anwendung kommt, richtet sich nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz, wobei der Haustarifvertrag als der sachnähere regelmäßig den Vorrang hat (BAG Urteil vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, unter B II 3 der Gründe; vgl. auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 1490; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rz 306). Eine solche Konkurrenz setzt aber voraus, daß der Haustarifvertrag eine eigene inhaltliche Regelung enthält. Das ist hier nicht der Fall (oben 2a bb).
Das Landesarbeitsgericht hat weiter angenommen, daß auch aus der Tarifvereinbarung vom 22. Januar 1998 für den hier streitigen Zeitraum (Januar bis Oktober 1997) keine wirksame Abänderung der tariflichen Regelarbeitszeit abgeleitet werden könne. Dies scheide schon deshalb aus, weil die Regelung nicht zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer rückwirken dürfe. Dem ist weder im Ergebnis noch in der Begründung zu folgen.
- Die “Tarifvereinbarung” vom 22. Januar 1998 wurde von den zuständigen Tarifvertragsparteien geschlossen, nämlich vom Arbeitgeberverband und der IG Metall (Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen) als den Parteien des Manteltarifvertrages. Mit ihr sollte eine Öffnungsklausel für die abweichende Regelung der Arbeitszeit in der Betriebsvereinbarung vom 27. September 1996 geschaffen werden. Diese Auslegung ist zweifelsfrei. Die Tarifvereinbarung bestätigt nämlich die Vereinbarung vom 8. April 1997 und hält ausdrücklich fest, daß die dort vereinbarte Regelung die Zustimmung der Tarifvertragsparteien habe. Der in Klammern enthaltene Hinweis auf § 77 Abs. 3 BetrVG unterstreicht nachdrücklich, daß es den Tarifvertragsparteien nicht um eigene inhaltliche Regelung ging, sondern um eine Öffnungsklausel im Sinne dieser Vorschrift.
Die Rückwirkung der Öffnungsklausel scheitert entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht bereits daran, daß eine nachträgliche Genehmigung der Betriebsvereinbarung wegen deren “Nichtigkeit” gar nicht in Betracht käme und nur ein Neuabschluß den Mangel heilen konnte.
Eine gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist unwirksam (ständige Senatsrechtsprechung, siehe nur Urteil vom 24. Januar 1996 – 1 AZR 597/95 – AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; BAG Urteil vom 5. März 1997 – 4 AZR 532/95 – AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt; Kreutz, GK-BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rz 104, mit ausführlichen Nachweisen). Die Vorschrift ist als kompetenzbegrenzende Norm ausgestaltet, sie beschränkt die rechtliche Gestaltungsmacht der Betriebspartner. Kompetenznormen sind aber nicht ohne weiteres einer Verbotsnorm i.S.d. § 134 BGB gleichzusetzen (Kreutz, aaO, § 77 Rz 104; Birk, ZfA 1986, 73, 102; Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 212; vgl. allgemein nur Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 134 Rz 1). Gegen die Annahme einer Verbotsnorm mit Nichtigkeitsfolge spricht auch der Gesetzeswortlaut, wonach tariflich geregelte Arbeitsbedingungen nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein “können”. Bei Formulierungen dieser Art handelt es sich in der Regel nicht um ein gesetzliches Verbot, sondern nur um eine zur endgültigen oder schwebenden Unwirksamkeit führende Einschränkung der Gestaltungsmacht (siehe nur Palandt/Heinrichs, aaO, § 134 Rz 7).
Selbst wenn man im übrigen von einem Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB ausginge, träte Nichtigkeit nur ein, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt (s. dazu Palandt/Heinrichs, aaO, § 134 Rz 7). Davon ist hier aber auszugehen. Der mit § 77 Abs. 3 BetrVG verfolgte Zweck, den Tarifvertragsparteien zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie den Regelungsvorrang einzuräumen, verlangt keine generelle Nichtigkeit entgegenstehender Betriebsvereinbarungen. Die ausdrückliche Zulassung von Tariföffnungsklauseln in § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG macht deutlich, daß es den Tarifvertragsparteien gerade vorbehalten bleibt, ob sie abweichende Betriebsvereinbarungen zulassen wollen oder nicht. Sie sollen selbst darüber entscheiden, inwieweit sie den Betriebspartnern die diesen gem. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG grundsätzlich entzogene Gestaltungsmacht zurückgeben. Dieser Schutzzweck ist auch dann gewahrt, wenn sie nachträglich über die Billigung einer tarifvorbehaltswidrigen Betriebsvereinbarung durch entsprechende Öffnungsklausel entscheiden. Insofern liegt ein Vergleich mit genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäften nahe, für die gleichfalls angenommen wird, daß sie in der Regel schwebend unwirksam sind, wenn sie ohne die erforderliche Genehmigung vorgenommen werden (vgl. etwa Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 134 Rz 44).
Die rückwirkende Genehmigung einer Betriebsvereinbarung durch eine Tariföffnungsklausel ist allerdings nicht unbegrenzt möglich. Eine Grenze findet sie in den Grundsätzen des Vertrauensschutzes. Diese Grenze ist im vorliegenden Fall zum Teil überschritten.
Das Landesarbeitsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß hier die für die Rückwirkung von Tarifverträgen entwickelten Grundsätze maßgeblich sind. Die nachträgliche Genehmigung der betrieblichen Regelung führt dazu, daß Vergütungsansprüche, die sich aus der bis dahin geltenden tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden ergeben hatten, rückwirkend entfielen. Dies ist ein Fall sog. echter Rückwirkung (zum Begriff vgl. nur Löwisch/Rieble, aaO, § 1 Rz 205).
Das Landesarbeitsgericht verneint die Zulässigkeit einer Rückwirkung allerdings zu Unrecht schon deshalb, weil eine (in der Heraufsetzung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich) liegende rückwirkende Lohnsenkung grundsätzlich unzulässig sei. Dies trifft nicht zu. Tarifliche Regelungen enthalten auch während ihrer Laufzeit den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen; diese genießen keinen Sonderschutz gegen rückwirkende Änderungen (BAG Urteil vom 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung unter Aufgabe der bis dahin vertretenen entgegenstehenden Auffassung und unter umfassender Darlegung des Meinungsstandes; s. auch Bott, FS Schaub, S. 47 ff.). Eine Rückwirkung der tariflichen Öffnungsklausel vom 22. Januar 1998 scheidet danach nicht schon deshalb aus, weil sie im Zusammenhang mit der betrieblichen Regelung, die sie genehmigt, den Verlust entstandener (aber noch nicht erfüllter) tariflicher Lohnansprüche zur Folge hätte.
- Der Rückwirkung von Tarifverträgen sind aber die gleichen Grenzen gesetzt wie der Rückwirkung von Gesetzen (BAG Urteil vom 23. November 1994, aaO, unter II 2c dd der Gründe; entsprechend für die Rückwirkung von Betriebsvereinbarungen Senatsurteil vom 19. September 1995 – 1 AZR 208/95 – AP Nr. 61 zu § 77 BetrVG 1972, unter II 1b der Gründe; siehe im einzelnen auch ErfK/Schaub, § 4 TVG Rz 26; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 4 Rz 35; Löwisch/Rieble, aaO, § 1 Rz 204; Bott, aaO – alle m.w.N.). Eine echte Rückwirkung kommt danach nur in Betracht, wenn der Normadressat im Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Norm keinen hinreichenden Vertrauensschutz auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage mehr genießt. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn er mit einer abweichenden Neuregelung rechnen mußte, ferner wenn die geltende Regelung unklar oder verworren war, schließlich wenn er sich (z.B. wegen widersprüchlicher Rechtsprechung) nicht auf eine bestimmte Auslegung der Norm verlassen durfte (BAG Urteil vom 23. November 1994, aaO, m.w.N.). In diesem Sinne entfällt der Vertrauensschutz in den Fortbestand einer tariflichen Regelung etwa dann, wenn die Tarifvertragsparteien eine “gemeinsame Erklärung” über den Inhalt der Tarifänderung und den beabsichtigten Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vor Abschluß des Tarifvertrages abgeben und diese den betroffenen Kreisen bekanntgemacht wird (BAG Urteil vom 23. November 1994, aaO).
Für eine entsprechende Einschränkung des Vertrauensschutzes der Klägerin ist allerdings für die Zeit vor dem 8. April 1997 nichts ersichtlich. Soweit der 1. Januar 1997 als frühester Zeitpunkt des Inkrafttretens in Frage steht, fehlte es zu diesem Zeitpunkt an erkennbaren Erklärungen der für die Tariföffnung zuständigen Tarifvertragsparteien. Es lag nur eine gegen die Regelung des Manteltarifvertrages verstoßende Betriebsvereinbarung vor. Daß die Tarifvertragsparteien dieser nachträglich und zudem rückwirkend zustimmen würden, war nicht abzusehen. Auch die Vereinbarung vom 8. April 1997, die sich selbst keine Rückwirkung auf den 1. Januar 1997 beigemessen hat, konnte den Vertrauensschutz noch nicht erschüttern.
Das Vertrauen auf die unveränderte Fortgeltung der tariflichen Regelung ist aber entscheidend beeinträchtigt worden durch die an die Gewerkschaftsmitglieder gerichtete Mitteilung der IG Metall, Verwaltungsstelle Krefeld. In deren Schreiben vom 17. April 1997 wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nunmehr Rechtsansprüche für Klagen nach dem Individualrecht entfielen. Außerdem wurde auf § 6 TV Beschäftigungssicherung Bezug genommen. Seit Kenntnis dieses Schreibens mußte die Klägerin davon ausgehen, daß die Tarifvertragsparteien der Betriebsvereinbarung zustimmen. Sie mußte auch mit einer rückwirkenden Regelung rechnen für den Fall, daß die Regelung vom 8. April 1997 Mängel enthalten sollte. Daß an dieser Regelung nicht der an sich zuständige Arbeitgeberverband mitgewirkt hatte, war im Hinblick auf den Vertrauensschutz der Klägerin schon deshalb unerheblich, weil jedenfalls auf der ihre Interessen vertretenden Gewerkschaftsseite die zuständige Stelle gehandelt hatte. Für den Wegfall des Vertrauensschutzes spricht auch der in der Mitteilung der IG Metall enthaltene Hinweis auf § 6 TV Beschäftigungssicherung. Dies unterstrich erkennbar, daß es sich nicht um eine atypische Vereinbarung handelte, sondern daß von einem tarifvertraglich vorgesehenen Regelungsinstrument Gebrauch gemacht werden sollte.
Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob eine rückwirkende Änderung der tariflichen Arbeitszeitregelung letztlich auch durch den nach Erlaß des zweitinstanzlichen Urteils am 15. Juni 1998 geschlossenen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag bewirkt werden konnte, der die Regelungen der Betriebsvereinbarung nunmehr inhaltlich übernommen hat. Auch die Rückwirkung dieses Tarifvertrages hätte die Grundsätze des Vertrauensschutzes zu beachten. Insoweit gelten die gleichen Überlegungen wie für die Rückwirkung der Tarifvereinbarung vom 22. Januar 1998. Der Tarifvertrag vom 15. Juni 1998 könnte also nicht weiter zurückwirken als die Vereinbarung vom 22. Januar 1998.
Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben, soweit das Landesarbeitsgericht eine Rückwirkung der Tarifvereinbarung vom 22. Januar 1998 insgesamt ausgeschlossen hat. Der geltend gemachte tarifliche Anspruch ist nur bis zu dem Zeitpunkt begründet, in dem das schutzwürdige Vertrauen der Klägerin am Fortbestand der bisherigen Regelung entfallen war; insoweit ist das Landesarbeitsgericht auch zutreffend von der Wahrung der tariflichen Ausschlußfrist ausgegangen. Der maßgebende Zeitpunkt steht allerdings noch nicht fest. Das Landesarbeitsgericht hat – aus seiner Sicht konsequent – keine Feststellungen darüber getroffen, wann und in welcher Form die Mitteilung der IG Metall vom 17. April 1997 bekanntgemacht wurde. Die Sache ist daher an das Landesarbeitsgericht zur entsprechenden Sachaufklärung zurückzuverweisen. Das Urteil war insgesamt aufzuheben, soweit die Beklagte zur Leistung verurteilt wurde, da dem Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen die genaue Berechnung eines Teilbetrages, der der Klägerin in jedem Fall zusteht, nicht möglich ist.
Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, zu den angesprochenen Fragen Stellung zu nehmen. Das Landesarbeitsgericht wird dabei auch zu berücksichtigen haben, daß es letztlich nicht darauf ankommt, wann und ob die Klägerin selbst positive Kenntnis vom Inhalt des Schreibens der IG Metall erlangt hat. Es geht um einen kollektivrechtlichen Tatbestand. Ausreichend und entscheidend ist daher die Kenntnis der betroffenen Kreise, hier also der gewerkschaftsangehörigen Belegschaft insgesamt (vgl. BAG Urteil vom 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung, unter II 2c dd der Gründe). Von Bedeutung kann insoweit auch der im Schreiben vom 17. April 1997 enthaltene Hinweis auf eine demnächst stattfindende Betriebsversammlung sein, auf der weitere Informationen erteilt werden sollten.
Unterschriften
Dieterich, Wißmann, Rost, Federlin, Lappe
Fundstellen
Haufe-Index 871678 |
DB 1999, 1660 |