Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte (Nährmittelindustrie)
Leitsatz (amtlich)
Nach § 4 und § 5 des Manteltarifvertrages für die Nährmittel-und Feinkostindustrie Hessen und Rheinland-Pfalz vom 20. Juni 19`89 besteht ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge nur für Arbeitsstunden, die über die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit hinaus geleistet werden. Diese Regelung ist rechtswirksam, auch wenn sie dazu führt, daß Vollzeitkräfte regelmäßig für Arbeitsleistungen über das arbeitsvertraglich geschuldete Maß hinaus Mehrarbeitszuschläge erhalten, während dies bei Teilzeitkräften nicht in vergleichbarer Weise der Fall ist.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Nahrungsmittel; Manteltarifvertrag für die Nährmittel- und Feinkostindustrie Hessen und Rheinland-Pfalz vom 20. Juni 1989 §§ 4-5; EGVtr Art. 119 Abs. 1; BeschFG 1985 § 2 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, 3; BGB § 242
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11.03.1993; Aktenzeichen 7 (4) Sa 992/92) |
ArbG Trier (Urteil vom 09.09.1992; Aktenzeichen 3 Ca 772/92) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. März 1993 – 7 (4) Sa 992/92 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, für 337,95 Arbeitsstunden einen 25 %igen Mehrarbeitszuschlag nach dem Manteltarifvertrag für die Nährmittel- und Feinkostindustrie Hessen und Rheinland-Pfalz vom 20. Juni 1989 (MTV) zu zahlen.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 21. Januar 1991 als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. In der schriftlichen Bestätigung der Beklagten vom 16. Januar 1991 über die mit der Klägerin getroffenen Vereinbarungen, welche die Beklagte formularmäßig für eine Vielzahl von bei ihr beschäftigten Arbeitnehmerinnen verwendet, heißt es u.a.:
- “…
- Für das Arbeitsverhältnis gelten die Bestimmungen der jeweils gültigen Tarifverträge der Nährmittelindustrie Hessen/Rheinland-Pfalz, soweit nicht zulässige abweichende Regelungen in diesem Vertrag getroffen werden. Die Tarifverträge können bei der Firma eingesehen werden.
- Im Rahmen dieses Arbeitsvertrages sind Sie bereit, auf Abruf mindestens 1.044 Stunden im Arbeitszeitjahr bei uns zu arbeiten. Die Parteien sind sich darüber einig, daß die Verteilung der Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall erfolgt. Die Einteilung erfolgt auf Abruf durch die Firma. Dabei ist eine tägliche Mindestarbeitszeit von 8 aufeinanderfolgenden Stunden vereinbart.
- Sie sind zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn die Firma Ihnen die Lage der Arbeitszeit mindestens 4 Kalendertage vorher mündlich oder schriftlich mitteilt. …
- Sie verpflichten sich – soweit dies erforderlich und zumutbar ist – Mehrarbeit zu leisten.
…
Die in den Arbeitsphasen verdiente Vergütung wird gleichmäßig auf die Arbeits- und Freizeitphasen verteilt und ausgezahlt. Auf der mit Ihnen vereinbarten Basis von 1.044 Stunden (Punks 3 dieses Vertrages) bedeutet dies, daß Sie unabhängig von der jeweils geleisteten Wochenarbeitszeit in jedem Monat ein gleichbleibendes Entgelt für eine Beschäftigungszeit von 87 Stunden gezahlt bekommen. In den Monaten mit geringerer Arbeitszeit gilt der Teil des Monatsentgeltes, der über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit hinausgeht, als verrechenbarer Vorschuß.
Fallen im Arbeitszeitjahr mehr Stunden als unter Punkt 3 vereinbart an, so wird die restliche Arbeitszeit gesondert vergütet. Es ist für jedes Arbeitszeitjahr ein Soll-Ist-Arbeitszeitkonto zu führen.
Über den Kontostand werden Sie monatlich informiert.
- …”
Bis Februar 1991 betrug der Stundenlohn insgesamt 12,56 DM, von März bis Juni 1991 13,18 DM und ab September 1991 13,49 DM. Die Beklagte führte für die Klägerin monatliche Arbeitszeitkonten. Dabei wies sie in den einzelnen Monaten die über 87 Monatsarbeitsstunden hinausgehenden Mehrstunden aus. Im einzelnen handelte es sich um folgende Stundenzahlen: Januar 25,2; Februar 57,5; März 35,0; April 52,5; Mai 37,75; Juni 3,0; September 21,25; Oktober 50,75; November 39,5 und Dezember 15,5. Die Beklagte zahlte auch für diese Arbeitsstunden nur den vereinbarten Stundenlohn. Die Klägerin, die bei ihrer Arbeitsleistung an keinem Tag die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit überschritt, hat mit ihrer Klage die Zahlung der tariflichen Mehrarbeitszuschläge für die in den einzelnen Monaten ausgewiesenen Mehrstunden verlangt.
Im Manteltarifvertrag für die Nährmittel- und Feinkostindustrie Hessen und Rheinland-Pfalz vom 20. Juni 1989 (MTV) heißt es in diesem Zusammenhang:
Ҥ 3
Arbeitszeit
- Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer beträgt – ausschließlich der Pausen – 40 Stunden. Sie wird an den Tagen von Montag bis Freitag abgeleistet, soweit keine abweichende Regelung zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat vereinbart wird.
- Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie der Ruhepausen werden zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat vereinbart.
Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit wird
ab 01.03.1990 auf 39 Stunden
ab 01.03.1991 auf 38 Stunden
verkürzt.
- …
§ 4
Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
§ 5
Zuschläge für Mehr- Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Regelungen in § 4 und § 5 Nr. 1a MTV verstießen gegen Art. 119 EG-Vertrag. Auch für die von ihr erbrachten Mehrstunden müsse der tarifliche Mehrarbeitszuschlag gezahlt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie Überstundenzuschlag in Höhe von 1.110,82 DM nebst 10 % Zinsen seit Klageerhebung aus einem Betrag 800,-- DM für den Zeitraum Januar 1991 bis einschließlich Dezember 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Zahlung eines 25 %igen Zuschlages für Arbeitsstunden, die über die 87. Stunde im Monat hinausgingen, stelle eine Benachteiligung der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer dar, die bei gleicher arbeitstäglicher Arbeitszeit dann einen geringeren Stundenlohn erzielen würden als die Teilzeitbeschäftigten.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 1.110,82 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus 750,00 DM seit dem 22. Mai 1992 verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer Revision strebt die Klägerin die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die 337,95 Arbeitsstunden, die sie im Jahre 1991 über die im Arbeitsvertrag vereinbarte Jahresmindestarbeitszeit von 1044 Stunden geleistet hat.
I. Weder Arbeitsvertrag noch Tarifvertrag enthalten eine Grundlage für einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung.
1. In Nr. 7 des Arbeitsvertrages heißt es zwar, die Arbeitszeit, die im Arbeitszeitjahr mehr als vereinbart anfalle, werde gesondert vergütet. Damit haben die Arbeitsvertragsparteien aber keine besondere, über die Normalvergütung hinausgehende Entlohnung für solche Arbeitsstunden vereinbart. Die Vertragsbestimmung knüpft vielmehr lediglich an die unmittelbar vorangehende Vereinbarung an, daß grundsätzlich in jedem Monat 1/12 der vereinbarten Arbeitszeit, also 87 Stunden, abzurechnen sind; sind tatsächlich weniger Arbeitsstunden im Monat geleistet worden, gilt der überschießende Teil des Monatsentgeltes als verrechenbarer Vorschuß. Damit stellt Nr. 7 des Arbeitsvertrages nur klar, daß auf das Arbeitszeitjahr gerechnet eine Gesamtabrechnung erfolgen soll, und Stunden, die über die Mindestjahresarbeitszeit hinausgehen, zusätzlich zu bezahlen sind.
Nur dieses Verständnis entspricht auch der im Vertrag selbst zum Ausdruck kommenden Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien. Die Klägerin ist nicht auf eigenen, bei Vertragsschluß zum Ausdruck gekommenen Wunsch ein Teilzeitarbeitsverhältnis eingegangen, um sich dadurch einen bestimmten zeitlichen Freiraum zu verschaffen. Sie hat sich vielmehr in einem Abrufarbeitsverhältnis bereit erklärt, mindestens 1044 Stunden, aber auch erheblich mehr zu leisten, wenn der Arbeitgeber nur die Lage der Arbeitszeit mindestens vier Kalendertage vorab mitteilt. Unter diesen Umständen ist nicht erkennbar, warum Arbeitsvertragsparteien bereits eine Arbeitszeit, die lediglich über die Mindestarbeitszeit hinausgeht, zuschlagspflichtig machen sollten. Hiergegen spricht auch, daß in Nr. 5 des Arbeitsvertrages zusätzlich die Verpflichtung der Klägerin aufgenommen wurde, im erforderlichen und zumutbaren Umfang Mehrarbeit zu leisten. Die Arbeitsvertragsparteien haben den Begriff der Mehrarbeit in einem vom konkreten Arbeitsvertragsinhalt unabhängigen allgemeinen Sinn verstanden. Sie nehmen erkennbar, auch was die Pflicht zur Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen angeht, auf die in Nr. 2 des Arbeitsvertrages genannten tarifvertraglichen Regelungen Bezug.
2. Die Klägerin erfüllt auch nicht die tarifvertraglichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge nach § 4 Nr. 1, § 5 Nr. 1 MTV. Sie hat keine Mehrarbeit i.S. des Tarifvertrages geleistet. Die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit, von deren Überschreitung an nach § 4 Nr. 1 MTV Mehrarbeit vorliegt, beträgt bei der Beklagten acht Stunden. Dies entspricht auch der von der Klägerin nach Nr. 3 des Arbeitsvertrages geschuldeten täglichen Mindestarbeitszeit. Über diese tägliche Arbeitszeit hinaus hat die Klägerin im Jahr 1991 an keinem Tag gearbeitet. Für Arbeitszeit, die zwar nicht über acht Arbeitsstunden täglich, wohl aber über das hinausgeht, was arbeitsvertraglich geschuldet ist, sehen § 4 und § 5 MTV keine Mehrarbeitszuschläge vor.
II. Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf eine unzulässige Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer stützen.
1. § 4 und § 5 MTV verstoßen nicht gegen Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag, wonach Männern und Frauen bei gleicher Arbeit das gleiche Entgelt zusteht.
a) Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag verpflichtet seinem Wortlaut nach zwar nur die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Er ist aber zugleich auch unmittelbar anwendbares nationales Recht und gibt einem Arbeitnehmer bei Verletzung einen unmittelbaren Anspruch gegen seinen Arbeitgeber (vgl. zuletzt EuGH Urteil vom 7. Februar 1991 – Rs C-184/89 – “Nimz” – EuGH Slg. 1991, EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 20 = AP Nr. 25 zu § 23a BAT; BAGE 73, 166, 170 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1 der Gründe). Dabei hat das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag auch Vorrang gegenüber Tarifverträgen, wie sich aus Art. 4 der Richtlinie 75/117/EWG ergibt. Nach dieser Vorschrift haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, “daß mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbare Bestimmungen in Tarifverträgen … nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können (EuGH Urteil vom 27. Juni 1990 – Rs C-33/89 – “Kowalska” – EuGH Slg. 1990, I-2591 = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 19 = AP Nr. 21 zu Art. 119 EWG-Vertrag; EuGH Urteil vom 7. Februar 1991, aaO; BAGE 73, 166, 170 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1 der Gründe).
b) Eine Verletzung des Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag kommt auch an sich in Betracht, obwohl § 4 und § 5 MTV ihrem Wortlaut nach keine Regelungen treffen, welche Arbeitnehmer des einen Geschlechts anders behandeln als solche des anderen Geschlechts.
Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfaßt Art. 119 EG-Vertrag nicht nur die unmittelbare, sondern auch die sog. mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs C-170/84 – “Bilkat” – EuGH Slg. 1986, 1607 = EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 13 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag, mit Anm. Pfarr; zuletzt Urteil vom 31. Mai 1995 – Rs C-400/93 – “Dansk Industri” – EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 36). Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Regel zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden ist, die Benachteiligung aber erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts betrifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (EuGH Urteil vom 13. Juli 1989 – Rs 171/88 – EuGH Slg. 1989, 2743 = AP Nr. 16 zu Art. 119 EWG-Vertrag; zuletzt Urteil vom 31. Mai 1995 – Rs C-400/93 – aaO).
Das Landesarbeitsgericht hat zwar nicht im einzelnen festgestellt, daß im Geltungsbereich des Manteltarifvertrages die Gruppe der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer einen erheblich größeren Frauenanteil hat als die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten. Angesichts der vom Landesarbeitsgericht für das Land Rheinland-Pfalz herangezogenen und der allgemein bekannten Zahlen kann jedoch zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, daß die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten weit mehr Frauen enthält, als die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten.
c) Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag. Die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, zu welcher die Klägerin gehört, wird nicht dadurch hinsichtlich des Entgeltes ungleich gegenüber Vollzeitbeschäftigten behandelt, daß §§ 4, 5 MTV Mehrarbeitszuschläge nur für solche Arbeit vorsehen, die über die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit hinausgeht.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 15. Dezember 1994 (– Rs C-399/92, C-409/92, C-425/92, C-34/93, C-50/93, C-78/93 – “Helmig u.a.” – EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 35, mit Anm. Siemes = EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 24) die ihm gestellte Frage verneint, ob tarifvertragliche Regelungen, welche Mehrarbeitszuschläge nur bei Überschreiten der tarifvertraglich für Vollzeitbeschäftigte festgelegten Regelarbeitszeiten vorsehen, im Widerspruch zu Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag und Art. 1 der Richtlinie 75/117/EWG stehen. Nach der Auslegung des Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag durch den Europäischen Gerichtshof, der sich der Senat anschließt, fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgeltes. Sie liegt dann vor, wenn bei gleicher Anzahl Stunden, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, die den Vollzeitbeschäftigten gezahlte Gesamtvergütung höher ist als die den Teilzeitbeschäftigten gezahlte. In den dem Europäischen Gerichtshof vorgelegten Fällen erhielten Teilzeitbeschäftigte für die gleiche Anzahl geleisteter Arbeitsstunden die gleiche Gesamtvergütung wie Vollzeitbeschäftigte. Nach den dort anwendbaren Tarifverträgen hat ein Teilzeitbeschäftigter, dessen vertragliche Arbeitszeit 18 Stunden beträgt, wenn er eine 19. Stunde arbeitet, Anspruch auf die gleiche Gesamtvergütung wie ein Vollzeitbeschäftigter für 19 Arbeitsstunden. Überschreitet der Teilzeitbeschäftigte die tarifvertraglich festgesetzte Regelarbeitszeit, erhält er ebenfalls die gleiche Gesamtvergütung wie der Vollzeitbeschäftigte, da auch er Anspruch auf Überstundenzuschläge hat (EuGH Urteil vom 15. Dezember 1994, aaO, Rz 26 ff.).
Auch die Regelung in § 4 und § 5 MTV behandelt in diesem Sinne Teilzeitkräfte und Vollzeitkräfte gleich. Unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer in Teilzeit arbeitet oder vollbeschäftigt ist, erhält er für bis zu acht Arbeitsstunden täglich nur das achtfache Stundenentgelt. Arbeitet er länger als acht Stunden täglich, erhält er unabhängig davon, welche Arbeitszeit er insgesamt vereinbart hat, einen 25 %igen Mehrarbeitszuschlag. Es kann bei besonderen Fallkonstellationen zwar dazu kommen, daß Arbeitnehmer bei gleicher Wochen-, Monats- oder Jahresstundenzahl ein unterschiedliches Arbeitsentgelt erhalten. Dies geht aber nicht auf den unterschiedlichen Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit, sondern darauf zurück, wie diese Arbeitszeit auf die einzelnen Arbeitstage verteilt wurde. Das höhere Arbeitsentgelt kann einer Teilzeitkraft ebenso wie einer Vollzeitkraft zugute kommen.
2. § 4 und § 5 MTV verstoßen auch nicht gegen das Verbot des § 2 Abs. 1 BeschFG, einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich zu behandeln.
Ob eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit vorliegt, kann ebenso unentschieden bleiben, wie die Frage, ob sich das Verbot des § 2 Abs. 1 BeschFG nur an den einzelnen Arbeitgeber oder auch an die Tarifvertragsparteien richtet. Jedenfalls gibt es für die unterschiedliche Behandlung einen sachlichen Grund.
a) Die Frage, ob für eine Ungleichbehandlung bei der Gewährung von Leistungen ein sachlicher Grund besteht, ist anhand des Leistungszwecks zu beantworten. Wenn sich aus dem Leistungszweck Gründe herleiten lassen, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, dem Teilzeitbeschäftigten die Leistung nicht zu gewähren, die der vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zu beanspruchen hat, besteht ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung (BAGE 33, 57, 60 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II 2 der Gründe; BAGE 49, 346, 355 f. = AP Nr. 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu II 5b der Gründe; BAGE 66, 220, 226 = AP Nr. 11 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 3 der Gründe; BAGE 73, 343, 347 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu 2c der Gründe; GK-TzA-Lipke, Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rz 91; Schüren, NZA 1993, 529, 530). Dabei kommt es nicht auf die denkbaren Zwecke an, welche mit der betreffenden Leistung verfolgt werden können, sondern auf diejenigen, um die es den Tarifvertragsparteien bei der betreffenden Leistung nach ihrem im Tarifvertrag selbst zum Ausdruck gekommenen, durch die Tarifautonomie geschützten Willen geht.
b) Darüber, welcher Zweck typischerweise mit tariflichen Mehrarbeitszuschlägen verfolgt wird, besteht Streit. Teilweise wird der wesentliche oder einzige Zweck solcher Regelungen darin gesehen, die besonderen Belastungen auszugleichen, die Arbeitnehmer hinnehmen, wenn sie über den von den Tarifvertragsparteien vorgegebenen zeitlichen Umfang hinaus tätig werden (BAGE 69, 85, 94 f. = AP Nr. 2 zu § 34 BAT, zu II 4b der Gründe; GK-TzA-Lipke, Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rz 140; Arndt, NZA 1989, Beilage 3, S. 8, 10; Lorenz, NZA 1985, 473, 474). Die Vertreter der Gegenauffassung sehen in tarifvertraglichen Mehrarbeitszuschlägen lediglich einen Ausgleich dafür, daß der Arbeitnehmer planwidrig Möglichkeiten einbüßt, über seine Zeit frei zu disponieren (vgl. insbes. Schüren, RdA 1985, 22, 28 f.; RdA 1990, 18 ff.; ZTR 1992, 355 95.; Däubler, Das Arbeitsrecht, Bd. 2, 10. Aufl., S. 931 f.).
Einer Stellungnahme zu dieser Auseinandersetzung, die anhand von tarifvertraglichen Regelungen ausgetragen wird, welche erst bei der Überschreitung einer bestimmten Wochenarbeitszeit die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen vorsehen, bedarf es nicht. §§ 4, 5 MTV knüpfen nicht an die Wochenarbeitszeit, sondern an die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit an. Bei einer solchen Regelung kann die Einräumung eines Anspruchs auf Mehrarbeitszuschläge nur den Zweck haben, besondere körperliche Belastungen des betreffenden Arbeitnehmers auszugleichen und den Arbeitgeber von übermäßiger Inanspruchnahme des Arbeitnehmers abzuhalten. Die tarifliche Bestimmung knüpft ihrem Wortlaut nach an die Regelung des § 3 AZO an. Nach dieser Vorschrift war der Acht-Stunden-Tag die gesetzliche regelmäßige werktägliche Arbeitszeit. Zweck des gesetzlichen Arbeitszeitschutzrechts ist der Schutz des einzelnen Arbeitnehmers vor übermäßiger Ausnutzung seiner Arbeitskraft, also der Schutz seiner Gesundheit und die Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit (Denecke/Neumann/Biebl, AZO, 11. Aufl., § 3 Rz 1).
c) Eine für alle Arbeitnehmer in gleicher Weise geltende Tagesarbeitszeitgrenze, von deren Überschreitung an Mehrarbeitszuschläge zu zahlen sind, ist nicht willkürlich. Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen ihrer notwendigerweise auf typisierender Betrachtung beruhenden Normsetzung ebenso wie der Gesetzgeber eine starre Grenze festzulegen, von der an von einer besonderen ausgleichsbedürftigen Belastung des Arbeitnehmers auszugehen ist.
d) Angesichts dieses Regelungszwecks von § 4 und § 5 MTV ist die in Betracht kommende Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitkräften, was die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen angeht, sachlich gerechtfertigt. Bei Teilzeitkräften, die täglich weniger als die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit leisten, liegt typischerweise nicht die besondere Belastung vor, deren Ausgleich durch die Einräumung des Anspruchs auf Mehrarbeitszuschlag bezweckt ist.
3. § 4 und § 5 MTV stehen nicht im Widerspruch zu dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG.
a) Die besonderen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG sind von den Tarifvertragsparteien zu beachten. Sie sind ebenso wie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht (vgl. u.a. BVerfGE 21, 362, 372 = AP Nr. 9 zu § 1542 RVO, zu B II 3 der Gründe). Art. 9 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Mit der Tarifautonomie ist den Tarifvertragsparteien die Macht verliehen, wie ein Gesetzgeber Rechtsnormen zu schaffen. Dementsprechend müssen sie sich auch wie der Gesetzgeber an die zentralen Gerechtigkeitsnormen in Art. 3 GG halten (vgl. zu Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 21, 362, 372 = AP Nr. 9 zu § 1542 RVO, zu B II 3a der Gründe; BAGE 71, 29, 35 = AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B I 2a der Gründe; zuletzt Senatsurteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – DB 1995, 2020, 2021, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
b) Ein Verstoß gegen das Verbot der Frauendiskriminierung in Art. 3 Abs. 3 GG kommt in Betracht, obwohl § 4 und § 5 MTV ihrem Wortlaut nach keine Regelung treffen, welche Arbeitnehmer des einen Geschlechts anders behandeln als solche des anderen Geschlechts.
aa) Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG enthält auch den Grundsatz der Lohngleichheit für Mann und Frau bei gleicher Arbeit. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien ist hier ebenso wie die des einzelnen Arbeitgebers ausgeschlossen, soweit das Geschlecht als Unterscheidungsmerkmal dient. Eine Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, ist mit Art. 3 Abs. 3 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich ist (BVerfGE 10, 59, 63; 85, 191, 207; BAGE 38, 232, 243 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu III 2a der Gründe).
bb) Der Grundsatz der Lohngleichheit für Mann und Frau kann auch durch Regelungen verletzt werden, die nicht ausdrücklich an die Geschlechtszugehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer anknüpfen. Art. 3 Abs. 3 GG verbietet ebenso wie Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts. Dabei sind die Voraussetzungen für eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts nach Art. 3 Abs. 3 GG grundsätzlich dieselben, die der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf Art. 119 EG-Vertrag aufgestellt hat (BAGE 38, 232, 244 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu III 2c der Gründe; BAGE 73, 166, 176 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 4b der Gründe): Eine Regelung kann zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden sein. Treffen ihre nachteiligen Folgen aber erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts, dann ist eine solche Regelung geschlechtsdiskriminierend und deshalb nichtig, wenn sie nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben (vgl. zuletzt EuGH Urteil vom 31. Mai 1995 – Rs C-400/93 – “Dansk Industri” – EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 36).
c) Es kann zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, daß die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, die unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages fallen, erheblich mehr Frauen enthält, als die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten. Es ist aber schon zweifelhaft, ob § 4 und § 5 MTV die (Frauen-)Gruppe der Teilzeitbeschäftigten gegenüber der (Männer-)Gruppe der Vollzeitbeschäftigten ungleich behandelt. Bei der Bezahlung der jeweils geleisteten Arbeitsstunden ist dies aus den bereits dargelegten Gründen nicht der Fall. Ob die typischerweise unterschiedliche Bezahlung von Arbeitsstunden, die über das einzelvertraglich geschuldete Maß hinaus geleistet werden, eine Ungleichbehandlung i.S. von Art. 3 Abs. 3 GG ist, oder ob auch hier für den Lohngleichheitssatz der enge Rahmen gilt, den der Europäische Gerichtshof für Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag gesteckt hat, kann dahinstehen. Eine etwaige Ungleichbehandlung ist jedenfalls nicht geschlechtsdiskriminierend. Mit ihr wird ein hinreichend gewichtiger sachlicher, nicht auf die Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer bezogener Zweck verfolgt.
Ein objektiver, die Ungleichbehandlung rechtfertigender Grund liegt insbesondere dann vor, wenn “Gleichbehandlung”, also die Gewährung der Vergünstigung auch an die Teilzeitbeschäftigten, zu einer Veränderung des Leistungszwecks, d.h. der Art der Leistung, führen würde (BAGE 73, 166, 173 = AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1c bb der Gründe). So verhält es sich hier. Würde Teilzeitbeschäftigten nicht nur für jede Arbeitsstunde, werktäglich über acht Arbeitsstunden hinaus erbracht wird, ein Mehrarbeitszuschlag gezahlt, sondern auch dann, wenn sie unterhalb dieser Grenze bleiben, aber mehr leisten, als das, wozu sie sich arbeitsvertraglich verpflichtet haben, dann würde der von den Tarifvertragsparteien zulässigerweise angestrebte Zweck des Mehrarbeitszuschlages verfehlt. Die Arbeitnehmer erhielten die zusätzliche Vergütung nicht mehr für eine nach der Grenzziehung durch die Tarifvertragsparteien außergewöhnliche tägliche Arbeitsbelastung, sondern allein dafür, daß sie ein planwidriges, über das vertraglich Vereinbarte hinausgehendes Freizeitopfer erbracht haben. Hierfür haben die Tarifvertragsparteien kein zusätzliches Arbeitsentgelt vereinbart und brauchten dies auch nicht zu tun.
4. § 4 und § 5 MTV verstoßen auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, an den auch die Tarifvertragsparteien bei ihrer Normsetzung gebunden sind (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 7. März 1995 – 3 AZR 282/94 – DB 1995, 2020, 2021, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Für eine unterschiedliche Bezahlung überobligationsmäßiger Arbeit von Teilzeit- und Vollzeitkräften gibt es aufgrund des von den Tarifvertragsparteien zulässigerweise verfolgten Leistungszwecks einen sachlichen Grund.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Schmidt, Oberhofer
Fundstellen
Haufe-Index 60037 |
BB 1996, 488 |
NZA 1996, 597 |