BAG-Urteil zu Teilzeit-Diskriminierung: Auswirkungen

Das Bundesarbeitsgericht entschied kürzlich, dass Zuschläge für Mehrarbeit Teilzeitbeschäftigten bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit zustehen, nicht erst bei Überschreiten der Arbeitszeit von Vollzeitkräften. Rechtsanwalt Friedrich Goecke ordnet die Folgen des Urteils für Personalverantwortliche ein.

Gleiche Tätigkeit, gleiche Arbeitszeit, aber der Kollege verdient mehr? In jüngster Zeit wurden solche Fälle oft in Zusammenhang mit dem Gender Pay Gap diskutiert. Doch nun spielt die geschilderte Vergütungsungleichheit im Teilzeitrecht – und hat gerade den Segen des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2024, Az. 8 AZR 370/20) erhalten. Wie geht das?

Mehrarbeitszuschläge bei Überschreiten der individuellen Arbeitszeit

Die Antwort lautet: durch Mehrarbeitszuschläge einer Teilzeitarbeitnehmerin. Der Fall ist leicht erklärt: Eine Pflegekraft ist in Teilzeit tätig und leistet entsprechend nur 40 Prozent der für Vollzeitkräfte üblichen Arbeitszeit, z. B. 64 statt 160 Arbeitsstunden im Monat. Der einschlägige Tarifvertrag sieht Mehrarbeitszuschläge von 30 Prozent vor. Entscheidendes Detail: Der Mehrarbeitszuschlag greift für alle Mitarbeitenden erst, wenn die monatlichen Arbeitsstunden eines Vollzeitbeschäftigten erreicht ist - im genannten Beispiel also ab der 161. Arbeitsstunde.

Um in den Genuss der zuschlagspflichtigen Mehrarbeitsstunde zu kommen, hätte die Teilzeitpflegekraft also zunächst die "fehlenden" 60 Prozent Arbeitszeit zuschlagsfrei "nachholen" müssen. Sie sah sich hierdurch in ihrer Eigenschaft als Teilzeitkraft diskriminiert und erhob Klage vor den Arbeitsgerichten. Zum einen wollte sie bereits bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeit den tariflichen Mehrarbeitszuschlag erhalten; zum anderen sah sie sich mittelbar auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert.

Gleich hohes Gehalt kann diskriminierend sein

Liegt also eine Diskriminierung vor, auch wenn der Teilzeit- und der Vollzeitkraft unter dem Strich derselbe Stundenlohn gezahlt wird? Das BAG antwortet eindeutig "Ja". Wenn eine Teilzeitkraft nach Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeitgrenze zunächst "nur" mit der Grundvergütung "abgespeist" wird und schwerer in den Bereich der Mehrarbeitsvergütung kommt, liegt eine Diskriminierung vor. Stattdessen müsse die individuelle Mehrarbeitsgrenze Pro-Rata-Temporis nach dem prozentualen Anteil der Teilzeitquote ermittelt werden.

Durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung habe die Klägerin außerdem eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren. 90 Prozent der betroffenen Teilzeitkräfte seien Frauen gewesen; diese seien daher deutlich überproportional betroffen. Infolgedessen erhielt die Klägerin eine Entschädigung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. 120 Stunden Arbeit sind eben für jemanden, der eigentlich nur 64 Stunden arbeiten muss, etwas anderes als für jemanden, der diese Stundenzahl vertraglich schuldet.

Falsche (diskriminierende) Vergütungsregelung:

Vollzeitkraft

Teilzeitkraft

Arbeitsquote

100 %

40 %

Arbeitsstunden (monatlich)

160

64

Mehrarbeitszuschlag von 30 % ab Arbeitsstunde

161

161

Bruttolohn für 120 Arbeitsstunden (Stundenlohn 20,- Euro)

2.400 Euro

2.400 Euro


Korrekte (diskriminierungsfreie) Vergütungsregelung:

Vollzeitkraft

Teilzeitkraft

Arbeitsquote

100 %

40 %

Arbeitsstunden (monatlich)

160

64

Mehrarbeitszuschlag von 30 % ab Arbeitsstunde

161

65

Bruttolohn für 120 Arbeitsstunden (Stundenlohn 20,- Euro)

2.400 Euro

2.736 Euro

Vergütungsstrukturen überprüfen und anpassen

Für Personalverantwortliche zeichnet sich ab: Vergütungsstrukturen müssen im Sinne der neuen Rechtsprechung "diskriminierungsfest" gestaltet werden. Dort, wo besondere Vergütungsbestandteile – undifferenziert nach Voll- und Teilzeitarbeit – an eine absolute Anzahl an Arbeitsstunden geknüpft sind, führt meist nur ein strenger Pro-Rata-Temporis-Ansatz zum Ziel der Diskriminierungsfreiheit. Sprich: Für Teilzeitkräfte müssen entsprechend ihrer Teilzeitquote niedrigere Schwellen gelten als für Vollzeitkräfte.

Doch mit der Prüfung der Diskriminierungsfestigkeit ist nur der erste Schritt getan: Die Vergütungsstrukturen sollten insgesamt darauf überprüft werden, ob sie nicht ungewollte Anreize setzen, in Teilzeit zu arbeiten. Die strikte Pro-Rata-Temporis-Betrachtung kann durchaus zu Unwuchten bei variablen Vergütungssystemen führen. Wird z. B. eine hohe Bonuszahlung durch das Erreichen einer bestimmten individuellen Umsatzschwelle erreicht, so muss diese Umsatzschwelle für Teilzeitkräfte (pro-rata-temporis) herabgesetzt werden. Hierbei kann es durchaus Fälle geben, in denen die Teilzeitkraft mit geringer überobligatorischer Belastung die – niedrigere – Umsatzschwelle erreicht und durch den Bonus die Vollzeitkraft (ohne Bonus) überholt.

Fazit: Überstundenzuschläge als möglicher Anreiz für Arbeitszeitreduzierung

Wer in Teilzeit arbeitet, hat in aller Regel gute Gründe hierfür. Wenn die Teilzeitkraft bei gleicher Arbeitszeit aufgrund von Überstundenzuschlägen mehr verdient als die Vollzeitkraft, wird die Vollzeitkraft ihr dies in aller Regel nicht missgönnen – schließlich sind die Überstundenzuschläge der Ausgleich für überobligatorische Anstrengungen. Und dennoch: Wenn nicht das finanzielle Wohl an 10 Prozent mehr oder weniger Arbeit hängt (das wird bei Pflegekräften sehr häufig der Fall sein, weniger häufig möglicherweise z. B. bei Piloten; vgl. Beitrag "Falsche Teilzeit-Anreize bei Mehrarbeitszuschlägen"), so mag das Urteil des BAG die Entscheidung für eine Arbeitszeitreduzierung ein kleines bisschen erleichtern.


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Schlagworte zum Thema:  Teilzeitarbeit, Vergütung, BAG-Urteil