Teilzeitbeschäftigte bei Überstundenregelung benachteiligt
Teilzeitbeschäftigte dürfen wegen der Teilzeittätigkeit nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmende. Eine unterschiedliche Behandlung muss sachlich gerechtfertigt sein. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) den Fall eines in Teilzeit beschäftigten Piloten vorgelegt. Die Erfurter Richter wollten wissen, ob eine nationale Regelung, nach der ein Teilzeitbeschäftigter die gleiche Zahl Arbeitsstunden wie ein Vollzeitbeschäftigter leisten muss, um eine zusätzliche Vergütung zu erhalten, eine Diskriminierung darstellt, die nach dem Unionsrecht verboten ist. Der Gerichtshof hat dies in seiner aktuellen Entscheidung bestätigt.
Der Fall: Pilot in Teilzeit sieht sich bei Vergütung diskriminiert
Der Arbeitnehmer ist als Pilot und Erster Offizier seit 2001 bei der Fluggesellschaft Lufthansa CityLine beschäftigt. Er arbeitet seit 2010 in Teilzeit und hat seine Arbeitszeit auf 90 Prozent der Vollarbeitszeit verringert. Dafür erhält er eine um zehn Prozent ermäßigte Grundvergütung. In der Praxis wird das Teilzeitbeschäftigungsverhältnis so umgesetzt, dass er zusätzlich 37 freie Tage im Jahr erhält. An seinen Einsatztagen sind seine Flugdienststunden jedoch nicht reduziert.
Nach den einschlägigen Tarifverträgen für das Cockpitpersonal erhalten Beschäftigte eine "Mehrflugdienststundenvergütung", wenn sie eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten ("ausgelöst") haben. Diese sogenannten Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmende in Teilzeit und in Vollzeit.
Auslösegrenzen für Teilzeitbeschäftigte senken?
Der Pilot verlangt vom Arbeitgeber die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für Flugdienststunden, die er im Verhältnis zu seiner individuellen Arbeitszeit mehr geleistet hat. Nach seiner Auffassung sind die tariflichen Bestimmungen unwirksam, da sie Teilzeitbeschäftigte ohne sachlichen Grund schlechter als Arbeitnehmende in Vollzeit behandelten. Die Auslösegrenzen für die Zusatzzahlung müssten proportional für Teilzeitbeschäftigte abgesenkt werden.
Der Arbeitgeber hält die Tarifnormen dagegen für wirksam. Die Zusatzvergütung für Mehrflugdienststunden diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Diese bestehe aber erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.
BAG befragt EuGH
Aus Sicht des BAG warf der Fall Fragen nach einer Vereinbarkeit mit Unionsrecht auf. Die Richter in Luxemburg sollten klären, ob es eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten darstellt, wenn die zusätzliche Vergütung nicht bei individuellen Auslösegrenzen, sondern ab einer identischen Zahl an Arbeitsstunden für Teilzeit- und Vollzeitkräfte erfolgt. Zudem wollten die Erfurter Richter wissen, ob eine mögliche Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten gerechtfertigt sein kann, wenn damit eine besondere Arbeitsbelastung ausgeglichen werden soll.
EuGH: Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der Vergütung
Die Frage des Bundesarbeitsgerichts hat der EuGH dahingehend beantwortet, dass eine solche nationale Regelung teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmende diskriminiert, es sei denn, diese Behandlung werde durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Dass damit eine besondere Arbeitsbelastung bei dieser Tätigkeit ausgeglichen werden solle, überzeugte den Gerichtshof nicht.
In der Begründung führte er aus, dass die teilzeitbeschäftigten Piloten den gleichen den Flugdienst ausüben wie vollzeitbeschäftigte Piloten, also während der Zeit ihrer Beschäftigung die gleichen Aufgaben wahrnehmen und auf der gleichen Arbeitsstelle tätig werden, wie die vollzeitbeschäftigten Kollegen. Damit sei die Situation beider Arbeitnehmerkategorien vergleichbar. Diese Voraussetzung habe das BAG jedoch zu überprüfen.
Weiter stellte der EuGH fest, dass ein teilzeitbeschäftigter Pilot die Mehrvergütung nicht mit der ersten Stunde erhält, mit der seine individuelle Auslösegrenze überschritten wird, sondern erst dann, wenn die für vollzeitbeschäftigte Flugzeugführer geltende Auslösegrenze überschritten wird. Somit müsse der teilzeitbeschäftigte Pilot, um die Mehrvergütung zu erhalten, dieselbe Zahl Flugdienststunden wie ein vollzeitbeschäftigter Pilot arbeiten, ohne dass diese Schwelle nach Maßgabe seiner individuellen Arbeitszeit herabgesetzt wird.
Identische Auslösegrenzen benachteiligen Teilzeitpiloten
Dies habe zur Folge, dass teilzeitbeschäftigte Piloten, die für den Anspruch auf die Mehrvergütung erforderlichen Auslösegrenzen entweder nicht oder nur mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als vollzeitbeschäftigte Piloten erhielten. Die identischen Auslösegrenzen auch für in Teilzeit beschäftigten Piloten bedeuteten, gemessen an deren Gesamtarbeitszeit, jedoch einem längeren Flugstundendienst als bei vollzeitbeschäftigten Flugzeugführern und belasteten sie damit in höherem Maß als diese.
Zweifel an sachlichem Grund für Ungleichbehandlung
Eine solche nationale Regelung führe zu einer schlechteren Behandlung der teilzeitbeschäftigten Piloten, machte der EuGH deutlich. Dies verstoße grundsätzlich gegen das Unionsrecht, es sei denn, diese Behandlung sei durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Diesen Aspekt zu überprüfen sei Aufgabe des Bundesarbeitsgerichts, teilte der EuGH in seiner Begründung mit. Dabei betonte er, dass das BAG die Vorbehalte des EuGH gegenüber den, von der Fluggesellschaft vorgebrachten Rechtfertigungsgründen, berücksichtigen müsse. Diese hatte die Festlegung einheitlicher Auslösegrenzen für Piloten mit einer besonderen Arbeitsbelastung im Flugdienst mit Auswirkungen auf die Gesundheit der Flugzeugführer begründet. Daran machte der EuGH erhebliche Zweifel deutlich.
Hinweis: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 19. Oktober 2023 in der Rechtssache C-660/20; BAG, Beschluss vom 11. November 2020, Az: 10 AZR 185/20
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