Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung ohne Freistellung durch den Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
Besucht ein Arbeitnehmer eine Bildungsveranstaltung, die von einem nach den Bestimmungen des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen anerkannten Bildungsträger durchgeführt wird, ohne zuvor vom Arbeitgeber zur Teilnahme an dieser Veranstaltung freigestellt worden zu sein, hat er keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz.
Normenkette
AWbG NW § 1 Abs. 1-2, § 7
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 28.06.1991; Aktenzeichen 10 Sa 497/91) |
ArbG Wesel (Urteil vom 13.03.1991; Aktenzeichen 3 Ca 2206/90) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 1991 – 10 Sa 497/91 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 13. März 1991 – 3 Ca 2206/90 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Der Kläger ist seit 1981 bei der Beklagten als Rohrschlosser beschäftigt. Er teilte der Beklagten am 25. Januar 1990 mit, daß er beabsichtige, vom 11. – 22. Juni 1990 an einer nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz anerkannten Bildungsveranstaltung mit dem Thema “Arbeitnehmer in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft II” teilzunehmen, die im Bildungszentrum Sprockhövel der IG Metall stattfinden sollte.
Die Beklagte erwiderte am 24. April 1990, sie könne dem Antrag auf Teilnahme an dem beabsichtigten Seminarbesuch bei Fortzahlung der Bezüge zur Zeit nicht entsprechen. Der Kläger nahm dennoch an der Bildungsveranstaltung teil. Die Beklagte verweigerte die Lohnfortzahlung.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.842,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag ab dem 17. Dezember 1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiterhin ihr Ziel der Klageabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit vom 11. – 22. Juni 1990.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 7 AWbG i. V. m. § 1 AWbG. Denn diese Vorschriften setzen voraus, daß der Kläger vom Arbeitgeber von der Arbeit zum Zwecke der beruflichen oder politischen Weiterbildung freigestellt worden ist. Das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen gewährt den Arbeitnehmern einen gesetzlich bedingten Freistellungsanspruch, kein Selbstbeurlaubungsrecht. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann nur entstehen, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Freistellung nachgekommen ist. Weigert sich der Arbeitgeber, die Erfüllungshandlung vorzunehmen, d. h. die Freistellungserklärung abzugeben, kann der Arbeitnehmer allenfalls versuchen, diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen.
2. Andere gesetzliche Anspruchsgrundlagen, nach denen die Beklagte verpflichtet wäre, ohne Arbeitsleistung des Klägers Arbeitsentgelt zu entrichten, sind nicht ersichtlich.
3. Der Kläger hat auch keinen vertraglichen Anspruch auf Gewährung von Arbeitsentgelt aus einer besonderen Vereinbarung der Parteien (vgl. Senatsurteile vom 9. Februar 1993 – 9 AZR 648/90 – und vom 24. August 1993 – 9 AZR 240/90 – beide zur Veröffentlichung bestimmt). Für die Annahme einer derartigen Sondervereinbarung fehlt jeglicher Sachvortrag.
4. Der Kläger hat auch keinen Schadensersatzanspruch auf Zahlung einer Geldsumme nach den §§ 280 Abs. 1, 284 Abs. 1, 287 Satz 2, 251 BGB. Ein möglicher Schadensersatzanspruch des Klägers wegen unberechtigter Verweigerung der Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz durch die Beklagte ist gem. § 249 BGB auf die Wiederherstellung des Zustands gerichtet, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Wiederherstellung besteht in der (künftigen) Freistellung des Arbeitnehmers für die Teilnahme an einer Arbeitnehmerweiterbildungsveranstaltung. Ein Schadensersatzanspruch in Form der Geldentschädigung ist gem. § 251 BGB erst statthaft, wenn die Freistellung z. B. wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist.
5. Auf die unter den Parteien streitigen Rechtsfragen, ob die vom Kläger besuchte Veranstaltung der politischen Weiterbildung diente, ob das Seminar für jedermann zugänglich war, ob es vom Veranstalter oder einem Dritten tatsächlich durchgeführt worden ist oder ob das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz eine Vorgriffszusammenfassung gestattet, kommt es deshalb nicht an.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Düwell, Dörner, Dr. Schwarze, Hennecke
Fundstellen
Haufe-Index 856689 |
BAGE, 204 |
BB 1993, 2531 |
NZA 1994, 454 |