Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerabzug freigestellter Betriebsratsmitglieder
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Betriebsratsmitglied, das vor seiner Freistellung von der beruflichen Tätigkeit Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit geleistet und dafür steuerfreie Zuschläge zum Lohn erhalten hat, kann nach seiner Freistellung vom Arbeitgeber nicht deren unversteuerte Auszahlung verlangen.
2. Der Arbeitgeber ist gegenüber dem Betriebsratsmitglied auch nicht verpflichtet, die Differenz zum Nettolohn zu zahlen, die sich für den Arbeitnehmer daraus ergibt, daß nach seiner Freistellung als Betriebsratsmitglied die an ihn weiterzuzahlenden Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit steuerpflichtig sind. (Bestätigung von BAG Urteil vom 29.7.1980 6 AZR 231/78 = BAGE 34, 80)
Normenkette
EStG § 3 b; BGB § 611 Abs. 1; BetrVG § 78 S. 2, § 37 Abs. 2, § 40 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 24.08.1983; Aktenzeichen 5 Sa 532/83) |
ArbG Aachen (Entscheidung vom 25.01.1983; Aktenzeichen 4 Ca 1462/82) |
Tatbestand
Der Kläger ist freigestelltes Betriebsratsmitglied bei der Beklagten. Vor seiner Freistellung hatte er regelmäßig Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit geleistet und entsprechende tarifliche Zuschläge zu seinem Arbeitsverdienst erhalten. Lohnsteuer wurde auf diese Zuschläge zunächst nicht einbehalten.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 1980 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie nach dem Ende der laufenden Betriebsratswahlperiode am 31. März 1981 Zuschläge nur noch abzüglich der Lohnsteuer auszahlen werde.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte müsse ihn hinsichtlich des Nettoeinkommens so stellen, als ob er die Sonntags-, Feiertags- und Nachtschichten tatsächlich ableiste. Gemäß §§ 37 Abs. 2, 40 BetrVG müsse daher die Beklagte den Lohnsteuerabzug vom April 1981 bis Dezember 1982 in Höhe von monatlich 398,49 DM zahlen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.547,61 DM nebst 4 % Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter; die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Der erkennende Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit seinem Urteil vom 29. Juli 1980 (BAG 34, 80) entschieden, ein Betriebsratsmitglied, das vor seiner Freistellung von der beruflichen Tätigkeit Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit geleistet und dafür steuer- und sozialabgabenfreie Zuschläge zum Lohn erhalten hat, kann nach seiner Freistellung vom Arbeitgeber nicht deren ungeschmälerte (unversteuerte und sozialabgabenfreie) Auszahlung verlangen. Diese auch vom Landesarbeitsgericht vertretene Rechtsansicht hat im Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 30; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 38; Kammann/Hess/-Schlochauer, BetrVG, § 37 Rz 42; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 37 Rz 13; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 37 Rz 30; Bernert, Anm. zu AP Nr. 37 zu § 37 BetrVG 1972; Schlüter und Belling, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 46 BPersVG; Misera, SAE 1982, 73 ff.; Windscheid, ZBR 1981, 287). Der Senat sieht aufgrund der von der Revision vorgetragenen abweichenden Meinungen in der Literatur (Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 37 Rz 26; Kittner, Anm. zu EzA Nr. 70 zu § 37 BetrVG 1972; Becker-Schaffner, BB 1982, 498, 501; Schneider, NZA 1984, 21, 23) nach nochmaliger Überprüfung keine Veranlassung, von seiner Rechtsprechung abzuweichen.
2. Zu Unrecht meint die Revision, die Minderung des Nettoeinkommens des Klägers durch die Versteuerung der Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit gemäß § 3 b Abs. 2 EStG 1979, der bis zum EStG 1985 (BGBl I S. 978) unverändert geblieben ist, verstoße gegen § 37 Abs. 2 BetrVG und auch gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 78 Satz 2 BetrVG, weil es durch die Betriebsratstätigkeit zu einer Entgeltminderung komme.
a) Nach § 37 Abs. 2 BetrVG bleibt dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber gemäß § 611 Abs. 1 BGB der Lohnanspruch trotz Freistellung von der beruflichen Tätigkeit erhalten. Somit ist der Vergütungsanspruch des Klägers nicht aus § 37 Abs. 2 BetrVG, sondern aus seinem Arbeitsvertrag herzuleiten und deshalb auch in Urteilsverfahren geltend zu machen (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z. B. Urteil vom 19. Juli 1979, BAG 29, 242, 244). Bei diesem arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch handelt es sich, wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, grundsätzlich um die Zahlung der Bruttovergütung nach dem Arbeitsvertrag. Wollen die Parteien des Arbeitsvertrags hiervon abweichen und dem Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung netto auszahlen mit der Folge, daß der Arbeitgeber auf diesen Nettobetrag Lohn- und Kirchensteuer aufzustocken und diese zusätzlichen Beträge an die zuständigen Stellen abzuführen hat, muß dies ausdrücklich und eindeutig vereinbart werden (BAG 15, 168 = AP Nr. 15 zu § 670 BGB; BAG Urteile vom 18. Januar 1974 - 3 AZR 183/73 - AP Nr. 19 zu § 670 BGB und vom 31. Mai 1978 - 5 AZR 116/77 - AP Nr. 9 zu § 2 LohnFG). Eine Vereinbarung über eine Nettovergütung besteht hier nicht. Damit war der Kläger lediglich ohne Minderung des Bruttoarbeitsentgelts von der Beklagten freizustellen. Dies ist im vorliegenden Falle geschehen, so daß ein Verstoß gegen § 37 Abs. 2 BetrVG entfällt. Da nach § 3 b EStG aber Zuschläge nur für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit steuerfrei sind, unterliegen derartige Zuschläge bei Betriebsratsmitgliedern, die solche Zuschläge nur aufgrund des Entgeltminderungsverbotes fortgezahlt erhalten, damit der Steuerpflicht. Daraus ergibt sich wiederum, daß die Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds nicht durch den beklagten Arbeitgeber, sondern durch die gesetzliche Regelung des Einkommensteuergesetzes herbeigeführt wird (vgl. BFH, Urteil vom 3. Mai 1974 - VI R 211/71 - DB 1974, 1991 ff.).
b) Die Revision meint auch zu Unrecht, die steuerliche Regelung dürfe nicht als arbeitsrechtliches Argument zur Auslegung von §§ 37 Abs. 2, 78 Satz 2 BetrVG herangezogen werden. Sie verkennt, wenn sie § 37 Abs. 2 BetrVG im Anschluß an Kittner (aa0) als gesetzliche "Nettolohn-Regelung" ansieht, daß aus den oben aufgezeigten Gründen nicht auf das Nettoeinkommen, sondern auf das Bruttoeinkommen des Betriebsratsmitglieds abzustellen ist. Steuervorschriften sind auch im Rahmen des Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 37 Abs. 2 BetrVG zu berücksichtigen.
Wenn die Revision davon ausgeht, der Arbeitgeber sei zwar zur Abführung der Steuern verpflichtet, gegenüber dem Betriebsratsmitglied jedoch nicht zum Abzug berechtigt, so versucht sie, das sog. Lebensstandardprinzip in §§ 37 Abs. 2, 78 Satz 2 BetrVG als Merkmal einzuführen. Das hat der Senat in seiner Entscheidung (aa0) jedoch bereits als unzutreffend abgelehnt. Mit der Ersetzung des Verbots der Benachteiligung durch das Gebot der Erhaltung des Lebensstandards wird verdeckt, daß der Arbeitgeber durch die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsanteilen nicht den Arbeitnehmer benachteiligt, sondern einer öffentlich- rechtlichen gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, die im übrigen auch gegenüber dem Arbeitnehmer besteht. Die Benachteiligung durch Veränderung des Lebensstandards beruht damit nicht auf einer Handlung des Arbeitgebers, sondern auf steuerrechtlichen Regelungen und ihrer Anwendung. Es ist daher auch nicht einzusehen, wieso es angebracht sein sollte, den Arbeitgeber mit einem Ausgleichsanspruch des Betriebsratsmitglieds für die aufgrund steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften eintretenden Folgen zu belasten.
3. Zutreffend haben beide Vorinstanzen auch angenommen, daß es sich bei der Minderung des Entgelts durch Steuerabzüge nicht um Kosten der Betriebsratsmitglieder gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG handelt, die durch die Betriebsratstätigkeit entstanden sind und daher vom Arbeitgeber zu tragen wären. Während § 37 Abs. 2 BetrVG die Vergütungspflicht für durch Betriebsratstätigkeit notwendige Arbeitssäumnis regelt, bezieht sich § 40 Abs. 1 BetrVG auf solche Kosten der Betriebsratsmitglieder, die ihnen durch ihre Tätigkeit außerhalb der Vergütungspflicht des Arbeitgebers entstehen.
Dr. Auffarth Dr. Jobs Dr. Leinemann
Spiegelhalter Dr. Hoffmann
Fundstellen
Haufe-Index 440809 |
DB 1986, 599-600 (LT1-2) |
ARST 1986, 84-85 (LT1-2) |
NZA 1986, 263-264 (LT1-2) |
RdA 1986, 133 |
AP § 37 BetrVG 1972 (LT1-2), Nr 50 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung VIII Entsch 13 (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 530.8 Nr 13 (LT1-2) |
EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 82 (LT1-2) |