Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. Klageverzicht in vorformulierter Abwicklungsvereinbarung. Inhaltskontrolle. anderweitig gewährter Vorteil als Ausgleich
Leitsatz (amtlich)
Die in einer Abwicklungsvereinbarung vom Arbeitgeber übernommene Verpflichtung, dem Arbeitnehmer ein Zeugnis mit einer näher bestimmten (überdurchschnittlichen) Leistungs- und Führungsbeurteilung zu erteilen, stellt keinen Vorteil dar, der geeignet wäre, die mit dem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verbundene unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auszugleichen.
Orientierungssatz
1. Verträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Bezug auf das Arbeitsverhältnis sind Verbraucherverträge iSv. § 310 Abs. 3 Eingangshalbs. BGB. Dies gilt für Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über die Bedingungen der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gleichermaßen.
2. Die Überprüfung eines vor Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung formularmäßig erklärten Verzichts auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage am Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen.
3. Ein vor Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung formularmäßig erklärter Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist ohne eine ihn kompensierende Gegenleistung des Arbeitgebers wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
4. Die in einer Abwicklungsvereinbarung vom Arbeitgeber übernommene Verpflichtung, dem Arbeitnehmer ein Zeugnis mit einer näher bestimmten (überdurchschnittlichen) Leistungs- und Führungsbeurteilung zu erteilen, stellt keinen Vorteil dar, der geeignet wäre, den mit dem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage einhergehenden Nachteil auszugleichen.
Normenkette
BGB §§ 134, 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2; KSchG §§ 4, 6 S. 1, § 7; SGB IX § 2 Abs. 2-3, § 68 Abs. 1, 3, § 85
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. März 2014 – 5 Sa 1099/13 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 6. September 2013 – 1 Ca 65/13 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 2013 nicht aufgelöst worden ist.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.
Der einem Schwerbehinderten gleichgestellte Kläger war bei der Beklagten seit März 2002 als Fleischer beschäftigt.
Nach längerer Erkrankung und erfolgreicher Wiedereingliederung nahm der Kläger am 1. März 2013 seine Arbeit wieder auf. Zuvor hatten er und der Geschäftsführer der Beklagten mehrere Gespräche über eine mögliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt. Deren genauer Inhalt ist zwischen den Parteien streitig geblieben.
Am 5. März 2013 übergab der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger ein auf den 28. Februar 2013 datiertes Kündigungsschreiben. Darin hieß es, die Beklagte kündige das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristgerecht zum 30. Juni 2013. Zugleich überreichte der Geschäftsführer dem Kläger eine ebenfalls auf den 28. Februar 2013 datierte Abwicklungsvereinbarung, die beide Seiten unterschrieben. Sie lautete auszugsweise: „…
- Arbeitgeberin und Arbeitnehmer sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche und fristgemäße Kündigung vom 28.02.2013 aus betrieblichen Gründen zum 30. Juni 2013 sein Ende finden wird.
- Die Arbeitgeberin verpflichtet sich, dem Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist ein qualifiziertes Endzeugnis mit guter Leistungs- und Führungsbewertung zu erteilen.
- Der Arbeitnehmer bestätigt, dass er diese Erklärung freiwillig unter reiflicher Überlegung geschlossen hat. Er verzichtet hiermit ausdrücklich auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage. Die Arbeitgeberin weist darauf hin, dass sie über etwaige Nachteile beim Bezug von Arbeitslosengeld nicht belehrt hat und hierüber nur die für den Arbeitnehmer zuständige Arbeitsagentur Auskunft erteilen kann.
- Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus und im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gleich aus welchem Rechtsgrund – ob bekannt oder unbekannt – erledigt.
…”
Mit Schreiben vom 14. März 2013 erklärte der Kläger „die Anfechtung/den Widerruf” der Abwicklungsvereinbarung.
Der Kläger hat gegen die Kündigung rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten habe ihn über den Inhalt des Abwicklungsvertrags getäuscht. Er habe erklärt, darin seien eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 2013, die Zahlung einer Abfindung in Höhe eines Monatsgehalts und die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ohne sozialversicherungsrechtliche Nachteile vorgesehen gewesen. Hierauf habe er, der Kläger, vertraut und die Vereinbarung unterschrieben, ohne sie zu lesen. Der Kläger hat gemeint, die Vereinbarung sei zudem deshalb unwirksam, weil sie ihn unangemessen benachteilige.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 2013 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Abwicklungsvereinbarung sei wirksam. Sie sei mit dem Einverständnis des Klägers getroffen worden. Dieser habe selbst Zweifel gehabt, ob er aufgrund seines gesundheitlichen Zustands seine Arbeitsleistung künftig werde erbringen können. Eine unangemessene Benachteiligung des Klägers liege nicht vor. Das vereinbarte Zeugnis stelle die Gegenleistung für den Klageverzicht dar.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat auf sein Recht zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht wirksam verzichtet (I.). Die Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 2013 ist gem. § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig (II.).
I. Der Verzicht des Klägers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gem. Ziff. 3 Satz 2 der Abwicklungsvereinbarung der Parteien steht der Zulässigkeit und Begründetheit seiner Kündigungsschutzklage nicht entgegen. Der Klageverzicht ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Abwicklungsvereinbarung auch aufgrund der vom Kläger erklärten Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB nichtig ist.
1. Die Vorschrift des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist auf die Abwicklungsvereinbarung der Parteien und den darin enthaltenen Klageverzicht anwendbar.
a) Nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB findet § 307 BGB bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann Anwendung, wenn diese – soweit der Verbraucher auf ihre Formulierung keinen Einfluss nehmen konnte – nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind. Verträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Bezug auf das Arbeitsverhältnis sind Verbraucherverträge iSv. § 310 Abs. 3 Eingangshalbs. BGB (für Arbeitsverträge vgl. BAG 13. Februar 2013 – 5 AZR 2/12 – Rn. 14; 27. Juni 2012 – 5 AZR 530/11 – Rn. 14). Dies gilt für Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über die Bedingungen der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gleichermaßen. Der Arbeitnehmer handelt auch insoweit als Verbraucher iSd. § 13 BGB.
b) Da Verbrauchervertrag, ist die Wirksamkeit der Abwicklungsvereinbarung der Parteien gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB anhand von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beurteilen, ohne dass es darauf ankäme, ob es sich bei den in ihr enthaltenen Regelungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 BGB handelt. Die Vereinbarung wurde zur zumindest einmaligen Verwendung von der Beklagten vorformuliert. Der Kläger konnte auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen.
c) Die Überprüfung des in der Vereinbarung enthaltenen Klageverzichts am Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist nicht gem. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Unabhängig davon, ob es sich bei dem Verzicht um eine Haupt- oder Nebenabrede des Abwicklungsvertrags handelt, schiede eine Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nur dann aus, wenn in der Verzichtsabrede keine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung läge (BAG 25. September 2014 – 2 AZR 788/13 – Rn. 20 mwN). Mit einem – wie hier – vor Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklärten Klageverzicht ist eine solche Abweichung von Rechtsvorschriften jedoch verbunden (BAG 25. September 2014 – 2 AZR 788/13 – Rn. 21 mwN). Abgewichen wird von § 4 Satz 1 ggf. iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Nach diesen Bestimmungen sollen dem Arbeitnehmer drei Wochen Zeit für die Überlegung zur Verfügung stehen, ob er Kündigungsschutzklage erheben will (BAG 25. September 2014 – 2 AZR 788/13 – aaO; 6. September 2007 – 2 AZR 722/06 – Rn. 30 – 32, BAGE 124, 59).
2. Ein vor Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklärter formularmäßiger Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist ohne eine ihn kompensierende Gegenleistung des Arbeitgebers wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (BAG 25. September 2014 – 2 AZR 788/13 – Rn. 22, 24; 6. September 2007 – 2 AZR 722/06 – Rn. 37, BAGE 124, 59). Eine unangemessene Benachteiligung iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer in einer vorformulierten Erklärung ohne jegliche Gegenleistung auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet hat. Eine unangemessene Benachteiligung iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist mit einem solchen Verzicht vielmehr auch dann verbunden, wenn der Arbeitnehmer für seinen Verzicht keine angemessene Kompensation erhält.
a) Der Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage vor Ablauf der Klagefrist schränkt die Rechte des Arbeitnehmers nach dem Kündigungsschutzgesetz erheblich ein. § 4 Satz 1 und § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes sind das Ergebnis einer Abwägung zwischen den gegenläufigen grundrechtlichen Positionen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Regelungen sind ein Ausgleich zwischen dem Interesse des Arbeitnehmers an einem effektiven Bestandsschutz bei unwirksamer Kündigung und dem Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Gewissheit darüber, ob die Kündigung gerichtlich angegriffen wird oder er mit ihrer Rechtsbeständigkeit rechnen kann (vgl. BAG 25. September 2014 – 2 AZR 788/13 – Rn. 21; 28. Januar 2010 – 2 AZR 985/08 – Rn. 31, BAGE 133, 149). Verglichen mit der gesetzlich eingeräumten dreiwöchigen Frist zur Klageerhebung stellt der vorzeitige Verzicht auf das Recht, den Schutz vor einer ungerechtfertigten Kündigung gerichtlich geltend machen zu können, eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtsposition des Arbeitnehmers dar. In ihm liegt für sich genommen eine unangemessene Benachteiligung iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
b) Eine unangemessene Benachteiligung iSd. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB kann allerdings zu verneinen sein, wenn dem Arbeitnehmer an anderer Stelle vertraglich ein Vorteil gewährt wird. Dabei müssen Vor- und Nachteile in einem inneren Zusammenhang stehen (vgl. BAG 23. August 2012 – 8 AZR 804/11 – Rn. 45, BAGE 143, 62; BGH 29. November 2002 – V ZR 105/02 – zu II 4 b der Gründe, BGHZ 153, 93). Der gewährte Vorteil muss das durch die benachteiligende Vertragsbestimmung beeinträchtigte Interesse stärken. Er muss außerdem von einem solchen Gewicht sein, dass er einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigung darstellt (MüKo-BGB/Wurmnest 6. Aufl. § 307 Rn. 36; Däubler/Bonin/Deinert AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 4. Aufl. § 307 Rn. 95; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht 11. Aufl. § 307 Rn. 151). Insofern bedarf es einer Abwägung zwischen dem vereinbarten Nachteil einerseits und dem gewährten Vorteil andererseits (aA Worzalla SAE 2009, 31, 34).
c) Die Bedenken gegen das Erfordernis einer solchen Abwägung, sie sei angesichts der potentiell zu berücksichtigenden Faktoren nicht praktikabel (vgl. Krets FS Bauer S. 601, 608) oder laufe darauf hinaus, den „Preis” eines Arbeitnehmers zu bestimmen (so Rolfs FS Reuter S. 825, 835), greifen nicht durch. Die Angemessenheit eines für eine Benachteiligung gewährten Ausgleichs kann anders nicht festgestellt werden. Die Prüfung der Unangemessenheit einer Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist auf die Frage gerichtet, ob der Verwender durch seine Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BAG 14. Januar 2009 – 3 AZR 900/07 – Rn. 14, BAGE 129, 121; BGH 17. September 2009 – III ZR 207/08 – Rn. 18). Zur Beurteilung bedarf es einer umfassenden Würdigung ua. der auf beiden Seiten anzuerkennenden, typischerweise berührten Interessen (BAG 14. Januar 2009 – 3 AZR 900/07 – aaO; BGH 24. März 2010 – VIII ZR 178/08 – Rn. 26, BGHZ 185, 96). Auch die Angemessenheit einer Kompensation ist damit grundsätzlich nach einem generellen und typisierenden, vom Einzelfall losgelösten Maßstab zu prüfen. Bei Verbraucherverträgen sind gem. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB ggf. außerdem die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.
3. Im Streitfall fehlt es an einer angemessenen Kompensation für den Klageverzicht in Ziff. 3 Satz 2 der Abwicklungsvereinbarung. Die Beklagte hat dem Kläger im Zusammenhang mit seinem Verzicht keinen Vorteil gewährt, der als angemessener Ausgleich für die damit verbundene Benachteiligung angesehen werden könnte.
a) Die Beklagte hat geltend gemacht, die von ihr eingegangene Verpflichtung zur Erteilung eines „guten” Zeugnisses gem. Ziff. 2 der Abwicklungsvereinbarung stelle eine solche Gegenleistung dar.
b) Dies trifft nicht zu. Es kann dahinstehen, ob nicht der Umstand, dass die Vereinbarung über das Zeugnis eine Kompensation für den Klageverzicht darstellen soll, aus der Vereinbarung selbst ersichtlich sein müsste. Dafür könnte sprechen, dass sich dies – anders als etwa bei der Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes – nicht schon aus dem Sachzusammenhang selbst ergibt. Die in einer Abwicklungsvereinbarung vom Arbeitgeber übernommene Verpflichtung, dem Arbeitnehmer ein Zeugnis mit einer näher bestimmten (überdurchschnittlichen) Leistungs- und Führungsbeurteilung zu erteilen, stellt jedenfalls keinen Vorteil dar, der geeignet wäre, den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage auszugleichen.
aa) Ein Arbeitnehmer hat gegen den Arbeitgeber gem. § 109 Abs. 1
Satz 1 und Satz 3 GewO einen gesetzlichen Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis. Die Einigung in einer Abwicklungsvereinbarung darüber, dass der Arbeitgeber ein entsprechendes Zeugnis erteilen wird, dient damit zunächst einmal der Erfüllung dieses Anspruchs. In der vertraglichen Bekräftigung eines ohnehin bestehenden Anspruchs wiederum liegt keine kompensierende Gewährung eines Vorteils. Auch soweit die Parteien der Vereinbarung klarstellen, mit welchem Inhalt das Zeugnis erteilt werden soll, liegt darin kein spezifischer Vorteil für den Arbeitnehmer. Eine Einigung über den Inhalt eines zu erteilenden Zeugnisses ist vielmehr typischerweise für beide Seiten gleichermaßen von Nutzen. Dadurch kann in ihrer beider Interesse ein Rechtsstreit über die korrekte Erfüllung des Zeugnisanspruchs vermieden werden.
bb) Etwas anderes gilt in der Regel auch dann nicht, wenn sich der Arbeitgeber – wie hier – verpflichtet, ein Zeugnis mit einer „guten” und damit überdurchschnittlichen Beurteilung (vgl. BAG 18. November 2014 – 9 AZR 584/13 – Rn. 8) von Leistung und/oder Verhalten des Arbeitnehmers zu erteilen.
(1) Auch in diesem Fall ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber lediglich den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers erfüllen will. Ohne besondere Anhaltspunkte kann nicht angenommen werden, er wolle sich – uU zulasten Dritter – zu einer Beurteilung verpflichten, die den Tatsachen nicht entspricht und von seinem Beurteilungsspielraum nicht mehr gedeckt ist. Vielmehr ist grundsätzlich zu unterstellen, dass sich eine Vertragspartei rechtmäßig verhalten und deshalb keine Verpflichtung zu rechtswidrigem Handeln eingehen will. Auch mit der Verständigung auf ein überdurchschnittliches, „gutes” Zeugnis will der Arbeitgeber dann typischerweise nur seine gesetzlichen Pflichten erfüllen. Im Übrigen erschiene die Eingehung der Verpflichtung, ein objektiv unzutreffendes, „zu gutes” Zeugnis zu erteilen, rechtlich zumindest bedenklich und stellte aus diesem Grund ebenfalls keinen angemessenen Vorteil für den Arbeitnehmer dar.
(2) Soweit sich die Beklagte darauf beruft, sie habe dem Kläger mit der Einigung über den Inhalt des ihm zu erteilenden Zeugnisses deshalb einen Vorteil gewährt, weil sie ihm dadurch die Mühe erspart habe, es in einem Rechtsstreit durchzusetzen, in welchem die Darlegungs- und Beweislast für die Berechtigung einer überdurchschnittlichen Bewertung ihm obläge, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Zwar verweist die Beklagte zutreffend auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in einem Prozess um die Erteilung eines überdurchschnittlichen, „guten” Zeugnisses (zuletzt BAG 18. November 2014 – 9 AZR 584/13 – Rn. 8). Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Zeugnisinhalt, auf den sich die Parteien in einer Abwicklungsvereinbarung einigen, ihrer gemeinsamen Vorstellung von der ordnungsgemäßen Erfüllung des Zeugnisanspruchs entspricht. Der dem Arbeitnehmer gewährte Vorteil läge allein darin, dass der Arbeitgeber darauf verzichtet, die Berechtigung eines entsprechenden Anspruchs im Falle einer Klageerhebung zu bestreiten. Aus einem solchen Verzicht auf ein Verhalten, das mit den Pflichten zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB und zur wahrheitsgemäßen Erklärung nach § 138 Abs. 1 ZPO nicht zu vereinbaren sein dürfte, erwächst dem Vertragspartner jedoch kein ihn gegenüber der objektiven Rechtslage materiellrechtlich besser stellender Vorteil. Ein bloß prozessuales Entgegenkommen des Arbeitgebers bei der Durchsetzung des ohnehin bestehenden Zeugnisanspruchs des Arbeitnehmers stellt keine angemessene Kompensation für den Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage dar.
c) Sonstige Kompensationen für den Klageverzicht sind im Streitfall weder aus der Abwicklungsvereinbarung der Parteien ersichtlich, noch sonst behauptet. Die Verkürzung der Kündigungsfrist um einen Monat ging vielmehr zusätzlich zulasten des Klägers.
d) Darauf, ob der Kläger Sonderkündigungsschutz genoss, kommt es im gegebenen Zusammenhang nicht an. Dies wäre allenfalls geeignet, die Unangemessenheit des Klageverzichts zu verstärken.
II. Die Kündigung vom 28. Februar 2013 als solche ist unwirksam. Dies kann der Senat selbst entscheiden. Die vorliegende Klage ist – ungeachtet der Regelung des § 4 Satz 4 KSchG – rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG erhoben worden. Die Kündigung gilt daher nicht gem. § 7 KSchG als von Anfang an wirksam. Sie ist – wie vom Kläger bereits erstinstanzlich innerhalb der Fristen gem. § 4 Satz 1, § 6 Satz 1 KSchG geltend gemacht – nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.
1. Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG ist gewahrt. Die Kündigung ging dem Kläger am 5. März 2013 zu. Die Kündigungsschutzklage ist am 26. März 2013 beim Arbeitsgericht eingegangen und der Beklagten am 5. April 2013 – also „demnächst” iSv. § 167 ZPO – zugestellt worden.
2. Die Kündigung ist gem. § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig.
a) Der Kläger hat diesen Unwirksamkeitsgrund bereits erstinstanzlich geltend gemacht. Nach dem in der angefochtenen Entscheidung in Bezug genommen Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils hat er sich ua. darauf berufen, die Kündigung verstoße mangels Zustimmung des Integrationsamts gegen § 85 SGB IX.
b) Der Kläger unterfiel im Kündigungszeitpunkt dem besonderen Kündigungsschutz nach § 85 SGB IX. Er war zwar nicht schwerbehindert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad seiner Behinderung betrug nach dem Bescheid des Niedersächsischen Landesamts vom 19. April 2011 lediglich 30. Er war jedoch mit Wirkung ab dem 5. Mai 2011 gem. § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf auch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Diese lag nicht vor.
c) Der Kläger hat sein Recht, sich auf den Sonderkündigungsschutz zu berufen, nicht verwirkt. Selbst wenn die Beklagte von seiner Gleichstellung im Kündigungszeitpunkt noch keine Kenntnis gehabt haben sollte, hätte der Kläger sie darüber – was ausreichend ist – mit (rechtzeitiger) Klageerhebung (vgl. dazu BAG 23. Februar 2010 – 2 AZR 659/08 – Rn. 16, 21, BAGE 133, 249) nachträglich informiert. Er hat die Beklagte auf seine Gleichstellung in der Klageschrift hingewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Beklagte zu tragen.
Unterschriften
Kreft, Niemann, Rachor, Gans, Nielebock
Fundstellen
Haufe-Index 9108728 |
BAGE 2016, 1 |
BB 2016, 627 |
DB 2016, 7 |
DB 2016, 900 |
NJW 2016, 1195 |
FA 2016, 110 |
FA 2016, 156 |
NZA 2016, 351 |
ZTR 2016, 203 |
AP 2016 |
AuA 2017, 58 |
EzA-SD 2016, 10 |
EzA 2016 |
MDR 2016, 399 |
AUR 2016, 169 |
ArbRB 2016, 103 |
ArbR 2016, 147 |
GWR 2016, 150 |
AP-Newsletter 2016, 53 |