Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit des Konsultationsverfahrens vor der Massenentlassungsanzeige. Konsultationsverfahren und betroffene Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz. Verfassungskonforme erweiternde Auslegung des Entlassungsbegriffs bei der Vorbereitung von Massenentlassungen. Fristwahrung bei der Massenentlassungsanzeige für Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz und vorgelagertem behördlichen Zustimmungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Bei Arbeitnehmern in Elternzeit ist Entlassung iSd. § 17 KSchG bereits der Eingang des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung bei der zuständigen Behörde.
Orientierungssatz
1. Das Konsultationsverfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 MERL (§ 17 Abs. 2 KSchG) ist regelmäßig auf alle für eine Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmer zu erstrecken. Das gilt grundsätzlich auch für Arbeitnehmer, deren Kündigung einer behördlichen Zustimmung bedarf. Geht Arbeitnehmern mit einem solchen Sonderkündigungsschutz nach der behördlichen Zustimmung eine Kündigung erst außerhalb des 30-Tage-Zeitraums des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu, können sie sich jedoch nach der unionsrechtlichen Ausgestaltung des Massenentlassungsschutzes auf Fehler im Konsultationsverfahren nicht berufen. Solche Arbeitnehmer bedürfen des Massenentlassungsschutzes nach der MERL nicht.
2. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Systematik der MERL in § 17 KSchG übernommen. Diese Konzeption ist jedoch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2016 (- 1 BvR 3634/13 -) mit Art. 3 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 iVm. Art. 6 GG nicht uneingeschränkt vereinbar. Das gebietet eine verfassungskonforme Auslegung des § 17 KSchG: Arbeitnehmer, deren Kündigung allein deshalb außerhalb des 30-Tage-Zeitraums erfolgt, weil zuvor ein anderes behördliches Verfahren, das keinen dem Massenentlassungsschutz gleichwertigen Schutz bietet, durchgeführt werden musste, sind so zu behandeln, wie Arbeitnehmer, für deren Kündigungen § 17 KSchG gilt. Darum gilt der 30-Tage-Zeitraum in solchen Fällen auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde innerhalb dieses Zeitraums erfolgt ist.
3. Diese Erweiterung des nationalrechtlichen Entlassungsbegriffs für bestimmte Personen mit Sonderkündigungsschutz gegenüber den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union ist noch von der Günstigkeitsklausel in Art. 5 MERL gedeckt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1-2, 3 S. 1, Art. 6; RL 98/59/EG des Rates v. 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) Art. 1 Abs. 1 Buchst. a) Nr. i; RL 98/59/EG des Rates v. 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) Art. 2 Abs. 1; KSchG § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; BGB § 134; BEEG § 18 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 31. Oktober 2011 - 17 Sa 761/11 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Berufung hinsichtlich der gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Kündigungsschutzklage gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 10. März 2010 mit dem Antrag auf Feststellung des unveränderten Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. Juni 2013 zurückgewiesen hat.
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. April 2011 - 2 Ca 2422/10 - im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als es die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Kündigungsschutzklage gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 10. März 2010 sowie den gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Hilfsantrag auf Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 1. zu unveränderten Bedingungen bis 30. Juni 2013 abgewiesen hat.
Insoweit wird das Urteil wie folgt gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1. durch die Kündigung der Beklagten zu 1. vom 10. März 2010 nicht aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30. Juni 2013 unverändert fortbestanden hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Gerichtskosten erster Instanz zu 43 % sowie die Gerichtskosten zweiter Instanz zu 57 %.
Die Beklagte zu 1. trägt die Gerichtskosten erster Instanz zu 57 %, die Gerichtskosten zweiter Instanz zu 43 %. Die Gerichtskosten der Revisionsinstanz tragen die Klägerin und die Beklagte zu 1. je zur Hälfte.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. erster Instanz zu 43 % und die zweiter Instanz zu 57 %. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. voll. Die Beklagte zu 1. trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin der ersten Instanz zu 57 % und die der zweiten Instanz zu 43 %. Ihre außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz tragen die Klägerin und die Beklagte zu 1. je zur Hälfte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten nur noch darüber, ob die Klägerin sich auf den Massenentlassungsschutz nach § 17 KSchG berufen kann.
Die frühere Beklagte zu 1. (künftig Beklagte) ist die nach Rücknahme der Revision gegen die frühere Beklagte zu 2. mit Schriftsatz vom 23. April 2013 einzig verbliebene Beklagte. Sie ist eine ehemalige Fluggesellschaft, deren Hauptanteilseigner der griechische Staat ist. Sie unterhielt in Deutschland ua. eine Station in F mit 36 Arbeitnehmern. In dieser war die Klägerin, die sich bis zum 26. September 2011 in Elternzeit befand, seit Februar 1992 als Ticketing/Reservation Agent tätig.
Die Beklagte ist aufgrund des Beschlusses des Berufungsgerichts Athen (Efeteio) vom 2. Oktober 2009 in Sonderliquidation nach Art. 14 A des Gesetzes 3429/2005. Das führt gemäß Art. 14 A Nr. 4 dieses Gesetzes nicht zur Auflösung des Unternehmens. Der eingesetzte Liquidator führt die Geschäfte des Unternehmens, er verwaltet und vertritt es. Das Gericht setzte zunächst die E S.A., eine Aktiengesellschaft griechischen Rechts mit Sitz in Athen, später mit Wirkung zum 24. März 2015 die E T A.E als Liquidatorin ein.
Am 17. Dezember 2009 erstattete die Beklagte Massenentlassungsanzeige zur Beendigung aller 36 Arbeitsverhältnisse in der Station F. Ein Konsultationsverfahren führte sie nicht durch. Auf den am 17. Dezember 2009 eingegangenen Antrag der Beklagten vom 16. Dezember 2009 erklärte die zuständige Behörde die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit Bescheid vom 2. März 2010 für zulässig. Daraufhin kündigte Rechtsanwalt G das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 10. März 2010, das dieser am 12. März 2010 zuging, "namens und in Vollmacht des Sonderliquidators" zum 30. Juni 2010. Zuvor hatte er mit Schreiben vom 24. Dezember 2009 und 15. Januar 2010 die Arbeitsverhältnisse der übrigen Arbeitnehmer der Station in F gekündigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist zwischenzeitlich durch eine weitere Kündigung der Beklagten zum 30. Juni 2013 beendet.
Mit nicht unterzeichnetem Telefax vom 1. April 2010 hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewandt. Das unterschriebene Original der Klageschrift ist erst am 8. April 2010 beim Arbeitsgericht eingegangen. Als Beklagte ist die "E S.A. ... als Sonderliquidator über das Vermögen der Firma O S.A." angegeben. Die Klägerin hat mit am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 2. Juli 2010 beantragt, die Klage nachträglich zuzulassen.
Die Klägerin begehrt nach verschiedenen Rücknahmen von Anträgen und einer Beschränkung der Revision zuletzt nur noch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten bis zum 30. Juni 2013. Sie hat erstinstanzlich geltend gemacht, hinsichtlich der Kündigung vom 10. März 2010 liege keine wirksame Massenentlassungsanzeige vor. Jedenfalls sei dieser weder eine Unterrichtung des Betriebsrats oder eine Beratung mit demselben vorausgegangen, noch sei eine Stellungnahme des Betriebsrats zu einer eventuellen Massenentlassungsanzeige beigefügt gewesen.
Die Klägerin hat zuletzt bezogen auf das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beantragt
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung vom 10. März 2010 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 30. Juni 2010 hinaus bis zum 30. Juni 2013 unverändert fortbestanden hat;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin auch nicht durch andere Beendigungsgründe aufgelöst worden ist und über den 30. Juni 2010 hinaus bis zum 30. Juni 2013 unverändert fortbestanden hat.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Kündigung nach § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam gelte. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen werde. Die dagegen gerichtete Revision hat der Senat mit Urteil vom 25. April 2013 (- 6 AZR 49/12 -) zurückgewiesen. Er hat angenommen, der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG sei in der maßgeblichen Station in F bei Zugang der Kündigung am 12. März 2010 nicht mehr erreicht gewesen. Der 30-Tage-Zeitraum des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG sei bei Zugang der Kündigungserklärung verstrichen gewesen. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2016 (- 1 BvR 3634/13 -) aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Umfang der von der Klägerin zuletzt gestellten Anträge begründet, soweit sie sich gegen die Beklagte richtet. Die Kündigung der Beklagten vom 10. März 2010 war gemäß § 17 Abs. 2 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam, weil die Beklagte zuvor kein Konsultationsverfahren durchgeführt hatte. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat daher bis zum 30. Juni 2013 fortbestanden. Hinsichtlich der früheren Beklagten zu 2. ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts durch Revisionsrücknahme rechtskräftig geworden.
I. Die deutschen Gerichte sind für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 348/11 - Rn. 24, BAGE 144, 125).
II. Die Revision der Klägerin ist zulässig. Dafür ist das deutsche Prozessrecht maßgeblich (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 303/12 - Rn. 19). Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind unter Beachtung der §§ 25 ff. des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) postulationsfähig (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 303/12 - Rn. 21 ff.).
III. Die O S.A. als Schuldnerin ist, zuletzt vertreten durch die E T A.E als Sonderliquidatorin, passivlegitimiert. Die Auswirkungen der Bestellung der E S.A. bzw. der E T A.E zur Sonderliquidatorin über das Vermögen der Beklagten als Schuldnerin sowie ihre Befugnisse und ihre Rechtsstellung als Liquidatorin beurteilen sich nach griechischem Recht. Dabei ist unerheblich, ob das Sonderliquidationsverfahren ein Insolvenzverfahren iSv. Art. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) ist (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 752/11 - Rn. 24 ff.). Auch der deutsche ordre public steht der Anerkennung der Eröffnung des Sonderliquidationsverfahrens nicht entgegen. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 25. April 2013 (- 6 AZR 49/12 - Rn. 41 bis 68) ausführlich begründet. Daran hält er fest. Dagegen wendet sich die Klägerin nicht. Der Senat sieht daher davon ab, seine Ausführungen zu wiederholen.
IV. Die noch zur Entscheidung des Senats gestellten Anträge bedürfen der Auslegung. Den in der Revision zuletzt zu 2. gestellten Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungsgründe aufgelöst worden ist, hat die Klägerin in der Berufungsinstanz ausdrücklich gegen die Beklagte zu 2. gerichtet. Das Landesarbeitsgericht hat ihn dementsprechend beschieden. Die Umstellung dieses Antrags auf die Beklagte ist keine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung, weil in dem in den Vorinstanzen gegen die Beklagte gestellten Antrag zu 1. bereits der allgemeine Feststellungsantrag enthalten ist, der mit dem Antrag zu 2. lediglich klargestellt worden ist. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 13. Januar 2017 auf Hinweis des Senats erklärt hat, in den Anträgen zu 1. und 2. könne jeweils der Zusatz "und bis zum 30. Juni 2013" ergänzt werden, liegt darin eine Beschränkung der Revision.
V. Die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten bestimmt sich nach deutschem Arbeitsrecht. Auch in diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob das Sonderliquidationsverfahren der EuInsVO unterfällt (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 348/11 - Rn. 56 ff., BAGE 144, 125).
VI. Die Kündigung der Beklagten gilt nicht bereits nach § 7 Halbs. 1 KSchG als rechtswirksam.
1. Die gegen die "E S.A. ... als Sonderliquidator über das Vermögen der Firma O S.A." gerichtete Kündigungsschutzklage war unabhängig von dieser Bezeichnung aus den in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2012 (- 6 AZR 752/11 - Rn. 34 f.) genannten Gründen von vornherein gegen die O S.A. gerichtet. Entsprechendes gilt für den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Der Senat hat darum die ungenaue Parteibezeichnung richtiggestellt und nach der Ernennung der E T A.E zur neuen Sonderliquidatorin das Passivrubrum berichtigt.
2. Die Wirksamkeitsfiktion des § 7 Halbs. 1 KSchG ist nicht eingetreten. Die Kündigungsschutzklage ist verspätet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage jedoch zu Recht nachträglich zugelassen. Seine Würdigung hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand. Das hat der Senat in der Entscheidung vom 25. April 2013 (- 6 AZR 49/12 - Rn. 82 bis 105) ausführlich begründet. Daran hält er fest. Gegen diese Würdigung hat die Beklagte nach der Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht keine Rügen erhoben. Der Senat sieht daher davon ab, seine Ausführungen zu wiederholen.
VII. Die Beklagte hat vor der Kündigung vom 10. März 2010 das nach § 17 Abs. 2 KSchG auch für die von ihr geplante Betriebsstilllegung erforderliche (BAG in st. Rspr., zuletzt 22. September 2016 - 2 AZR 276/16 - Rn. 22) Konsultationsverfahren nicht durchgeführt. Sie hat gegenüber dem Gesamtbetriebsrat als zuständigem Gremium nicht deutlich gemacht, dass dieses Verfahren durchgeführt werden sollte und hat ihn auch nicht rechtzeitig unterrichtet. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2012 (- 6 AZR 752/11 - Rn. 44 ff.) ausführlich begründet und verweist darauf. Auf diesen Fehler kann sich die Klägerin berufen. Die Kündigung ist darum gemäß § 134 BGB nichtig (BAG 21. März 2013 - 2 AZR 60/12 - Rn. 19, BAGE 144, 366). Auf die weiteren, von der Klägerin geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe kam es deshalb nicht an.
1. Die Klägerin ist mit der Rüge, die Kündigung sei unwirksam, weil das Konsultationsverfahren nicht erfolgt sei, nicht nach § 6 Satz 1 KSchG präkludiert. Sie hat erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 1. April 2011 nicht nur gerügt, es sei keine Massenentlassungsanzeige erfolgt, sondern auch geltend gemacht, es sei keine Unterrichtung des Betriebsrats und keine Beratung mit ihm erfolgt. Darauf hat die Beklagte nicht erwidert. Jedenfalls in einer solchen Prozesssituation genügte es den Anforderungen des § 6 Satz 1 KSchG, dass die Beklagte dem erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin die "Stoßrichtung" der Rüge entnehmen konnte (vgl. BAG 20. Januar 2016 - 6 AZR 601/14 - Rn. 13 ff., BAGE 154, 53; vgl. Moll/Katerndahl Anm. AP KSchG 1969 § 17 Nr. 48, die generell davon ausgehen, Sinn und Zweck des § 6 Satz 1 KSchG erforderten keine Substantiierung der Rüge).
2. Die Beklagte musste vor der Kündigung der Klägerin das Massenentlassungsverfahren durchführen. Der nach § 17 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 KSchG maßgebliche Schwellenwert war überschritten.
a) Für die Berechnung des Schwellenwerts war auf die Station in F, in der die Klägerin eingesetzt war und der sie damit "angehörte" (vgl. EuGH 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wilson] Rn. 44 ff.), nicht aber auf die Gesamtheit der von der Beklagten in Deutschland unterhaltenen Stationen abzustellen (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 348/11 - Rn. 85, BAGE 144, 125). Ein betriebsverfassungsrechtliches Betriebsverständnis unter Heranziehung der §§ 1, 4 BetrVG führt zu keinem anderen Ergebnis (BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 348/11 - Rn. 84, aaO.).
b) In der Station F waren 36 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte musste daher gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG das Konsultationsverfahren durchführen, sobald sie beabsichtigte, innerhalb von 30 Tagen mehr als fünf Arbeitnehmer zu entlassen. Angesichts der von ihr geplanten Entlassung aller Arbeitnehmer dieser Station war sie deshalb zur Einleitung des Konsultationsverfahrens verpflichtet. Das galt auch bezüglich der beabsichtigten Kündigung der Klägerin, obwohl diese Kündigungserklärung wegen der erforderlichen behördlichen Zustimmung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG in der bis zum 31. Dezember 2014 geltenden Fassung vom 5. Dezember 2006 (BEEG aF) möglicherweise erst außerhalb des 30-Tage-Zeitraums des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erfolgen konnte und tatsächlich außerhalb dieses Zeitraums zugegangen ist.
aa) Der unionsrechtlich determinierte Arbeitnehmerschutz bei Massenentlassungen knüpft an den Zeitpunkt der Entlassung und damit an den Zugang der Kündigungserklärung an (EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 39, Slg. 2005, I-885; BAG in st. Rspr. seit 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 18, BAGE 117, 281; zuletzt 9. Juni 2016 - 6 AZR 405/15 - Rn. 17). Massenentlassungen liegen nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie - MERL -, ABl. EG L 225 vom 12. August 1998 S. 16) nur vor, wenn innerhalb von 30 Tagen eine bestimmte, von der Betriebsgröße abhängige Anzahl von Arbeitnehmern entlassen wird (Schwellenwert). Diese Definition ist vom Gesetzgeber in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG - mit von Art. 5 MERL gedeckten günstigeren Schwellenwerten (BAG 19. März 2015 - 8 AZR 119/14 - Rn. 42 f.) - in deutsches Recht umgesetzt worden. Maßgeblich für den Massenentlassungsschutz ist also grundsätzlich, ob der Arbeitgeber innerhalb von 30 Tagen mindestens die in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 KSchG genannte Anzahl von Kündigungen erklärt.
bb) Ausgehend von der Systematik der MERL entscheidet sich grundsätzlich erst im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärungen und damit aus der ex-post-Perspektive, ob tatsächlich eine Massenentlassung erfolgt ist und sich der gekündigte Arbeitnehmer auf diesen Schutz berufen kann.
(1) Anzahl und Zeitpunkt der Kündigungen stehen allerdings bei Einleitung des dem Anzeigeverfahren vorgelagerten Konsultationsverfahrens regelmäßig noch nicht fest. Das Konsultationsverfahren ist gemäß Art. 2 Abs. 1 MERL und § 17 Abs. 2 KSchG "rechtzeitig" einzuleiten, dh. zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber erwägt, Massenentlassungen vorzunehmen, oder einen Plan für Massenentlassungen aufstellt (EuGH 10. September 2009 - C-44/08 - [Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK ua.] Rn. 41, Slg. 2009, I-8163; BAG 9. Juni 2016 - 6 AZR 405/15 - Rn. 25). Der Arbeitgeber darf auch bei einer geplanten Betriebsstilllegung im Zeitpunkt der Einleitung des Konsultationsverfahrens noch keine unumkehrbaren Maßnahmen getroffen und damit vollendete Tatsachen geschaffen haben (vgl. EUArbR/Spelge RL 98/59/EG Art. 2 Rn. 16; APS/Moll 5. Aufl. KSchG § 17 Rn. 72; vgl. für §§ 111 ff. BetrVG BAG 14. April 2015 - 1 AZR 223/14 - Rn. 21). Anderenfalls kann der Betriebsrat den von Art. 2 MERL und § 17 Abs. 2 KSchG beabsichtigten möglichen Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers nicht (mehr) nehmen. Der Arbeitgeber muss darum regelmäßig das Konsultationsverfahren auf alle für eine Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmer erstrecken. Das gilt grundsätzlich auch für Arbeitnehmer, deren Kündigung wie im Fall der Klägerin behördlicher Zustimmung bedarf. Nur dann, wenn der Arbeitgeber bei Einleitung des Verfahrens sicher ausschließen kann, dass Arbeitnehmer innerhalb des 30-Tage-Zeitraums gekündigt werden, etwa weil er ihre Entlassung erst in einer zweiten "Kündigungswelle" plant (vgl. die der Entscheidung des BAG vom 9. Juni 2016 - 6 AZR 638/15 - zugrunde liegende Konstellation), muss er diese nach der Konzeption der MERL auch dann nicht in das Konsultationsverfahren einbeziehen, wenn ihnen Sonderkündigungsschutz zukommt.
(2) Arbeitnehmer, die außerhalb des 30-Tage-Zeitraums gekündigt werden, können sich jedoch unabhängig davon, ob dies auf ein behördliches Zustimmungserfordernis zurückzuführen ist, nach der unionsrechtlichen Ausgestaltung des Massenentlassungsschutzes auf Fehler im Konsultationsverfahren nicht berufen. Bei einer solchen Kündigung wird der Schutz der MERL nicht ausgelöst, weil keine Massenentlassung vorliegt. Das ist im Hinblick auf die Zielrichtung der Richtlinie auch konsequent, die ausweislich ihres Erwägungsgrundes 2 den Schutz von Arbeitnehmern bei Massenentlassungen verstärken soll. Des verstärkten Schutzes der MERL bedürfen Arbeitnehmer aber nur und insoweit, als die von der Richtlinie vorausgesetzten sozio-ökonomischen Auswirkungen (dazu EuGH 15. Februar 2007 - C-270/05 - [Athinaiki Chartopoiia] Rn. 28, Slg. 2007, I-1499; BAG 20. Januar 2016 - 6 AZR 601/14 - Rn. 27 f., BAGE 154, 53) eintreten können. Arbeitnehmer, denen eine Kündigung außerhalb des 30-Tage-Zeitraums zugeht, sind daher ausgehend vom Zweck der MERL nicht schutzwürdig. Unterfiele die Entlassung einzelner Arbeitnehmer dem Anwendungsbereich der Richtlinie, widerspräche dies zudem dem üblichen Sinn des Begriffs der "Massenentlassung" (EuGH 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wilson] Rn. 64).
cc) Der deutsche Gesetzgeber hat diese Systematik der MERL in § 17 KSchG übernommen. Die Klägerin hätte darum zwar wie die übrigen Arbeitnehmer der Station F in das von der Beklagten wegen der Ende 2009/Anfang 2010 geplanten Massenentlassung durchzuführende Konsultationsverfahren einbezogen werden müssen. Sie konnte sich nach dieser Systematik aber nicht auf den Massenentlassungsschutz und damit nicht auf Fehler im Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG berufen, weil ihre Kündigung tatsächlich nicht Teil einer Massenentlassung war. Die Klägerin hat nicht dargelegt (zur Darlegungslast für die Überschreitung des Schwellenwerts BAG 18. Oktober 2012 - 6 AZR 41/11 - Rn. 34; vgl. auch 21. März 2012 - 6 AZR 596/10 - Rn. 12 mwN), dass innerhalb von 30 Tagen im zeitlichen Umfeld der ihr am 12. März 2010 zugegangenen Kündigungserklärung noch mindestens fünf Kündigungen anderer Arbeitnehmer der Station F erfolgt sind.
dd) Diese Konzeption des deutschen Gesetzgebers ist aber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2016 - 1 BvR 3634/13 - mit Art. 3 Abs. 1 iVm. Art. 6 GG sowie mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in seiner Verstärkung durch Art. 3 Abs. 2 GG nicht uneingeschränkt vereinbar. Die Klägerin werde unzulässig wegen der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteiligt, wenn ihr der Schutz vor Massenentlassungen versagt werde, weil das Abwarten der gemäß § 18 BEEG aF wegen der Elternzeit notwendigen behördlichen Zustimmung zur Kündigung dazu geführt habe, dass die Kündigung erst nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums erklärt wurde. Daher seien Personen mit besonderem Kündigungsschutz, denen Kündigungen allein deshalb außerhalb des 30-Tage-Zeitraums zugingen, weil zuvor ein anderes behördliches Verfahren, das keinen dem Massenentlassungsschutz gleichwertigen Schutz biete, habe durchgeführt werden müssen, so zu behandeln wie Arbeitnehmer, für deren Kündigungen § 17 KSchG gilt. In diesen Fällen gelte deshalb der 30-Tage-Zeitraum auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde zu der Kündigung innerhalb dieses Zeitraums erfolgt sei. § 17 KSchG sei einer derartigen verfassungskonformen Auslegung zugänglich (BVerfG 8. Juni 2016 - 1 BvR 3634/13 - Rn. 15 ff. unter Heranziehung der für die Wahrung der Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB geltenden Grundsätze, vgl. dazu HaKo/Gieseler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 147).
ee) Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesen Vorgaben zur verfassungskonformen Auslegung des § 17 KSchG, ohne dies ausdrücklich offenzulegen, den nationalrechtlichen Entlassungsbegriff für bestimmte Personen mit Sonderkündigungsschutz gegenüber den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union erweitert (vgl. Laskawy EWiR 2016, 711, 712). Es hat zwar nur verlangt, dass Kündigungen von Arbeitnehmern, bei denen ein "nicht gleichwertiges behördliches Verfahren" zur Verzögerung des Kündigungszugangs führt, so behandelt werden, wie Kündigungen, für die die Regeln des Massenentlassungsschutzes gelten. Es hat jedoch dem Senat die verfassungskonforme Auslegung des § 17 KSchG, wonach die 30-Tage-Frist als gewahrt gelte, wenn der Antrag innerhalb von 30 Tagen erfolge, vorgegeben. Das hat zwingend die Neudefinition des Entlassungsbegriffs für Arbeitnehmer mit "nicht gleichwertigem" Sonderkündigungsschutz zur Folge. Maßgeblich ist für diesen Personenkreis nicht der Zugang der Kündigung, sondern der Eingang des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung bei der Behörde. Diese Neudefinition ist für den Senat bindend. Nach einer Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht ist das Fachgericht im Umfang der Feststellung nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Die Bindungswirkung erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch auf die den Tenor tragenden Gründe (vgl. nur BVerfG 8. September 2010 - 2 BvL 3/10 - Rn. 12, BVerfGK 18, 26). Die stattgebende Kammerentscheidung vom 8. Juni 2016 nimmt gemäß § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG an der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG teil (BVerfG 5. Dezember 2005 - 2 BvR 1964/05 - Rn. 74, BVerfGK 7, 21). In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Handhabung des § 17 KSchG entsprechend seinem Wortlaut und Normzweck durch den Senat in seinem Urteil vom 25. April 2013 (- 6 AZR 49/12 -) als unvereinbar mit dem Grundgesetz angesehen. Auch diese Feststellung ist bindend (vgl. BVerfG 6. Mai 1986 - 1 BvR 677/84 - zu II 1 b der Gründe, BVerfGE 72, 119). Die verfassungsrechtlich gebotene Einbeziehung von Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz, die außerhalb des 30-Tage-Zeitraums gekündigt werden, in den Massenentlassungsschutz lässt sich in der Systematik des § 17 KSchG nur durch die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene verfassungskonforme Erweiterung des Entlassungsbegriffs verwirklichen, auch wenn diese Erweiterung die Grenzen der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung (dazu BVerfG 25. Januar 2011 - 1 BvR 918/10 - Rn. 52 ff., BVerfGE 128, 193) wohl überschritten hätte, wenn der Senat sie von sich aus vorgenommen hätte.
ff) Mit den Vorgaben zur verfassungskonformen Erweiterung des Entlassungsbegriffs in § 17 KSchG hat das Bundesverfassungsgericht seine Kompetenzen nicht überschritten. Der Entlassungsbegriff unterliegt zwar allein der autonomen Interpretation durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH 12. Oktober 2004 - C-55/02 - [Kommission/Portugal] Rn. 45, Slg. 2004, I-9387).
Die Erweiterung des nationalrechtlichen Entlassungsbegriffs ist jedoch noch von der Günstigkeitsklausel in Art. 5 MERL gedeckt. Das Unionsrecht belässt insoweit dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum, der die verfassungsgerichtliche Prüfung ermöglicht (BVerfG 4. Oktober 2011 - 1 BvL 3/08 - [Investitionszulagengesetz] Rn. 45 f., BVerfGE 129, 186; BAG 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - Rn. 36, BAGE 141, 1). Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, der grundsätzlich gegenüber jeglichem nationalen Recht und damit auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht gilt (dazu EuGH 15. Januar 2013 - C-416/10 - [Krizan] Rn. 70; 11. Januar 2000 - C-285/98 - [Kreil] Slg. 2000, I-69 [zur Unvereinbarkeit des Art. 12a GG mit der RL 76/207/EWG]; 9. März 1978 - 106/77 - [Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal] Rn. 17 f., Slg. 1978, 629; BVerfG st. Rspr., zuletzt 21. Juni 2016 - 2 BvE 13/13 ua. - [OMT] Rn. 117 ff.) und der auch im Verhältnis zwischen einem Verfassungsgericht und innerstaatlichen Fachgerichten zu berücksichtigen ist (EuGH 15. Januar 2013 - C-416/10 - [Krizan] Rn. 70), tritt deshalb zurück, weshalb der Senat keinen Anlass zu einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV hatte.
(1) Die MERL gewährt nur einen Mindestschutz bei Massenentlassungen. Die Mitgliedstaaten können für die Arbeitnehmer günstigere einzelstaatliche Maßnahmen erlassen (EuGH 21. Dezember 2016 - C-201/15 - [AGET Iraklis] Rn. 29, 32). Das stellt Art. 5 MERL klar. Die Mitgliedstaaten sind jedoch ungeachtet dessen an die Auslegung gebunden, die der Gerichtshof der Europäischen Union den von ihm autonom auszulegenden Begriffen gibt (vgl. für den Betriebsbegriff EuGH 30. April 2015 - C-80/14 - [USDAW und Wilson] Rn. 67). Die nationalen Regelungen dürfen darum den Schutzstandard der Arbeitnehmer im Vergleich zu dem Standard, der nach der autonomen Auslegung der MERL durch den Gerichtshof der Europäischen Union besteht, nicht absenken (vgl. EuGH 13. Mai 2015 - C-392/13 - [Rabal Cañas] Rn. 52 ff.). Eine solche Absenkung tritt durch die Erweiterung des Entlassungsbegriffs jedenfalls in der vorliegenden Konstellation nicht ein.
(2) Auch die den nationalen Gestaltungsmöglichkeiten durch das Gebot des effet utile gezogene immanente Grenze ist nicht überschritten. Nationale Bestimmungen, die dem in Art. 2 bis Art. 4 MERL geregelten Verfahren seine praktische Wirksamkeit nehmen, weil sie dazu führen, dass jede tatsächliche Möglichkeit des Arbeitgebers, Massenentlassungen vorzunehmen, praktisch ausgeschlossen ist, sind von Art. 5 MERL nicht mehr gedeckt. Ob diese Grenzen überschritten sind, haben die nationalen Gerichte zu prüfen (EuGH 21. Dezember 2016 - C-201/15 - [AGET Iraklis] Rn. 37 f., 43). Das vom nationalen Verfassungsrecht geprägte Verständnis des Entlassungsbegriffs macht die Kündigung von Arbeitnehmern, die dem Schutz des § 18 BEEG unterfallen, nicht praktisch unmöglich.
3. Unter Zugrundelegung des erweiterten nationalen Entlassungsbegriffs kann sich auch die Klägerin darauf berufen, dass die Beklagte vor der Kündigung vom 10. März 2010 das Konsultationsverfahren nicht durchgeführt hat.
a) Die Kündigungserklärung ist der Klägerin allein deshalb später als 30 Tage zugegangen als den Arbeitnehmern, die sich auf den Massenentlassungsschutz auch nach dem Unionsrecht berufen können, weil die Beklagte zunächst die behördliche Zustimmung nach § 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG aF einholen musste. Das Zustimmungsverfahren nach § 18 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 BEEG aF gewährte im Fall der hier vorliegenden Betriebsstilllegung keinen § 17 KSchG gleichwertigen Schutz, weil die Kündigung regelmäßig für zulässig erklärt wird und sich deshalb die unterschiedliche Ausgestaltung des Kündigungsschutzes zu Lasten der Klägerin auswirkte. Dieser wurde die Gestaltungsoption, die dem Betriebsrat vor der Kündigung zukommt, genommen (BVerfG 8. Juni 2016 - 1 BvR 3634/13 - Rn. 18 f., 25).
b) Der Antrag der Beklagten auf Zustimmung zur Kündigung der Klägerin nach § 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG aF vom 16. Dezember 2009 ist am Folgetag und damit innerhalb von 30 Tagen vor dem Zugang von mindestens fünf Kündigungserklärungen, die die Beklagte mit Schreiben vom 24. Dezember 2009 erklärte (vgl. BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 752/11 -; 13. Dezember 2012 - 6 AZR 753/11 -; 13. Dezember 2012 - 6 AZR 755/11 -; 13. Dezember 2012 - 6 AZR 756/11 - und 13. Dezember 2012 - 6 AZR 6/12 -), bei der zuständigen Behörde eingegangen.
VIII. Die vom Bundesverfassungsgericht für erforderlich gehaltene verfassungskonforme Auslegung des Entlassungsbegriffs für bestimmte Personen mit Sonderkündigungsschutz wirft allerdings zahlreiche Folgeprobleme auf. Dies betrifft ua. die Frage, welche anderen behördlichen Zustimmungserfordernisse ebenso wie § 18 BEEG keinen dem Massenentlassungsschutz vergleichbaren Schutz bieten. Ungeklärt ist auch, ob der verfassungskonforme Entlassungsbegriff für alle Massenentlassungen gilt oder nur bei Betriebsstilllegungen (zweifelnd bereits für § 18 BEEG bei bloßen Betriebsänderungen Hexel DB 2016, 2486, 2487). Offen ist ferner, wie Kündigungen zu behandeln sind, bei denen der Antrag außerhalb des zeitlichen Zusammenhangs von 30 Tagen mit anderen Massenentlassungen erfolgt. Probleme entstehen insbesondere, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG (vgl. dazu BAG 9. Juni 2016 - 6 AZR 638/15 - Rn. 28) erteilt wird, wenn bei einer Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als solche zugleich Teil einer zweiten, § 17 KSchG unterfallenden Welle von Kündigungen ist oder wenn ein Arbeitgeber Kündigungen so staffelt, dass die Schwellenwerte stets (gerade noch) unterschritten werden, um so den Massenentlassungsschutz zu vermeiden. Der vorliegende Fall gibt jedoch keine Veranlassung, diese Fragen näher zu erörtern.
IX. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 100 ZPO. Dabei war zur Wahrung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung eine Kostenverteilung auch bezüglich der aus dem Revisionsverfahren ausgeschiedenen Beklagten zu 2. zu treffen (vgl. BAG 26. Juli 2016 - 1 AZR 160/14 - Rn. 106; BGH 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - zu III der Gründe). Bei der Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Klägerin in den Tatsacheninstanzen unterschiedliche, von den zuletzt in der Revision gestellten abweichende Anträge gestellt hatte.
Fundstellen
Haufe-Index 10923000 |
BAGE 2017, 104 |
BB 2017, 2493 |
BB 2017, 307 |
BB 2017, 883 |
DB 2017, 1094 |
DB 2017, 15 |
DB 2017, 7 |
DStR 2017, 12 |
DStR 2017, 14 |
DStR 2017, 1834 |