Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - fehlende Arbeitserlaubnis
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein ausländischer Arbeitnehmer ist grundsätzlich selbst verpflichtet, sich um die Erteilung und rechtzeitige Verlängerung der nach § 19 AFG erforderlichen Arbeitserlaubnis zu bemühen. Eine generelle Hinweispflicht des Arbeitgebers besteht insoweit nicht.
2. Ob das Fehlen der Arbeitserlaubnis eine der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall entgegenstehende weitere Ursache dafür darstellt, daß keine Arbeitsleistung erbracht wird, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls anhand des hypothetischen Kausalverlaufs zu prüfen.
3. Ergibt diese Prüfung, daß die Arbeitserlaubnis sofort antragsgemäß erteilt worden wäre, so ist das Fehlen der Arbeitserlaubnis für den Arbeitsausfall nicht mitursächlich.
4. Bei der Prüfung des Kausalverlaufs kann die später eingetretene tatsächliche Entwicklung herangezogen werden.
Normenkette
BGB § 242; AFG § 19 Abs. 1; LFZG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 05.07.1994; Aktenzeichen 11 Sa 2081/93) |
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 07.10.1993; Aktenzeichen 6 Ca 1518/93) |
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Lohnfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit trotz fehlender Arbeitserlaubnis in Anspruch.
Die 1960 geborene Klägerin war seit dem 2. März 1992 bei der Beklagten als Näherin beschäftigt; das Arbeitsverhältnis war bis zum 31. August 1993 befristet. Bei der Einstellung war die Klägerin im Besitz einer auf fünf Jahre befristeten Arbeitserlaubnis. Die Arbeitserlaubnis endete am 28. Februar 1993. Vom 21. Januar 1993 bis in den April 1993 war die Klägerin aufgrund verschiedener Krankheiten arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete ihr Lohnfortzahlung für die Zeit bis zum 28. Februar 1993. Für den März 1993 lehnte sie die Zahlung ab, weil die Arbeitserlaubnis abgelaufen war. Hiervon erfuhr die Klägerin am 20. April 1993. Sie beantragte noch am selben Tag eine neue Arbeitserlaubnis, die ihr auch am selben Tag, und zwar auf unbestimmte Zeit, erteilt wurde.
Die Klägerin hat geltend gemacht, ihrem Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat März 1993 in der unstreitigen Höhe der Klageforderung stehe das Fehlen einer Arbeitserlaubnis nicht entgegen. Lediglich infolge ihrer Erkrankung habe sie ihre Arbeitserlaubnis nicht rechtzeitig verlängern lassen. Die Beklagte handele treuwidrig, wenn sie die Lohnfortzahlung mit der Begründung verweigere, die Arbeitserlaubnis habe gefehlt; hätte die Beklagte sie rechtzeitig auf den Fristablauf hingewiesen, so hätte sie sogleich eine neue Arbeitserlaubnis beantragt und auch erhalten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.649,60 DM
brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 15. April 1993
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, zur Entgeltfortzahlung für den Monat März sei sie nicht verpflichtet; nicht die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sei Ursache dafür, daß die Klägerin im März 1993 nicht gearbeitet habe, sondern das Fehlen einer Arbeitserlaubnis und das damit einhergehende Beschäftigungsverbot. Sie habe nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, denn sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin auf den Ablauf der Arbeitserlaubnis hinzuweisen.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Lohnfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für den Monat März 1993 zu.
I. Dem Urteil des Berufungsgerichts ist im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zu folgen.
1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG (gültig bis zum 31. Mai 1994) behält ein Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, seinen Anspruch auf das Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muß die alleinige Ursache dafür sein, daß der Arbeiter seine Arbeitsleistung nicht erbringt (ständige Rechtsprechung und allgemeine Ansicht in der Literatur, zusammenfassend: BAG Urteil vom 5. Juli 1995 - 5 AZR 135/94 - AP Nr. 7 zu § 3 MuSchG 1968, zur Veröffentlichung auch in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 2 b (1) der Gründe; BAG Urteil 8. März 1989 - 5 AZR 116/88 - AP Nr. 17 zu § 2 LohnFG, zu II der Gründe und Urteil vom 7. September 1988 - 5 AZR 558/87 - AP Nr. 79 zu § 1 LohnFG, zu II 1 der Gründe, beide m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur). An der alleinigen Ursächlichkeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit fehlt es, wenn die Arbeit zumindest auch aus einem anderen Grund nicht geleistet worden ist.
2. Hiervon ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Es hat jedoch angenommen, die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, daß die Klägerin ihre Arbeit nicht habe leisten dürfen, weil ihre Arbeitserlaubnis abgelaufen gewesen sei. Die Beklagte handele rechtsmißbräuchlich, weil sie die Klägerin nicht rechtzeitig auf das Auslaufen der Arbeitserlaubnis hingewiesen habe.
Diese Auffassung begegnet Bedenken, kann aber offenbleiben. Grundsätzlich ist es Sache des Arbeitnehmers, sich die erforderliche Arbeitserlaubnis nach § 19 Abs. 1 Satz 1 AFG zu beschaffen (BAG Urteil vom 19. Januar 1977 - 3 AZR 66/75 - AP Nr. 3 zu § 19 AFG). Ob dies in Fällen anders ist, wenn der Arbeitgeber es übernommen hatte, für den Arbeitnehmer die Arbeitserlaubnis zu beantragen, kann dahinstehen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Auch sonstige Umstände, aus denen eine entsprechende Rechtspflicht der Beklagten folgen könnte, sind vorliegend nicht festgestellt. Daß der Beklagten als Arbeitgeberin der Ablauf der Arbeitserlaubnis bekannt war, rechtfertigt noch nicht die Annahme, sie habe sich um deren Verlängerung kümmern oder die Klägerin rechtzeitig aufmerksam machen müssen.
II. Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts. Vielmehr erweist sich seine Entscheidung im Ergebnis als richtig (§ 563 ZPO). Der festgestellte Sachverhalt ermöglicht eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Anspruch auf Lohnfortzahlung scheitert nicht an dem Fehlen einer Arbeitserlaubnis für den Monat März 1993.
1. Ob die Arbeitsleistung allein wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht erbracht worden ist, muß anhand eines hypothetischen Kausalverlaufs geprüft werden. Es ist zu fragen, ob die Arbeitsleistung erbracht worden wäre, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig krank gewesen wäre. Die Ansicht der Beklagten, maßgeblich sei allein das tatsächliche Geschehen, ist unrichtig. Sie läßt außer Betracht, daß ohne eine (hypothetische) Prüfung der alternativen Ursachen überhaupt nicht ermittelt werden kann, ob die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für das Nichtleisten der Arbeit ist. Eine andere Frage ist es, welche Anforderungen an die Feststellung des hypothetischen Kausalverlaufs zu stellen sind.
2. Soweit ersichtlich, haben sich die Gerichte für Arbeitssachen bisher nicht mit der Frage befaßt, inwieweit sich ein Beschäftigungsverbot nach § 19 Abs. 1 Satz 6 AFG auf die Alleinursächlichkeit einer zeitgleichen krankheitbedingten Arbeitsunfähigkeit auswirkt.
In der Literatur wird - soweit sie auf diese Fragestellung überhaupt eingeht - angenommen, das Beschäftigungsverbot infolge des Fehlens einer Arbeitserlaubnis stehe dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht entgegen, wenn der ausländische Arbeitnehmer zuvor tatsächlich trotz Fehlens einer Arbeitserlaubnis oder ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer Arbeitserlaubnis beschäftigt worden sei (Feichtinger, AR-Blattei SD Krankheit III Rz 50; Gola, EFZG, § 3 Anm. 3.2.4. (S. 105); MünchArbR-Schulin, § 81 Rz 65; Worzalla/Süllwald, Entgeltfortzahlung, § 3 EFZG Rz 25; wohl auch Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 3. Aufl., § 3 Rz 55).
Damit ist jedoch nur der besondere Fall angesprochen, daß der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverbot des § 19 Abs. 1 Satz 6 AFG (wissentlich oder unbemerkt) nicht beachtet (zum Bestand eines solchen Arbeitsverhältnisses vgl. BAG Urteil vom 16. Dezember 1976 - 3 AZR 716/75 - AP Nr. 4 zu § 19 AFG). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Beklagte die Klägerin tatsächlich über den 28. Februar 1993 hinaus nur beschäftigt hätte, wenn die Klägerin eine weitere Arbeitserlaubnis vorgelegt hätte.
3. Grundsätzlich stellt das Beschäftigungsverbot in einem solchem Fall einen Grund für das Nichtleisten der Arbeit dar. Das hat zur Folge, daß dann auch keine Lohnfortzahlung zu leisten ist. Steht aber fest, daß die Arbeitserlaubnis, wäre ihr Fehlen rechtzeitig bemerkt worden, sogleich im Anschluß an die abgelaufene Erlaubnis erteilt worden wäre, so steht auch fest, daß das Beschäftigungsverbot für das Nichtleisten der Arbeit nicht ursächlich werden konnte. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist dann die Alleinursache für den Arbeitsausfall. Bleibt hingegen offen, ob die Arbeitserlaubnis überhaupt oder nur mit einer zeitlichen Verzögerung erteilt worden wäre, so liegt eine zusätzliche Ursache für das Nichtleisten der Arbeit vor; die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit steht dann als alleinige Ursache für den Arbeitsausfall nicht fest.
a) Im Streitfall ist von der Alleinursächlichkeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß die Klägerin spätestens am 1. März 1993 eine neue Arbeitserlaubnis beantragt und erhalten hätte, wenn sie nicht arbeitsunfähig krank gewesen wäre. Wäre die Klägerin ohne Arbeitserlaubnis im Betrieb der Beklagten zur Arbeit erschienen, so hätte die Beklagte sie nach ihrer Darstellung zwar nicht beschäftigt, ihr aber zumindest auf Nachfrage den Grund dafür angegeben, also auf das Beschäftigungsverbot infolge des Ablaufs der Arbeitserlaubnis hingewiesen. Die Klägerin hätte dann, wie später geschehen, sofort ihre Arbeitserlaubnis erneut beantragt und erhalten.
b) In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte eingeräumt, daß die Klägerin, wäre sie nicht erkrankt, sogleich eine neue Arbeitserlaubnis erhalten hätte; das reiche aber nicht aus, da tatsächlich die neue Arbeitserlaubnis erst später, am 20. April 1993, erteilt worden sei. Die Beklagte verkennt, daß bei der Bewertung mehrerer Umstände, die für denselben Erfolg ursächlich werden können, immer nach einem hypothetischen Kausalverlauf gefragt werden muß. Es bleibt notwendigerweise bei einer Wahrscheinlichkeitsannahme, hier der Annahme, daß das Beschäftigungsverbot für das Nichtleisten der Arbeit nicht ursächlich werden konnte. Dann aber wird es oft am nächsten liegen, der Kausalitätsprüfung die später tatsächlich eingetretene Entwicklung zugrunde zu legen (so auch Senatsurteil vom 6. Dezember 1995 - 5 AZR 237/94 -, zur Veröffentlichung bestimmt, zu II 2 der Gründe). Tatsache ist, daß der Klägerin auf ihren Antrag sofort eine unbefristete Arbeitserlaubnis erteilt worden ist. Den Antrag hat sie zwar erst am 20. April 1993 gestellt, als ihr bekannt geworden war, daß ihre Arbeitserlaubnis abgelaufen war und die Beklagte deshalb die Lohnfortzahlung ablehnte. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, daß die Klägerin, hätte sie den Antrag am 28. Februar oder am 1. März 1993 gestellt, nicht ebenfalls sofort eine neue Arbeitserlaubnis erhalten hätte.
Griebeling Schliemann Reinecke
Werner Ackert
Fundstellen
Haufe-Index 440476 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 229 |
BB 1996, 2045 |
BB 1996, 2045-1046 (LT1-4) |
DB 1996, 2133-2134 (LT1-4) |
NJW 1997, 821 |
NJW 1997, 821-822 (LT1-4) |
EBE/BAG 1996, 150-151 (LT1-4) |
DRsp, VI(6108) 236b-c (LT1-4) |
ARST 1996, 225-226 (LT1-4) |
EEK, I/1184 (ST1-3) |
EWiR 1996, 1043 (L1-4) |
NZA 1996, 1087 |
NZA 1996, 1087-1088 (LT1-4) |
Quelle 1996, Nr 12, 24 (L1-3) |
RdA 1996, 391 (L1-4) |
SAE 1998, 118 |
USK, 9610 (T) |
ZTR 1996, 520 (L1-4) |
AP 00, Nr 00 |
AR-Blattei, ES 1000.3.1 Nr 174 (LT1-4) |
ArbuR 1996, 405 (S1) |
BAGUV, RdSchr 21/97 (T) |
EzA-SD 1996, Nr 19, 5-7 (ST1-2) |
EzA § 1 LohnFG, Nr 127 (LT1-4) |
EzA § 19 AFG, Nr 5 (L1-4) |
HVBG-INFO 1997, 43-45 (LT1-4) |
MDR 1997, 70 |
MDR 1997, 70-71 (LT1-4) |
PERSONAL 1997, 212 (L1-3) |
SGb 1996, 658 (L1-4) |
ZAR 2000, 87 |