Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhepausen des Krankenpflegepersonals
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber hat seine Pflicht, eine Ruhepause zu gewähren, nicht erfüllt, wenn er einer Gruppe von Arbeitnehmern überlassen hat, einvernehmlich die Ruhepause zu regeln, die Arbeitnehmer aber eine Regelung, aus der sich für den einzelnen eine im voraus festliegende Unterbrechung der Arbeitszeit ergibt, nicht getroffen haben oder eine von ihnen getroffene Regelung nicht durchführen.
2. Ob die Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten vom 13. Februar 1924 die Delegation des Pausenbestimmungsrechts vom Arbeitgeber an die betroffenen Arbeitnehmer erlaubt, bleibt im Anschluß an das Urteil des Senats vom 5. Mai 1988, 6 AZR 658/85 = BAGE 58, 243 = AP Nr 1 zu § 3 AZO Kr (juris: ArbZKrPflV) weiterhin unentschieden.
Normenkette
ArbZKrPflV § 3; BAT § 17 Abs. 5, § 15 Abs. 1, § 35 Abs. 3, § 17 Abs. 1; ZPO § 561 Abs. 2; AZO 1938 § 12 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 19.07.1990; Aktenzeichen 14 Sa 38/90) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 07.03.1990; Aktenzeichen 33 Ca 77/89) |
Tatbestand
Der Kläger verlangt Überstundenvergütung, weil er während der Ruhepausen habe arbeiten müssen.
Der Kläger ist seit dem 1. April 1982 in einem Krankenhaus der Beklagten als Krankenpfleger beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Die Intensivstation, auf der der Kläger arbeitet, verfügt über elf Intensivbetten und sechs Nachsorgebetten. In der Regel leisten während der Frühschicht sechs bis sieben, während der Spätschicht fünf und während der Nachtschicht vier Pflegekräfte Dienst. Außerdem sind Stationshilfen und weitere Hilfskräfte im Einsatz. Die Anwesenheitszeit des Klägers je Schicht beträgt acht Stunden und 30 Minuten. Diese Zeit vergütete die Beklagte ursprünglich voll, obwohl in sie eine halbstündige Ruhepause fällt. Nachdem der Rechnungshof darauf hingewiesen hat, daß Pausenzeiten nicht zu bezahlen seien, berücksichtigt die Beklagte bei der Vergütung nur noch die achtstündige Schichtzeit und einen sog. Pausenausgleich von sechs Minuten.
Eine Pausenregelung des Arbeitgebers gibt es für die Mitarbeiter der Intensivstation nicht. Sie halten sich während der Zeit, die die Beklagte als Ruhepause gewertet wissen möchte, gemeinsam in dem Bereitschaftsraum auf. Dort befindet sich ein Stationstelefon sowie eine Computeranlage mit Monitor, die der ständigen Sichtüberwachung der Patienten dient. Auch die akustische Überwachung von Beatmungs- und Infusionsgeräten findet vom Bereitschaftsraum aus statt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihm für die nicht vergüteten 24 Minuten der täglichen Anwesenheitszeit Überstundenvergütung zahlen. In dieser Zeit habe er keine Ruhepause gemacht, sondern gearbeitet. Das Stationstelefon im Bereitschaftsraum habe ständig geklingelt und sei deshalb auch von ihm bedient worden. Die Patienten hätten durchschnittlich zweimal die Patientenrufanlage betätigt. Auch die Sichtüberwachung und die akustische Überwachung habe er wahrnehmen müssen. Über die Frage der Festlegung und der Durchführung von Pausen sei mit ihm nicht gesprochen worden. Für Überstunden und Nachtdienstzuschläge während der Nachtdienste in der Zeit vom 1. Dezember 1985 bis 30. Oktober 1989 stünden ihm 1.887,56 DM und für Überstunden während der sonstigen Schichten in der Zeit vom 1. November 1985 bis zum 30. November 1989 stünden ihm 5.215,23 DM zu. Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.102,79 DM
brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen aus dem sich
daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 18. No-
vember 1989.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, die Pausenregelung sei den Pflegekräften selbst überlassen gewesen und hätte von ihnen auch getroffen werden können. Die Pflegekräfte könnten nacheinander ihre Pausen von entweder zweimal 15 Minuten oder einmal 30 Minuten festlegen und durchführen. Die Frage sei auch von der Abteilungsschwester mit den Mitarbeitern der Intensivstation erörtert worden. Diese hätten es aber vorgezogen, ihre Pause nicht nacheinander und getrennt voneinander durchzuführen, sondern statt dessen in Kauf genommen, daß während der gemeinsamen Pause einer oder mehrere von ihnen abgerufen werden konnten.
Das Arbeitsgericht hat, nachdem die Parteien über einen weiteren Streitgegenstand, der inzwischen nicht mehr rechtshängig ist, einen Widerrufsvergleich geschlossen hatten, durch Teilurteil der Klage in Höhe von 3.375,88 DM stattgegeben. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil die Ansprüche hinsichtlich der Nachtschichten für die Zeit vor dem 1. Januar 1987 verjährt und hinsichtlich der sonstigen Schichten für die Zeit vor dem 1. Mai 1988 verfallen seien. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage ist, soweit das Arbeitsgericht ihr stattgegeben hat, begründet.
I.Der Kläger hat Anspruch auf Überstundenvergütung und Nachtzuschläge für Überstunden, die er in der Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 31. Oktober 1989 in Nachtschichten geleistet hat, in Höhe von 1.349,57 DM und für Überstunden, die er in der Zeit vom 1. Mai 1988 bis zum 30. November 1989 in den sonstigen Schichten geleistet hat, in Höhe von 2.026,31 DM. Dies folgt aus § 17 Abs. 5 Satz 4 in Verb. mit § 35 Abs. 3 Unterabs. 2, § 17 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 BAT. Der Kläger hat in den 24 Minuten, um die die tägliche Zeit der Anwesenheit am Arbeitsplatz die bezahlte Arbeitszeit überstieg, gearbeitet. Denn die Beklagte hat dem Kläger während dieser Zeit keine Pause gewährt.
1.In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat das Landesarbeitsgericht den weder gesetzlich noch tariflich definierten Begriff der Pause zutreffend unter Rückgriff auf den natürlichen Sprachgebrauch bestimmt. Danach sind als Ruhepausen im voraus festliegende Unterbrechungen der Arbeitszeit anzusehen, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten braucht, sondern freie Verfügung darüber hat, wo und wie er diese Ruhezeit verbringen will. Entscheidendes Kriterium für die Pause ist somit die Freistellung des Arbeitnehmers von jeder Dienstverpflichtung und auch von jeder Verpflichtung, sich zum Dienst bereitzuhalten (BAGE 58, 243, 247 = AP Nr. 1 zu § 3 AZO Kr, zu II 2 der Gründe, m.w.N.).
2.Der Kläger war während der streitgegenständlichen Zeiträume nicht von jeder Dienstverpflichtung und auch von jeder Verpflichtung, sich zum Dienst bereitzuhalten, freigestellt.
a)Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die der Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden ist, gab es für die Mitarbeiter der Intensivstation keine Pausenregelung des Arbeitgebers. Damit fehlte es an einer Bestimmung, der der Kläger im voraus entnehmen konnte, von wann bis wann seine Arbeitszeit durch eine Ruhepause unterbrochen wurde.
b)Eine solche Regelung hat die Beklagte auch nicht dadurch getroffen, daß sie es den Mitarbeitern der Intensivstation überlassen hat, einvernehmlich zu bestimmen, wann sie ihre Ruhepause einlegen.
aa)Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist es zu einer einvernehmlichen Regelung der Ruhepause des Klägers durch die Mitarbeiter nicht gekommen. Diese blieben, auch wenn sie gemeinsam den Bereitschaftsraum aufsuchten, in Arbeitsbereitschaft. Eine Einigung darüber, wer von wann bis wann seine Ruhepause nimmt, trafen sie nicht. Zu einer im voraus festliegenden Unterbrechung der Arbeitszeit des Klägers führte somit auch dieses von der Beklagten - offenbar mit Billigung des Personalrats - geduldete Verfahren nicht. Denn kein Mitarbeiter konnte sich ohne Abstimmung mit seinen Kollegen, von der er im voraus nicht wußte, ob sie zustande käme, gänzlich aus der Arbeitsbereitschaft zurückziehen.
bb)Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus § 3 der Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten (AZO Kr) vom 13. Februar 1924.
Im Urteil vom 5. Mai 1988 (BAGE 58, 243, 247 f. = AP Nr. 1 zu § 3 AZO Kr, zu II 2 b der Gründe) hat der Senat die Auffassung vertreten, diese Bestimmung gestatte abweichend von der AZO dem Arbeitgeber möglicherweise eine Delegation des Pausenbestimmungsrechts an die betroffenen Arbeitnehmer. Die Frage brauchte nicht abschließend entschieden zu werden, weil den Klägerinnen jenes Verfahrens auch unter dieser Voraussetzung keine Pause gewährt worden war. Auch der vorliegende Fall nötigt den Senat nicht zu einer abschließenden Stellungnahme. Selbst wenn davon auszugehen wäre, daß der Arbeitgeber durch eine Regelung der Anstaltsleitung im Sinne des § 3 AZO Kr das Pausenbestimmungsrecht auf die Arbeitnehmer übertragen kann, würde dadurch die Pflicht zur Gewährung der Ruhepause (§ 12 Abs. 2 AZO) nur erfüllt, wenn die Mitarbeiter eine Regelung treffen, die für den einzelnen Arbeitnehmer verbindlich im voraus die Unterbrechung der Arbeitszeit festlegt. Im vorliegenden Fall ist es - wie dargelegt - zu einer solchen Regelung nicht gekommen.
Die Beklagte könnte demgegenüber nicht einwenden, sie habe den Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt, ihre Pause eigenverantwortlich zu gestalten. Dabei würde verkannt, daß durch die kollektive Übertragung des Pausenbestimmungsrechts auf die Arbeitnehmer dem einzelnen Arbeitnehmer gegenüber die Pflicht zur Gewährung einer Ruhepause nicht erfüllt wird, wenn die Arbeitnehmer - wie hier - keine Regelung treffen, die sicherstellt, daß der einzelne Arbeitnehmer während eines im voraus bestimmten Zeitraums seine Arbeit unterbrechen kann, oder wenn eine getroffene Regelung nicht eingehalten wird. Denn dafür, daß eine Pausenregelung zustande kommt und durchgeführt wird, ist der Arbeitgeber verantwortlich, weil es seine Pflicht ist, die Ruhepause zu gewähren.
Die Beklagte hätte somit eine verbindliche Pausenregelung jedenfalls treffen müssen, nachdem es zu einer Vereinbarung der Arbeitnehmer nicht gekommen war und auch die von der Beklagten behauptete Erörterung des Problems zwischen den Pflegern und der Stationsschwester, auf deren Vernehmung es somit entgegen der Revision nicht ankommt, keine Lösung gebracht hatte. Dadurch, daß die Beklagte eine solche Regelung, die der Zustimmung der Betriebsvertretung bedurft hätte (vgl. BAG Beschluß vom 6. November 1990 - 1 ABR 88/89 - EzA § 87 BetrVG 1972 Nr. 15), unterlassen hat, hat sie geduldet, daß der Kläger während der nicht vergüteten 24 Minuten der Anwesenheitszeit Arbeit oder Arbeitsbereitschaft geleistet hat.
II.Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Kläger den der Höhe nach unstreitigen Anspruch rechtzeitig geltend gemacht hat. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch.
1.Die Revision rügt, das Schreiben vom 30. Juli 1986, mit der der Kläger die Ansprüche bezüglich der Pausenzeiten im Nachtdienst unbeziffert geltend gemacht hat, sei inhaltlich zu unbestimmt gewesen. Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht mit Recht darauf hingewiesen, daß der Kläger den Grund seines Anspruchs, nämlich die Bezahlung von 24 Minuten Pausenzeit im Nachtdienst, ausdrücklich genannt und die Bezahlung plus Zuschläge verlangt hat, und daß wegen der Möglichkeit des beklagten Landes, jederzeit die Ansprüche zu berechnen, die Bezifferung entbehrlich war. Dem ist auch deshalb beizupflichten, weil der Beklagten der Anspruchssachverhalt bekannt war, nachdem sie bis zum Zeitpunkt der Prüfungsmitteilung des Rechnungshofs Zahlungen geleistet hatte.
2.Für das Schreiben vom 29. Dezember 1988, mit dem der Kläger Ansprüche auf Bezahlung von nicht gewährten Pausen für die sonstigen Schichten geltend gemacht hat, gilt das gleiche. Die Rüge der Revision, in dem Schreiben nehme der Kläger auf das nur Nachtschichten betreffende Urteil des Senats vom 5. Mai 1988 (aaO) Bezug, läßt unberücksichtigt, daß der Kläger die "Abgeltung von Überstunden" begehrt und allgemein auf die Dienstvereinbarung über Beginn und Ende der "täglichen Arbeitszeit" hinweist. Für die Beklagte konnte damit nicht zweifelhaft sein, daß der Kläger nunmehr auch die Bezahlung von Überstunden forderte, die er in Früh- und Spätschichten geleistet hatte.
III.Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Peifer Dr. Jobs Dr. Freitag
Fürbeth Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 440796 |
BB 1992, 495 |
BB 1993, 1086 |
BB 1993, 1086-1087 (LT1-2) |
DB 1992, 2247-2248 (LT1-2) |
DStR 1992, 405-405 (T) |
BuW 1992, 536 (K) |
EBE/BAG 1992, 101-103 (LT1-2) |
JurBüro 1992, 460 (T) |
RdA 1992, 285 |
USK, 9229 (LT) |
WzS 1993, 123 (L) |
ZAP, EN-Nr 339/92 (S) |
ZTR 1992, 378-379 (LT1-2) |
AP § 3 AZO Kr (LT1-2), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 990 Nr 15 (LT1-2) |
ArztR 1992, 264 (KT) |
EzA § 12 AZO, Nr 5 (LT1-2) |
EzBAT § 15 BAT Pausen, Nr 3 (LT1-2) |
MedR 1993, 73-74 (LT) |
PersF 1992, 585 (T) |
PersV 1993, 415 (L) |