Entscheidungsstichwort (Thema)
Praktische Tätigkeit iSd. § 7 Rettungsassistentengesetz (RettAssG). Anspruch auf angemessene Vergütung
Orientierungssatz
Der praktischen Tätigkeit nach § 7 RettAssG lag regelmäßig ein Vertragsverhältnis iSd. § 26 BBiG zugrunde. Der angehende Rettungsassistent hatte in diesen Fällen einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung gemäß § 17 BBiG.
Normenkette
BBiG § 1 Abs. 4-5, § 3 Abs. 1, § 17 Abs. 1 S. 1, §§ 25-26; RettAssG § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 4, 7, 8 Abs. 1 S. 2; ZPO § 319 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 19. November 2013 – 6 Sa 334/13 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Urteilsformel berichtigt und der Beklagte zur Zahlung von Zinsen nicht seit April 2012, sondern seit dem 5. April 2012 verurteilt wird.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt weitere Vergütung für ihre praktische Tätigkeit beim Beklagten während ihrer Ausbildung zur Rettungsassistentin.
Die Klägerin wollte vor der Aufnahme eines Medizinstudiums die staatliche Anerkennung als Rettungsassistentin erlangen. Bis zum 31. Dezember 2014 richtete sich die Ausbildung zum Rettungsassistenten nach dem Rettungsassistentengesetz (RettAssG) und der dazu erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Nach § 4 RettAssG war grundsätzlich die Teilnahme an einem Lehrgang und gemäß § 7 RettAssG eine praktische Tätigkeit erforderlich. Die Ausbildung konnte auch im sog. Stufenmodell erfolgen. Bei diesem konnte nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 RettAssG die Ausbildung zum Rettungssanitäter auf die theoretische Ausbildung zum Rettungsassistenten angerechnet werden. Die Klägerin begann nach ihrer Ausbildung zur Rettungssanitäterin im Februar 2010 im Wege des Stufenmodells die Ausbildung zur Rettungsassistentin und schloss im Juli/August 2010 den Lehrgang gemäß § 4 RettAssG erfolgreich mit der staatlichen Prüfung ab. Am 24. Juni 2010 schlossen die Parteien einen „Praktikantenvertrag”. Dieser regelt ua.:
„§ 1
Die Praktikantin wird während der praktischen Tätigkeit, die gemäß RettAssG und der RettAssAPrV nach der schulischen Ausbildung zu erfolgen hat, um die staatliche Anerkennung als Rettungsassistent zu erlangen, bei der staatlich anerkannten Lehr-Rettungswache des A e.V. beschäftigt.
§ 2
(1) Das Praktikantenverhältnis beginnt am 01.09.2010 und endet am 31.08.2011.
…
§ 3
Inhaltliche Grundlage des Praktikantenverhältnisses sind das RettAssG und die RettAssAPrV.
§ 4
Die Praktikantin erhält während der Praktikantenzeit eine Praktikantenvergütung in Höhe von monatlich EUR 126,00 brutto. Zulagen, Zeitzuschläge, Überstundenvergütungen o. ä. werden nicht gezahlt. Mit der o. g. Praktikantenvergütung sind alle finanziellen Ansprüche gegenüber dem A e.V. abgegolten.”
Mit ihrer am 11. Juni 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Beklagten am 14. Juni 2012 zugestellten Klage begehrt die Klägerin eine angemessene Vergütung für die Dauer des Praktikums. Sie hat die Ansicht vertreten, bei der Ausbildung zum Rettungsassistenten handele es sich um eine Berufsausbildung. Jedenfalls ergebe sich ihr Anspruch auf angemessene Vergütung aus den §§ 26, 17 BBiG. Im Übrigen sei sie während des Praktikums als Fahrerin oder Beifahrerin bei Krankentransporten oder als Fahrerin des Rettungswagens beschäftigt gewesen. Insofern habe es sich um ein Arbeitsverhältnis gehandelt. Um die konkreten Arbeitszeiten darlegen zu können, müsse zunächst der Beklagte die Dienstpläne vorlegen. Die Höhe der angemessenen Vergütung richte sich nach dem Tarifvertrag des Bayerischen Roten Kreuzes. Dieser sehe eine monatliche Vergütung für Rettungsassistenten im Praktikum iHv. 988,38 Euro brutto vor. Hilfsweise sei auf die Arbeitsvertragsrichtlinien der Johanniter bzw. auf den Tarifvertrag für die Praktikanten im öffentlichen Dienst abzustellen, nach denen eine höhere Vergütung für die praktische Tätigkeit zu zahlen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.348,56 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. April 2012 zu zahlen;
- hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an sie 13.272,60 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. April 2012 zu zahlen;
- hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an sie 13.171,56 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. April 2012 zu zahlen.
Zu seinem Klageabweisungsantrag hat der Beklagte die Ansicht vertreten, das Berufsbildungsgesetz finde auf das Praktikumsverhältnis der Parteien keine Anwendung. § 26 BBiG finde keine Anwendung, da die Klägerin vor der Aufnahme der Ausbildung zur Rettungsassistentin bereits zur Rettungssanitäterin ausgebildet worden sei. Jedenfalls sei die Vergütung nicht nach dem Tarifvertrag des Bayerischen Roten Kreuzes zu ermitteln.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von 10.348,56 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten „seit April 2012” verurteilt. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß §§ 26, 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG einen Anspruch auf Zahlung von 10.348,56 Euro brutto nebst Zinsen seit dem 5. April 2012. Die Vereinbarung in § 4 des „Praktikantenvertrags”, nach der der Klägerin monatlich nur 126,00 Euro brutto zustehen und damit sämtliche finanziellen Ansprüche abgegolten sein sollen, verstößt gegen das Unabdingbarkeitsgebot des § 25 BBiG und ist daher nichtig. Der Beklagte hat bezüglich der vom Landesarbeitsgericht als angemessen angenommenen Vergütung für die praktische Tätigkeit der Klägerin keinen revisiblen Rechtsfehler aufgezeigt.
I. Die §§ 26, 17 BBiG finden auf das Rechtsverhältnis der Parteien Anwendung. Diese Regelungen wurden nicht durch speziellere Vorschriften des RettAssG verdrängt.
1. Der Anwendung des BBiG steht nicht § 107 BBiG aF entgegen, wonach die bundesgesetzlichen Regelungen über die Berufsbildung in den Heil- und Heilhilfsberufen unberührt bleiben sollten. Zum einen ist die Vorschrift seit dem 1. April 2005 außer Kraft. Zum anderen war schon zu § 107 BBiG aF anerkannt, dass bundesgesetzliche Vorschriften dem BBiG nur dann vorgehen, wenn sie zu diesem im Widerspruch stehen. Im Übrigen galt und gilt auch für die Berufsbildung in den Heil- und Heilhilfsberufen das BBiG (BAG 7. März 1990 – 5 AZR 217/89 – zu I 2 der Gründe, BAGE 65, 34; Wohlgemuth in Wohlgemuth BbiG § 3 Rn. 15 f.).
2. Das RettAssG schloss die Anwendung des BBiG weder aus (anders zB § 7 PsychThG, vgl. dazu jüngst BAG 10. Februar 2015 – 9 AZR 289/13 – Rn. 12), noch enthielt es eine speziellere Regelung über die Vergütung der praktischen Tätigkeit (anders nun § 15 Abs. 1 NotSanG, wonach der Ausbildungsträger der Schülerin oder dem Schüler eine angemessene Ausbildungsvergütung zu gewähren hat). Soweit sich im Gesetzgebungsverfahren zum RettAssG Abgeordnete gegen eine Vergütungspflicht während der praktischen Tätigkeit ausgesprochen hatten, hat dies keinen Eingang in das Gesetz gefunden.
3. § 3 Abs. 1 BBiG hindert die Anwendung des BBiG nicht.
a) Nach dieser Vorschrift gilt das BBiG für die Berufsbildung, soweit sie nicht in berufsbildenden Schulen durchgeführt wird, die den Schulgesetzen der Länder unterstehen. Bei der nach § 7 RettAssG erforderlichen praktischen Tätigkeit der Klägerin handelte es sich nicht um eine in einer berufsbildenden Schule durchgeführte Berufsbildung. Die praktische Tätigkeit unterfiel nicht den Schulgesetzen des Freistaats Bayern. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b RettAssG setzte die Erteilung der Erlaubnis, die Berufsbezeichnung „Rettungsassistentin” oder „Rettungsassistent” zu führen, die Teilnahme an einem Lehrgang (§ 4 RettAssG) oder Ergänzungslehrgang (§ 8 Abs. 3 RettAssG) mit bestandener staatlicher Prüfung sowie die erfolgreiche Ableistung einer praktischen Tätigkeit voraus.
b) Der Lehrgang nach § 4 RettAssG musste aus mindestens 1.200 Stunden theoretischer und praktischer Ausbildung bestehen. Die theoretische Ausbildung wurde von staatlich anerkannten Schulen für Rettungsassistenten durchgeführt und schloss mit einer staatlichen Prüfung ab. An einem solchen Lehrgang hatte die Klägerin erfolgreich teilgenommen, bevor sie ihre praktische Tätigkeit beim Beklagten am 1. September 2010 aufnahm. Die schulische Ausbildung endete mit der erfolgreichen Ablegung der staatlichen Prüfung (§ 4 Satz 2 RettAssG). Die sich daran anschließende praktische Tätigkeit beim Beklagten war kein in die schulische Ausbildung integrierter Bestandteil, was die Anwendbarkeit des BBiG ausschlösse (vgl. zum Praktikum als Bestandteil eines Fachhochschulstudiums BAG 19. Juni 1974 – 4 AZR 436/73 – BAGE 26, 198).
c) Diese Trennung zwischen der schulischen und praktischen Ausbildung zeigte sich auch an den Regelungen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten vom 7. November 1989 (RettAssAPrV). § 5 Abs. 1 Nr. 2 dieser Verordnung legte fest, dass Mitglied des Prüfungsausschusses an den Schulen, die den Lehrgang nach § 4 RettAssG durchführten, ein Beauftragter der Schulverwaltung sein musste, wenn die Schule nach den Schulgesetzen eines Landes der staatlichen Aufsicht durch die Schulverwaltung unterstand. Demgegenüber war bei der Entscheidung, ob die praktische Tätigkeit nach § 7 iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b RettAssG erfolgreich abgeschlossen worden ist, kein Vertreter einer staatlichen Schulbehörde beteiligt. § 2 Abs. 2 RettAssAPrV verlangte für die Bescheinigung über die erfolgreiche Ableistung der praktischen Tätigkeit die Vorlage eines Berichtshefts in Form eines Ausbildungsnachweises und die Durchführung eines Abschlussgesprächs, in dessen Rahmen festgestellt wurde, dass der Praktikant die in § 2 Abs. 1 RettAssAPrV genannten Kenntnisse und Fertigkeiten erworben hat. Dieses Abschlussgespräch wurde von einem von der zuständigen Behörde beauftragten Arzt gemeinsam mit dem Rettungsassistenten oder der Rettungsassistentin geführt, der oder die den Praktikanten angeleitet hatte. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. k der bayerischen Verordnung über die zuständigen Behörden zum Vollzug des Rechts der Heilberufe vom 17. Dezember 1996 (HeilBZustV) waren die Regierungen die zuständigen Behörden. Nach § 3 Abs. 7 HeilBZustV wurde der Arzt nach § 2 RettAssAPrV von der Regierung beauftragt, in deren Bereich die praktische Tätigkeit abgeschlossen wurde.
d) Auch die Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 2 RettAssG, welche die Anrechnung einer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeleisteten praktischen Tätigkeit auf die Dauer der praktischen Tätigkeit nach § 7 RettAssG ermöglichte, spricht dafür, dass die praktische Tätigkeit keinen Bestandteil der schulischen Ausbildung nach § 4 RettAssG darstellte.
II. Das von den Parteien für die Zeit vom 1. September 2010 bis zum 31. August 2011 begründete Rechtsverhältnis erfüllt die Voraussetzungen des § 26 BBiG. Soweit nicht ein Arbeitsverhältnis vereinbart ist, gelten nach dieser Vorschrift für Personen, die eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung iSd. BBiG handelt, die §§ 10 bis 23 BBiG und § 25 BBiG mit der Maßgabe, dass die gesetzliche Probezeit abgekürzt, auf die Vertragsniederschrift verzichtet und bei vorzeitiger Lösung des Vertragsverhältnisses nach Ablauf der Probezeit abweichend von § 23 Abs. 1 Satz 1 BBiG Schadensersatz nicht verlangt werden kann.
1. Die Parteien haben kein Arbeitsverhältnis, sondern ein Praktikumsverhältnis vereinbart.
a) Ob ein Arbeitsverhältnis oder ein anderes Rechtsverhältnis vorliegt, ist grundsätzlich anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, wobei der objektive Geschäftsinhalt den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen ist. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist Letztere maßgeblich (BAG 18. März 2014 – 9 AZR 740/13 – Rn. 19 mwN). Ein Praktikant ist in aller Regel vorübergehend in einem Betrieb tätig, um sich die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen. Allerdings findet in einem Praktikumsverhältnis keine systematische Berufsausbildung statt. Vielmehr ist ein Praktikum häufig Teil einer Gesamtausbildung und wird nicht selten für die Zulassung zum Studium oder Beruf benötigt. Bei einem Praktikumsverhältnis steht der Ausbildungszweck im Vordergrund (BAG 13. März 2003 – 6 AZR 564/01 – zu II 2 b der Gründe; vgl. auch ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 26 BBiG Rn. 3; BeckOK ArbR/Hagen Stand 1. April 2015 BBiG § 26 Rn. 4). Nicht maßgeblich ist dagegen die von den Parteien gewählte Bezeichnung des Rechtsverhältnisses als „Praktikum” (vgl. BAG 13. März 2003 – 6 AZR 564/01 – zu II 2 c der Gründe). Dieses Verständnis hat der Gesetzgeber durch die Definition in § 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG grundsätzlich anerkannt (vgl. zu Abweichungen in der Definition: Düwell DB 2014, 2047, 2048; ErfK/Franzen 15. Aufl. § 22 MiLoG Rn. 7). Die Würdigung, ob ein Arbeitsverhältnis oder ein anderes Rechtsverhältnis vorliegt, ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 18. März 2014– 9 AZR 740/13 – Rn. 20 mwN).
b) Ohne revisiblen Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht das Rechtsverhältnis der Parteien nicht als Arbeitsverhältnis eingeordnet (vgl. zu einer praktischen Tätigkeit nach § 7 MPhG: Hessisches LAG 12. September 2005 – 10 Sa 1843/04 – juris – Rn. 36; Leinemann/Taubert BBiG 2. Aufl. § 26 Rn. 16). Zu Recht hat es darauf hingewiesen, dass nach § 3 des „Praktikantenvertrags” das RettAssG und die RettAssAPrV Inhalt des Rechtsverhältnisses waren. Der Beklagte greift diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts mit seiner Revision nicht an. Die Klägerin hat keine durchgreifenden Gegenrügen erhoben.
2. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass es sich bei der praktischen Tätigkeit der Klägerin nicht um eine Berufsausbildung iSd. BBiG gehandelt hat. Auch gegen diese Feststellung richtet sich kein Angriff der Revision.
3. Entgegen der Auffassung des Beklagten war die praktische Tätigkeit nach § 7 RettAssG keine die Anwendung des § 26 BBiG ausschließende Fortbildung (vgl. dazu Leinemann/Taubert aaO § 26 Rn. 31).
a) Nach § 1 Abs. 4 BBiG soll es die berufliche Fortbildung ermöglichen, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern und beruflich aufzusteigen. Von der Berufsausbildung unterscheidet sich die berufliche Fortbildung iSd. § 1 Abs. 4, §§ 53 ff. BBiG dadurch, dass sie grundsätzlich eine Berufsausbildung voraussetzt (Benecke in Benecke/ Hergenröder BBiG § 1 Rn. 8, 17). Die Klägerin war bei Beginn ihrer praktischen Tätigkeit noch keine Rettungsassistentin. Das Praktikum konnte daher auch nicht ihrer Fortbildung als Rettungsassistentin dienen, sondern bezweckte erst die staatliche Anerkennung als Rettungsassistentin.
b) Die praktische Tätigkeit der Klägerin beim Beklagten war entgegen der Ansicht der Revision auch keine Fortbildung in Bezug auf die von der Klägerin zunächst erworbene Qualifikation als Rettungssanitäterin. Sie diente iSd. § 2 RettAssAPrV ausschließlich dem Erwerb der für die Berufsausübung als Rettungsassistentin wesentlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Ziel und Gegenstand des Praktikums war somit nicht die Erhaltung oder die Erweiterung der beruflichen Handlungsfähigkeiten als Rettungssanitäterin.
4. Bei der praktischen Tätigkeit nach § 7 RettAssG handelte es sich auch nicht um eine die Anwendbarkeit des § 26 BBiG ausschließende Umschulung (vgl. BAG 12. Februar 2013 – 3 AZR 120/11 – Rn. 11; Leinemann/Taubert aaO). Nach § 1 Abs. 5 BBiG soll die berufliche Umschulung nach den §§ 58 ff. BBiG zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen.
a) Das bei dem Beklagten absolvierte Praktikum befähigte die Klägerin allein noch nicht zu einer anderen beruflichen Tätigkeit. Die Qualifikation zur Rettungsassistentin setzte zudem einen Lehrgang iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 4 RettAssG voraus.
b) Aber auch eine Gesamtschau von Lehrgang und praktischer Tätigkeit führt nicht dazu, dass § 26 BBiG wegen Vorliegens einer Umschulung keine Anwendung findet. Jedenfalls dann, wenn es an einer erheblichen zwischenzeitlichen beruflichen Betätigung in dem zuerst erlernten Beruf fehlt, kann die Zweitausbildung zu einem anerkannten Ausbildungsberuf im Anschluss an eine vorhergehende abgeschlossene Berufsausbildung nicht als Umschulung iSd. BBiG angesehen werden (BAG 3. Juni 1987 – 5 AZR 285/86 – zu II 2 b der Gründe). Die Klägerin begann die Ausbildung zur Rettungsassistentin unmittelbar nach ihrer Ausbildung zur Rettungssanitäterin. Dies bewirkte, dass ihr keine im Rettungsdienst abgeleistete Tätigkeit iSd. § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG auf die praktische Tätigkeit nach § 7 RettAssG angerechnet werden konnte.
III. Ohne revisiblen Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die von der Klägerin mit ihrem Hauptantrag verlangte Vergütung von 988,38 Euro brutto pro Monat iSd. § 17 BBiG angemessen war.
1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Die Regelung ist – wie schon die Vorgängernorm § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (aF) – nur eine Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest (BAG 22. Januar 2008 – 9 AZR 999/06 – Rn. 32, BAGE 125, 285; vgl. auch BT-Drucks. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung (BAG 26. März 2013 – 3 AZR 89/11 – Rn. 10; 22. Januar 2008 – 9 AZR 999/06 – Rn. 33 mwN, aaO).
2. Die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Die „angemessene Vergütung” iSd. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar (BAG 17. März 2015 – 9 AZR 732/13 – Rn. 11; vgl. zur Angemessenheit iSd. § 32 UrhG ebenso BVerfG 23. Oktober 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11 – Rn. 84, BVerfGE 134, 204). Bezüglich seiner Anwendung ist revisionsrechtlich lediglich zu überprüfen, ob das Urteil das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen lässt und ob das Landesarbeitsgericht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. zur angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG: BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 69; 22. Januar 2009 – 8 AZR 906/07 – Rn. 80 mwN, BAGE 129, 181).
3. Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen Tarifverträge (st. Rspr., zuletzt BAG 16. Juli 2013 – 9 AZR 784/11 – Rn. 13 mwN, BAGE 145, 371). Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen haben die Vermutung der Angemessenheit für sich (BAG 21. Mai 2014 – 4 AZR 50/13 – Rn. 29 mwN, BAGE 148, 139). Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen. Eine Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 vH unterschreitet (BAG 26. März 2013 – 3 AZR 89/11 – Rn. 11 mwN). Wenn einschlägige tarifliche Regelungen fehlen, kann auf branchenübliche Sätze abgestellt werden, eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbezweigs entsprechende Vergütung zugrunde gelegt oder auf Empfehlungen der Kammern oder Handwerksinnungen zurückgegriffen werden (st. Rspr., zuletzt BAG 17. März 2015 – 9 AZR 732/13 – Rn. 14 mwN).
4. Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat das Landesarbeitsgericht nicht rechtsfehlerhaft zur Bestimmung der angemessenen Vergütung mangels einer einschlägigen tariflichen Regelung auf die tarifliche Vergütung für die Praktikanten zum Rettungsassistenten im Tarifvertrag des Bayerischen Roten Kreuzes abgestellt. Der räumliche und der fachliche Geltungsbereich waren gegeben. Hinzu kommt, dass dieser Tarifvertrag auf zahlreiche Praktikanten während ihrer Ausbildung zum Rettungsassistenten Anwendung fand. Der Einwand des Beklagten, er habe nur eine geringere Vergütung zahlen können, weil er im Einklang mit dem RettAssG und der RettAssAPrV die Praktikanten stets nur gemeinsam mit anderen Rettungsassistenten eingesetzt habe, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Klägerin hat diese Behauptung des Beklagten bestritten und vorgetragen, sie sei in erheblichem Umfang als Fahrerin eingesetzt worden, ohne dass der Beklagte diesem Vortrag substanziiert unter Vorlage der Dienstpläne entgegengetreten ist.
IV. Die Revision ist auch insoweit unbegründet, als der Beklagte unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. September 1998 (– 5 AZR 690/97 –) rügt, bei der Berechnung der Klageforderung sei nicht berücksichtigt worden, dass er monatlich 126,00 Euro netto gezahlt und zusätzlich Sozialversicherungsbeiträge abgeführt habe. Bei dem Vortrag, der Beklagte habe monatlich 50,16 Euro an Abgaben für die Klägerin abgeführt, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der nach § 559 ZPO vom Revisionsgericht nicht berücksichtigt werden kann. Aus der herangezogenen Entscheidung ergibt sich nichts anderes. Die Klägerin hat den Vortrag des Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 9. März 2015 nicht zugestanden, sondern ausdrücklich darauf hingewiesen, der Beklagte habe die Berechnung der Klageforderung in den Vorinstanzen nicht gerügt.
V. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat den Beklagten mit außergerichtlichem Schreiben vom 19. März 2012 zur Zahlung bis zum 4. April 2012 erfolglos aufgefordert.
Der Senat hatte den Ausspruch des Landesarbeitsgerichts zum Zinsbeginn zu berichtigen, weil das Berufungsgericht das Datum nicht vollständig in die Urteilsformel aufgenommen hat. Die Auslassung ist ein erkennbares Versehen und damit eine offenbare Unrichtigkeit iSv. § 319 Abs. 1 ZPO. Das Bundesarbeitsgericht ist als das mit der Sache befasste Rechtsmittelgericht für die Berichtigung zuständig (vgl. BAG 24. März 2009 – 9 AZR 733/07 – Rn. 28, BAGE 130, 101; BGH 3. Juli 1996 – VIII ZR 221/95 – zu II 3 b der Gründe, BGHZ 133, 184).
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Brühler, Krasshöfer, Klose, Mehnert, Heilmann
Fundstellen
NZA 2016, 975 |
AP 2016 |
EzA-SD 2015, 11 |
NJOZ 2015, 1816 |