Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 17 SGB 7. Pflegetätigkeit im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Behandlungspflege. Abholen eines Rezeptes beim Arzt und dessen Einlösen in der Apotheke. Nichtvorliegen einer Hilfeleistung im Bereich der Mobilität. allgemeiner Beaufsichtigungsbedarf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unfallversicherungsschutz einer Pflegeperson.

2. Das Abholen eines Rezeptes für den Pflegebedürftigen beim Arzt und dessen Einlösen in der Apotheke stellt eine versicherte Pflegetätigkeit aus dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Einkaufen) dar.

 

Orientierungssatz

1. Zum Nichtvorliegen einer Hilfeleistung im Bereich der Mobilität.

2. Das bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen stellt keinen Hilfebedarf bei einer der Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB 11 dar.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. Januar 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2012 aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall der Klägerin vom 20. Dezember 2011 ein Arbeitsunfall ist.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin und Berufungsklägerin bei ihrem Unfall am 20. Dezember 2011 als Pflegeperson ihres Ehemannes im Sinne von § 19 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) gesetzlich unfallversichert gewesen ist und somit ein Arbeitsunfall vorliegt.

Beim Ehemann der Klägerin liegen seit Mai 1995 die Voraussetzungen zur Anerkennung einer Pflegebedürftigkeit vor. Seither pflegte die Klägerin, unterstützt durch ihre Tochter und jetzige Betreuerin C. (nachfolgend: E.K.), ihren Ehemann, mit dem sie gemeinsam in einer Doppelhaushälfte wohnte. Zum Unfallzeitpunkt war die Pflegestufe II zuerkannt. In einem Gutachten des MDK vom 21. Januar 2011 waren als pflegebegründende Diagnosen aufgeführt: Zustand nach viermaligem Hirninfarkt (zuletzt November 2010) mit Resthemischwäche rechts sowie Demenz mit Orientierungsstörungen. Weiter wurde vermerkt, dass der Ehemann der Klägerin zeitlich und situativ desorientiert war, sich teilweise verbal aggressiv verhielt und Weglauftendenzen zeigte. Sein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege wurde mit 120 Minuten, derjenige im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung mit 60 Minuten bewertet. Eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz wurde festgestellt. Die Grundpflege wurde ausschließlich von der Klägerin übernommen, bei der hauswirtschaftlichen Versorgung wurde sie von E.K. unterstützt.

Die Klägerin befand sich am 20. Dezember 2011 gegen 15:00 Uhr auf dem Rückweg von Besorgungen, zu denen sie ihren Ehemann mitgenommen hatte. Auf dem Weg vom Auto zur Haustür rutschte sie aus und schlug mit dem Hinterkopf auf eine Betonplatte auf. Dabei zog sie sich erhebliche Verletzungen in Form eines schweren Schädel-Hirn-Traumas zu. Der Notarzt wurde erst um 16:15 Uhr verständigt. Anschließend wurde die Klägerin über mehrere Wochen stationär behandelt. Inzwischen lebt sie bei E.K., die sie pflegt und die zugleich ihre Betreuerin ist.

In der Unfallanzeige vom 19. März 2012, die sie später präzisierte, gab E.K. an, die Klägerin habe am 20. Dezember 2011 ihren Ehemann zum Hausarzt Dr. G. S. sowie zur Apotheke gefahren. Auf dem Weg zum Haus habe die Klägerin den Ehemann gestützt. Ermittlungen der Beklagten und Berufungsbeklagten beim Hausarzt ergaben, dass der Ehemann dort keinen Behandlungstermin wahrgenommen hat. Die Klägerin hatte dort am fraglichen Tag lediglich ein Rezept (über Accu Check Aviva Teststreifen für das Blutzuckermessgerät) für ihren Ehemann abgeholt. Zeitangaben konnte der Hausarzt nicht machen. Der Ehemann gab in einem Frageformular der Beklagten unter dem Datum vom 23. April 2012 an, die Klägerin und er hätten sich auf dem Rückweg vom Friseur und vom Einkaufen befunden. Das Frageformular wurde nicht von ihm selbst ausgefüllt, sondern lediglich unterschrieben. E.K. teilte hierzu mit, die widersprüchlichen Angaben seien auf die Demenzerkrankung des Ehemannes der Klägerin zurückzuführen. Die Klägerin selbst konnte aufgrund ihrer schweren Kopfverletzungen keine Angaben zum Unfalltag machen.

Mit Bescheid vom 28. August 2012 lehnte es die Beklagte ab, das Ereignis vom 20. Dezember 2011 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zwar sei die Klägerin damals Pflegeperson ihres pflegebedürftigen Ehemannes gewesen. Die unfallbringende Tätigkeit (Abholen des Rezeptes inklusive damit zusammenhängender Wege) könne aber keiner unfallversicherten Pflegetätigkeit (vorliegend komme der Bereich der Mobilität in Betracht) zugerechnet werden. Insbesondere habe der Ehemann an diesem Tag keinen Arzttermin gehabt.

Hiergegen erhob E.K. als Betreuerin für...

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