Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Freiberufler, bei dem eine erhöhte berufliche Unfallgefahr besteht, kann, auch wenn er seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, insoweit die Prämienzahlungen für eine Unfallversicherung als Betriebsausgaben absetzen, als der Abschluß des Versicherungsvertrags beruflich veranlaßt ist.
Bei einer Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr kann der Teil der Prämie, den der Versicherer dem Deckungskapital zuführt, nicht als Betriebsausgabe behandelt werden.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3-4
Tatbestand
Der Bf., ein Rechtsanwalt und Notar, ermittelte im Streitjahr 1961 seinen Gewinn nach der überschußrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG). Er ist seit 1956 gegen Unfall versichert. Dem am 30. März 1914 geborenen Bf. wird bei Vollendung des 65. Lebensjahres die unverzinste Prämie voll zurückgewährt. Die jährliche Prämie betrug 968 DM. Diese Beträge erkannte das Finanzamt bei den Einkommensteuerveranlagungen 1957 bis 1960 als Betriebsausgaben an. Für das Streitjahr 1961 lehnte es das unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 75/60 U vom 16. Mai 1963 (BStBl 1963 III S. 399, Slg. Bd. 77 S. 217) ab. Es erhöhte den Gewinn entsprechend, berücksichtigte die Prämie aber als Sonderausgabe. Wegen überschreitung des Höchstbetrags für Sonderausgaben wirkte sich die Prämie nur in Höhe von 4 DM einkommensmindernd aus.
Der Bf. legte Sprungberufung ein. Er berief sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VI 343/62 S vom 8. April 1964 (BStBl 1964 III S. 271, Slg. Bd. 79 S. 107), das eine Unfallversicherung bei einem Gewerbebetrieb als Betriebsvermögen anerkenne. Er führte aus, zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Freiberufler könne kein Unterschied gemacht werden. Er - der Bf. - sei an einem entfernter gelegenen Landgericht als Anwalt zugelassen; er müsse daher in erheblichem Umfang berufliche Fahrten ausführen und sei deshalb besonders bei Ausübung seines Berufes gefährdet. Deshalb sei die Unfallversicherung als Betriebsvermögen zu behandeln.
Das Finanzamt ist der Ansicht, bei Freiberuflern sei, wenn nicht ein typisches und erhöhtes Berufsunfallrisiko bestehe, davon auszugehen, daß der versicherte Anteil der Betriebsgefahr im Verhältnis zur Gesamtgefährdung des Steuerpflichtigen so unerheblich sei, daß die Aufwendungen für die allgemeine Unfallversicherung des Bf. insgesamt in die Privatsphäre gehörten. Lediglich für Gewerbetreibende habe der Bundesfinanzhof in der häufigen betrieblichen Benutzung eines PKW eine erhöhte betriebliche Unfallgefahr gesehen.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht führte aus, die Prämie für eine Unfallversicherung könne nur dann zu den Betriebsausgaben gehören, wenn die aus dem Versicherungsvertrag sich ergebenden Rechte Betriebsvermögen (notwendiges oder gewillkürtes Betriebsvermögen) darstellten. Nach der auch vom Bundesfinanzhof übernommenen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (vgl. das Urteil VI 318/39 vom 14. Juni 1939, RStBl 1939 S. 910) liege notwendiges Betriebsvermögen nur dann vor, wenn es sich um einen Betrieb handele, bei dem in erheblichem Umfang mit Betriebsunfällen gerechnet werden müsse, und die Betriebsunfälle das Motiv zum Abschluß der Versicherung gewesen seien.
Sei hingegen die Unfallgefahr gering und im Rahmen der Beurteilung der Gesamtgefährdung des Versicherungsnehmers ohne beachtliche Bedeutung, so liege notwendiges Privatvermögen vor. Gewillkürtes Betriebsvermögen sei gegeben, wenn sowohl beachtliche private als auch beachtliche berufliche Gründe zum Abschluß des Versicherungsvertrages geführt hätten. Die Frage, wann eine erhebliche betriebliche Unfallgefahr gegeben sei oder wann zumindest beachtliche betriebliche oder berufliche Gründe für den Abschluß der Versicherung vorgelegen hätten, sei bisher in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet worden. Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs habe insoweit eine andere Meinung vertreten als der IV. Senat. Die Kammer trete jedenfalls für eine allgemeine Unfallversicherung der Ansicht des IV. Senats bei. Selbst wenn man in der in starkem Umfang beruflich bedingten Teilnahme am Straßenverkehr eine Berufsgefahr sähe, wäre der versicherte Anteil an dieser Gefahr im Verhältnis zu der Gesamtgefährdung, der heute bei der Vielzahl von Gefahrenquellen jedermann und nicht nur der in seinem eigenen PKW fahrende Teilnehmer am öffentlichen Verkehr ausgesetzt sei, bei einer allgemeinen Unfallversicherung doch nicht erheblich genug, um die Aufwendungen für die Unfallversicherung der beruflichen Sphäre des Bf. zurechnen zu können.
Entscheidungsgründe
Hiergegen richtet sich die Rb. des Bf., die zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht führt.
Der VI. Senat befaßte sich im Urteil VI 343/62 S nicht in erster Linie mit der hier zu entscheidenden Frage, ob Prämienzahlungen für eine Unfallversicherung Betriebsausgaben darstellen, sondern ob die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zum Betriebsvermögen gehörten und deshalb die Auszahlung der Versicherungssumme nach Eintritt des Versicherungsfalles eine Betriebseinnahme war. Er führte hierzu aus, der Abschluß einer Unfallversicherung berühre auch immer den privaten Bereich, stelle also keinen notwendigen Betriebsvorgang dar. Das schließe nicht aus, daß ein Steuerpflichtiger, wenn ein besonders enger Zusammenhang zwischen einer erhöhten beruflichen Unfallgefahr und dem Abschluß der Unfallversicherung bestehe, den Vorgang mit allen steuerlichen Folgen als Betriebsvorgang behandeln dürfe. Bei einem Steuerpflichtigen, der beruflich viel unterwegs sei, sei bei den heutigen Verkehrsverhältnissen nicht auszuschließen, daß er erhöhten und betrieblich veranlaßten Gefahren ausgesetzt sei. Ein betrieblicher Zusammenhang als Voraussetzung der Bildung gewillkürten Betriebsvermögens sei daher vorhanden. Dieser Ansicht hat sich der I. Senat des Bundesfinanzhofs inzwischen in dem amtlich nicht veröffentlichten Urteil I 412/62 vom 22. Juni 1965 angeschlossen. Aus dieser Behandlung durch den VI. und den I. Senat folgt, daß Prämien, die für einen zum Betriebsvermögen gehörenden Unfallversicherungsvertrag gezahlt werden, Betriebsausgaben sind.
Mit Rücksicht auf diese Rechtsprechung hält der erkennende Senat an der in seinem Urteil IV 75/60 U geäußerten Rechtsauffassung, die Zahlung einer Unfallversicherungsprämie sei in keinem Fall eine Betriebsausgabe, nicht fest. Er stimmt der Auffassung des VI. Senats zu.
Die Entscheidung des VI. Senats betrifft einen Gewerbetreibenden. Die durch häufige Berufsfahrten geschaffene Gefahrenlage kann indessen bei Gewerbetreibenden und bei Freiberuflern zu keinen unterschiedlichen steuerlichen Folgen führen, wenn die Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich vorgenommen wird.
Der Bf. ermittelte seinen Gewinn nicht wie in den vom VI. und I. Senat entschiedenen Fällen nach § 4 Abs. 1 EStG, sondern nach § 4 Abs. 3 EStG. Er konnte daher kein gewillkürtes Betriebsvermögen haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 158/61 S vom 13. März 1964, BStBl 1964 III S. 455, Slg. Bd. 79 S. 605). Die Entscheidung darüber, ob die sich aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Aufwendungen Betriebsausgaben darstellen, hängt nicht vom Willen des Bf., sondern von dem gegebenen Sachverhalt ab. Es ist festzustellen, ob diese Ausgabe aus betrieblichem Anlaß gemacht wurde (§ 4 Abs. 4 EStG).
Grundsätzlich ist in übereinstimmung mit dem VI. und dem I. Senat davon auszugehen, daß ein allgemeiner Unfallversicherungsvertrag nicht aus betrieblichen Gründen, sondern aus Erwägungen, die mit der allgemeinen Lebensführung zusammenhängen, abgeschlossen wird, so daß die Prämienzahlungen keine Betriebsausgaben sind. Das ist aber nicht der Fall, wenn durch die Ausübung des Berufes ein erhöhtes Risiko geschaffen wird und der Abschluß des Versicherungsvertrages entscheidend der Abdeckung dieses Risikos dient. Dann ist die Zahlung der Prämie auch beruflich bedingt und muß der gegebenenfalls durch Schätzung zu ermittelnde, aus betrieblichen Gründen veranlaßte Teil der Prämie als Betriebsausgabe anerkannt werden. Die Feststellung, ob und wieweit der Abschluß eines Unfallversicherungsvertrages betrieblich bedingt ist, liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet und ist von den Tatsacheninstanzen zu treffen. Es werden dabei in der Regel um so weniger Bedenken bestehen, den Angaben des Steuerpflichtigen zu folgen, als die Behandlung der Prämienzahlungen als Betriebsvorgang bei Eintritt des Versicherungsfalls erhebliche Nachteile für den Steuerpflichtigen auf der Einnahmenseite mit sich bringen kann. Für die Abgrenzung des privat und des betrieblich veranlaßten Anteils der Prämie kann bei Steuerpflichtigen, denen wegen häufiger Berufsfahrten mit einem Kraftfahrzeug erhöhte Gefahren drohen, im allgemeinen das Verhältnis der privaten und der beruflichen Fahrten als Anhalt dienen.
Das Finanzgericht hat bei seiner erneuten Prüfung noch folgendes zu beachten. Die Absetzung der vollen Prämie ist nicht nur deshalb unzulässig, weil die Versicherung auch privat veranlaßt war, sondern auch, weil es sich um eine Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr handelt. Die sogenannte Bruttoprämie, d. h. die vom Versicherungsnehmer insgesamt zu zahlende Prämie, setzt sich bei einem Versicherungsvertrag mit Prämienrückgewähr aus vier Rechnungsposten zusammen (vgl. hierzu die Darstellung in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 191/59 S vom 28. November 1961, BStBl 1962 III S. 101, Slg. Bd. 74 S. 266), nämlich
der Sparprämie, deren verzinsliche Anlage das Deckungskapital ergibt, d. h. das zur Rückzahlung der Prämien erforderliche Kapital,
der Risikoprämie, aus der die laufenden Versicherungsfälle gedeckt werden,
der Kostenprämie, die die einmaligen und laufenden Kosten (Abschlußkosten, Inkassokosten, Verwaltungskosten) decken soll, und
Den Sicherheitszuschlägen, die zur Deckung unvorhergesehener Abweichungen von der Kalkulation dienen.
Die Prämienteile b, c und d gelten als mit Ablauf des Versicherungsjahres, für das sie gezahlt wurden, verbraucht. Sie können also Betriebsausgaben des Jahres der Zahlung sein. Der Anteil a dagegen bleibt dem Versicherungsnehmer erhalten.
Nach der Entscheidung des I. Senats I 191/59 S kann die Bruttoprämie zwar als Betriebsausgabe behandelt, es muß aber gleichzeitig der Betrag aktiviert werden, der dem (ungezillmerten) Deckungskapital zum Bilanzstichtag entspricht, d. h. also dem Kapital, das der Versicherer angesammelt hat, um zum Fälligkeitszeitpunkt die Prämie zurückzahlen zu können. Da diese Möglichkeit der Korrektur der Betriebsausgaben durch gleichzeitige Aktivierung entfällt, wenn der Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt wird, können Betriebsausgaben nur die verlorenen Anteile der Prämie sein. Das Finanzgericht darf also bei seiner neuen Entscheidung nur die um die Zuführung zum Deckungskapital des Versicherers verminderte Bruttoprämie und von dieser nur den betrieblich veranlaßten Teil zum Abzug als Betriebsausgabe zulassen, wenn es beim Bf. eine aus beruflichen Gründen erhöhte Unfallgefahr annimmt.
Zu der Frage, ob wegen eines nicht als Betriebsausgabe anzusehenden Teils der Prämie eine Berücksichtigung als Sonderausgabe in Betracht kommt (vgl. hierzu die Urteile des Bundesfinanzhofs VI 237/59 U vom 11. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 138, Slg. Bd. 76 S. 376, und VI 18/60 U vom 11. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 234, Slg. Bd. 76 S. 642), nimmt der Senat keine Stellung, da der abzugsfähige Betrag wegen Ausschöpfung der Höchstbeträge unstreitig 4 DM nicht übersteigen würde.
Fundstellen
Haufe-Index 411749 |
BStBl III 1965, 650 |
BFHE 1966, 417 |
BFHE 83, 417 |
BB 1965, 1799 |
DB 1965, 1724 |
DStR 1965, 696 |