Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbegünstigte Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch Vorruhestandsregelung?
Leitsatz (NV)
- Die Rechtsfrage, wann ein Dienstverhältnis aufgelöst worden ist, ist nach dem für dieses Rechtsverhältnis maßgeblichen bürgerlichen Recht zu beantworten.
- Vereinbaren die Beteiligten in einer Vorruhestandsregelung, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet wird, sondern eine Beurlaubung unter Fortzahlung monatlicher Vorruhestandsbezüge erfolgt und gleichzeitig, dass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit vom Beginn der Beurlaubung bis zum Beginn der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen wird, so wird das Arbeitsverhältnis als solches fortgesetzt, wenn auch mit weitgehend veränderten Rechten und Pflichten.
- Zahlungen, die bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter gleichzeitiger Freistellung von der Arbeit als Entgelt geleistet werden, sind keine Abfindungen wegen der Auflösung des Dienstverhältnisses, sondern Leistungen in Erfüllung des (modifizierten) Dienstverhältnisses.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 9 S. 1
Verfahrensgang
Hessisches FG (EFG 2002, 71) |
Tatbestand
I. Der im Februar 1940 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde von seinem Arbeitgeber, einer Landesbank, nach 42 Dienstjahren mit Wirkung ab 1. April 1999 beurlaubt. Für die Zeit der Beurlaubung sollten die Bestimmungen des Tarifvertrages zur vorgezogenen freiwilligen Pensionierung sinngemäß gelten. Dabei wurde abweichend von den Bestimmungen des Vorruhestands-Tarifvertrags ausdrücklich vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet werde, sondern eine Beurlaubung erfolge und dass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit vom Beginn der Beurlaubung bis zum Beginn der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung am 1. März 2003 ausgeschlossen werde. Für die Dauer der Beurlaubung sollte der Kläger monatliche Vorruhestandsbezüge entsprechend dem Tarifvertrag erhalten, deren Zahlung mit Beginn der Gewährung der gesetzlichen Altersrente eingestellt werden sollte.
Der Kläger begehrte die Steuerfreiheit der im Streitjahr 1999 erhaltenen Vorruhestandsbezüge nach § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 24 000 DM. Die Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses sei unerheblich, da sie nur im Hinblick auf die Zusatzversorgungskasse vereinbart worden sei.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 71.
Mit seiner Revision trägt der Kläger vor, das Dienstverhältnis sei auf Veranlassung des Arbeitgebers, der den Bestand an Mitarbeitern habe verringern wollen, ohne kündigen zu müssen, faktisch aufgelöst worden. Der Sache nach hätten die Parteien eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 1999 gewollt. Mit der Vereinbarung vom 26. März 1998 habe festgestanden, dass der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nicht mehr erbringen müsse und nicht mehr dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliege. Umgekehrt sei die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers mit diesem Zeitpunkt entfallen. Das Arbeitsverhältnis sei damit in seinem wesentlichen Inhalt zum Erliegen gekommen, was auch dadurch bestätigt werde, dass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit ausdrücklich ausgeschlossen worden sei.
Das Arbeitsverhältnis sei nur im Hinblick auf die Regelungen der Zusatzversorgungskasse rein formal nicht aufgelöst worden. Sie setzten für einen Anspruch voraus, dass der Versicherte in dem Zeitpunkt, in dem er Altersrente als Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehe, in einem zusatzversicherten Arbeitsverhältnis stehe; scheide der Arbeitnehmer auch nur einen einzigen Tag zuvor aus, so entfalle die Anwartschaft auf die Versorgungsrente. Hiervon könne die Besteuerung aber nicht abhängig gemacht werden. Die Rechtsprechung, die nur ganz formal darauf abstelle, ob das Vertragsverhältnis zivilrechtlich aufgelöst sei, werde dem Fall nicht gerecht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) habe im Übrigen stets in gleich gelagerten Fällen den Freibetrag gewährt.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Steuer unter Berücksichtigung eines Freibetrags in Höhe von 24 000 DM gemäß § 3 Nr. 9 EStG für das Jahr 1999 festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, das Dienstverhältnis sei nicht zivilrechtlich wirksam aufgelöst worden, sondern habe in modifizierter Form fortbestanden. Der Kläger habe auch weiterhin laufende Zahlungen seines Arbeitgebers erhalten, sei nicht für den Arbeitsmarkt freigestellt gewesen und habe offenbar auch kein Arbeitslosengeld bezogen. Das Arbeitsverhältnis könne nicht aufgespalten werden in ein solches gegenüber dem Arbeitgeber und ein anderes gegenüber der Zusatzversorgungskasse.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 9 EStG liegen nicht vor.
1. Gemäß § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses bis zu einem Betrag von 16 000 DM steuerfrei. Nach Satz 2 beträgt der Höchstbetrag 24 000 DM, wenn der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und das Dienstverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden hat.
Unter Auflösung des Dienstverhältnisses ist die nach bürgerlichem (Arbeits-)Recht wirksame Auflösung zu verstehen (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. April 1994 XI R 41/93, BFHE 174, 352, BStBl II 1994, 653, m.w.N.). Im Streitfall sind die fortgezahlten Bezüge nicht als Abfindung wegen einer Auflösung des Dienstverhältnisses zu beurteilen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Dienstverhältnis nach der zugrunde liegenden Vereinbarung ausdrücklich nicht zum 1. April 1999 beendet worden; der Kläger wurde nur beurlaubt. Beide Regelungen ―die ausdrückliche Nichtbeendigung und die Beurlaubung― bedeuten, dass das Arbeitsverhältnis als solches fortbestanden hat, wenn auch mit weitgehend veränderten Rechten und Pflichten. Der Kläger hat auch weiterhin ein Entgelt bezogen, dessen Rechtsgrundlage ausschließlich das Arbeitsverhältnis war. Der Tarifvertrag zur vorgezogenen freiwilligen Pensionierung sollte nur sinngemäß auf das fortbestehende Arbeitsverhältnis angewandt werden. Insbesondere die Höhe des Entgelts entsprach auf Grund des modifizierten Arbeitsvertrages den im Tarifvertrag festgelegten monatlichen Vorruhestandszahlungen.
Es mag zwar zutreffen, dass die Beteiligten im Streitfall den Kläger im Verhältnis zueinander so gestellt wissen wollten, als sei das Dienstverhältnis bereits mit Beginn der Beurlaubung aufgelöst. In steuerrechtlicher Hinsicht ist aber das Arbeitsverhältnis als Ganzes zu beurteilen. Und dieses ist mit Rücksicht auf die Zusatzversorgungskasse ausdrücklich nicht beendet worden. Die Freistellung beseitigt lediglich die Arbeitspflicht und den Anspruch des Arbeitnehmers, Beschäftigung verlangen zu können. Der grundsätzliche Bestand des Arbeitsverhältnisses wird durch die Freistellung jedoch (noch) nicht berührt. Zahlungen, die bei Freistellung von der Arbeit als Entgelt für die Freistellung geleistet werden, sind daher keine Abfindungen wegen der Auflösung des Dienstverhältnisses, sondern Leistungen in Erfüllung des (modifizierten) Dienstverhältnisses (vgl. BFH-Urteil in BFHE 174, 352, BStBl II 1994, 653).
Dass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit vom Beginn der Beurlaubung bis zum Beginn der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen wurde, ändert daran nichts. Dies stellt lediglich eine nähere Ausgestaltung der Beurlaubungsabrede dar und wäre bei entsprechender übereinstimmender Interessenlage der Vertragsparteien auch jederzeit revidierbar.
Die Rechtsfrage, wann das Dienstverhältnis aufgelöst worden ist, ist allein nach dem für dieses Rechtsverhältnis maßgeblichen bürgerlichen Recht zu beantworten. Danach endete das Dienstverhältnis erst zum 28. Februar 2003, an dem auch die Beurlaubung endete. Die Vorruhestandszahlungen stellen damit Arbeitslohn dar.
2. Soweit die Finanzverwaltung bei anderen Einkommensteuerveranlagungen einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen hat, kann sich der Kläger darauf schon deswegen nicht berufen, weil ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nach ständiger Rechtsprechung nicht besteht (BFH-Urteile vom 14. Juni 1991 VI R 185/87, BFHE 165, 208, BStBl II 1991, 926; vom 21. Juli 1999 I R 2/98, BFH/NV 2000, 297, und vom 4. November 1993 VII R 14/93, BFH/NV 1994, 580). Ein zugunsten des Klägers eingreifender besonderer Vertrauenstatbestand ist nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 965314 |
BFH/NV 2003, 1310 |