Leitsatz (amtlich)
Vergütungen, die ein nichtselbständig tätiger Oberarzt in einer Universitätsklinik von dem Klinikdirektor für die Vertretung oder die Mitarbeit bei der Behandlung der Privatpatienten des Klinikdirektors erhält, sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Normenkette
EStG § 19; LStDV § 1 Abs. 3
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) war im Streitjahr 1965 Oberarzt der Neurologischen Klinik eines Universitätskrankenhauses und Privatdozent an der Universität. Nach der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr betrugen die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit 21 801 DM und seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit (wissenschaftliche Gutachten) 25 695 DM. Für die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit beantragte er Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG.
Der Revisionskläger (FA) lehnte die Gewährung der Steuerermäßigung ab. Im Einspruchsverfahren machte der Steuerpflichtige geltend, in seinen freiberuflichen Einnahmen von insgesamt 28 451 DM seien 5 685 DM enthalten, die nicht - wie irrtümlich erklärt - Honorar für Privatgutachten darstellten, sondern für die Vertretung des Chefarztes der Neurologischen Klinik in dessen in der Klinik ausgeübten freiberuflichen Praxis gezahlt worden seien. Die Einkünfte aus nichtselbständiger und selbständiger Tätigkeit überstiegen demnach die übrigen Einkünfte aus der freiberuflichen Gutachtertätigkeit und der Vermietung und Verpachtung. Das FA wies den Einspruch wegen fehlender Abgrenzbarkeit der freiberuflichen Tätigkeiten als unbegründet zurück.
Mit der Klage erstrebte der Steuerpflichtige, daß die Einnahmen aus seiner Tätigkeit als Vertreter des Klinikdirektors bei der Behandlung von dessen Privatpatienten als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt würden. Er bestritt außerdem, daß die Einkünfte aus der Vertretertätigkeit von denen aus der Gutachtertätigkeit nicht abgrenzbar seien.
Das FG gab der Klage statt. Es stellte fest, daß der Steuerpflichtige als Gutachter eine selbständige wissenschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe. Er habe die Gutachten ohne jede Mitwirkung des Chefarztes erstattet, die von ihm erstatteten Gutachten allein unterzeichnet und damit die Verantwortung für ihren Inhalt übernommen. Seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit überstiegen die übrigen Einkünfte, da die Einnahmen aus der Vertretertätigkeit für den Klinikdirektor zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit rechneten. Ein Arztvertreter sei nach der Verkehrsauffassung nichtselbständig tätig, wenn er nach seiner sonstigen sozialen Stellung als Arbeitnehmer anzusehen sei. Es habe zwar nicht festgestellt werden können, daß der Steuerpflichtige aufgrund seiner Stellung als beamteter Oberarzt dienstrechtlich verpflichtet gewesen sei, den Klinikdirektor in dessen Privatpraxis zu vertreten. Der Steuerpflichtige sei jedoch als Vertreter in die Privatpraxis des Klinikdirektors eingegliedert und weitgehend an seine Weisungen gebunden gewesen. Das ergebe sich schon aus der Natur der Privatpraxis. Die Privatpatienten erwarteten, daß der Vertreter sich bei ihrer Behandlung an die Richtlinien des Chefarztes halte. Der Chefarzt sei der unmittelbare dienstliche Vorgesetzte des Steuerpflichtigen gewesen. Der Steuerpflichtige habe gegen die Privatpatienten keinen Honoraranspruch gehabt. Die Höhe des ihm gewährten Honoraranteils habe im Ermessen des Klinikdirektors gestanden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA hat keinen Erfolg.
Das FG bejahte den wissenschaftlichen Charakter der Gutachten des Steuerpflichtigen und gelangte unter Würdigung des Gesamtbildes aller Umstände zu der Überzeugung, daß der Steuerpflichtige die Gutachten nicht aufgrund eines Dienstverhältnisses mit dem Klinikdirektor erstattete. Es besteht kein Anlaß, diese Würdigung zu beanstanden. Das FA bestreitet im Revisionsverfahren auch nicht, daß der Steuerpflichtige für die Gutachten Einkünfte aus selbständiger Arbeit bezog.
Zur Frage der Vertretung des Klinikdirektors nimmt das FA auf die Entscheidung des BFH IV 429/52 U vom 10. April 1953 (BFH 57, 361, BStBl III 1953, 142) Bezug. Danach ist der Vertreter eines freipraktizierenden Arztes in der Regel als selbständig tätig anzusehen, auch wenn er daneben als angestellter Arzt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht. Der RFH war in der Entscheidung IV 133/37 vom 18. November 1937 (RStBl 1937, 1243) der Ansicht, der vorübergehend bestellte Vertreter eines Rechtsanwalts gelte während dieser Tätigkeit als Arbeitnehmer, wenn er auch sonst als Arbeitnehmer tätig gewesen sei. Diese Auffassung gab der BFH für die Beurteilung von Nebeneinkünften im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG auf (BFH-Urteil VI 183/59 S vom 24. November 1961, BFH 74, 97, BStBl III 1962, 37). Die Einkunftsart von Nebeneinkünften ist grundsätzlich aus dem Rechtsverhältnis zu beurteilen, aufgrund dessen die Einkünfte bezogen werden (vgl. BFH-Urteil VI R 83/66 vom 19. Januar 1968, BFH 91, 308, BStBl II 1968, 309). Diesen Grundsatz der selbständigen Beurteilung schränkte der BFH nur für den Fall ein, daß die Nebeneinkünfte aus einer Tätigkeit stammen, die mit der selbständigen oder nichtselbständigen Arbeit des Steuerpflichtigen so eng zusammenhängt, daß sie gewissermaßen als deren Hilfstätigkeit erscheint (BFH-Urteil IV 181/54 U vom 3. März 1955, BFH 60, 400, BStBl III 1955, 153).
Im Streitfall scheidet die Annahme aus, daß der Steuerpflichtige als Vertreter des Klinikdirektors ausschließlich für das Krankenhaus tätig war. Denn das FG konnte nicht feststellen, daß der Steuerpflichtige aufgrund seines Dienstverhältnisses zum Universitätskrankenhaus zur Vertretung des Klinikdirektors bei der Behandlung von Privatpatienten verpflichtet gewesen sei. Die Stellung des Steuerpflichtigen als ältester Oberarzt brachte es jedoch mit sich, daß er innerhalb der Klinik den Klinikdirektor in allen Angelegenheiten und bei den Patienten aller Pflegeklassen zu vertreten hatte, wenn der Direktor vorübergehend abwesend war. Die vertretungsweise Behandlung umfaßte dann auch die in der Klinik befindlichen Privatpatienten. Bei der Behandlung aller Patienten mußte der Steuerpflichtige sich an die Behandlungsrichtlinien des Chefarztes halten, sofern nicht besondere Umstände eintraten. Daneben behandelte der Steuerpflichtige, wie aus seiner Bekundung vor dem FG hervorgeht, auch Privatpatienten des Klinikdirektors in eigener Verantwortung, bei denen der Klinikdirektor für den Steuerpflichtigen liquidierte. In diesen Fällen ging die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Vertreter aufgrund seiner Stellung als Oberarzt in die Tätigkeit eines Mitarbeiters in der freiberuflichen Praxis des Klinikdirektors über. Im Gegensatz zu der Mitarbeit als wissenschaftlicher Gutachter bezog der Steuerpflichtige aus der Tätigkeit als Mitarbeiter des Klinikdirektors bei der Behandlung von Privatpatienten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Diese Mitarbeit unterschied sich von der Vertretung eines freipraktizierenden Arztes. Das ergibt sich aus der Natur der von dem Klinikdirektor ausgeübten Privatpraxis. Seine Patienten wollen grundsätzlich von ihm behandelt werden. Bedient sich der Chefarzt in einzelnen Fällen eines ihm in der Klinik untergebenen Arztes, so bleibt der Fall eine private Behandlung des Chefarztes. Der Mitarbeiter ist dann in den privatärztlichen Behandlungsbereich des Chefarztes eingegliedert. Anders als der Vertreter eines freipraktizierenden Arztes trifft er auch bei weitgehender Freiheit in der Entscheidung die ärztlichen Maßnahmen nicht im eigenen Namen und auf eigenes Risiko. Das FG konnte aufgrund der Gesamtheit dieser Umstände zu dem Ergebnis kommen, daß die Vergütungen, die der Steuerpflichtige für seine Mitarbeit in der Privatpraxis des Klinikdirektors erhielt, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind. Dem steht nicht entgegen, daß der Klinikdirektor dem Steuerpflichtigen keine festen Lohnzahlungen oder pauschalen Abgeltungen für seine Tätigkeit zusicherte.
Fundstellen
BStBl II 1972, 213 |
BFHE 1972, 567 |