Chefarzt verzichtet auf Privatliquidation
Hintergrund: Verzicht auf die Privatliquidation gegen monatliche Zahlungen
A war als Medizinprofessor und als Direktor einer Klinik tätig. Als "Altvertragler" war er berechtigt, Patienten privat zu behandeln und hierfür zu liquidieren. Aufgrund einer Besitzstandsregelung stand ihm dieses Recht bis zum Ausscheiden aus dem Dienst zu.
Im Rahmen der Neuorganisation des Klinikbetriebs vereinbarten A, die Universität und die Klinik, dass A auf das Privatliquidationsrecht verzichtet und an eine Forschungseinrichtung der Universität versetzt wird. Die Klinik verpflichtete sich, zum Ausgleich für den Verzicht monatliche Zahlungen an A bis zum Ruhestand zu leisten.
A behandelte die Zahlungen als nicht umsatzsteuerbare Entschädigungen für den Wegfall seiner Einkünfte aus der freiberuflichen Tätigkeit.
Das FA bejahte dagegen die USt-Pflicht. Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, der von A erbrachte Verzicht sei überwiegend beamtenrechtlich veranlasst und deshalb von ihm nicht als Unternehmer erbracht worden. Auch bei (unterstellter) Steuerbarkeit sei der Verzicht wegen der spiegelbildlichen Besteuerung von Leistung und entgeltlichem Verzicht nach § 4 Nr. 14 UStG (ärztliche Heilbehandlung) steuerfrei.
Entscheidung: Steuerbare und steuerpflichtige Verzichtleistung
Der BFH widerspricht dem FG. Das FG-Urteil wurde aufgehoben und die Klage abgewiesen. Entgegen der Auffassung des FG liegt eine steuerbare Verzichtsleistung vor, die nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen steuerfrei ist.
Entgeltlicher Verzicht als Leistungsaustausch
Ob eine Leistung des Unternehmers vorliegt, die sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet, bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (BFH v. 30.6.2020, XI R 22/08, BStBl II 2010, S. 1084, Rz. 13). Dabei kann ein entgeltlicher Leistungsaustausch auch vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger auf eine ihm (sei es auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage) zustehende Rechtsposition gegen Entgelt verzichtet (BFH v. 26.8.2021, V R 13/19, BStBl II 2022, S. 197, Rz. 20).
Die Ausgleichszahlung ist Entgelt für den Verzicht auf die Privatliquidation
A erbrachte aufgrund der Vereinbarung eine sonstige Leistung durch Unterlassen, indem er auf das ihm eingeräumte Recht zur Privatliquidation und damit auf eine ihm zustehende vermögenswerte Rechtsposition verzichtete. Das Klinikum erlangte damit das Recht, die vom Nachfolger des A erbrachten Behandlungen von Privatpatienten und Selbstzahlern selbst abrechnen zu können.
Keine beamtenrechtliche Veranlassung
Der Verzicht des A auf das Recht zur Privatliquidation erfolgte auch als Unternehmer. Er war nicht in erster Linie beamtenrechtlich veranlasst. Beamtenrechtlich veranlasst war lediglich der Verzicht auf die Klinikleitung und die Zustimmung zur Versetzung in eine andere Einrichtung der Universität. Der Ausgleich wurde jedoch (nach zutreffender Auslegung des Vertrags) vorwiegend für den Verzicht auf das Recht zur Privatliquidation und nicht für die Aufgabe der Position als Klinikdirektor gezahlt.
Kein nicht steuerbarer Schadensersatz
Das Vorliegen eines steuerbaren Umsatzes schließt es aus, das Entgelt als nicht steuerbaren (echten) Schadensersatz zu qualifizieren. Zahlungen sind nur dann als Schadensersatz zu werten, wenn zwischen der Zahlung und der Leistung (anders als hier vorliegend) kein unmittelbarer Zusammenhang besteht (BFH v. 26.1.2022, XI R 19/19, BStBl II 2022, S. 582, Rz. 36).
Keine spiegelbildliche Beurteilung von Leistung und Verzicht
Die Steuerfreiheit der Verzichtsleistung ergibt sich (entgegen der Ansicht des FG) auch nicht aufgrund der Rechtsprechung zur spiegelbildlichen Beurteilung ("actus-contrarius") von Leistung (steuerfreie Heilbehandlung) und Verzichtsleistung (Verzicht auf die steuerfreie Heilbehandlung). Fällt ein Umsatz (wie die Vermietung eines Grundstücks) unter eine Steuerbefreiung, dann fällt die vertragliche Auflösung gegen Abfindung ebenfalls unter diese Befreiung (BFH v. 15.4.2015, V R 46/13, BStBl II 2015, S. 947).
Charakteristisch für die Steuerfreiheit als actus-contrarius ist, dass die jeweiligen Leistungen und der darauf bezogene Verzicht jeweils im Rahmen desselben Zweipersonenverhältnisses erfolgen. Davon unterscheidet sich die hier vorliegende Konstellation eines Dreipersonenverhältnisses, bei dem zunächst das Klinikum mit der Anstellung des A eine sonstige Leistung (nicht steuerbar) an A erbrachte, indem es diesem das Recht zur Privatliquidation einräumte (Nebentätigkeitsgenehmigung). Aufgrund dieser Genehmigung erbrachte A gegenüber seinen Patienten umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen. Für den Verzicht gegenüber dem Klinikum auf die weitere Behandlung von Privatpatienten erhielt A einen finanziellen Ausgleich. Die Verzichtsleistung betraf unmittelbar nur das Rechtsverhältnis zwischen A und dem Klinikum und nicht (bzw. nur mittelbar) das Rechtsverhältnis zu seinen Patienten.
Hinweis: Keine bindende Vertragsauslegung des FG
Das FG ging im Rahmen der Gesamtwürdigung davon aus, die Vereinbarung sei überwiegend beamtenrechtlich veranlasst. Dem widerspricht der BFH. Der Verzicht des A auf die Privatliquidation erfolgte auch als Unternehmer. Beamtenrechtlich berührt war lediglich der Verzicht auf die Klinikleitung und die Zustimmung zur Versetzung. Aufgrund der Interessenlage des Klinikums (Erwerb der Liquidationsbefugnis) und des A (Ausgleich für den Wegfall der Privatliquidation) lag zwischen der erbrachten Verzichtsleistung des A und dem erhaltenen Gegenwert (monatliche Ausgleichszahlungen) der für die Steuerbarkeit erforderliche unmittelbare Zusammenhang vor. An die anders lautende Auslegung durch das FG sah sich der BFH nicht gebunden, da das FG nicht alle relevanten Begleitumstände berücksichtigt hat. Der BFH ist befugt, die Auslegung des FG daraufhin zu prüfen, ob es die Begleitumstände zutreffend gewürdigt hat (BFH v. 26.8.2021, V R 13/19, BStBl II 2022, S. 197, Rz. 18).
BFH Urteil vom 30.06.2022 - V R 36/20 (veröffentlicht am 17.11.2022)
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