Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
Die Klägerin ist Verfolgte des NS-Regimes. Sie hat im Mai 1972 bei der Beklagten die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 8 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG i.d.F. des Änderungs- und Ergänzungsgesetzes (WGSVÄndG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl. I 1846) beantragt. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab und begründete dies im wesentlichen damit, der gegenüber der Klägerin erlassene Altersruhegeldbescheid vom 29. November 1971 sei bereits bindend geworden. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 WGSVG stehe im übrigen nur der Eintritt des Versicherungsfalles vor dem 1. Januar 1967 der Nachentrichtung von Beiträgen nicht entgegen, Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit dem Ziel einer Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 8 WGSVG stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. Oktober 1975 - 1 RA 203/74 - (SozR 5070 § 10 Nr. 2) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Auch die Klägerin hat mitgeteilt, daß sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt ansehe.
Sie beantragt,der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des Vorverfahrens aufzuerlegen.
Die Beklagte ist der Auffassung, daß bei der vom Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten die Kosten des Vorverfahrens der Beklagten nicht auferlegt werden könnten.
Der Antrag der Klägerin, der Beklagten aufzuerlegen, ihr die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits einschließlich der des Vorverfahrens zu erstatten, ist begründet.
Nach § 193 Abs. 1 Halbs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist auf Antrag durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden, wenn das Verfahren anders als durch Urteil, nämlich wie hier durch übereinstimmende Erklärung der Beteiligten, daß die Hauptsache erledigt sei, beendet worden ist. Ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, ist nach sachgemäßem Ermessen zu entscheiden. Bei der Ausübung des Ermessens hat vor allem der nach dem bisherigen Sach- und Streitstand zu beurteilende vermutliche Verfahrensausgang den Ausschlag zu geben (BSG SozR Nrn. 3 und 4 zu § 193 SGG), Danach ist es gerechtfertigt, der Beklagten aufzuerlegen, der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung können nämlich Beiträge nach § 8 Abs. 1 Satz 1 WGSVG auch dann nachentrichtet werden, wenn der Versicherungsfall des Alters erst am oder nach dem in § 8 Abs. 1 Satz 2 WGSVG für eine Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen festgesetzten Stichtag (1. Januar 1967) eingetreten und der Bescheid über die Gewährung des Altersruhegeldes bereits bindend geworden ist. Das gilt jedenfalls für Versicherungsfälle des Alters, die - wie im Falle der Klägerin - noch vor dem Inkrafttreten des § 10 Abs. 2a des Angestelltenversicherungsgesetz‹ (AVG) i.d.F. des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 eingetreten sind. Diese Auffassung hat bereits der 1. Senat des BSG in seinem Urteil vom 6. Februar 1975 - 1 RA 127/74 - (SozR 5070 § 8 Nr. 1) vertreten. Der erkennende Senat hat keine Bedenken, sich dem anzuschließen. Da alle übrigen Voraussetzungen für eine Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 8 WGSVG erfüllt waren, hätte die Klägerin in der Revisionsinstanz mit ihrem Klagebegehren Erfolg gehabt. Aus diesem Grunde ist es in der Sache angemessen, daß die Beklagte der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens erstattet.
Zu den zu erstattenden außergerichtlichen Kosten gehören auch die des Vorverfahrens. Darüber zu befinden, ist keine Frage des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 197 SGG. In diesem Verfahren hat der Urkundsbeamte des SG lediglich den Betrag der zu erstattenden Kosten festzusetzen. Dagegen kann noch eine Entscheidung des SG, die dann endgültig ist, herbeigeführt werden. Ob die Vorverfahrenskosten zu erstatten sind, hängt vielmehr allein davon ab, was nach § 193 SGG unter "Kosten" zu verstehen ist und damit von der Kostengrundentscheidung des Gerichts nach § 193 Abs. 1 SGG mit umfaßt wird.
Nach § 193 Abs. 2 SGG sind Kosten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Für das Verwaltungsgerichtsverfahren enthält § 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Regelung, daß Kosten die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens sind. Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistandes, in Steuersachen auch eines Steuerberaters, sind stets erstattungsfähig (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen dann erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO; vgl., auch § 139 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -FGO- für das Finanzgerichtsverfahren). Eine entsprechende ausdrückliche Regelung, die auch die Kosten des Verfahrens einschließlich der Gebühren und Auslagen eines Rechtsbeistandes für erstattungsfähig erklärt, fehlt im SGG. Damit steht indessen noch nicht fest; daß die Kosten eines Vorverfahrens, dem ein Klageverfahren gefolgt ist, grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind. Durch eine am Wortlaut, Sinn und Zweck des § 193 SGG orientierten Auslegung ergibt sich nämlich, daß die Kosten des Vorverfahrens, dem ein Klageverfahren gefolgt ist, auch nach dem SGG von der Erstattung nicht ausgeschlossen sind. Schon der Wortlaut des § 193 Abs. 2 SGG beschränkt die "Kosten" nicht auf solche, die unmittelbar das gerichtliche Verfahren betreffen, die den Beteiligten also erst nach der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens entstehen. Vielmehr bezieht sich diese Regelung allgemein auf Aufwendungen, die zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Notwendig i. S. des § 193 Abs. 2 SGG können aber auch Kosten sein, die der Vorbereitung eines gerichtlichen Verfahrens dienen. Dies wird nicht nur durch § 162 VwGO sondern auch für andere Verfahrensbereiche allgemein anerkannt (vgl. BGHZ 28, 302, 308; 31, 234; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 34. Aufl., § 91 Anm. 5 "Vorbereitungskosten" und Anm. 3 Be; Stein/Jonas/Pohle, ZPO, 19. Aufl., § 91 Anm. VI 4; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 193 Anm. 2a - S. III/109-36 ff. -; Rohwer-Kahlmann, SGG § 193 Rdnr. 11). Soweit ein Vorverfahren für die Einleitung eines Klageverfahrens zwingend vorgeschrieben ist (§ 78 SGG), sind die damit verbundenen notwendigen Aufwendungen auch solche im Sinne des § 193 Abs. 2 SGG (ebenso Engelbrecht, SGb 1973, 436, 438; Franz, SGb 1965, 167; Glücklich, SGb 1964, 324; Gölkel, SozVers 1965, 193 ff., 195, 196; Henrichs, AnwBl. 1968, 137; Paulsdorff/Hermkes, SGb 1965, 394 ff., 395; Peters/Sautter/Wolff, SGG § 193 Anm. 2a - S. 111/109-36 ff. -; Rohwer-Kahlmann, SGG § 193 Rdnr. 11a; Schumann, NJW 1963, 2391, 2392; Tschischgale, SGb 1967, 1, 2; a.M.: Brocke, ZfS 1955, 215; Friederichs, SGb 1964, 95 f. und 326; Zeihe, SGG § 193 Rdnr. 15 i; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 1/2 S, 234 b X). Allerdings dient das Vorverfahren zunächst einmal dazu, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, ihre Meinungsverschiedenheiten ohne Anrufung eines Gerichts auszugleichen. Insofern hat dieses Verfahren gegenüber demjenigen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine durchaus eigenständige Bedeutung (SG Hamburg, NJW 1972, 1488). Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen wäre es kaum vertretbar, Vorverfahren und anschließendes Gerichtsverfahren schlechthin als Einheit zu verstehen (Friederichs, SGb 1964, 96). Dennoch kann nicht übersehen werden, daß das Vorverfahren funktional auch auf das sozialgerichtliche Verfahren bezogen ist. Es ist dazu bestimmt, im Interesse der Allgemeinheit die Gerichte zu entlasten. Die erneute gründliche Prüfung des Streitstoffs durch eine besondere Widerspruchsstelle der Verwaltung sowie die für den Erlaß eines Widerspruchsbescheides vorgeschriebene schriftliche Begründung (§ 85 Abs. 3 SGG) führen zu einer Konzentration auf das Wesentliche, die auch in einem anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren von Nutzen ist. Soweit die Durchführung eines Vorverfahrens Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist, müssen deshalb Aufwendungen für das Vorverfahren auch als Aufwendungen für die Durchführung des sozialgerichtlichen Verfahrens angesehen werden (ebenso für Kosten eines Verwaltungsverfahrens, das einem Verfahren der Zivilgerichtsbarkeit vorausgeht: BGHZ 28, 302, 308; 31, 229, 234). Aufwendungen für das Vorverfahren sind darum "zweckentsprechend" und müssen, soweit sie notwendig waren, im Rahmen der Kostenfestsetzung berücksichtigt werden.
Da sich die hier vorgenommene Auslegung sowohl mit dem Wortlaut als auch vor allem mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes im Hinblick auf die Funktion des Vorverfahrens vereinbaren läßt, steht bereits im Wege der Auslegung fest, daß zu den Kosten im Sinne des § 193 Abs. 2 SGG auch die Kosten eines Vorverfahrens gehören, wenn ihm ein Klageverfahren folgt und die gemachten Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Es läßt sich deshalb auch gegen die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung nicht einwenden, der Gesetzgeber habe sowohl bei der Schaffung der VwGO als auch der FGO - sowie bei Erlaß des Änderungsgesetzes zum SGG vom 30. Juli 1974 (BGBl. I 1625) das SGG hinsichtlich der Erstattung von Kosten des Vorverfahrens nicht den Verfahrensgesetzen in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit angeglichen. Dazu bestand nach allem kein Anlaß, so daß auch daraus nicht zu schließen ist, der Gesetzgeber habe insoweit bewußt von den Regelungen der VwGO und der FGO abweichen wollen (so aber Friederichs, SGb 1964, 95 und 326; dagegen Tschischgale, SGb 1967, 4; Engelbrecht, SGb 1973, 437, 438; Franz, SGb 1965, 168).
Mit der hier vertretenen Auffassung setzt sich der erkennende Senat auch nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des 3. Senats im Urteil vom 21. Januar 1969 - 3 RK 51/68 - (BKK 1969, 87) und des 6. Senats vom 21. Januar 1966 - 6 RKa 13/65 - (BSGE 24, 207). In den genannten Entscheidungen haben der 3. und 6. Senat nur zu der Frage Stellung genommen, ob die Kosten eines erfolgreich verlaufenen Vorverfahrens zu erstatten sind. Nur insoweit ist vom 3. und 6. Senat des BSG entschieden worden, daß der Widerspruchsführer keinen Anspruch auf Erstattung der Gebühren und Auslagen hat, die ihm durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach dem SGG entstanden sind. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn sich an das Vorverfahren ein Klageverfahren anschließt, ist ausdrücklich offengelassen worden (BSGE 24, 209). Die sich somit ergebende unterschiedliche Behandlung der Erstattung von Kosten eines Vorverfahrens, dem sich ein gerichtliches Verfahren anschließt, und einem solchen, dem kein Rechtsstreit nachfolgt, ist nicht ungewöhnlich. Sie hat ihre Ursache allein in der fehlenden gesetzlichen Regelung der Kostenpflicht für ein erfolgreiches Vorverfahren (BSGE 24, 211 ff.; für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit ebenso BVerwGE 22, 281 - Gr.Sen. -).
Schließlich steht der hier getroffenen Entscheidung auch nicht der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. November 1967 (AnwBl. 1968, 153) entgegen. Das BVerfG hat in dem genannten Beschluß gem. § 93 a BVerfGG eine Verfassungsbeschwerde allerdings mit der Begründung zur Entscheidung nicht angenommen; es verstoße nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG), daß die Kosten eines sozialgerichtlichen Vorverfahrens nach § 193 SGG nicht vom unterlegenen Beklagten zu erstatten seien. Damit hat das BVerfG jedoch nur die Verfassungsmäßigkeit der gegenteiligen Rechtsauffassung zu § 193 SGG, also einer bestimmten Auslegung des einfachen Rechts, in einer weder der Gesetzeskraft noch der Bindungswirkung für Dritte fähigen Entscheidung nach § 93 a BVerfGG festgestellt. Ob die zugrundegelegte Auffassung des einfachen Rechts - hier des § 193 SGG - zutreffend ist, fällt indessen nicht in die Zuständigkeit des BVerfGG, sondern des BSG.
Nach allem ist somit im Wege der Gesetzesauslegung festzustellen, daß zu den erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten nach § 193 SGG immer auch die Kosten des Vorverfahrens gehören und zu erstatten sind, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Letzteres ist stets in dem Verfahren über die Kostenfestsetzung nach § 197 SGG festzustellen.12/1 RA 105/75
Bundessozialgericht
Beschluß
Fundstellen