Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstlersozialversicherung. Künstlereigenschaft. Tanzlehrerin für Tango Argentino
Leitsatz (amtlich)
Zur Künstlereigenschaft einer Tanzlehrerin (Tango Argentino).
Normenkette
KVSG § 1 Nr. 1 Fassung: 2004-12-09, § 2 S. 1 Fassung: 2001-06-13
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Dezember 2005 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Februar 2003 geändert und die Klage abgewiesen.
Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin als Tänzerin und Tanzlehrerin für Argentinischen Tango (Tango Argentino) in der Künstlersozialversicherung (KSV).
Die 1964 geborene Klägerin betreibt seit Mitte 2001 eine Tanzschule für Argentinischen Tango (“tango vision”). Am 28. August 2001 beantragte sie die Feststellung ihrer Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG). Sie ordnete sich dem Bereich “Darstellende Kunst” zu und bezeichnete ihre Tätigkeit als “Tango-Argentino, Tänzerin & Lehrerin”. Ergänzend gab sie an, zu rund 70 % als Tanzlehrerin und im Übrigen als Tänzerin tätig zu sein, wobei ihre Auftritte bislang meist im Rahmen eigener Veranstaltungen stattgefunden hätten. Im laufenden Jahr werde sie voraussichtlich Einkünfte in Höhe von 10.000 DM erzielen.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG ab (Bescheid vom 31. Januar 2002, Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2002): Die von der Klägerin angebotene Tanzform diene vorrangig nicht der Kunstlehre, sondern der Freizeitgestaltung. Gesellschaftstanz, der regelmäßig nach vorgegebenen Schrittfolgen ohne großen Entfaltungsspielraum getanzt werde, sei nur dann künstlerisch, wenn das Gelernte in der Öffentlichkeit vorgeführt werden solle, was hier nicht zutreffe. Eine allgemeine Verkehrsauffassung, wonach der Tango nicht mehr den Gesellschaftstänzen, sondern der Bühnenkunst zuzuordnen sei, habe sich bisher nicht herausgebildet.
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, “die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG festzustellen” (Urteil vom 18. Februar 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Versicherungspflicht der Klägerin ab 28. August 2001 festgestellt wird (Urteil vom 16. Dezember 2005): Die Klägerin lehre Kunst, weil sie Argentinischen Tango unterrichte. Anders als beim konventionellen Gesellschaftstanz, wie er im Allgemeinen in Tanzschulen gelehrt werde, sei der Argentinische Tango nicht von der Einhaltung bestimmter Schrittfolgen geprägt, sondern von der Improvisation des Tanzpaares zur Musik, in der emotionale, kulturelle und soziale Aspekte zum Ausdruck gebracht würden. Es sei nicht relevant, ob der Argentinische Tango auf der Bühne dargeboten werde, denn ein Tanz werde nicht erst durch das Aufführen vor Publikum zur Kunst.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 2 KSVG. Zu Unrecht habe das LSG die Tätigkeit der Klägerin als künstlerisch eingeordnet. Eine Tango-Argentino-Tänzerin werde nicht im Bereich der darstellenden Kunst tätig. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, dass Gesellschaftstanz – wozu auch der Argentinische Tango als “folkloristische Ausprägung des Tango” zähle – keine Kunst iS des KSVG sei. Zudem werde Argentinischer Tango im Künstlerbericht 1975 nicht erwähnt. Dort seien Tänzer nur als Ballettangehörige aufgeführt; anders als beim Argentinischen Tango handele es sich beim Ballett um einen künstlerischen Bühnentanz, der im entsprechenden Wirkbereich (Tanztheater) aufgeführt werde und sich durch freie Gestaltungsmöglichkeit und Improvisation auszeichne. Dass beim Argentinischen Tango Bewegungsabläufe durch variierte Schrittfolgen inszeniert werden könnten, bedeute nicht schon künstlerische Choreografie; vergleichbare Variationsmöglichkeiten fänden sich auch bei Standardtänzen wie zB dem Walzer. Ob – wie vom LSG angenommen – beim Argentinischem Tango emotionale, kulturelle und soziale Gehalte im Vordergrund stünden, könne wegen fehlender Wahrnehmungsmöglichkeit gar nicht festgestellt werden. Doch selbst wenn die Darbietung von Argentinischem Tango Kunst sein sollte, sei dessen Unterrichtung nicht zwangsläufig als Lehre von Kunst iS des KSVG einzustufen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 16. Dezember 2005 und des SG Reutlingen vom 18. Februar 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidungen der Vorinstanzen. Ihre Auftritte als Tänzerin seien “Bühnenwerk”. Anders als der Standardtanz Tango beinhalte Argentinischer Tango eigenschöpferische Formgestaltung und nicht nur die Variation von bestimmten Schrittfolgen. Was heute Kunst iS des KSVG sei, könne im Übrigen nicht auf Grund des mehr als 30 Jahre alten Künstlerberichts beurteilt werden.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Mit den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass die Klägerin nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind deshalb zu ändern und die Klage ist abzuweisen.
Gemäß § 1 Nr 1 KSVG (idF des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung ≪RVOrgG≫ vom 9. Dezember 2004, BGBl I 3242) werden selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach § 2 Satz 1 KSVG (idF des 2. KSV-ÄndG vom 13. Juni 2001, BGBl I 1027) ist Künstler iS dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
1. In § 2 Satz 1 KSVG werden drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit jeweils in den Spielarten des Schaffens, Ausübens und Lehrens umschrieben, nämlich die Musik sowie die bildende und die darstellende Kunst. Eine weitergehende Festlegung, was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur allgemein von “Künstlern” und “künstlerischen Tätigkeiten”, auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs hat er hingegen bewusst verzichtet (BT-Drucks 8/3172 S 21). Dieser Begriff ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (vgl BSG SozR 4-5425 § 24 Nr 6 RdNr 13 und BSGE 83, 160, 161 = SozR 3-5425 § 2 Nr 9 S 33 – jeweils mwN; zum Kunstbegriff des Art 5 Grundgesetz vgl BVerfGE 30, 173, 188 ff und 81, 108, 116; zur Zielrichtung des KSVG vgl BT-Drucks 9/26, S 18 und BT-Drucks 8/3172, S 19 ff). Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen soll, mit denen sich der “Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)” aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks 7/3071) beschäftigt (BSGE 83, 160, 165 f = SozR 3-5425 § 2 Nr 9 S 37 f; BSGE 83, 246, 250 = SozR 3-5425 § 1 Nr 5 S 23; vgl auch Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 3. Aufl 2004, § 2 RdNr 3 und 9; Schriever “Der Begriff der Kunst im Künstlersozialversicherungsrecht” in: von Wulffen/Krasney ≪Hrsg≫, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, S 709, 714 f). Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben, der in aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten Kunsttyps (zB Theater, Gemälde, Musik) entspricht. Bei diesen Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird (BSG aaO).
In dem inzwischen mehr als 30 Jahre alten Künstlerbericht wird der Beruf des Argentinischen Tango-Tänzers bzw -Lehrers nicht erwähnt (vgl Brandmüller/Zacher/Thielpape, KSVG, Band II, Stand: 1. Januar 2002, Anlage 3A/8 “Tätigkeitskatalog künstlerischer/publizistischer Tätigkeiten”). Die Nichtverzeichnung im Künstlerbericht 1975 spricht jedoch nicht zwangsläufig gegen die Qualifizierung der Tätigkeit als künstlerisch, denn dies würde der Vielfalt und Dynamik in der Entwicklung künstlerischer und/oder publizistischer Berufstätigkeit widersprechen (vgl auch die Gesetzesmaterialien zum KSVG, BT-Drucks 8/3172, S 21 und 9/26, S 18). Im Bereich der darstellenden Kunst – die Bereiche Musik und bildende Kunst sind im vorliegenden Fall ersichtlich nicht betroffen – findet sich als Einordnungshilfe nur der Katalogberuf des “Ballett-Tänzers” (BT-Drucks 7/3071, S 7). Diesem ist die Klägerin im Hinblick auf ihre vom LSG festgestellte berufliche Tätigkeit aber nicht vergleichbar.
a) Der Beruf des Balletttänzers ist ein teilweise landesrechtlich geregelter schulischer Ausbildungsberuf, der insbesondere an Ballettschulen und -akademien, an Schulen für Bühnentanz und an solchen für darstellende Künste angeboten wird; entsprechende Studiengänge existieren an Kunst- und Musikhochschulen. Traditionelle Aufgabe des Balletttänzers ist es, Tanzrollen in Ballettinszenierungen zu gestalten, zu reproduzieren, zu interpretieren und auszuführen. Heute steht Ballett für eine bestimmte Form des Bühnentanzes neben anderen Richtungen wie dem Modern Dance (vgl Reclams Ballettführer, 13. Aufl 2002, S 11, 21 f; Brockhaus, Die Enzyklopädie, Bd 2, 20. Aufl 1996, S 542, Stichwort: “Ballett”; Duden, “Das große Wörterbuch der deutschen Sprache”, Bd 6, 3. Aufl 1999, S 449, Stichwort: “Ballett”). An den meisten Bühnen treten (Ballett-)Tänzer nicht nur im (klassischen) Ballett auf, sondern auch in Opern, Operetten und Musicals (vgl http://infobub.arbeitsagentur.de/berufe – Stichwort “Tänzer/in – Klassisch”).
Der Beruf des Argentinischen Tango-Tänzers bzw -Lehrers ist demgegenüber rechtlich nicht geregelt; der Allgemeine Deutsche Tanzlehrerverband eV (ADTV) bietet allerdings Lehrgänge zum “ADTV Fachtanzlehrer für Tango Argentino” an (vgl http://www.tanzen.de – Rubrik “Beruf und Ausbildung”, Stichwort: “ADTV Fachtanzlehrer für Tango Argentino”; Haase-Türk, Tango Argentino – eine Liebeserklärung, München 2003, S 106 f). Der Argentinische Tango entstand um 1880 in den Einwanderervierteln am Rio de la Plata, an dessen Mündungsdelta Buenos Aires liegt. Wie in einem Schmelztiegel lebten dort die verschiedensten Völker auf engstem Raum zusammen; ihre melancholische Stimmung von Einsamkeit, Heimweh und Liebessehnsucht fand im Tango ein emotionales Ventil. Um 1920 verlagerte sich der Tango auf Milongas (Tangotanzlokale) und Theaterbühnen (Krombholz/Leis-Haase, Richtig Tanzen 3 – Modetänze, München 1999, S 18; Haase-Türk, aaO, S 11 f). International wurde der Tango in jener Zeit im Rahmen des Welttanzprogramms zum Gesellschafts- und Turniertanz “standardisiert”. Seitdem wird zwischen der ursprünglichen Form, dem (traditionellen) Argentinischen Tango, und der systematisierten Form, dem (Englischen) Tango, unterschieden (Krombholz/Leis-Haase, aaO, S 18; Haase-Türk, aaO, S 13). Argentinischer Tango wird insbesondere in zwei Varianten dargeboten: Zum einen von Laien in Tanzlokalen, wobei der Mann – ausgehend von Basisschritten – für sich und seine Partnerin Tanzchoreografie und -tempo spontan bestimmt (“Tango de salón” – Salontango), zum anderen von Berufstänzern auf der Bühne mit einstudierten Choreografien (“Tango de espectáculo” – Bühnentango, der vorwiegend von Ballettmeistern und Choreografen mit einer Zusatzqualifikation für Tango Argentino gelehrt wird; vgl Castro, Tango – Die Struktur des Tanzes, Abrazos Books 2000, S 5; Nau-Klapwijk, Tango Dimensionen, 1999, S 93, 104 f; Haase-Türk, aaO, S 106 f). Heute hat sich in Deutschland eine gut organisierte “Tango Argentino – Szene” etabliert – mit Milongas, Tangokonzerten, -festivals, -shows, -musicals und -opern (Haase-Türk, aaO, S 100 f). Seit 1999 finden zudem Weltmeisterschaften und seit 2002 Deutsche Meisterschaften im Tango Argentino statt (Haase-Türk, aaO, S 101, 150; vgl auch TCS – Tango Championship, http://www.tangochampionship.com.ar).
b) Bei den Tanzauftritten der Klägerin könnte es sich – tatsächliche Feststellungen des LSG hierzu fehlen allerdings – um Darbietungen des Bühnentango und damit um Tätigkeiten aus dem Bereich der Unterhaltungskunst handeln, die nach dem Regelungszweck des KSVG grundsätzlich der KSV unterfallen (BSGE 83, 160, 162 = SozR 3-5425 § 2 Nr 9 S 33 f ≪Berufsringer≫). Ob sich indes schon eine allgemeine Verkehrsanschauung im Geltungsbereich des KSVG herausgebildet hat, die die Darbietung des Argentinischem (Bühnen-)Tango als eine mit dem Ballett vergleichbare Form des Bühnentanzes zur Unterhaltungskunst zählt – wie etwa Tanzdarbietungen im Rahmen von Varietévorführungen (vgl BSGE 77, 21 = SozR 3-5425 § 24 Nr 12 S 71 ≪Unterwäschevorführung≫; BSGE 82, 107, 112 = SozR 3-5425 § 25 Nr 12 S 65 ≪“Demonstrationssportler”≫) – kann hier offen bleiben, da die Klägerin nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) Feststellungen des LSG nur zu rund 30 % ihrer Arbeitszeit als Tänzerin des Tango Argentino auftritt. Im Fokus ihrer Tätigkeit steht nicht die Ausübung, sondern mit rund 70 % ihrer Arbeitszeit die Lehre des Tango Argentino. Bei einem – wie hier – aus unterschiedlichen Tätigkeiten zusammengesetzten Berufsbild kann von einem künstlerischen Beruf aber nur dann ausgegangen werden, wenn die künstlerischen Elemente das Gesamtbild prägen, Kunst also den Schwerpunkt der Berufsausübung bildet (vgl BSG SozR 4-5425 § 2 Nr 7 ≪Trauerredner≫; SozR 4-5425 § 2 Nr 6 ≪Ausstellungsgestalter≫; BSGE 82, 107, 111 = SozR 3-5425 § 25 Nr 12 S 64 ≪“Demonstrationssportler”≫; vgl auch Finke/Brachmann/Nordhausen, aaO, § 2 RdNr 9).
c) Entscheidend ist daher, ob die schwerpunktmäßig als Tanzlehrerin tätige Klägerin Kunst iSd § 2 Satz 1 KSVG lehrt. Dem steht nicht entgegen, dass – wie hier – nicht angehende Künstler für ihren Beruf ausgebildet, sondern Laien unterrichtet werden, die in ihrer Freizeit am Unterricht teilnehmen und das Gelernte auch nur für Freizeitzwecke verwenden wollen (BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 1 S 4 ≪Afro-Dance≫ und SozR 3-5425 § 2 Nr 2 S 8 ≪Eurythmie≫).
§ 2 Satz 1 KSVG bezieht sich jedoch nur auf solche Lehrtätigkeiten, die der aktiven Kunstausübung der Schüler dienen. Gegenstand der Lehrtätigkeit muss daher die Vermittlung praktischer oder theoretischer Kenntnisse sein, die sich auf die Fähigkeiten oder Fertigkeiten der Unterrichteten bei der Ausübung von Kunst auswirken (BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 7 S 21 ≪Kunstgeschichtlicher Unterricht≫). Insoweit erscheint es nach den Feststellungen des LSG zwar nicht ausgeschlossen, dass sich die Tanzschüler der Klägerin mit den von ihr gelehrten Unterrichtsgegenständen als Grundlage und mit zunehmender Übung zu “milongueros” entwickeln – also zu Vortänzern, die sich in einer Milonga mit eigenwilligem Stil, auffallend eleganter Haltung, besonderer Virtuosität oä hervortun und eine Vorstufe zum ballettähnlichen Bühnentango ausüben (vgl Nau-Klapwijk, aaO, S 114). Überwiegend dient der Tanzunterricht der Klägerin aber nicht als Grundlage einer ballettartigen Kunstausübung (denkbar zB als Bühnentänzer in Tangoshows, -musicals oder -opern), sondern der Ausübung von Breiten- bzw Freizeitsport. Damit ist eine Einordnung als Kunst ausgeschlossen.
Ob durchaus eigenschöpferische Darbietungen dem Bereich des Sports oder dem der Kunst zuzuordnen sind, beurteilt sich wie bei anderen Abgrenzungsproblemen letztlich nach der Verkehrsauffassung (BSGE 82, 107, 111 f = SozR 3-5425 § 25 Nr 12 S 64 f ≪Demonstrationssportler≫). Maßgebende Kriterien für die Zuordnung sind insbesondere die Existenz von Regeln und Wertmaßstäben aus dem Bereich des Sports, die Art der Veranstaltung, der Veranstaltungsort sowie die Zugehörigkeit des Akteurs zu einschlägigen Interessengruppen, Vereinigungen etc. So ist ohne weiteres von einer sportlichen Betätigung auszugehen, wenn für eine Aktivität ein Regelwerk existiert, das von einem Verband erlassen worden ist, der dem Deutschen Sportbund – heute: Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) – angehört (BSG aaO). Nicht entscheidend ist hingegen, ob der einzelne Akteur einem solchen Verband auch angehört, da es auf die Einordnung der Betätigung als solcher nach der Verkehrsanschauung ankommt, die wiederum durch die typischen Ausübungsfelder geprägt wird.
Für den Argentinischen Tango existiert weder ein vom Deutschen Tanzsportverband eV (DTV) noch von einem sonstigen Mitglied des DOSB erstelltes Regelwerk. Tango Argentino zählt aber ebenso wie zB die Tanz-Disziplinen Standard, Latein und Jazz-Dance zu dem vom DTV angebotenen Breitensportprogramm (http://www.tanzsport.de/dtvstart.html – Stichworte: “Breitensport” und “Disziplinen”), wohingegen weder Afro-Dance (BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 1) noch Eurythmie (BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 2) auf der Homepage des DTV als Breitensportdisziplinen erwähnt sind. Dementsprechend wurden beim “Tag des Tanzes 2005” des DTV, der Mitglied im DOSB ist und dort als Spitzenfachverband die Sportart “Tanzen” repräsentiert, am 6. November 2005 auch Tanzturniere für Breitensportler unter Einschluss des Tango Argentino angeboten. In einer Meldung des DOSB hierzu mit dem Titel “Tanzen tut Deutschland gut” vom 17. November 2005” heißt es: “Von Ballveranstaltungen und Tanztees … wurden durch die Vereine … Tanzshownachmittage und Kindertanzshows bis hin zu … Tanzturnieren für Breitensportler, Jazztanz, Tango Argentino, Hip-Hop und Salsa Workshops, Breakdance, … historische Tanzvorführungen, Merenque, Flamenco und Step Tanzen, Orientalische Tänze, Streetdance, Linedance, aber nicht zuletzt auch das klassische Turniertanzen in den Lateinamerikanischen und Standardtänzen angeboten” (http://www.dosb.de/de/aktuell/details/news/tanzen_tut_deutschland_gut).
Daraus folgt, dass der Argentinische Tango zum Bereich des Sports (Freizeitsport, Breitensport, Turniertanzsport) zählt, weil er in Sportverbänden organisiert ist und wettkampfmäßig ausgeführt werden kann. Er unterscheidet sich insoweit nicht von vielen anderen Tanzdisziplinen, bei denen es Turniere und Meisterschaften gibt (zB Standardtänze, Lateinamerikanische Tänze, Jazztanz, Eistanz). Auf den Umfang der Kreativität und des Gestaltungsspielraums kommt es beim Tango Argentino ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Einhaltung bestimmter Schrittfolgen vorgeschrieben ist oder die freie Improvisation des Tanzpaares im Vordergrund steht. Denn Kreativität und ästhetische Gestaltung ist bei allen Tanzdisziplinen möglich und bei Wettbewerben auch geboten; andere Sportarten wie zB Eiskunstlaufen oder Kunstturnen sind davon ebenfalls geprägt, ohne dass ihre Einordnung als Sport dadurch in Frage gestellt wird.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1695287 |
DStR 2007, 1043 |