Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. kein Ausschluss der obligatorischen Anschlussversicherung bei Bezug von Grundleistungen nach dem AsylbLG
Leitsatz (amtlich)
Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz begründen keinen die obligatorische Anschlussversicherung ausschließenden anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall.
Normenkette
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 8a Sätze 2, 4, Abs. 11 S. 3, § 19 Abs. 2, § 188 Abs. 4 S. 1 Fassung: 2013-07-15, S. 3 Fassung: 2013-07-15; AsylbLG §§ 2-4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens, ausgenommen die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4590,50 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung zweier Krankenhausbehandlungen.
Der geschiedene, ausreisepflichtige türkische Staatsangehörige S (im Folgenden: der Patient) hielt sich zuletzt geduldet (Aussetzung der Abschiebung) im Bundesgebiet auf. Er war aufgrund eines vom 5.9. bis 16.12.2016 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses bei der beklagten Krankenkasse (KK) pflichtversichert. Er beantragte am 16.12.2016 Leistungen nach dem SGB II. Das zuständige Jobcenter lehnte Leistungen wegen des aufenthaltsrechtlichen Status des Patienten am 1.2.2017 ab. Die beigeladene Stadt Ludwigshafen (im Folgenden: AsylbLG-Trägerin) bewilligte ihm nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) rückwirkend ab Dezember 2016 laufende Geldleistungen zum Lebensunterhalt (Bescheid vom 6.4.2017). Er befand sich wegen einer Suchterkrankung mit Alkoholintoxikation vom 10.4. bis 13.4.2017 (10:54 Uhr) und vom 13.4. (13:15 Uhr) bis 27.4.2017 in stationärer Behandlung in dem Plankrankenhaus der Klägerin (im Folgenden: Krankenhaus). Das Krankenhaus stellte der KK für den ersten Krankenhausaufenthalt 871,52 Euro und für den zweiten 3718,98 Euro vergeblich in Rechnung. Auf die Klage des Krankenhauses hat das SG nach Beiladung der AsylbLG-Trägerin die KK zur Zahlung von 4590,50 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.7.2017 verurteilt. Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Die KK schulde dem Krankenhaus die Begleichung der dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen Forderung. Der Patient sei nach dem 16.12.2016 und auch während der beiden Krankenhausbehandlungen bei der KK als freiwilliges Mitglied aufgrund der vorrangigen obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs 4 SGB V versichert gewesen. Keine entsprechende Anwendung fänden die Ausschlusstatbestände nach § 5 Abs 8a und Abs 11 SGB V. Zwar habe - aufgrund der rückwirkenden Bewilligung - ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall bestanden, jedoch nicht - wie von § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V gefordert - im Anschluss an den für einen Monat nachwirkenden Versicherungsschutz nach § 19 Abs 2 SGB V(Urteil vom 9.7.2020) .
Die KK rügt mit ihrer Revision - sinngemäß - die Verletzung von § 5 Abs 8a und Abs 11 sowie § 188 Abs 4 SGB V. § 5 Abs 8a SGB V sei entsprechend anzuwenden. Auch komme es auf den Zeitpunkt des Nachweises der anderweitigen Absicherung nicht an.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Juli 2020 und des Sozialgerichts Speyer vom 6. Mai 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene AsylbLG-Trägerin stellt keinen Antrag.
Das klagende Krankenhaus und die beigeladene AsylbLG-Trägerin halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG deren Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, mit dem das SG die KK zur Zahlung von 4590,50 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.7.2017 verurteilt hat. Die Klage, mit der das Krankenhaus eine Vergütung von 4590,50 Euro für die Behandlung des Patienten begehrt, ist dem Grunde und der Höhe nach begründet (dazu 1.). Zu Recht hat das Krankenhaus seinen Anspruch gegenüber der KK geltend gemacht. Nicht die beigeladene Stadt als Leistungsträgerin nach dem AsylbLG (AsylbLG-Trägerin), sondern die KK ist Schuldnerin der vom Krankenhaus für den Patienten erbrachten Leistungen. Der Patient war spätestens seit dem 17.1.2017 und auch noch im Zeitraum der stationären Behandlungen aufgrund einer obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs 4 SGB V freiwillig versichertes Mitglied der KK. Er erfüllte die Voraussetzungen für den Zugang zur obligatorischen Anschlussversicherung gemäß § 188 Abs 4 Satz 1 SGB V(dazu 2.) . Diese war nicht gemäß § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V ausgeschlossen (dazu 3.). Ein Wegfall der obligatorischen Anschlussversicherung vor den stationären Behandlungen des Patienten folgt auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 5 Abs 8a und Abs 11 Satz 3 SGB V(dazu 4.) .
1. Rechtsgrundlage des von dem Krankenhaus wegen der stationären Behandlung des Patienten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm der Bundespflegesatzverordnung und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) sowie der Pflegesatzvereinbarung. Das Gesetz setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren, dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (stRspr; vgl BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11).
Die Zahlungsverpflichtung der KK entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr; vgl zB BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 10, 12 f mwN). Nach den unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG war die stationäre Behandlung des Patienten im gesamten Zeitraum (10. - 27.4.2017) medizinisch erforderlich und wirtschaftlich. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Beteiligten streiten auch nicht darüber, dass das Krankenhaus die Höhe der Vergütung auf Grundlage des tatsächlichen Geschehensablaufs zutreffend nach dem für Plankrankenhäuser geltenden, oben benannten öffentlich-rechtlichen Preisrecht sachlich-rechnerisch zutreffend berechnete. Eine nähere Prüfung des erkennenden Senats zu dieser Höhe erübrigt sich (stRspr zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris RdNr 11 mwN).
2. Der Patient erfüllte nach § 188 Abs 4 Satz 1 SGB V die Voraussetzungen für den Zugang zur obligatorischen Anschlussversicherung. Er erklärte auch nicht seinen Austritt aus der Versicherung und war deshalb im Behandlungszeitraum bei der KK versichert.
§ 188 Abs 4 Satz 1 SGB V(in der hier maßgeblichen Fassung des Art 1 Nr 2b Buchst b des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl I 2423) bestimmt: Für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, setzt sich die Versicherung mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der KK über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt.
Die Möglichkeit des Zugangs des Patienten zur obligatorischen Anschlussversicherung war hiernach kraft seiner unmittelbar vorausgegangenen, bei der KK bis zum 16.12.2016 bestehenden Versicherungspflicht grundsätzlich eröffnet. Die Versicherungspflicht folgte aus dem bis dahin zwischen dem Patienten und einem Leiharbeitsunternehmen bestehenden Beschäftigungsverhältnis (Beschäftigungsversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) und endete mit dessen Beendigung zum 16.12.2016. Der Patient erklärte auch nicht seinen Austritt aus der Versicherung (§ 188 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V). Dies hat das LSG für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG). Die Beteiligten haben diese Feststellung nicht angegriffen.
3. Der Zugang zur obligatorischen Anschlussversicherung war nicht nach § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V ausgeschlossen. An die Stelle der bisherigen Versicherungspflicht trat weder eine andere Versicherungspflicht noch eine Familienversicherung (dazu a), noch war die obligatorische Anschlussversicherung aufgrund eines nachgewiesenen anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall ausgeschlossen (dazu b).
§ 188 Abs 4 Satz 3 SGB V bestimmt: Satz 1 gilt nicht für Personen, deren Versicherungspflicht endet, wenn die übrigen Voraussetzungen für eine Familienversicherung erfüllt sind oder ein Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs 2 besteht, sofern im Anschluss daran das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird.
a) Für den geschiedenen, 1976 geborenen Patienten bestand weder eine Familienversicherung noch hat das LSG festgestellt, dass nach dem 16.12.2016 bis zum Beginn der Krankenhausbehandlung eine vorrangige Versicherungspflicht für ihn begründet wurde, insbesondere nicht nach § 5 Abs 1 Nr 2 oder Nr 2a SGB V (Leistungsbezug nach SGB III oder nach SGB II). Dafür ist auch nichts ersichtlich. Aus dem auch vom LSG in Bezug genommenen Versicherungsverlauf des Rentenversicherungsträgers ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Patient die Voraussetzungen der Anwartschaftszeit nach § 142 SGB III erfüllt haben könnte. Für einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld ist ebenfalls nichts ersichtlich. Im Übrigen hat das Jobcenter nach den unangegriffenen, den Senat bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG im Februar 2017 die von dem Patienten am 16.12.2016 beantragten SGB II-Leistungen bestandskräftig abgelehnt.
Eine andere Versicherungspflicht ergab sich für den Patienten auch nicht aus § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V. Denn der Zugang zur obligatorischen Anschlussversicherung schließt eine nachrangige Auffang-Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V von vornherein aus. Mit der obligatorischen Anschlussversicherung wollte der Gesetzgeber den Grundsatz des Vorrangs der freiwilligen Versicherung vor der nachrangigen Auffang-Versicherungspflicht des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V stärken (vgl BT-Drucks 17/13947 S 27 f zu Nr 2b Buchst b; BSG vom 10.12.2019 - B 12 KR 20/18 R - BSGE 129, 265 = SozR 4-2500 § 188 Nr 1, RdNr 25).
b) Ein Ausschluss aus der obligatorischen Anschlussversicherung ist auch nicht aus dem Grund eines nachgewiesenen anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall gegeben.
Der 12. Senat des BSG hat zum nachwirkenden Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft (§ 19 Abs 2 SGB V) im Verhältnis zur obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs 4 SGB V entschieden, dass die Voraussetzung des anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nach § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V nicht anders auszulegen ist als nach § 5 Abs 8a Satz 4 iVm § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V. Zu einem unterschiedlichen Verständnis des Begriffs des "anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall" im Rahmen der Auffang-Versicherungspflicht einerseits und der obligatorischen Anschlussversicherung andererseits zwingt nicht der abweichende Wortlaut der diese Rechtsinstitute normierenden Vorschriften. Während es nach § 5 Abs 8a Satz 4 SGB V darauf ankommt, dass keine anderweitige Absicherung "besteht", stellt § 188 Abs 4 Satz 3 Alt 2 SGB V zwar darauf ab, dass die anderweitige Absicherung "nachgewiesen wird". Ungeachtet dessen, dass § 5 Abs 8a Satz 4 SGB V nicht die Auffang-Versicherungspflicht an sich, sondern lediglich die Absicherung im Krankheitsfall in Gestalt des nachgehenden Leistungsanspruchs nach § 19 Abs 2 SGB V zum Gegenstand hat, setzt auch der Begriff "nachgewiesen" nichts anderes als das Bestehen einer anderweitigen Absicherung zur Überzeugung der Behörde oder des Gerichts voraus (vgl BSG vom 29.6.2021 - B 12 KR 35/19 R - juris RdNr 14 ff, insbesondere RdNr 17). Dem schließt sich der erkennende Senat mit der Folge an, dass seine Prognoserechtsprechung (vgl BSG vom 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R - BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 30 und 33; BSG vom 4.3.2014 - B 1 KR 68/12 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 22 RdNr 25) auch für § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V Gültigkeit besitzt. Dies hätte erfordert, dass spätestens am letzten Tag des nachgehenden Monats mit dem nahtlosen Anschluss eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall sicher zu rechnen gewesen wäre. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 4.3.2014 (B 1 KR 68/12 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 22 RdNr 25) in einer Formulierung nur das sich nahtlos anschließende Versicherungspflichtverhältnis erwähnt hat, stellt er klar, dass jede anderweitige, vom Gesetz als hinreichend angesehene Absicherung im Krankheitsfall dafür ausreichend ist (vgl auch BSG vom 4.3.2014, aaO, RdNr 24). Dies gilt insbesondere für bestimmte Leistungen nach dem SGB XII und dem AsylbLG.
Bei Ablauf des maximal einen Monat dauernden nachwirkenden Versicherungsschutzes gemäß § 19 Abs 2 SGB V war der Nachweis eines anderweitigen Anspruchs des Patienten auf Absicherung im Krankheitsfall nicht erbracht. Der Senat kann daher offenlassen, ob zunächst ein nachwirkender Versicherungsschutz nach § 19 Abs 2 SGB V durch die KK bestanden hat.
4. Die obligatorische Anschlussversicherung ist schließlich nicht dadurch rückwirkend entfallen, dass die beigeladene AsylbLG-Trägerin mit Bescheid vom 6.4.2017 dem Patienten rückwirkend ab Dezember 2016 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bewilligte. Die Voraussetzungen des § 5 Abs 8a SGB V sind im vorliegenden Fall schon tatbestandlich nicht erfüllt (dazu a).§ 5 Abs 11 SGB V ist nicht entsprechend anzuwenden (dazu b).
a) § 5 Abs 8a Satz 2 SGB V(in der Fassung des Art 1 Nr 2 Buchst c des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung ≪GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG≫ vom 26.3.2007, BGBl I 378) bestimmt zu den sogenannten Analogleistungen iS von § 2 AsylbLG und dem sich daraus ergebenden Ausschluss aus der Auffang-Pflichtversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V: Satz 1 ≪Ausschluss der Auffang-Pflichtversicherung≫ gilt entsprechend für Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches und für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 AsylbLG.
Es bestand zu keinem Zeitpunkt ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall iS des § 5 Abs 8a Satz 2 SGB V. Nur (Analog-)Leistungen nach § 2 AsylbLG führen über § 264 Abs 2 SGB V zur hier ausreichenden, aber auch erforderlichen krankenversicherungsgleichen Absicherung. Die Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG eröffnet dagegen nur Ansprüche auf den abgesenkten Versorgungsanspruch bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 AsylbLG, nicht jedoch solche, die denen der §§ 47 ff SGB XII entsprechen. Der Patient erhielt nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. An die entgegenstehende Feststellung des LSG zum Regelungsgehalt des AsylbLG-Bescheids ist der Senat nicht gebunden.
Es spricht viel dafür, dass die Auslegung eines Verwaltungsaktes stets (auch) Aufgabe des Revisionsgerichts ist (vgl BSG vom 13.12.2018 - B 5 RE 3/18 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 19 RdNr 17 ff). Jedenfalls tritt dann keine Bindung an den vom Tatsachengericht festgestellten Erklärungsinhalt eines Verwaltungsaktes ein, wenn die Auslegung auf einer unvollständigen Würdigung der festgestellten Tatsachen, einem Rechtsirrtum, einem Verstoß gegen eine Auslegungsregel oder einen Verstoß gegen ein allgemeines Erfahrungs- oder Denkgesetz beruht. In diesem Fall kann das Revisionsgericht die Erklärung selbst auslegen (vgl BSG, aaO, RdNr 26). Dies ist hier der Fall. Das LSG hat die Angaben im Bescheid nicht gewürdigt und diesen deshalb irrtümlich rechtlich qualifiziert. Der vom LSG in Bezug genommene Leistungsbescheid der AsylbLG-Trägerin vom 6.4.2017 besagt ausdrücklich: "Gemäß obiger Berechnung erhalten Sie den Leistungssatz nach § 3 AsylbLG." Die beigefügte Berechnung entspricht auch dem sich nach § 3 AsylbLG ergebenden Anspruch. Danach hatte der Patient nur einen Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach § 4 AsylbLG.
Ob eine Leistungsbewilligung nach Ablauf des nachgehenden Versicherungsschutzes, aber rückwirkend für diesen Zeitraum, die obligatorische Anschlussversicherung ebenfalls entsprechend § 5 Abs 8a SGB V ausschließen würde - wozu der Senat neigt (so zur unmittelbaren Anwendung des § 5 Abs 8a SGB VBSG vom 6.10.2010 - B 12 KR 25/09 R - BSGE 107, 26 = SozR 4-2500 § 5 Nr 12, RdNr 16 ff, insbesondere RdNr 25) -, kann dahingestellt bleiben. Denn dem Patienten wurden weder Leistungen nach dem SGB XII noch nach § 2 AsylbLG zuerkannt.
b) Ein Wegfall der obligatorischen Anschlussversicherung vor den stationären Behandlungen des Patienten folgt auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 5 Abs 11 Satz 3 SGB V.
§ 5 Abs 11 Satz 3 SGB V bestimmt: Bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG liegt eine Absicherung im Krankheitsfall bereits dann vor, wenn ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 AsylbLG dem Grunde nach besteht.
Die Vorschrift erkennt die eingeschränkten Leistungen nach § 4 AsylbLG nur im Rahmen der Auffang-Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall an. Im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung gilt dies nicht. Eingeschränkte Leistungen nach § 4 AsylbLG stellen keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall iS des § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V dar. Eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs 11 Satz 3 SGB V im Rahmen des § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V ist aufgrund entgegenstehender Regelungszwecke beider Vorschriften und des Fehlens einer unbewussten Regelungslücke ausgeschlossen.
Der Regelungszweck des § 5 Abs 11 SGB V besteht darin, eine voraussetzungslose unkontrollierte erstmalige Aufnahme mittels der Auffang-Pflichtversicherung in die GKV auszuschließen. Berechtigte nach dem AsylbLG, die noch aus keinem anderen Grund eine Aufnahme in der GKV gefunden haben oder in den Schutz eines der GKV entsprechenden Sicherungsniveaus gelangt sind (insbesondere nach § 2 AsylbLG), sollen auch für die Absicherung im Krankheitsfall allein dem AsylbLG zugewiesen bleiben. Dies fügt sich in die Binnensystematik ein. Die Zielrichtung der Vorschrift, eine voraussetzungslose unkontrollierte erstmalige Aufnahme in die GKV zu unterbinden, wird auch in § 5 Abs 11 Satz 2 SGB V sichtbar. Danach besteht für den Personenkreis der Unionsbürger, der nur unter den Voraussetzungen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ein Recht auf Einreise und Aufenthalt hat, keine Auffang-Versicherungspflicht (vgl auch BSG vom 3.7.2013 - B 12 KR 2/11 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 20 RdNr 29; BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE 117, 261 = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 21). § 188 Abs 4 Satz 1 SGB V setzt demgegenüber gerade eine vorbestehende Versicherungspflicht oder eine Familienversicherung und damit eine vorbestehende besondere Nähe zur GKV voraus. Dies lässt sich nur mit der Vorstellung vereinbaren, dass das dortige Schutzniveau auch im Rahmen einer anderweitigen Absicherung nach § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V gewährleistet sein soll.
Auch ist nichts für eine unbewusste Regelungslücke ersichtlich. Denn der Gesetzgeber hat § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V geschaffen in Kenntnis der bestehenden Regelung in § 5 Abs 11 Satz 3 SGB V zum AsylbLG, ohne diese zu übernehmen (vgl auch die Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit, der § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V im Blick hatte, BT-Drucks 17/13497 S 27 f). Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass eine nahtlose rückwirkende Bewilligung von Grundleistungen nach dem AsylbLG die obligatorische Anschlussversicherung rückwirkend ausschließt, wäre wegen der unterschiedlichen Sicherungsniveaus zudem eine eigenständige Erstattungsregelung im Verhältnis von KKn und AsylbLG-Trägern zu erwarten gewesen. Der Gesetzgeber hat aber auch keine an die Bewilligung von Grundleistungen nach dem AsylbLG anknüpfende, für die Zukunft (ex nunc) wirkende Ausschlussregelung geschaffen.
Der Senat ist sich der für die KKn negativen beitragsrechtlichen Folgewirkungen dieser Lösung bewusst. Diese resultieren jedoch daraus, dass der Gesetzgeber an die Bewilligung von Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft einen Tatbestand zur Beendigung der obligatorischen Anschlussversicherung geknüpft noch eine Beitragszahlungspflicht der AsylbLG-Träger zumindest für die Vergangenheit vorgesehen hat.
Hier hatte der Patient aufgrund seiner Beschäftigungsversicherung in der GKV Fuß gefasst und damit eine hinreichende Nähe zum Versicherungssystem erlangt. Unerheblich ist deshalb, dass er im Anschluss an seine versicherungspflichtige Beschäftigung rückwirkend nur Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhielt.
5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 291, 288 Abs 1 Satz 2 BGB und § 9 Abs 6 und 7 des Vertrags nach § 112 SGB V zwischen der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz und den Krankenkassenverbänden. Danach beträgt die Zahlungsfrist für Krankenhausrechnungen 14 Tage. Ab Überschreitung der Zahlungsfrist sind Verzugszinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Die KK hat gegen den Beginn des vom SG ausgeurteilten Zinsanspruchs keine Einwände erhoben. Er kann deshalb vom Senat zugrunde gelegt werden.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 sowie § 162 Abs 3 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der beigeladenen AsylbLG-Trägerin ist nicht veranlasst. Sie hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG. |
Schlegel |
Scholz |
Richter am BSG Dr. Estelmann ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Schlegel |
Fundstellen
Haufe-Index 15285491 |
SGb 2022, 356 |
GesR 2022, 637 |