Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Beschäftigungslosigkeit. Nichteinsatzzeit. Fernsehmitarbeiter des ZDF. Dauerbeschäftigungsverhältnis
Orientierungssatz
Ein Fernsehmitarbeiter steht auch an den Tagen, in denen er mit dem ZDF keine Einsätze für das ZDF vereinbart hat, in einem Beschäftigungsverhältnis im leistungsrechtlichen Sinne, wenn trotz der jeweils monatlich befristet und für einzelne Einsatztage geschlossenen Arbeitsverträge er bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auch in den Nichteinsatzzeiten einem umfassenden Weisungsrecht des ZDF untersteht. Er ist an diesen Tagen, obwohl eine Arbeitsleistung vertraglich nicht verlangt werden kann und er tatsächlich nicht arbeitet, nicht arbeitslos.
Normenkette
SGB 3 § 118 Abs. 1 Nr. 1; SGB 3 § 119 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg). Streitig ist insbesondere, ob der Kläger für den Zeitraum vom 26.5. bis 5.6.2008 arbeitslos war und Alg beanspruchen kann.
Der Kläger ist als Grafiker beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) in Mainz beschäftigt. Er wird seit 1992 fortlaufend aufgrund jeweils für einen Monat geschlossener Arbeitsverträge in monatlich unterschiedlichem Umfang zur Produktion von Standbildern, Karten und Erklärungen herangezogen. Die Arbeitsverträge geben als Beschäftigungszeiten den ersten bis zum letzten Tag des entsprechenden Monats an und teilen dem Arbeitnehmer mit, dass er während dieses Zeitraums nach Maßgabe der zuständigen Betriebsbüros an einer unterschiedlichen Anzahl von Tagen, deren Angabe mit "circa" erfolgt, zur Verfügung stehen muss. Das Tagesbruttohonorar wird mit 223,37 € angegeben. Seit 1996 war der Kläger zwischen 173 und 242 Tagen in dieser Weise eingesetzt. Die Einsatztage oder Schichtzeiten können noch nachträglich geändert werden bzw die Einsätze können sich durch erkrankte oder ausgefallene Kollegen noch nachträglich verschieben oder erweitern. Das ZDF verlangt vom Kläger erste Priorität und höchste Flexibilität bezüglich der Einsatzmöglichkeiten und Arbeitszeiten, lässt es aber im Arbeitsvertrag zu, dass der Kläger auch für andere Arbeitgeber arbeitet, was bisher nicht vorgekommen ist. Der Kläger hat Anspruch auf 30 Urlaubstage im Jahr; den Urlaub muss er sechs Wochen vor Urlaubsantritt einreichen.
Der Kläger meldete sich seit 1999 für die Tage, an denen eine Beschäftigung nicht stattfand, arbeitslos und erhielt jeweils für die Zeiten zwischen seinen arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitstagen Alg), zuletzt für die Zeit vom 28.5 bis 1.6.2007. Seinen Antrag vom 5.5.2008, ihm auch vom 26.5. bis 5.6.2008 Alg zu gewähren, lehnte die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit Bescheid vom 29.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.5.2009 ab, weil der Kläger in der streitigen Zeit nicht arbeitslos gewesen sei, sondern seine Beschäftigung beim ZDF eine (durchgehende) Dauerbeschäftigung darstelle. Auch die Krankenkasse des Klägers gehe seit dem 1.1.2009 entsprechend der Anmeldung durch das ZDF von einem Dauerarbeitsverhältnis aus.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.10.2011); das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 24.1.2013). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei in dieser Zeit nicht arbeitslos gewesen, weil er in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Nach den gesamten Umständen sei davon auszugehen, dass zwischen dem Kläger und dem ZDF trotz der auf einem Monat befristeten Arbeitsverträge ein auf Dauer gerichtetes Rechtsverhältnis bestehe. Entsprechende "freie Mitarbeiter" seien umfassend in den Betrieb des ZDF eingegliedert und abgesichert. Das Weisungs- und Direktionsrecht des ZDF gegenüber dem Kläger sei umfassend. Faktisch stelle sich das Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Kläger und dem ZDF dergestalt dar, dass eine regelmäßige, wenn auch nicht alltägliche Inanspruchnahme des Klägers durch seinen Arbeitgeber vereinbart sei und stattfinde. Tatsächlich sei es dem Kläger wegen seiner Arbeitsbereitschaft in den arbeitsfreien Tagen für das ZDF auch nicht möglich, vergleichbare Tätigkeiten für andere Rundfunkanstalten oder Unternehmen auszuüben.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung materiellen Rechts (§§ 118, 119 Sozialgesetzbuch Drittes Buch ≪SGB III≫ aF) und führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Sein Anspruch auf Alg ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut der §§ 118, 119 SGB III aF; insbesondere sei er in der Zeit vom 26.5. bis 5.6.2008 beschäftigungslos im leistungsrechtlichen Sinn und damit arbeitslos gewesen. In persönlicher Abhängigkeit vom ZDF und faktischer Verfügungsgewalt des Arbeitgebers (Direktionsrecht) habe er sich nur während seiner jeweiligen Einsatzzeiten befunden. An den einsatzfreien Tagen ohne Beschäftigung habe er auch kein Arbeitsentgelt vom ZDF erhalten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 2013 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 11. Oktober 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 29. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Mai 2009 zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 26. Mai bis zum 5. Juni 2008 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass der Kläger die Beweiswürdigung des LSG mit Verfahrensrügen nicht angegriffen habe, sodass das Revisionsvorbringen schon "aus formalen Gründen unbeachtlich" sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Alg für die Zeit vom 26.5. bis 5.6.2008.
Gemäß § 117 Abs 1 Nr 1 iVm § 118 Abs 1 Nr 1 SGB III aF hat bei Arbeitslosigkeit ein Arbeitnehmer nur dann Anspruch auf Alg, wenn er arbeitslos ist. Arbeitslos ist gemäß § 119 Abs 1 SGB III aF nur ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Ohne Rechtsfehler ist das LSG davon ausgegangen, dass Beschäftigungslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinne vorliegt (§ 119 Abs 1 Nr 1 SGB III aF), wenn der Betroffene - unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des Arbeitsrechts - in tatsächlicher Hinsicht ohne Beschäftigung ist (vgl Senatsurteile vom 25.4.2002 - B 11 AL 65/01 R - BSGE 89, 243 = SozR 3-4300 § 144 Nr 8 und vom 3.6.2004 - B 11 AL 70/03 R - SozR 4-4300 § 123 Nr 2). Der Kläger ist aber nicht beschäftigungslos, wenn und solange er eine Beschäftigung von 15 Stunden wöchentlich oder mehr ausübt (§ 119 Abs 3 S 1 SGB III aF).
Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die leistungsrechtliche Beschäftigungslosigkeit bereits dann eintritt, wenn die tatsächliche Beschäftigung beendet wird und es an dem Willen der Parteien des Beschäftigungsverhältnisses fehlt, dieses fortzusetzen. Dies ermöglicht die Annahme von Beschäftigungslosigkeit in verschiedenen, in der Praxis häufig auftretenden Konstellationen. Nach diesen Maßstäben tritt leistungsrechtliche Beschäftigungslosigkeit zB ein, wenn Arbeitnehmer nach langer Arbeitsunfähigkeit und Ausschöpfung des Krankengeldanspruchs aus gesundheitlichen Gründen nicht weiter beschäftigt werden können (vgl BSGE 73, 90 = SozR 3-4100 § 101 Nr 4). Sie liegt auch vor, wenn Arbeitnehmer nach Kündigung von der Arbeit freigestellt werden. Sie wird auch bejaht, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer bei bestehendem Arbeitsverhältnis freistellt, weil er die Löhne wegen Zahlungsunfähigkeit nicht mehr zahlen kann (BSG SozR 4100 § 117 Nr 16; zum Ganzen auch: Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III § 138 RdNr 53).
Andererseits besteht ein Beschäftigungsverhältnis in Fällen weiter, in denen die tatsächliche Arbeitsleistung beendet oder unterbrochen ist, aber sowohl das Arbeitsverhältnis fortbesteht als auch beide Parteien den Willen haben, das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen (vgl LSG Berlin-Brandenburg vom 24.6.2009 - L 4 AL 180/07; siehe - allerdings zur beitragsrechtlichen Beschäftigung - auch BSG vom 18.4.1991 - 7 RAr 106/90 - BSGE 68, 236 = SozR 3-4100 § 104 Nr 6). Eine Fortdauer der Beschäftigung trotz deren tatsächlicher Unterbrechung ist auch in Fällen der Kurzarbeit anzunehmen. Nach der Anordnung von Kurzarbeit aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen eines unabwendbaren Ereignisses ruht die Arbeitspflicht der Beschäftigten ganz oder teilweise. Die Beteiligten des Beschäftigungsverhältnisses wollen die Beschäftigung aber wieder fortsetzen, wenn die Gründe für die Kurzarbeit entfallen sind. In dieser Situation besteht nicht nur das beitragsrechtliche Versicherungspflichtverhältnis fort (§ 24 Abs 3 SGB III), sondern die Beschäftigten erhalten für die Dauer des Arbeitsausfalls auch eine Entgeltersatzleistung (nach §§ 95 f SGB III). Sie haben aber keinen Anspruch auf Alg bei Beschäftigungslosigkeit, sondern erhalten stattdessen Kurzarbeitergeld als Leistung der aktiven Arbeitsförderung zur Sicherung des Verbleibs in Beschäftigung (so die Überschrift des Sechsten Abschnitts im Dritten Kapitel des SGB III; dazu Mutschler in Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, 5. Aufl 2013, § 95 RdNr 9). In all diesen Fällen liegt leistungsrechtlich keine Beschäftigungslosigkeit vor, weil die jeweiligen Arbeitnehmer in einem die Arbeitslosigkeit ausschließenden sogenannten Dauerbeschäftigungsverhältnis stehen (vgl Ondül in juris PK-SGB III, 1. Aufl 2014, § 138 RdNr 34).
Der Kläger stand auch an den Tagen, in denen er mit seinem Arbeitgeber, dem ZDF, keine Einsätze für das ZDF vereinbart hatte, in einem mehr als kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnis im rechtlichen Sinne zu diesem.
Die Zuordnung einer Tätigkeit - wie diejenige, die der Kläger ausgeübt hat - zum Typus der Beschäftigung bzw selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass nach deren Gesamtbild alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar sind, dh den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 12 KR 17/11 R - Juris RdNr 23). Zutreffend hat hiernach das LSG die Fragen, ob es sich bei der Tätigkeit des Klägers für das ZDF um ein Beschäftigungsverhältnis handelte sowie ob dieses auf Dauer bestand oder ob es sich um mehrere befristete Beschäftigungsverhältnisse handelte, dahingehend beantwortet, dass ein Dauerbeschäftigungsverhältnis besteht. Folgerichtig hat das LSG für den im Streit stehenden Zeitraum das Vorliegen von Beschäftigungslosigkeit beim Kläger verneint.
Der Kläger war an den Nicht-Einsatztagen, obwohl eine Arbeitsleistung vertraglich nicht verlangt werden konnte und er tatsächlich nicht gearbeitet hat, nicht arbeitslos. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG bei Würdigung der gesamten Umstände der Vertrags- und Arbeitsgestaltung zu dem Ergebnis gelangt ist, zwischen dem Kläger und dem ZDF bestehe trotz der jeweils monatlich befristet und für einzelne Einsatztage geschlossenen Arbeitsverträge ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis, bei dem der Kläger auch in den Nichteinsatzzeiten einem umfassenden Weisungsrecht des ZDF unterstand. So waren, obgleich es sich formal um jeweils auf einen Monat befristete Arbeitsverhältnisse handelte, ua eine 40-Stunden-Woche sowie ein 30-tägiger Jahresurlaub vereinbart, den der Kläger sechs Wochen vor Urlaubsantritt anmelden musste. Aufgrund der vom ZDF geforderten Dienstbereitschaft konnte er über seine Arbeitskraft auch an einsatzfreien Tagen nicht frei verfügen. Er konnte nicht - wie ein Unternehmer - seine Auftraggeber wählen und wechseln. Vielmehr war er aufgrund der Weisung der Arbeitgeberin allein auf die dortigen Einsätze verwiesen.
Bei der Gesamtwürdigung der Umstände ist weiter zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch Tarifverträge konkretisiert wurde. Tarifnormen garantierten ihm - wie das LSG festgestellt hat - eine Vergütung in Anlehnung an die in der Vergangenheit bezogenen Entgelte, Leistungen im Krankheitsfall, Schutz gegen die Beendigung der Vertragsbeziehungen und Vergütung in Urlaubszeiten. Auch wenn in diesen Tarifwerken, nach den Feststellungen des LSG, von arbeitnehmerähnlichen Personen und freien Mitarbeitern die Rede ist, zeigen sie doch, dass die Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen weitgehend an diejenige von Arbeitnehmern angenähert war. Da Beschäftigung die Ausübung nichtselbständiger Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis ist (vgl auch § 7 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch), indiziert auch die tarifliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen das Vorliegen von Beschäftigung.
Der erkennende Senat ist an die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die der Kläger im Übrigen nicht angegriffen hat, gebunden (§ 163 SGG). Die Beweiswürdigung des LSG ist nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 6667080 |
DB 2014, 15 |