Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 23. September 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der am 26. Januar 1906 geborene Kläger, der selbständiger Handwerker ist, stürzte am 12. Oktober 1955 beim Obsternten von einem Baum und erlitt hierbei schwere Verletzungen.
Das Obst auf den Bäumen war von dem Schwager des Klägers, der Eisendreher Erich E. zum Selbsternten ersteigert worden. Der Preis für das ersteigerte Los betrug 81 DM. Nach dem Vorbringen der Stadt Esslingen hat es sich um insgesamt 7,4 Ztr. Tafeläpfel und 1 Ztr. Mostäpfel gehandelt. Da der Schwager in den Unternehmen, in dem er arbeitete, nicht abkömmlich und außerdem nicht schwindelfrei war, hatte sich der Kläger bereit erklärt, beim Obsternten zu helfen.
Die Beklagte, der die Stadt Esslingen den Unfall angezeigt hatte, lehnte die Entschädigungsansprüche durch Bescheid v. 23. November 1955 mit der Begründung ab, das Obstbrechen sei dem Haushalt des Schwagers zuzurechnen, jedoch bestehe bei unentgeltlicher Beschäftigung nach § 541 Nr. 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) kein Versicherungsschutz, da Personen, die zur Krankenversicherung nicht gemeldet seien, als unentgeltlich beschäftigt gelten.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Wenn auch wegen § 541 Nr. 8 RVO der Unfall nicht dem Haushalt seines Schwagers zugerechnet werden könne, so handle es sich doch um einen Unfall im landwirtschaftlichen Betrieb der Stadt Esslingen. Es könne keinen Unterschied machen, ob er selbst oder ein städtischer Arbeiter bei der Obsternte verunglückt sei.
Die Beklagte hat demgegenüber den Standpunkt vertreten, § 53 Nr. 10 RVO sei nicht anwendbar, weil keine persönliche Abhängigkeit bestanden habe. Die Käufer des Obstes handelten auch im eigenen Interesse. Ihre Tätigkeit sei dem Haushalt zuzurechnen, wenn das Obst für den Haushalt bestimmt sei, stehe jedoch nicht unter Versicherungsschutz, wenn es sich nicht um einen Fall des § 916 RVO handele. Die frühere Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA) bezeichnet die Beklagte als überholt.
Durch Urteil vom 25. Februar 1957 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23. November 1955 verurteilt, den Unfall vom 12. Oktober 1955 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger Unfallentschädigung zu gewähren. – Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Das Ernten von Obst sei dem Betrieb des Baumbesitzers zuzurechnen. Der Obsternteertrag diente wesentlich auch zur Deckung der Kosten für die Pflege des Baumbestand es. Die von der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze seien auch nach dem 6. Änderungsgesetz (6. ÄndG) anwendbar geblieben. Der Schwager Büttners selbst wäre beim Abernten nach § 537 Nr. 10 RVO versichert gewesen, das müsse auch für seinen Beauftragten gelten. Der Kläger sei auch nicht unentgeltlich und aus reiner Gefälligkeit tätig gewesen, er habe vielmehr auch Auslagen und Fahrgeld sowie einen Teil des Obstes erhalten. In Haushalt des Schwagers sei der Kläger nicht tätig gewesen, da er in erster Linie im Interesse der Stadt Esslingen als Besitzerin der Bäume gehandelt habe.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Im Berufungsverfahren hat sie ihren Rechtsstandpunkt noch dahin erläutert, daß sie die Entschädigung für Unfälle beim Obstpflücken dann übernehme, wenn der Verletzte selbst einen landwirtschaftlichen Betrieb unterhalte und das Obst zur Ergänzung seiner eigenen Obsternte ersteigert habe.
Das LSG hat die Stadt Esslingen und den Württembergischen Gemeindeunfallversicherungsverband (GUVV) beigeladen.
Durch Urteil vom 23. September 1959 hat es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Revision zugelassen. (Das Urteil ist in „Versicherungsrecht” 1959 S. 919 veröffentlich). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Das Abernten von Obst sei in erster Linie eine landwirtschaftliche Tätigkeit und diene unmittelbar dem landwirtschaftlichen Betrieb, weil sonst kein Gewinn aus der Obstbaumhaltung zu erzielen sei. Die Entfernung des Obstes sei auch für die sachgemäße Bewirtschaftung von großer Bedeutung. Die Rechtsprechung habe das Ernten auch dann dem Betrieb des Baumbesitzers zugerechnet, wenn es nicht unmittelbar durch eigene Arbeitskräfte durchgeführt werde, sondern das Obst gegen Entgelt zur eigenen Verwertung überlassen worden sei. Allerdings sei dabei von Fall zu Fall entschieden worden, ob die Aberntungsarbeiten einem anderen landwirtschaftlicher Betrieb oder dem landwirtschaftlichen Betrieb des Baumbesitzers zuzurechnen seien. Hier stehe aber fest, daß der Schwager Büttner keinen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb habe. Er selbst würde beim Ernten nach § 537 Nr. 10 RVO versichert gewesen sein. Für den Kläger, der an Stelle des Schwagers eingesprungen sei, könne rechtlich nichts anderes gelten; denn auch er habe eine dem landwirtschaftlichen Betrieb der Stadt Esslingen dienende Tätigkeit verrichtet, die deren Willen entsprochen habe. Die Versteigerung von Obstlosen geschehe aus Gründen der Arbeitsersparnis. Der Versteigerer verzichte damit nicht auf die Bewirtschaftung, sondern übertrage diese gleichzeitig mit dem Verkauf des Obstes auf den Ersteigerer, es liege also nicht nur ein Kaufvertrag vor. Der Ersteigerer müsse gleichzeitig auch das Obst tatsächlich abernten und wegschaffen, wobei er den Obstbäumen die übliche schonende Behandlung durch sachgemäßes Arbeiten zukommen lassen müsse. Insoweit ordne sich der Ersteigerer in den landwirtschaftlichen Betrieb ein. Damit sei die Voraussetzung für § 537 Nr. 10 RVO gegeben. Der Kläger wollte bei seinem Einspringen die dem Schwager obliegenden Aufgaben erfüllen. Diese Aufgaben stünden so im Vordergrund, daß sie gegenüber den Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und seinem Schwager die wesentliche Grundlage der rechtlichem Beurteilung sein müßten. Im übrigen habe der Senat Bedenken, ein einem Arbeitsverhältnis ähnliches Verhältnis zwischen dem Kläger und seinem Schwager anzunehmen. Dieser sei zwar als Haushaltungsvorstand Unternehmer im Sinne des § 633 RVO, der Kläger habe aber diesem Unternehmen nicht objektiv gedient bezw. subjektiv dienen wollen, es sei vielmehr an einen Werkvertrag zu denken, wobei die Obstzuwendung als Vergütung aufzufassen sei. Aber auch wenn er nur neben der Frau und der Tochter hätte helfen wollen, wäre er nicht in den Haushalt eingetreten, weil die Obstabnahme eine landwirtschaftliche Tätigkeit sei und daher mit dem landwirtschaftlichen Unternehmen der Stadt Esslingen in Beziehung gebracht werden müsse. Hiernach seien weitere Ermittlungen über den Verwendungszweck des Obstes etwa in der Haushaltung des Schwagers überflüssig.
Die Beklagte, die den Empfang dieses Urteils unter dem 16. Oktober 1959 bestätigt hat, hat hiergegen am 13. November 1959 Revision eingelegt und sie nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 16. Januar 1960 am 15. Januar 1960 begründet. Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 23. November 1955 als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der beigeladene GUVV beantragt gleichfalls,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die beigeladene Stadt Esslingen hat keine Anträge gestellt.
II
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) statthaft. In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ist zwar ausgeführt, die Revision sei nur zulässig, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt werde (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG); aus der Niederschrift über die Verhandlung vor dem LSG an 29. September 1959 ergibt sich jedoch, daß zusammen mit dem Entscheidungssatz des Urteils auch verkündet worden ist: „Die Revision wird zugelassen”. Die Rechtsmittelbelehrung beruht somit auf einem Irrtum, der nur für den Lauf der Rechtsmittelfrist von Bedeutung ist (§ 66 Abs. 2 SGG).
Die Revision ist zulässig, sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Abgesehen von dem hier nicht in Frage stehenden Fall des Abpflückens geringer Obstmengen zum alsbaldigen Genuß (vgl. EuM 25 S. 27) hat das RVA das Abernten von Obst durch den Obstpachter oder den zum Abernten verpflichteten Käufer als eine landwirtschaftliche Tätigkeit angesehen und sie in der Regel entweder dem landwirtschaftlichen Unternehmen des Baumbesitzers oder aber, wenn der Pächter oder Käufer selbst ein landwirtschaftliches Unternehmen betreibt und das Abernten des Obstes mit diesem Unternehmen in wirtschaftlichem Zusammenhang steht, dem lanwirtschaftlichen Unternehmen des Pächters oder Käufers zugerechnet (vgl. EuM 43 S. 26 mit weiteren Nachweisen).
Diese Rechtsprechung ist – entgegen der Auffassung der Revision – hinsichtlich ihrer Grundlagen durch das 6. Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I 107) nicht gegenstandslos geworden (vgl. auch das Rundschreiben des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften vom 13. Oktober 1944 – V 90/44).
Das Ernten des Obstes ist, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, der natürliche und für eine ordnungsmäßige Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Unternehmens notwendige Abschluß des Obstbaues. Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß zur Prüfung, welche rechtlichen Folgerungen sich ergeben, wenn Obstbäume eines landwirtschaftlichen Unternehmens – z. B. wegen Mangel an Arbeitskräften oder Absatzmöglichkeiten – nicht ordnungsgemäß gepflegt werden und das Obst gegen eine geringe „Anerkennungsgebühr” oder völlig umsonst „verschenkt” wird, damit es nicht ungenutzt verkommt. Wie sich aus den Feststellungen des LSG und dem Vortrag der beigeladenen Stadt Esslingen ergibt, wurden die Obstbäume des landwirtschaftlichen Unternehmens der Stadt durch Baumwarte überwacht und ordnungsgemäß gepflegt. Nur die Erntetätigkeit hat die Stadt Esslingen in der hier in Frage stehenden Zeit nicht selbst durch eigene Arbeitskräfte durchgeführt, sondern den Weg gewählt, daß sie auf die bei einem Verkauf des gepflückten Obstes zu erzielenden höheren Einnahmen verzichtet und andererseits die Kosten für Arbeitslohn sowie Verpackung und Transport eingespart hat, die entstanden wären, wenn sie das Ernten nicht den Ersteigerern überlassen hätte. Die Verträge über die Obstnutzung begründen allerdings zwischen der Stadt Esslingen und den Ersteigerern kein Arbeitsverhältnis (§ 537 Nr. 1 RVO). Es handelt sich vielmehr um Kaufverträge (§§ 433 ff BGB), deren Besonderheit darin liegt, daß die Käufer das Eigentum am Obst nach § 956 BGB erwerben und ihre Abnahmepflicht (§ 433 Abs. 2 BGB) durch vertragsgemäß sorgsames und schonendes Pflücken zu erfüllen haben. Diese Form der Abnahmepflicht hat zur Folge, daß die Abnahme, die in der Regel nur eine Nebenpflicht des Käufers ist, im Rahmen des Kaufvertrages besondere Bedeutung hat (vgl. hierzu Staudinger, BGB, 11. Aufl. § 433 Anm. 147 mit weiteren Nachweisen), weil die Erfüllung dieser Vertragspflicht für die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Obstbäume unerläßlich ist.
Die Käufer verrichten beim Pflücken des Obstes eine dem landwirtschaftlichen Unternehmen dienende und für dieses Unternehmen notwendige, ihrer Art nach typisch landwirtschaftliche Tätigkeit, zu der sie auf Grund des Kaufvertrages dem landwirtschaftlichen Unternehmen gegenüber vertraglich verpflichtet sind, und die sonst von bezahlten Arbeitskräften des landwirtschaftlichen Unternehmens ausgeführt werden müßte. Da für die Anwendung des § 537 Nr. 10 RVO weder eine persönliche noch eine wirtschaftliche Abhängigkeit erforderlich ist und es auch auf den inneren Beweggrund für das Tätigwerden nicht ankommt (vgl. BSG 5, 169, 172, 173), rechtfertigen diese Umstände nach der Auffassung des erkennenden Senats auch weiterhin den Standpunkt des RVA, daß die Obstkäufer beim Pflücken zugleich auch im landwirtschaftlichen Unternehmen des Baumbesitzers wie in diesem Unternehmen Beschäftigte tätig werden und somit unter Versicherungsschutz stehen.
Da der Kläger die Verpflichtungen, die sein Schwager als Käufer übernommen hatte, in dessen Vertretung erfüllt hat, ist das LSG nach der Auffassung des erkennenden Senats ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß er beim Obstpflücken im landwirtschaftlichen Unternehmen der Stadt Esslingen wie ein nach § 537 Nr. 1 RVO Versicherter tätig war und infolgedessen nach § 537 Nr. 10 RVO unter Versicherungsschutz stand.
Im Einzelfall können allerdings die Entscheidungen des RVA, durch die eine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft für entschädigungspflichtig erklärt worden ist, insofern hinsichtlich des Ergebnisses überholt sein, als sich seit dem Inkrafttreten des 6. ÄndG neben dem aus § 537 Nr. 10 i.V.m. §§ 537 Nr. 1, 915 RVO herzuleitenden Versicherungsschutz der landwirtschaftlichen Unfallversicherung wesentlich häufiger als früher aus anderen Vorschriften die Entschädigungspflicht eines weiteren Versicherungsträgers ergeben kann, so daß geprüft werden muß, welcher Versicherungsträger für die Entschädigung und damit für die Feststellung der Leistungen zuständig ist (vgl. hierzu BSG 5, 169, 175 mit weiteren Nachweisen).
Im vorliegenden Fall hat das LSG die Frage verneint, ob ein Versicherungsschutz auch daraus herzuleiten ist, daß der Kläger für seinen Schwager tätig geworden war.
Diese Frage bedarf jedoch keiner Entscheidung. Nach Lage des Falles könnte die Tätigkeit des Klägers nur dem „Unternehmen” des Haushalts seines Schwagers zugerechnet werden (vgl. hierzu aber § 541 Nr. 8 RVO), da nach den Feststellungen des LSG der Schwager sonst kein Unternehmen, insbesondere – ebenso wie auch der Kläger selbst – kein landwirtschaftliches Unternehmen betreibt. Es handelte sich nur um eine einmalige vorübergehende Tätigkeit, die dem landwirtschaftlichen Unternehmen der Stadt Esslingen diente und gleichzeitig auch dem Haushalt des Schwagers gedient haben könnte. Unter diesen Umständen würde kein Raum für die Anwendung des Grundsatzes sein, daß in der Regel der Versicherungsträger des „Stammunternehmens” zuständig ist, der z. B. dann Bedeutung haben könnte, wenn ein Unternehmer die Obsternte ersteigert hat und das Pflücken durch sonst in seinem Unternehmen beschäftigte Arbeitskräfte durchführen läßt. Für die Entscheidung über die Zuständigkeit würde vielmehr das Hauptgewicht darauf zu legen sein, daß die Tätigkeit sich örtlich ausschließlich im Bereich des landwirtschaftlichen Unternehmens abgespielt hat und hinsichtlich ihrer Art und der damit verbundenen Gefahren für dieses Unternehmen kennzeichnend war. Die beklagte landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft würde deshalb auch dann für die Entschädigung zuständig sein, wenn sich – entgegen der Auffassung des LSG – aus dem Umstand, daß der Kläger für seinen Schwager das Pflücken übernommen hatte, eine Zuständigkeit des beigeladenen GUVV herleiten ließe.
Da hiernach das LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Stuttgart im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen hat, ist die Revision unbegründet und war zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund von § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Dr. Baresel, Demiani
Fundstellen
Haufe-Index 674118 |
BSGE, 117 |