Leitsatz (amtlich)
Der Ersteigerer eines an einer Landstraße stehenden Apfelbaumes, der Apfelwein für seinen Haushalt herstellen will, steht nicht gem. § 539 Abs. 2 RVO unter Versicherungsschutz, sondern ist als „Unternehmer” unversichert, auch wenn er mit der Obstabnahme der Straßenbaubehörde hilft, ihrer Verkehrssicherungspflicht nachzukommen. Kritische Stellungnahme zu dem Urteil des BSG vom 26.4.1963, 2 RU 242/59.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 2
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 12.06.1969) |
Tenor
Die Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. Juni 1969 werden zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Ehemann der Beigeladenen R., der Rentner K. R. (R.), war bis zum Jahre 1963 Metzger, Gastwirt und Lebensmittelhändler. Zuletzt lebte er in B. als Rentner, wo er ein Grundstück von 1721 qm besaß, das von Schwarzdornhecken umgeben war und auf dem drei alte tragende Kirschbäume und vier junge Kirschbäume standen und Gras für Kaninchen geerntet wurde. Am 29. September 1966 verunglückte er tödlich beim Abernten eines an der Landstraße zwischen B. und B. (Kreis B.) stehenden Apfelbaumes, den er vom Hess. Landesamt für Straßenbau ersteigert hatte, um Apfelwein herzustellen.
Nachdem sich die beklagte Hessische Ausführungsbehörde für Unfallversicherung geweigert hatte, der Beigeladenen Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen, gewährte die Klägerin der Beigeladenen mit Bescheid vom 14. Juni 1968 gem. § 1735 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorläufige Fürsorge, und zwar das gesetzliche Sterbegeld in Höhe von 400,– DM sowie einen Vorschuß auf die Witwenrente in Höhe von 2.000,– DM. Gleichzeitig teilte sie der Beigeladenen mit, sie beabsichtige, gegen die Hess. Ausführungsbebörde für Unfallversicherung eine Feststellungsklage zu erheben. Dies geschah am 23. Juli 1968 beim Sozialgericht Darmstadt mit dem Antrag festzustellen, daß ein versicherter Arbeitsunfall im Sinne der RVO vorliege, der von der Hess. Ausführungsbehörde für Unfallversicherung als dem zuständigen Versicherungsträger zu entschädigen sei.
Das Sozialgericht Darmstadt holte von dem Hess. Landesamt für Straßenbau und dem Hess. Straßenbauamt Schotten Auskünfte ein und hörte die Beigeladene persönlich. Mit Urteil vom 12. Juni 1969 hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, R. habe als Ersteigerer des Obstes das Pflücken vertraglich als Eigenleistung übernommen. Er sei damit nicht wie ein Arbeitnehmer im Rahmen eines fremden Betriebes gem. § 539 Abs. 2 RVO tätig geworden.
Gegen das der Beigeladenen am 21. Juni 1969 zugestellte Urteil hat diese am 15. Juli 1969 Berufung eingelegt. Sie wurde vom Senat erneut gehört und trug dabei vor, ihr Ehemann habe etwa 4 Zentner Grünfutter auf dem Grundstück in B. zur Aufzucht von über 15 Kaninchen und bis zum Jahre 1963 auf diesem Grundstück außerdem durchschnittlich etwa 4 Zentner Kirschen jährlich geerntet und bis auf einen halben Zentner, der im eigenen Haushalt verbraucht worden sei, verkauft. Ab 1963 seien die nicht für den eigenen Verbrauch benötigten Kirschen dann an Verwandte und Freunde verschenkt worden. Sie meint, da der von ihrem Ehemann ersteigerte Obstbaum dem Land Hessen gehört habe und zum Abernten freigegeben worden sei, müsse der Staat auch für den dadurch entstandenen Schaden aufkommen.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 12. Juni 1969 aufzuheben und festzustellen, daß die Klägerin bzw. die Beklagte verpflichtet ist, ihr für den Unfall ihres Ehemannes Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 19. Juni 1969 zugestellte Urteil ebenfalls am 15. Juli 1969 Berufung eingelegt. Sie führt u.a. aus, das Sozialgericht habe sich in Widerspruch zu dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. April 1963, 2 RU 242/59, gesetzt. Danach sei das Abernten von Obst durch den Obstpächter entweder dem landwirtschaftlichen Unternehmen des Baumbesitzers oder dem des Pächters zuzurechnen. Aus den eingeholten Auskünften gehe hervor, daß immer noch eine Bewirtschaftung der Obstbäume durch das Land Hessen erfolgt sei, wenn auch nicht mehr so intensiv wie früher, und das Land Hessen damit einen materiellen Nutzen aus dem Obstbau gezogen habe. Im übrigen sei die Aberntung des gesamten Obstes im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht des Landes Hessen erforderlich gewesen. Die Beklagte sei damit zur Entschädigung des Unfalls verpflichtet, den R. beim Abernten des Obstes erlitten habe.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt u.a. aus, das angefochtene Urteil stehe nicht im Widerspruch zu dem des BSG vom 26. April 1963, weil die Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall eine andere sei. Die unfallbringende Tätigkeit des R. habe nämlich nur unwesentlich dem Land Hessen, aber überwiegend dem Verunglückten selbst gedient. Der in dem genannten BSG-Urteil maßgebende Gesichtspunkt, daß das schonende Abern...