Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugnahme auf die Beschwerdebegründung in der Revision. Unfallversicherungsschutz des Unternehmers bei Tätigkeiten für ein eigenes Unternehmen
Leitsatz (amtlich)
Kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO beim Selbsternten gekauften Obstes für den eigenen Haushalt.
Orientierungssatz
1. In der Revisionsbegründung kann auf die Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden, wenn die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird (vgl BSG 1976-08-27 5 RJ 70/76 = SozR 1500 § 164 SGG Nr 4).
2. Tätigkeiten des Unternehmers im eigenen Unternehmen, die zugleich einem anderen Unternehmen dienen, begründen auch keinen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO (vgl BSG 1981-11-04 2 RU 93/80 = USK 81282).
Normenkette
RVO § 539 Abs 2 Fassung: 1963-04-30; SGG § 164 Abs 2
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 09.03.1982; Aktenzeichen L 8 U 66/81) |
SG Landshut (Entscheidung vom 14.01.1981; Aktenzeichen S 3 U 37/80) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall, den der Kläger am 28. Juni 1979 erlitten hat, als Arbeitsunfall zu entschädigen ist.
Der Kläger, von Beruf Fabrikarbeiter, stürzte im Obstgarten des landwirtschaftlichen Betriebes des A. L. (L.) in Z. beim Pflücken von Kirschen von einer Leiter und zog sich dabei eine Radiustrümmerfraktur rechts und eine Fersenbeinfraktur rechts zu. Er hatte zum Zeitpunkt des Unfalles ca 23 kg Kirschen gepflückt, die in seinem Haushalt verwendet werden sollten. Der Grund für das Selbsternten war der verbilligte Preis und die Frische der Früchte. Ein Auftrag zum Pflücken der Kirschen war dem Kläger nicht erteilt worden. Nach Angaben der Ehefrau des Landwirts L. wären die Kirschen, sofern nicht der Kläger von sich aus Interesse daran gezeigt hätte, von ihr und ihren Familienangehörigen selbst geerntet und verbraucht oder an andere Personen abgegeben worden.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 8. Januar 1980 Entschädigungsansprüche ab, weil der Kläger beim Pflücken der Kirschen keine landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe. Die Erlangung eines Nahrungsmittels für den persönlichen Bedarf habe im Vordergrund gestanden.
Auf die dagegen beim Sozialgericht (SG) Landshut erhobene Klage hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger dem Grunde nach Verletztenrente zu gewähren (Urteil vom 14. Januar 1981). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 9. März 1982). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Der Kläger sei im Zeitpunkt des Unfalles gemäß § 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Das Abernten von Obst sei seinem Wesen nach regelmäßig als Abschluß der von dem Ernteberechtigten ausgeübten landwirtschaftlichen Tätigkeit zu betrachten und daher im allgemeinen dem landwirtschaftlichen Betrieb zuzurechnen. Werde die Erntetätigkeit nicht durch eigene Arbeitskräfte, sondern von den Käufern durchgeführt, so würden diese damit eine dem landwirtschaftlichen Unternehmen dienende, für die ordnungsgemäße Bewirtschaftung erforderliche Arbeit und zugleich eine Verpflichtung des Verkäufers übernehmen. Ohne Bedeutung sei das Fehlen eines Auftrages zum Pflücken der Kirschen, da für die Anwendung des § 539 Abs 2 RVO weder eine persönliche noch eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Tätigwerdenden erforderlich sei. Auch komme es nicht darauf an, daß der Kläger die Tätigkeit aus persönlichen Motiven übernommen habe, denn die Beweggründe des Handelnden seien für den Versicherungsschutz im Rahmen des § 539 Abs 2 RVO unerheblich. Die zu pflückende Obstmenge sei auch nicht gering und zum alsbaldigen Verzehr bestimmt gewesen, da der Kläger 23 kg Kirschen gepflückt und gekauft habe, die zum Einwecken bestimmt gewesen seien.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision zugelassen (Beschluß vom 31. August 1983). Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 539 Abs 2 RVO. Die Revision wird damit begründet, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) und das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG abweiche und auf dieser Abweichung beruhe. Bezüglich näherer Ausführungen beruft sich die Beklagte auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Dort ist ua ausgeführt: In der Landwirtschaft komme es in den letzten Jahren immer häufiger vor, daß die Käufer von Obst gegen geringen Preisnachlaß die Früchte selbst ernten. In der Konsequenz würde das LSG-Urteil zur Folge haben, daß jede Person, die aus eigenen Beweggründen und in eigener unternehmerischer Handlung mit Einverständnis des Eigentümers das Selbstpflücken von Obst in einem versicherten Betrieb vornehme, dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unterliegen würde; denn das LSG sehe darin eine Aberntetätigkeit, die auch dem landwirtschaftlichen Unternehmen diene. Eine derartige Ausweitung des Versicherungsschutzes auf betriebs- und berufsfremde Personen bewirke für die landwirtschaftliche Unfallversicherung eine nicht mehr tragbare Belastung. Es sei außerdem zu bedenken, daß für die bei derartigen Tätigkeiten verunglückten Personen die Rentenleistungen nach § 571 ff RVO und nicht nach den viel niedrigeren Jahresarbeitsverdiensten nach §§ 780 ff RVO zu berechnen seien, wobei in vielen Fällen auch ein Ausgleich nach § 788 RVO nicht möglich sei.
Zudem weiche das Urteil von der Entscheidung des BSG vom 4. November 1981 - 2 RU 93/80 - (USK 81282) ab und beruhe auf dieser Abweichung. In dieser Entscheidung sei die hier relevante Rechtsfrage behandelt, ob bei einer im Rahmen der eigenen Haushaltung liegenden unternehmerischen Tätigkeit ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO möglich sei. Dies werde in dem Urteil, welches das LSG nicht berücksichtigt habe, verneint.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. März 1982 und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14. Januar 1981 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 8. Januar 1980 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor, die Revisionsbegründung entspreche nicht den in § 164 Abs 2 SGG vorgeschriebenen gesetzlichen Erfordernissen. Er hält die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde für unzulässig, da sie mit den sonstigen für das Revisionsverfahren geltenden strengen Formvorschriften unvereinbar sei. Zudem habe die Beklagte in der Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm nicht bezeichnet. Nach seiner Auffassung ist die Revision auch unbegründet. Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Das Pflücken des Obstes müsse allein dem landwirtschaftlichen Unternehmensbereich zugeordnet werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Klägers konnte die Beklagte zur Begründung des Rechtsmittels, um Wiederholungen zu vermeiden, auf den zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingereichten Schriftsatz verweisen. In der Revisionsbegründung kann auf die Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden, wenn, wie hier, die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird (vgl BSG SozR 1500 § 164 SGG Nrn 3 und 4). Zwar genügt die Bezugnahme auf Schriftsätze, die außerhalb des Revisionsverfahrens abgegeben worden sind, grundsätzlich nicht den Erfordernissen einer Revisionsbegründung (vgl BSGE 6, 269; BSG SozR Nrn 27 und 53 zu § 164 SGG; BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 4; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl 1981, § 164 Anm 9). Das gilt jedoch nicht für Schriftsätze, die zur Begründung einer dem Revisionsverfahren vorgeschalteten Nichtzulassungsbeschwerde abgegeben worden sind und eine gründliche Auseinandersetzung mit dem durch die Revision angegriffenen Urteil enthalten. Ein Verbot der Verweisung auf die Schriftsätze im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde würde vielfach zu einer schlichten Wiederholung des bereits Vorgetragenen zwingen, somit eine leere Förmlichkeit darstellen (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 4). Der Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung des Gerichts abzugehen.
Die Beklagte hat auch die verletzte Rechtsnorm ausreichend bezeichnet (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Nach ihrer näher dargelegten Ansicht unterfällt das Obstpflücken des Klägers nicht dem Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO.
Die Revision der Beklagten ist auch begründet. Der Kläger stand, als er am 28. Juni 1979 verunglückte, nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Zutreffend hat das LSG angenommen, daß der Kläger, als er die Kirschen pflückte, nicht aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses in dem landwirtschaftlichen Unternehmen des L. tätig wurde, also nicht in einem den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung begründenden Beschäftigungsverhältnis iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO stand.
Der Kläger war aber auch nicht wie ein solcher Beschäftigter nach § 539 Abs 2 RVO gegen Arbeitsunfall versichert. Nach dieser Vorschrift stehen Personen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, die wie ein nach § 539 Abs 1 RVO Versicherter tätig werden. Der Kläger ist jedoch nicht wie ein Beschäftigter, sondern als Unternehmer im Rahmen seiner Haushaltung tätig geworden.
Das Pflücken von zum Verkauf bestimmten Früchten kann zwar eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit sein. Sie kann ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden, die zu dem landwirtschaftlichen Unternehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen. Es reicht aber für einen Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO nicht aus, daß die einzelne Verrichtung, losgelöst von den tatsächlichen und rechtlichen Umständen, ihrer Art nach üblicherweise sonst dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist (BSG Breithaupt 1971, 194, 196). Das Pflücken der Kirschen durch den Kläger entband den Landwirt L. zwar davon, die Früchte selbst oder durch andere Personen ernten zu lassen, sofern er dies überhaupt wollte. Dies kann jedoch den Versicherungsschutz des Klägers nicht begründen, denn entscheidend ist, daß er im Rahmen eines Kaufvertrages tätig geworden ist, der seiner Haushaltung zuzurechnen ist.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger die Kirschen gepflückt, um sie in seinem eigenen Haushalt zu verwenden. Er hat mit dem Landwirt L. einen Kaufvertrag geschlossen mit der Besonderheit, daß es seine Angelegenheit war, das Obst zu pflücken. Der Kläger hat damit ein Geschäft besorgt, das in den Bereich seiner Haushaltung gehört. Auch ein Unternehmer kann zwar wie ein Arbeitnehmer tätig werden. Das ist jedoch, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ausgeschlossen, wenn der Unternehmer im Rahmen seines eigenen Unternehmens handelt, dh für sein eigenes Unternehmen Tätigkeiten verrichtet, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören (BSGE 5, 168, 174; 7, 195, 197; 27, 233, 235; SozR Nrn 18 und 30 zu § 539 RVO; SozR 2200 § 539 Nr 2; Urteil vom 31. Mai 1978 - 2 RU 27/76 - USK 78176; Urteil vom 4. November 1981 - 2 RU 93/80 - USK 81282 und Urteil vom 26. März 1980 - 2 RU 69/78 - USK 8027; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl S 476 h; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 100 Buchst b letzter Absatz; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 302 S 1). Zum Aufgabenkreis einer Haushaltung als Unternehmen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zählen sowohl die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten als auch alle sonstigen häuslichen Verrichtungen, die zu dem Haushalt in innerer Beziehung stehen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 2). Dazu gehört ebenfalls die Beschaffung von Nahrungsmitteln, die im eigenen Haushalt, zB zum Einwecken, verwendet werden sollen. Als Unternehmer seines Haushalts war der Kläger nicht gegen Arbeitsunfall versichert, da die Haushaltsvorstände und ihre Ehegatten - außer in den Fällen des hier nicht anzuwendenden § 777 Nr 1 RVO - von der Unternehmerversicherung ausgenommen sind.
Das LSG hat sich in seiner Entscheidung von dem Urteil des Senats vom 26. April 1963 (BSGE 19, 117) leiten lassen. Der vorliegende Fall weist jedoch Unterschiede auf. In der vorgenannten Entscheidung war der Verletzte nicht im Rahmen seiner eigenen Haushaltung tätig geworden. Er hatte vielmehr eine Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Aberntung ersteigerten Obstes übernommen, die sein Schwager eingegangen war. Allerdings hat der Senat in seinem Urteil - und das ist für den Vergleich mit dem vorliegenden Fall wesentlich - die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für die Entschädigung dieses Unfalls angenommen. Der Senat hat jedoch, wie oben dargelegt, in der Folgezeit rechtlich stärker betont, daß Tätigkeiten im eigenen Unternehmen, die zugleich einem anderen Unternehmen dienen, auch keinen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO begründen. Soweit in dem Urteil vom 26. April 1963 (aaO) eine entgegenstehende Auffassung zum Ausdruck kommt, hält der Senat daran nicht mehr fest.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1664100 |
BSGE, 91 |