Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist die Höhe des für die Krankengeldberechnung maßgebenden Regellohns.
Der Kläger war nach längerer Arbeitslosigkeit ab 12. Juli 1976 versicherungspflichtig beschäftigt und leistete regelmäßig Überstunden. Wegen Arbeitsmangels wurde ihm zum 18. September 1976 gekündigt. Am 20. September 1976 wurde er infolge eines früher erlittenen Arbeitsunfalls arbeitsunfähig krank. Eine Meldung beim Arbeitsamt erfolgte nicht. Die beklagte zahlte ihm Krankengeld bis zum 7. November 1976. Anschließend arbeitete er wieder bei seinem früheren Arbeitgeber und leistete abermals regelmäßig Überstunden. Am 19. Januar 1977 trat bei ihm als Folge des alten Arbeitsunfalls erneut Arbeitsunfähigkeit ein. Sein Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung am 27 Januar 1977 aufgelöst. Bis zu diesem Tag erhielt er Lohnfortzahlung. Dann zahlte ihm die Beklagte Krankengeld bis 5. Juni 1977. In beiden Fällen ließ sie bei der Krankengeldberechnung die vom Kläger geleisteten Überstunden außer Betracht. Sein jeweils eingelegter Widerspruch hatte keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die gegen beide Widerspruchsbescheide erhobenen Klagen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 22. Mai 1978 abgewiesen Zur Begründung hat es ausgeführt: Wegen des der Krankengeldberechnung zugrundeliegenden Lohnersatzprinzips könnten Überstunden nur berücksichtigt werden, wenn das Arbeitsverhältnis als Voraussetzung der Leistung weiterer Überstunden auch während des Krankengeldbezugszeitraums fortbestehe. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
Mit der - zugelassenen - Sprungrevision rügt der Kläger Verletzung des § 182 Abs. 4 und 5 der Reichsversicherungsordnung - (RVO). Bei der Krankengeldberechnung sei für die Berücksichtigung von Überstunden nur entscheidend, daß diese bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit geleistet worden seien, nicht dagegen, ob sie auch in Zukunft geleistet worden wären; denn für die Höhe des Krankengeldes sei das innerhalb eines festgelegten Zeitraums der Vergangenheit erzielte Arbeitsentgelt maßgebend.
Der Kläger beantragt,das angefochtene Urteil einschließlich der ihm zugrundeliegenden Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Einbeziehung von Überstunden in die Regellohnberechnung für die Zeiten vom 21. September bis 7. November 1976 und vom 28. Januar bis 5. Juni 1977 ein höheres Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, Überstunden hätten nur dann berücksichtigt werden können, wenn der Kläger während des Krankengeldbezuges in einem nicht beendeten Beschäftigungsverhältnis gestanden hätte.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG; denn dessen tatsächliche Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Nach § 182 Abs. 4 Satz 1 RVO in seiner durch das Rehabilitations-Angleichungsgesetz vom 7. August 1974 (RehaAnglG, BGBl. I 1881) geschaffenen (§ 21 Nr. 5c RehaAnglG), seit dem 1. Oktober 1974 geltenden (§ 45 Abs. 1 RehaAnglG) und deshalb hier anwendbaren Fassung beträgt das - für den Kalendertag zu zahlende - Krankengeld 80 v.H. des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn). Die Berechnung des RegelIohns richtet sich gem. § 182 Abs. 4 Satz 2 RVO nach den Absätzen 5, 6 und 9 dieser Vorschrift. Danach ist von dem Entgelt auszugeben, das der Versicherte im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum, mindestens während der letzten abgerechneten vier Wochen oder - falls das Entgelt monatlich bemessen wird - während des letzten vor diesem Zeitpunkt abgerechneten Kalendermonats (Bemessungszeitraum) erzielt hat (§ 182 Abs. 5 Satz 1 und 3 RVO). Der Regellohn bemißt sich also nach dem Entgelt, das der Versicherte zuletzt als Arbeitsfähiger erhalten hat. Das hat der Senat schon in seinem Urteil vom 10. November 1977 (BSGE 45, 126, 128 = SozR 2200 § 182 RVO Nr. 26) ausgesprochen. Er hat ausgeführt, daß nicht der Termin des Zahlungsbeginns als Eintritt der Leistungspflicht bezeichnet werden kann, weil der Anspruch auf Krankengeld durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ausgelöst wird (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Dieser Zeitpunkt ist auch maßgebend für die zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs; denn die in § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO genannte Frist von drei Jahren rechnet vom Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit an. Diesen den Grund des Anspruchs betreffenden Vorschriften korrespondiert die Regelung der Anspruchshöhe durch § 182 Abs. 5 RVO, bei der ebenfalls auf den Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt wird. Daraus erhellt, daß nach dem gesamten Regelungssystem der Anspruch auf Krankengeld maßgeblich beeinflußt wird durch den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, der als Anspruchsvoraussetzung für das Krankengeld weitgehend verselbständigt ist (BSGE 18, 122, 125 = SozR Nr. 6 zu § 182 RVO). Dieser Zeitpunkt ist somit für die Leistungspflicht der Krankenkasse entscheidend. Das zeigt sich am deutlichsten daran, daß die Krankenkasse von diesem Zeitpunkt an Krankengeld gewähren muß, wenn der Versicherte nach § 1 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 oder nach § 5 des Lohnfortzahlungsgesetzes oder nach § 182 Abs. 10 RVO vom Arbeitgeber keine Zahlungen erhält. Wenn auch der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht als eigenständiger Versicherungsfall anzusehen ist, so hat dieses Ereignis als wesentliche Voraussetzung für den Krankengeldanspruch doch eine so weittragende Bedeutung, daß es entscheidend für die Begründung und Bestimmung des Anspruchs ist. Der Senat ist in dem genannten Urteil deshalb zu dem Ergebnis gekommen, daß Lohnerhöhungen, die zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der Krankengeldzahlung erfolgen, nicht auf dessen Berechung wirken.
Hierfür spricht auch, daß zwischen dem maßgeblichen Arbeitsentgelt und dessen Begrenzung nach oben ein unmittelbarer Zusammenhang besteht; denn beide orientieren sich am jeweiligen Lohnniveau. Eine völlige Deckungsgleichheit läßt sich zwar nicht erzielen, weil der Bemessungszeitraum bei Leistungsfällen, die sich zu Jahresbeginn ereignen, noch in das Vorjahr fallen kann. Diese Divergenz in Einzelfällen, die sich aus der notwendigen Schematisierung normativer Regelungen ergibt, rechtfertigt jedoch nicht die Zugrundelegung eines Zeitpunktes, der unter Umständen lange nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit liegt. Auch der Grundsatz, daß das versicherungsrechtliche Risiko nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nach Eintritt des Versicherungs- oder Leistungsfalles zum Nachteil des Versicherungsträgers verschoben werden darf, legt es nahe, die Entwicklung nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bei der Anwendung des § 182 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 und 9 außer Betracht zu lassen. Das gilt um so mehr, als nunmehr durch den am 1. Oktober 1974 in Kraft getreten Absatz 8 dieser Vorschrift sichergestellt wird, daß bei längerwährenden Leistungsfällen eine Anpassung des Krankengeldes erfolgt, die sich an der Regelung des § 1272 RVO ausrichtet.
Daß der Kläger, als er am 20. September 1976 erstmals arbeitsunfähig wurde, infolge der zum 18. September 1976 erfolgten Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses bei Eintritt dieser Arbeitsunfähigkeit schon seit 2 Tagen nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigt war, ist hier ebensowenig von Bedeutung wie es entscheidend darauf ankommt, ob diese Arbeitsunfähigkeit auf einer schon vor dem 18. September 1976 behandlungsbedürftig gewesenen Erkrankung beruhte, der Versicherungsfall also noch während des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers eingetreten war. Wie der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA, vgl. GE Nr. 5545, AN 1944, 38) bereits mehrfach entschieden hat, entstehen Ansprüche auf Krankengeld auch dann, wenn der Versicherungsfall der Krankheit während der Mitgliedschaft, die Arbeitsunfähigkeit dagegen erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, aber noch während der die Krankenpflege betreffenden nachgehenden 26-Wochen-Frist des § 183 Abs. 1 Satz 2 RVO eingetreten ist (vgl. BSG in KVRS 2310/4; BSGE 26, 57, 59 = SozR Nr. 18 zu § 183 RVO; 45, 11, 15 = SozR 2200 § 183 RVO Nr. 11). Sollte der Versicherungsfall hier jedoch erst nach dem 18. September 1976 und damit nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers eingetreten sein, dann wäre der Krankengeldanspruch nach e 214 Abs. 1 RVO begründet, da der Kläger unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der Versicherung mindestens 6 Wochen versichert war.
Für die Einbeziehung von Überstunden in die Regellohnberechnung aber kommt es nicht darauf an, ob der Versicherte, falls er nicht arbeitsunfähig geworden wäre, auch künftig Überstunden geleistet hätte. Allein entscheidend ist auch insoweit lediglich, ob er die Überstunden bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit geleistet hat (s. Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand August 1978 § 182 Anm. 4.6 unter Bezugnahme auf Töns, BB 1962, 413 ff., hier insbes. S. 416 V Nr. 1 Buchst. a u. S. 417 Nr. 3). Für seine gegenteilige Auffassung beruft sich das SG zu Unrecht auf die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes. Gerade sie erfordert es, daß sich die Höhe des Krankengeldes jeweils nachdem vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bezogenen Lohn richtet; denn die bisherige Lebenshaltung des Versicherten läßt sich mit Hilfe des Krankengeldes nur dann möglichst weitgehend sichern, wenn als Ende der für die Krankengeldberechnung zu berücksichtigenden Lohnsituation der Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit in Betracht kommt (vgl. BSGE 5, 283, 287/288). Deshalb ist das für die Lohnfortzahlung geltende Lohnausfallprinzip, bei dem auch Lohnänderungen, die nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgen, zugunsten bzw. zuungunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, bei der Krankengeldberechnung nicht anwendbar. Als "entgangenes regelmäßiges Entgelt", also als "Regellohn" (§ 182 Abs. 4 Satz 1 RVO) gilt hier nicht der dem arbeitsunfähig gewordenen Versicherten im Einzelfall während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit tatsächlich entgangene Verdienst, sondern das von ihm in dem Referenzzeitraum vor Antritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte Entgelt, das kraft unwiderlegbarer gesetzlicher Vermutung als dasjenige Entgelt gilt, das er unter normalen Verhältnissen während der Arbeitsunfähigkeit verdient hätte (vgl. BSGE 42, 163, 168).
Überstunden gehören jedoch nur dann zu den "sich aus dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses ergebenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden" (§ 182 Abs. 5 Satz 2 RVO) und sind deshalb nur dann in die Regellohnberechnung einzubeziehen, wenn sie mindestens während der letzten abgerechneten 3 Monate oder 13 Wochen regelmäßig, d.h. ohne längere Unterbrechungen geleistet worden sind. War der Versicherte - wie der Kläger - bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit noch nicht 3 Monate bzw. 13 Wochen beschäftigt, dann richtet sich die Zahl der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden i.S. des § 182 Abs. 5 Satz 2 RVO aber nach den Verhältnissen eines in demselben Betrieb während der ganzen 3 Monate bzw. 13 Wochen tätig gewesenen gleichartigen Beschäftigten. Beides hat der Senat bereits entschieden (vgl. BSGE 35, 126, 128/129 = SozR Nr. 57 zu § 182 RVO; vgl. auch BSGE 36, 55, 58/59 = SozR Nr. 59 zu § 182 RVO). Ob die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers in den beiden Krankheitsfällen vor Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit regelmäßig Überstunden enthalten hat, ist nicht ersichtlich; es fehlen insoweit Feststellungen hinsichtlich der Verhältnisse eines in demselben Betrieb während der jeweils in Betracht kommenden vollen 3 Monate bzw. 13 Wochen tätig gewesenen gleichartigen Beschäftigten. Der Senat als Revisionsgericht kann diese Feststellungen nicht nachholen. Das SG wird deshalb den Sachverhalt weiter aufklären müssen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des SG vorbehalten.
Fundstellen