Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstlersozialversicherung. selbstständiger Künstler. Einkommensprognose. Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze nicht hinreichend wahrscheinlich. Versicherungsfreiheit. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die prognostische Einschätzung eines selbstständigen Künstlers, sein Arbeitseinkommen aus künstlerischer Tätigkeit werde im kommenden Kalenderjahr voraussichtlich über der Geringfügigkeitsgrenze von 3900 Euro liegen, steht der Feststellung der Versicherungsfreiheit durch die Künstlersozialkasse nicht entgegen, wenn sich gleichartige Prognosen in den letzten Jahren nicht bewahrheitet haben und keine konkreten Umstände erkennbar sind, die eine Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Dazu kann auch die Zusage eines Arbeitsstipendiums gehören.
2. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei mehrjähriger Unterschreitung der Geringfügigkeitsgrenze Versicherungsfreiheit eines selbstständigen Künstlers in der Künstlersozialversicherung eintritt.
Normenkette
KSVG § 3 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2001-06-13, Abs. 3 Fassung: 2001-06-13, § 8 Abs. 2, § 12 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2004-12-09, Abs. 3; SGB IV § 15 Abs. 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; EStG § 3 Nr. 44; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. Januar 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte die Versicherungsfreiheit der Klägerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) ab 1.2.2010 festgestellt hat.
Die 1962 geborene Klägerin ist seit dem Abschluss ihres Hochschulstudiums an der Akademie für Bildende Künste in M. im Juni 1990 auf den Gebieten Videokunst und Fotografie künstlerisch tätig. Mit Bescheid vom 2.5.1995 stellte die Beklagte Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG fest (in der Rentenversicherung der Angestellten ab 15.11.1994 und in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab 1.6.1995, weil bis dahin eine private Versicherung bestand). Dabei galt die Klägerin bis zum 30.9.1995 als Berufsanfängerin iS des § 3 Abs 2 KSVG, für die Versicherungspflicht unabhängig vom Erreichen eines Mindestarbeitseinkommens bestand.
Für die Zeit ab Oktober 1995 legte die Klägerin Unterlagen vor, aus denen sich jeweils das Erreichen der Mindestarbeitseinkommensgrenze ergab. Ab 10.3.2000 war sie aufgrund des Bezugs von Mutterschaftsgeld beitragsfrei in der Künstlersozialversicherung (KSV) versichert. Auf Nachfrage der Beklagten gab die Klägerin am 28.11.2009 an, in den Jahren 2004 bis 2007 kein Einkommen aus selbstständiger künstlerischer/publizistischer Tätigkeit erzielt zu haben. Die beigefügten Einkommensteuerbescheide wiesen jeweils Verluste aus.
Mit Schreiben vom 22.12.2009 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, dass beabsichtigt sei, den Bescheid über die Versicherungspflicht bzw Zuschussberechtigung nach dem KSVG aufzuheben und Versicherungsfreiheit festzustellen, da aus den eingereichten Unterlagen keine Anhaltspunkte zu entnehmen seien, die ein Arbeitseinkommen aus selbstständiger künstlerischer/publizistischer Tätigkeit über der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze des § 3 Abs 1 S 1 KSVG von 3900 Euro im Kalenderjahr erwarten ließen.
Darauf teilte die Klägerin mit, aus der Vergangenheit sei bekannt, dass sie schon durch den Verkauf nur einer Videoarbeit eine fünfstellige Eurosumme erzielen könne. Nach Phasen zB des Rückgangs der Ankaufsetats der öffentlichen Hand seien auch wieder Phasen mit Mehrverkäufen und dadurch eine deutliche Steigerung ihres Einkommens zu erwarten.
Mit Bescheid vom 12.1.2010 stellte die Beklagte Versicherungsfreiheit nach dem KSVG ab 1.2.2010 fest. Aus den eingereichten Unterlagen gehe kein Einkommen über der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze hervor. Das nach § 3 Abs 3 KSVG unschädliche zweimalige Unterschreiten dieser Grenze innerhalb eines Sechs-Jahres-Zeitraums sei bereits ausgeschöpft. Die Einschätzung der Klägerin sei nicht plausibel. Tatsachen, die eine deutliche Steigerung des Einkommens gegenüber den Werten der Vorjahre erwarten ließen, seien nicht ersichtlich. Ein Arbeitseinkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze müsse erzielt und nachgewiesen werden.
Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass sie seit etwa 20 Jahren erfolgreich künstlerisch tätig sei und es durchaus Phasen mit wirtschaftlich guten Ergebnissen gegeben habe. Bereits 2009 sei ihr von der K.-Stiftung in S. ein Arbeitsstipendium in Höhe von 5000 Euro zugesagt worden und man habe sie für das Jahr 2011 als Stipendiatin in der Villa M. in R. vorgeschlagen. Die Klägerin übersandte den Einkommensteuerbescheid für 2008, der zu ihrer selbstständigen Tätigkeit wiederum negative Einkünfte auswies. Den Einnahmen in Höhe von 1703,12 Euro (bestehend aus 134,84 Euro für ein künstlerisches Werk und 1568,28 Euro Umsatzsteuererstattung aus den Jahren 2007 und 2008) standen Betriebsausgaben in Höhe von über 5000 Euro gegenüber. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 8.6.2010).
Das einstweilige Rechtsschutzverfahren über ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung blieb ebenfalls ohne Erfolg. Auch die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.1.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.6.2010 scheiterte (Urteile des SG vom 11.11.2010 und des LSG vom 26.1.2012). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die vorausschauende Einkommensschätzung der Beklagten für das Jahr 2010 sei nicht zu beanstanden. Grundlage der Prognose könnten nur Umstände sein, von denen anzunehmen sei, dass sie das Arbeitseinkommen bestimmen würden. Dabei seien Rückschlüsse aus der Einnahmesituation der vergangenen Jahre zulässig. Die Prognose der Klägerin vom 28.11.2009 für das Jahr 2010 sei nicht realistisch gewesen. Sie habe keine Tatsachen vorgetragen, nach denen eine deutliche Steigerung des Einkommens gegenüber den Vorjahren plausibel erscheine. Die bloße Möglichkeit des Verkaufs eines Kunstobjektes reiche nicht aus. Gegenüber den Vorjahren hätten sich keine relevanten Änderungen ergeben. Vielmehr werde die Prognose der Beklagten durch den im Widerspruchsverfahren vorgelegten Einkommensteuerbescheid für 2008, die Gewinnermittlung für 2009 und die weitere Entwicklung bestätigt. Aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art 5 Abs 3 GG lasse sich kein Anspruch auf ein in bestimmter Weise ausgestaltetes soziales Schutzsystem ableiten.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere eine unter Berücksichtigung von Art 5 Abs 3 GG rechtswidrige Auslegung des § 3 Abs 1 KSVG. Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe sich bei der Einkommensprognose nicht lediglich auf die Einkommenssituation in den vorausgegangenen Jahren beziehen dürfen. Für eine positive Prognose spreche nicht nur ihre herausragende künstlerische Tätigkeit, sondern beispielsweise auch ihre Nominierung als Preisträgerin für die Villa M. in R., auch wenn ihr letztlich dieser Preis nicht zuteil geworden sei. Die Voraussetzung eines bestimmten Mindestarbeitseinkommens stehe im Gegensatz zum Schutzzweck des Gesetzes. Im Hinblick auf Art 5 Abs 3 GG sei eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs 1 KSVG geboten. In der mündlichen Verhandlung am 28.11.2013 hat sie zudem erklärt, das Arbeitsstipendium der K.-Stiftung sei ihr tatsächlich ausgezahlt worden, und zwar entweder 2010 oder 2011.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 26.1.2012 und des SG Lübeck vom 11.11.2010 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 21.1.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.6.2010 aufzuheben.
Die Beklagte verteidigt die Entscheidungen der Vorinstanzen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe in § 13 KSVG zum Ausdruck gebracht, dass vorrangiger Maßstab für die anzustellende Prognose die Einkommensteuerbescheide für die vergangenen Jahre seien. Sehr vage Möglichkeiten der Verbesserung der Einkommenssituation reichten jedenfalls nicht aus, wenn in den letzten Jahren nur - zum Teil hohe - Verluste erzielt worden seien. Die Klägerin habe keine Anhaltspunkte für entsprechende Einnahmen vorgetragen. In der mündlichen Verhandlung am 26.1.2012 habe die Klägerin eingeräumt, dass auch für die Jahre 2010 und 2011 wieder mit einem negativen Einkommen zu rechnen sei.
Nachdem der Klägerin ein Honorar in Höhe von 30 000 Euro für die Realisierung ihres Entwurfs für ein Mahnmal am Bahnhofsvorplatz von der Hansestadt L. zugesagt worden war (Schreiben vom 4.12.2012 und 16.5.2013), hat die Beklagte mit Bescheid vom 13.6.2013 erneut Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung ab 23.5.2013 festgestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) zulässig. Die Beklagte hat mit der Feststellung der Versicherungsfreiheit nach dem KSVG ab 1.2.2010 ihren Bescheid vom 2.5.1995 aufgehoben, mit dem sie die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt hatte. Die Klägerin kann daher ihr Anliegen der Sicherung einer ununterbrochenen Versicherungspflicht in der KSV durch eine schlichte Aufhebung des angefochtenen Bescheides erreichen. Einer zusätzlichen Feststellung der Versicherungspflicht über den 31.1.2010 hinaus bedarf es dafür nicht.
2. Auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dem erkennenden Senat aber eine abschließende Entscheidung über die Anfechtungsklage nicht möglich. Er kann nicht beurteilen, ob die Beklagte ihre Feststellung der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung nach § 8 Abs 2 S 2 KSVG (idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze ≪2. KSVG-ÄndG≫ vom 13.6.2001, BGBl I 1027) iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X wegen Änderung der Verhältnisse rechtmäßig aufgehoben hat.
Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Infolge der Eigenart der künstlerischen und publizistischen Tätigkeit findet § 48 SGB X nach § 8 Abs 2 KSVG nur eine modifizierte Anwendung; denn nur in den in § 8 Abs 2 S 1 KSVG aufgeführten Fällen lässt sich genau feststellen, wann eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. In den übrigen Fällen (§ 8 Abs 2 S 2 KSVG) ist daher der Bescheid über die Versicherungspflicht bei Änderung der Verhältnisse nur mit Wirkung vom Ersten des Monats an aufzuheben, der auf den Monat folgt, in dem die Künstlersozialkasse von der Änderung Kenntnis erhält, es sei denn, der Versicherte hat vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben gemacht (vgl dazu Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 4. Aufl 2009, § 8 RdNr 8). Soweit mit der Aufhebung in Rechte eines Beteiligten eingegriffen wird, ist diesem nach § 24 Abs 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
a) In formeller Hinsicht ist der angefochtene Verwaltungsakt nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 22.12.2009 zu der beabsichtigten Aufhebung des Bescheides über die Versicherungspflicht bzw Zuschussberechtigung nach dem KSVG und der Feststellung der Versicherungsfreiheit nach § 24 Abs 1 SGB X ordnungsgemäß angehört.
b) Der Verwaltungsakt, mit dem die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG festgestellt hatte (im Bescheid vom 2.5.1995), entfaltet eine Dauerwirkung, da er ein zeitlich nicht befristetes Rechtsverhältnis mit Leistungs- und Beitragspflichten begründet, das sich nicht in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft (vgl dazu Schütze in: von Wulffen, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 63 ff).
c) An Hand der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG kann aber nicht abschließend entschieden werden, ob in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses feststellenden Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt vor, wenn sich die für den Erlass des Verwaltungsaktes entscheidungserheblichen tatsächlichen Umstände so erheblich verändert haben, dass sie rechtlich anders zu bewerten sind und daher der Verwaltungsakt unter Zugrundelegung des geänderten Sachverhalts so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (vgl zB BSGE 59, 111 = BSG SozR 1300 § 48 Nr 19; BSGE 74, 131 = SozR 3-5870 § 2 Nr 25; BSGE 80, 215 = SozR 3-2940 § 7 Nr 4; BSGE 81, 134 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22, 44).
Bei Erlass des Verwaltungsaktes zur Feststellung der Versicherungspflicht im Mai 1995 galt die Klägerin zunächst noch bis zum 30.9.1995 als Berufsanfängerin, für die nach § 3 Abs 2 KSVG (in der bis zum 30.6.2001 gültigen Fassung durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2606) Versicherungspflicht bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit unabhängig vom Erreichen eines Mindesteinkommens bestand.
Entscheidungserheblich sind nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X nur die bei Erlass des Ausgangsbescheides vorliegenden Umstände. Lediglich diese bilden die Vergleichsgrundlage für den Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die zum Erlass des Aufhebungsbescheides geführt hat (vgl Waschull in Diering/Timme/Waschull, SGB X, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Aufl 2011, § 48 RdNr 27 ff, mwN). Deshalb kommt es nicht darauf an, dass der Fünf-Jahres-Zeitraum bereits im Oktober 1995 abgelaufen war und die Beklagte möglicherweise den Aufhebungsbescheid mit der Feststellung der Versicherungsfreiheit wegen Unterschreitung der Geringfügigkeitsgrenze bereits früher hätte erlassen können. Abgesehen davon hatte die Klägerin für die Zeit ab Oktober 1995 Unterlagen vorgelegt, auf deren Grundlage der Beklagten die Einschätzung, dass die Mindestarbeitseinkommensgrenze voraussichtlich erreicht werde, nachvollziehbar erschien, und ab 10.3.2000 bezog die Klägerin Mutterschaftsgeld, sodass die Versicherung beitragsfrei fortgeführt wurde (§§ 15 KSVG, 175 Abs 1 SGB VI idF durch Gesetz vom 18.12.1989 iVm § 8 Abs 1 Nr 2 SGB VI idF durch Gesetz vom 21.12.2000 für die Rentenversicherung; § 16 KSVG idF durch Gesetz vom 26.5.1994, § 234 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Gesetz vom 20.12.1988 für die Krankenversicherung; § 16a KSVG idF durch Gesetz vom 26.5.1994, § 57 Abs 1 SGB XI idF durch Gesetz vom 22.12.1999, § 234 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Gesetz vom 20.12.1988 für die Pflegeversicherung).
Ob dann bis Ende Januar 2010 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist und der die Versicherungspflicht feststellende Verwaltungsakt ab Februar 2010 nicht mehr hätte erlassen werden dürfen, weil die Klägerin seitdem nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG (idF 2. KSVG-ÄndG vom 13.6.2001, BGBl I 1027) versicherungsfrei war, lässt sich anhand der bisherigen Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.
aa) Gemäß § 3 Abs 1 S 1 KSVG ist nach diesem Gesetz versicherungsfrei, wer in dem Kalenderjahr aus selbstständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3900 Euro nicht übersteigt. Abweichend davon bleibt nach § 3 Abs 3 KSVG (idF des 2. KSVG-ÄndG) die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die dort genannte Grenze nicht übersteigt.
Arbeitseinkommen ist nach der Legaldefinition in § 15 Abs 1 SGB IV (in der Neufassung durch Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Aufgrund der Anknüpfung des maßgeblichen Arbeitseinkommens an das Einkommensteuerrecht könnte es für den Künstler überlegenswert sein, gegenüber dem Finanzamt in Wahrnehmung seiner steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Werbungskosten nur in begrenztem Umfang geltend zu machen, wenn dadurch ein Arbeitseinkommen oberhalb der Mindestarbeitseinkommensgrenze des § 3 Abs 1 S 1 KSVG verbleibt. Die Abwägung, aus diesem Grund einen steuerrechtlichen Nachteil in Kauf nehmen zu wollen, ist indes Sache des Künstlers. Insoweit obliegen weder der Beklagten noch den Sozialgerichten Hinweis- oder Beratungspflichten, denn es handelt sich um eine ausschließlich steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeit. Weitergehende sozialversicherungsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen insoweit nicht; die anzustellende Prognose hat sich ausschließlich an den objektiven Gegebenheiten zu orientieren.
Versicherte und Zuschussberechtigte haben nach § 12 Abs 1 S 1 KSVG (idF durch Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversichersicherung vom 9.12.2004, BGBl I 3242) der Künstlersozialkasse bis zum 1. Dezember eines Jahres das voraussichtliche Arbeitseinkommen, das sie aus der Tätigkeit als selbstständige Künstler und Publizisten erzielen, bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung für das folgende Kalenderjahr zu melden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift schätzt die Künstlersozialkasse die Höhe des Arbeitseinkommens, wenn der Versicherte trotz Aufforderung die Meldung nach Satz 1 nicht erstattet oder die Meldung mit den Verhältnissen unvereinbar ist, die dem Versicherten als Grundlage für seine Meldung bekannt waren.
Ausgangspunkt der nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG anzustellenden Prognose für das voraussichtlich zu erzielende Arbeitseinkommen sind danach zunächst die Angaben des Versicherten nach § 12 Abs 1 S 1 KSVG. Erst wenn seine Meldung mit den ihr zugrundeliegenden Verhältnissen unvereinbar ist, nimmt die Künstlersozialkasse selbst die für die weiteren Entscheidungen maßgebliche Einschätzung des voraussichtlichen Arbeitseinkommens vor.
bb) Sachgerechte Prognosen beruhen in der Regel auf erhobenen Daten und Fakten und damit auf Erkenntnissen der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu erwartender Veränderungen eine Vorausschau für die Zukunft getroffen wird. Daher wird nach der Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6 mwN) in anderen Zusammenhängen, in denen prognostische Beurteilungen über Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen anzustellen sind, auf die Verhältnisse in der Vergangenheit Bezug genommen. Insbesondere bei schwankendem Arbeitsentgelt sei der zu erwartende Verdienst unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte zu schätzen (BSG SozR Nr 6 zu § 168 RVO; BSGE 23, 129 = SozR Nr 49 zu § 165 RVO). Entsprechendes gilt bei selbständig Tätigen, deren Arbeitseinkommen fast immer schwankt (BSGE 23, 129 = SozR Nr 49 zu § 165 RVO; BSG SozR 2200 § 205 Nr 41). Dabei wird nach ständiger Rechtsprechung zur Beurteilung des regelmäßigen monatlichen Gesamteinkommens iS des § 205 Abs 1 S 1 Halbs 1 RVO sowie iS des § 10 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB V für die auf das Jahr bezogene Prognose von dem bekannten letzten Jahreseinkommen ausgegangen (vgl BSG SozR 2200 § 205 Nr 41; BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 19; BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6; für Einkünfte aus Kapitalvermögen: BSG SozR 2200 § 205 Nr 52).
Der Gesetzgeber ist auch in Bezug auf die Einkommensprognose nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG davon ausgegangen, dass Rückschlüsse für das voraussichtliche Einkommen insbesondere aus dem in der Vergangenheit erzielten Einkommen zu ziehen sind. Dies ergibt sich aus verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes: Nach der Regelung des § 3 Abs 3 KSVG bleibt die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Geringfügigkeitsgrenze nach § 3 Abs 1 KSVG nicht übersteigt. Die Regelung soll einen allzu häufigen und kurzzeitigen Wechsel zwischen Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit vermeiden. Sie bietet aber zugleich Anhaltspunkte dafür, dass das in der Vergangenheit erzielte Einkommen für die Einkommensprognose nicht unberücksichtigt bleiben kann. Insbesondere wenn sich das Arbeitseinkommen aus der selbstständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit in letzten Jahren dicht an der Mindestgrenze des § 3 Abs 1 KSVG bewegte, kann es für eine sachgerechte Prognose erforderlich sein, das Einkommen der letzten sechs Kalenderjahre zu ermitteln und bei der Prognose zu berücksichtigen. Durch die recht langen Zeiträume wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass Künstler möglicherweise längere Zeiträume für die Fertigstellung und/oder den Verkauf eines Werkes benötigen, dann aber unter Umständen höhere Gewinne erzielen können. Für den Nachweis der Angaben zur Höhe des Arbeitseinkommens kann die Künstlersozialkasse die Vorlage der erforderlichen Unterlagen, insbesondere von Einkommensteuerbescheiden oder Gewinn- und Verlustrechnungen, verlangen (§ 13 S 3 KSVG). Diese Unterlagen beziehen sich regelmäßig auf bereits vergangene Zeiträume. Es macht aber nur dann einen Sinn, der Künstlersozialkasse das Recht zur Anforderung von Unterlagen aus der Vergangenheit einzuräumen, wenn sie diese für die Einkommensprognose benötigt, die auch zur Ermittlung der Beitragshöhe erforderlich ist. Schließlich zeigt auch die Regelung des § 12 Abs 1 S 3 KSVG, dass sich die Einkommensprognose insbesondere am Einkommen der letzten Jahre orientiert. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte, deren voraussichtliches Arbeitseinkommen in dem in § 3 Abs 2 KSVG genannten Zeitraum (regelmäßig drei Jahre nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit, verlängert um Zeiten nach Satz 2) mindestens einmal die in § 3 Abs 1 KSVG genannte Grenze nicht überschritten hat, der ersten Meldung nach Ablauf dieses Zeitraums vorhandene Unterlagen über ihr voraussichtliches Arbeitseinkommen beizufügen.
Insgesamt haben für eine vorausschauende Betrachtung regelmäßig die unmittelbar zurückliegenden Jahre eine größere Bedeutung als die weiter zurückliegende Vergangenheit, und Einkommensentwicklungen ist angemessen Rechnung zu tragen.
cc) Eine von den Verhältnissen der Vergangenheit abweichende Einschätzung ist aber geboten, wenn Verhältnisse dargelegt werden, die das Erzielen hiervon abweichender Einkünfte nahelegen. Dabei sind grundsätzlich alle Verhältnisse heranzuziehen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und die Einfluss auf das voraussichtliche Arbeitseinkommen haben. Hierbei wird von der Rechtsprechung in anderen Zusammenhängen keine alle Eventualitäten berücksichtigende genaue Vorhersage gefordert, sondern lediglich eine ungefähre Einschätzung, welches Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nach der bisherigen Übung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist (vgl BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6 mwN). Lediglich vage Verdienstaussichten ohne jegliche Verbindlichkeit können - wenn sich in den vergangenen Jahren keine gewinnbringenden Verdienste realisieren ließen - nur dann bei einer Prognose positiv berücksichtigt werden, wenn objektive Umstände solche Verdienstaussichten hinreichend wahrscheinlich machen. Dabei ist zu berücksichtigen, wie häufig und mit welcher Differenz die Mindestgrenze in den letzten Jahren verfehlt wurde und welche Veränderungen der Verhältnisse bessere Verdienstaussichten nahelegen. Denn erforderlich ist, dass die Möglichkeit von Verdiensten oberhalb der Mindestgrenze näher liegt als ein Einkommen unterhalb dieser Grenze.
dd) Maßgebend sind die Verhältnisse zur Zeit der Prognoseentscheidung. Nach § 12 Abs 3 S 1 KSVG sind Änderungen in den Verhältnissen, die für die Ermittlung des voraussichtlichen Jahreseinkommens maßgebend waren, auf Antrag mit Wirkung vom Ersten des Monats an zu berücksichtigen, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag der Künstlersozialkasse eingeht. Dies gilt entsprechend, wenn das Jahresarbeitseinkommen geschätzt worden ist (§ 12 Abs 3 S 2 KSVG). Neue Unterlagen, die eine treffsicherere Prognose erlauben oder zeigen, dass das prognostizierte Einkommen tatsächlich nicht erzielt wurde, können daher nur zukunftsbezogen berücksichtigt werden.
Für - richtige - Prognosen gilt ohnehin grundsätzlich, dass sie für die Vergangenheit auch dann maßgebend bleiben, wenn sie sich im Nachhinein infolge seinerzeit nicht vorhersehbarer Umstände als unzutreffend erweisen. Solche neuen Umstände können die versicherungsrechtliche Stellung dann nicht in die Vergangenheit hinein verändern. Stimmt die - richtige - Prognose mit dem späteren Verlauf nicht überein, so kann das jedoch Anlass für eine neue Prüfung und - wiederum vorausschauende - Betrachtung sein (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 168 RVO; BSG SozR 2200 § 1228 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 19; BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6).
Grundlage der Prognose können daher nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides erkennbare Umstände sein. Maßgebend ist der aufgrund der Angaben des Antragstellers bzw Versicherten verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Verwaltung (vgl BSG SozR 4-7833 § 6 Nr 4 RdNr 16).
Allerdings ist die Prognoseentscheidung der Sozialverwaltung bezüglich des voraussichtlichen Arbeitseinkommens gerichtlich voll überprüfbar. Der Sozialverwaltung steht dabei kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu (vgl hierzu zB Wagner in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 39 SGB I RdNr 34). Die Gerichte haben insbesondere zu prüfen, ob die Grundlagen für die Prognose richtig festgestellt und alle in Betracht kommenden Umstände hinreichend und sachgerecht gewürdigt sind (vgl BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 3a).
ee) Ob nach diesen Grundsätzen die Einschätzung der Klägerin mit den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen unvereinbar war, die ihr als Grundlage für ihre Meldung bekannt waren, und ob die Beklagte deshalb das voraussichtliche Arbeitseinkommen unterhalb des Mindesteinkommens von 3900 Euro einschätzen durfte, lässt sich anhand der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Zwar hatte die Klägerin in den letzten sechs Jahren vor Erlass des Aufhebungsbescheides kein Arbeitseinkommen aus selbstständiger künstlerischer/publizistischer Tätigkeit. Die vorgelegten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 weisen sogar Verluste aus, und die Klägerin hat auch für das Jahr 2009 keine Einnahmen angegeben. Damit verfehlte das Arbeitseinkommen der Klägerin aus selbstständiger künstlerischer/publizistischer Tätigkeit der letzten Jahre die Mindesteinkommensgrenze des § 3 Abs 1 KSVG deutlich, ohne dass eine positive Einkommensentwicklung erkennbar war.
Eine von den Verhältnissen der Vergangenheit abweichende Einschätzung ist vor diesem Hintergrund weder im Hinblick auf die Möglichkeit gerechtfertigt, zukünftig ein Kunstobjekt zu verkaufen (dazu 1.), noch aufgrund des Bekanntheitsgrades oder der Anerkennung der Werke eines Künstlers in Fachkreisen (dazu 2.). Ein Stipendium für die Villa M. in R. für das Jahr 2011 hätte erst ab diesem Zeitpunkt, nicht aber schon ab Februar 2010 zu einer günstigeren Einkommensprognose führen können (dazu 3.). Die Prognose eines Arbeitseinkommens oberhalb der Mindestgrenze könnte aber aufgrund eines zugesagten Arbeitsstipendiums von der K. Stiftung in Höhe von 5000 Euro für den streitgegenständlichen Zeitraum ab Februar 2010 geboten gewesen sein (dazu 4.).
(1) Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in den vergangenen sechs Jahren (2004 bis 2009) aus dem Verkauf von Kunstobjekten lediglich negatives Einkommen erzielen konnte, bildet die bloße Möglichkeit des Verkaufs eines Kunstobjektes in der Zukunft keine hinreichende Basis für eine Einkommensprognose oberhalb der Mindestgrenze. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass die Klägerin in mehreren Jahren ab 1995 ein Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) oberhalb der Mindestgrenze erzielt hat und gelegentlich durch den Verkauf eines Kunstobjektes auch fünfstellige Summen erzielen konnte; gerade die zurückliegenden sechs Jahre zeigen jedoch, dass ein solcher Verkauf zwar theoretisch immer möglich, tatsächlich aber nicht naheliegend war. Eine Einkommensprognose auf lediglich vage Verdienstmöglichkeiten zu stützen ist nicht sachgerecht, wenn sich solche in den letzten sechs Jahren nicht verwirklichen ließen und keine konkreten Umstände ersichtlich sind, die eine andere Einschätzung rechtfertigen. Es müssten Veränderungen aufgezeigt werden, die bessere Verdienstaussichten tatsächlich nahelegen. Jeder künstlerisch Tätige, der seine Produkte oder Dienstleistungen am Markt anbietet, hat die Möglichkeit, damit einen Verdienst zu erzielen. Eine realistische Prognose kann jedoch nur auf Daten und Fakten gestützt werden, für deren Eintreten eine hinreichende Wahrscheinlichkeit spricht. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin bereits mit dem Verkauf nur eines ihrer Kunstobjekte die Mindesteinkommensgrenze um ein Vielfaches überschreiten könnte. Diesem Aspekt wird durch die Regelung des § 3 Abs 3 KSVG Rechnung getragen, wonach die Versicherungspflicht auch bei ungünstiger Einkommensprognose bestehen bleibt, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Mindestgrenze nicht übersteigt. Der Senat muss nicht entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen darüber hinausgehend eine Verteilung von Einkommen auf mehrere Jahre erforderlich sein kann und erlaubt ist, um auf diese Weise über mehrere Jahre zu einer Einkommensprognose oberhalb der Mindestgrenze zu gelangen, weil es hier schon an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für das Erzielen jedweden Einkommens fehlt. Nach den obigen Darlegungen ist es sachgerecht, die Bewertung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit an dem tatsächlichen Verdienst in den letzten Jahren zu orientieren, solange keine anderen konkreten Anhaltspunkte vorliegen.
(2) Gleiches gilt für den Bekanntheitsgrad eines Künstlers oder die Anerkennung seiner Werke in Fachkreisen. Auch diese Kriterien sind zu vage, um eine Einkommensprognose über der Mindestgrenze nahezulegen, wenn in den letzten Jahren trotz des Bekanntheitsgrades und der fachlichen Anerkennung lediglich Verluste erzielt wurden. Schließlich sind Bekanntheit und Anerkennung in Fachkreisen regelmäßig nicht als plötzliche Ereignisse zu werten, sondern gehen meistens mit einer entsprechenden Entwicklung einher. Das Einkommen der Klägerin in den letzten sechs Jahren lässt aber auch keine positive Entwicklung in der Weise erkennen, dass bei weiterem stetigem Verlauf voraussichtlich ein Einkommen oberhalb der Mindestgrenze zu erwarten wäre.
(3) Der Einwand der Klägerin, sie sei für das Jahr 2011 als Stipendiatin für die Villa M. in R. vorgeschlagen worden, verdeutlicht zwar die Wertschätzung ihrer Arbeit in Fachkreisen, zur Zeit der Prognoseentscheidung stand eine mögliche Zusage aber erst noch vage im Raum und hätte zudem allenfalls für das Jahr 2011 zu einer günstigeren Einkommensprognose führen können. An der negativen Einkommensprognose für das Jahr 2010 hätte selbst eine verbindliche Stipendiumszusage für das Folgejahr nichts geändert.
(4) Eine von den Einkommensverhältnissen der Vergangenheit abweichende Schätzung könnte aber geboten sein, wenn der Klägerin - wie sie selbst vorträgt - für das Kalenderjahr 2010 von der K.-Stiftung in S. ein Arbeitsstipendium in Höhe von 5000 Euro zugesagt worden war. Stipendien können Arbeitseinkommen iS des § 3 Abs 1 S 1 KSVG sein, auch wenn sie nach § 3 Nr 44 EStG unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei sind. Denn nach § 15 Abs 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Gewinn ist danach grundsätzlich der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen (§ 4 Abs 1 S 1 EStG). Die weiteren allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts zum Einkommen aus selbstständiger Arbeit (§ 2 Abs 2 S 1 Nr 1 iVm §§ 4 bis 7k und 13a EStG) enthalten keine Sonderregelungen für Stipendien. Soweit ein Stipendium den Einkünften "aus einer selbstständigen Tätigkeit" zuzurechnen ist, also als Entgelt für Leistungen gezahlt wird (vgl Weber-Grellet in: Schmidt, EStG, 29. Aufl 2010, § 2 RdNr 3), gehört es daher zum grundsätzlich steuerbaren Arbeitseinkommen. Davon abzugrenzen sind allgemeine Ausbildungsstipendien, die nicht als Entgelt für Leistungen gezahlt werden und daher nicht steuerbar sind. Diese sind von der Freistellung nach § 3 Nr 44 EStG gar nicht erst betroffen (vgl Heinicke in: Schmidt, aaO, § 3 ABV unter Stipendien).
Zu einer möglichen Zusage eines Stipendiums fehlen jegliche Tatsachenfeststellungen, die im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (vgl § 163 SGG). Die Klägerin hatte bereits im Widerspruchsverfahren auf das Stipendium hingewiesen. Die Beklagte hätte diesem Hinweis nachgehen müssen. Insbesondere kann die von der Klägerin angegebene Zusage nicht ohne weitere Ermittlungen als zu vage und unverbindlich ausgelegt werden, wie durch die Erklärung der Klägerin, das Stipendium sei 2010 oder 2011 tatsächlich ausgezahlt worden, deutlich wird. Das LSG wird daher die fehlenden Ermittlungen nachzuholen haben. Dabei ist aufzuklären, ob und mit welcher Verbindlichkeit der Klägerin im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung ein Arbeitsstipendium für das Jahr 2010 zugesagt war und ob dies als Entgelt für Leistungen dem grundsätzlich steuerbaren Arbeitseinkommen zuzurechnen ist. Eine Zusage erst für das Kalenderjahr 2011 würde demgegenüber an der Einkommensprognose für das Kalenderjahr 2010 nichts ändern. Auch eine nur vage Aussicht reicht als Basis für eine Prognose nicht. Das Erzielen von Arbeitseinkommen muss wenigstens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen sein. Ergibt sich danach aus der Zusage des Arbeitsstipendiums von 5000 Euro ein zu erwartendes Arbeitseinkommen für das Jahr 2010, ist weiter zu prüfen, ob dieses zusammen mit dem sonstigen zur Zeit der Prognoseentscheidung für das Jahr 2010 zu erwartenden positiven oder negativen Arbeitseinkommen die Geringfügigkeitsgrenze von 3900 Euro voraussichtlich übersteigt. In diesem Fall wäre der angefochtene Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 21.1.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.6.2010 rechtswidrig gewesen und daher aufzuheben.
d) Anderenfalls, dh wenn die nachzuholenden Tatsachenfeststellungen eine von den Einkommensverhältnissen der Vergangenheit abweichende Schätzung nicht rechtfertigen, war die Aufhebung des Verwaltungsaktes zur Feststellung der Versicherungspflicht mit Wirkung ab Februar 2010 rechtmäßig. Der Bescheid vom 2.5.1995 war nach § 48 SGB X iVm § 8 Abs 2 KSVG mit Wirkung vom Ersten des Monats an aufzuheben, der auf den Monat folgt, in dem die Künstlersozialkasse von der Änderung Kenntnis erhält; denn ein Fall des § 8 Abs 2 S 1 KSVG liegt nicht vor. Die Beklagte hatte - für den Fall, dass aufgrund der nachzuholenden Feststellungen keine andere Einkommensprognose gerechtfertigt ist - nach Anhörung der Klägerin im Januar 2010 Kenntnis von der Änderung der Verhältnisse erlangt; denn ein Arbeitseinkommen aus künstlerischer Tätigkeit in Höhe der Mindestgrenze nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG war für das Kalenderjahr 2010 nicht zu prognostizieren.
3. Diese Auslegung der §§ 3, 8 und 12 KSVG verletzt die Klägerin nicht in ihren Grundrechten. Von Verfassungs wegen ist insbesondere eine andere Auslegung der Vorschriften über die Versicherungsfreiheit bei mehrfacher Unterschreitung der Geringfügigkeitsgrenze von 3900 Euro nicht geboten. Wie alle Grundrechte begründet auch die nach Art 5 Abs 3 GG geschützte Kunstfreiheit zunächst und vor allem ein Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe in den jeweiligen Schutzbereich. Konkrete Pflichten des Staates, Kunst oder Künstler zu fördern, ergeben sich daraus nicht. Zwar enthält das Grundrecht auch eine wertentscheidende Grundsatznorm, weil sich aus ihm die Staatzielbestimmung eines Kulturstaates ergibt, mit der Aufgabe, ein freiheitliches Kunst- und Wissenschaftsleben zu erhalten und zu fördern. Dabei verbleibt dem Gesetzgeber aber insbesondere im Hinblick auf Förderpflichten bzw sozialversicherungsrechtliche Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsspielraum. Soweit der Gesetzgeber eine Förderung vornimmt, steht die Gleichbehandlung der Betroffenen nach Art 3 Abs 1 GG im Vordergrund (vgl hierzu zB BVerfGE 36, 321, 331 ff; Pernice in: Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl 2013, Art 5 III RdNr 41, 62 ff mwN; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 5 RdNr 105 ff, 110a f mwN). Gleiches gilt für die sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Künstler. Die hier in Betracht kommende Versicherungsfreiheit der Klägerin ist nicht an den Kunstbegriff oder eine bestimmte Form der Kunst geknüpft. § 3 Abs 1 S 1 KSVG bindet die Sozialversicherung nach dem KSVG vielmehr an ein mit der selbstständigen künstlerischen Tätigkeit zu erzielendes Mindesteinkommen. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 9/26, S 18, betreffend das KSVG in der ursprünglichen Fassung vom 27.7.1981, BGBl I 705) ist die Versicherungsfreiheit nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG an die allgemeinen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts angelehnt, nach denen geringfügige Beschäftigung prinzipiell versicherungsfrei ist, und trägt der Besonderheit Rechnung, dass die Einkommen aus selbstständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit außerordentlichen Schwankungen unterliegen können. Die Geringfügigkeitsgrenze wird deshalb nicht - wie sonst üblich - auf einen Monat, sondern auf ein Jahr bezogen. Zudem gelten Ausnahmen für Berufsanfänger (§ 3 Abs 2 KSVG) und solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Mindestarbeitseinkommensgrenze nicht übersteigt (§ 3 Abs 3 KSVG). Eine darüber hinausgehende sozialversicherungsrechtliche Absicherung geringfügiger Beschäftigung oder Tätigkeit im künstlerischen/publizistischen Bereich ist verfassungsrechtlich gerade im Hinblick auf eine Gleichbehandlung mit anderen geringfügig Tätigen nicht geboten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass insbesondere der volle Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung bei einem nach geringfügigem Einkommen bemessenen Beitrag eine erhebliche Anforderung an die Solidargemeinschaft darstellt.
4. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 6667086 |
BSGE 2015, 29 |
DStR 2014, 12 |
DStR 2014, 1839 |