Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch nach § 1504 RVO
Beteiligte
Deutsche Angestellten-Krankenkasse,Hamburg 1, Steindamm 96 - 106, Klägerin und Revisionsbeklagte |
Hessischer Gemeindeunfallversicherungsverband,Frankfurt am Main 1, Bockenheimer Anlage 37, Beklagter und Revisionskläger |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Wegen eines Erstattungsanspruchs der Klägerin nach § 1504 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF streiten die Beteiligten, ob der Verletzte einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Am 8. Oktober 1983 stürzte der bei der Klägerin versicherte K R (Verletzter) von einer Leiter, über die er vom Dach einer Garage heruntersteigen wollte. Dabei erlitt er einen Oberschenkelbruch rechts. Die Klägerin gewährte die notwendige stationäre Heilbehandlung sowie Krankengeld, machte aber gegenüber dem Beklagten ihren Anspruch auf Kostenerstattung geltend, weil der Verletzte einen Arbeitsunfall erlitten habe. Der Beklagte dagegen hielt die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nicht für erfüllt. Als sich die Beteiligten darüber nicht einigen konnten, lehnte der Beklagte gegenüber dem Verletzten mit dem unangefochten gebliebenen Bescheid vom 19. März 1985 Entschädigungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Seine, des Beklagten, Ermittlungen hätten ergeben, daß der Verletzte anläßlich eines Besuches bei seiner Nichte und ihrem Ehemann in Kassel die Holzverschalung an deren Haus neu lackiert habe. Als er vom Dach der seitlich angebrachten Garage habe herabsteigen wollen, sei er dann abgestürzt. Bei den Lackierarbeiten habe es sich um verwandtschaftlich geprägte, unversicherte Gefälligkeitsleistungen gehandelt, die keinen Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO begründen könnten.
Auf die am 2. Juli 1985 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hamburg den Beklagten verurteilt, der Klägerin Kosten in Höhe von 31.506,16 DM zu erstatten, die ihr infolge des Arbeitsunfalls des Verletzten vom 8. Oktober 1983 entstanden sind (Urteil vom 18. März 1987). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 31. Oktober 1990): Der wegen der Höhe nicht streitige Erstattungsanspruch sei nach § 1504 RVO aF begründet. Dem stehe auch der bindende Ablehnungsbescheid des Beklagten gegenüber dem Verletzten nicht entgegen. Mit ihm habe der Beklagte nicht auch die Klägerin binden können. Die vom 4. und 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 57, 146 und SozR 4100 § 105b Nr 6 angesprochene Tatbestandswirkung der Leistungsbescheide, hier also diejenige des Bescheides vom 19. März 1985, den der Beklagte dem Verletzten erteilt habe, könne es mangels gesetzlicher Regelung nicht verhindern, daß die Frage des Arbeitsunfalls für den Erstattungsanspruch der Klägerin eigenständig zu prüfen sei. Danach habe der Verletzte einen Arbeitsunfall nach § 548 Abs 1 RVO bei einer nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Tätigkeit erlitten. Er habe eine bis anderthalb Stunden lang vom Garagendach aus die Holzverschalung des Hauses mit einem Holzimprägnierungsmittel gestrichen, bevor er die Leiter hinabgestiegen sei. Diese Tätigkeit habe arbeitnehmerähnlichen Charakter gehabt. Sie sei nicht wesentlich durch die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Onkel und Nichte geprägt gewesen. Weder der Verwandtschaftsgrad noch die auf seiner Grundlage bestehenden tatsächlichen Kontakte zwischen dem Verletzten und seiner Nichte hätten die Arbeitsleistung des Verletzten so nachhaltig geprägt, daß sie als Erfüllung verwandtschaftlicher Verpflichtungen angesehen werden könnte, die üblich und deshalb zu erwarten gewesen sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 548 Abs 1 und § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO. Aus der bereits vom LSG zitierten Rechtsprechung des 4. und 7. Senats des BSG folge, daß auch die Klägerin an seinen bestandskräftig gewordenen Ablehnungsbescheid vom 19. März 1985 gebunden sei. Indem das LSG dagegen einen Arbeitsunfall des Verletzten zugunsten des Erstattungsanspruchs der Klägerin bejaht habe, sei § 77 SGG verletzt worden. Im übrigen seien die vom LSG zugrunde gelegten Zeugenaussagen des Verletzten nicht glaubhaft. Zu folgen sei vielmehr den Aussagen des Zeugen F , des Angestellten der Klägerin, der die Sache zuerst bearbeitet habe, wonach dem Verletzten das reparaturbedürftige Garagendach gezeigt worden sei, um danach darüber zu diskutieren, welche Firma die anstehenden Reparaturarbeiten durchführen könnte. Das sei eine unversicherte verwandtschaftliche Gefälligkeit des Verletzten gegenüber seiner Nichte gewesen.
Der Beklagte beantragt,die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist unbegründet.
Der Klägerin steht der geltend gemachte, der Höhe nach nicht streitige Erstattungsanspruch gemäß § 1504 RVO aF zu. Der Verletzte hat einen Arbeitsunfall erlitten, wie SG und LSG zutreffend entschieden haben. Soweit der Beklagte dem Verletzten im Gegensatz dazu einen Ablehnungsbescheid erteilt hat, vermag dieser nicht zu verhindern, daß der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten entsteht und durchgesetzt werden kann; das hat schon das LSG zutreffend erkannt.
§ 1504 RVO in der vor dem 1. Januar 1989 gültig gewesenen Fassung (aF) findet Anwendung, obwohl diese Vorschrift durch Art 5 Nr 36 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) aufgehoben worden ist; denn die Klägerin hat die geltend gemachten Kosten vor dem 31. Dezember 1988 aufgewandt (s auch Art 63 Abs 1 GRG).
§ 1504 RVO aF regelt einen der Höhe nach eingeschränkten Erstattungsanspruch des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber dem Träger der Unfallversicherung, weil die Aufgabengebiete beider nicht getrennt, sondern insbesondere bis zum Wegfall des § 565 RVO am 1. Januar 1991 (Art 5 Nr 20 iVm Art 79 Abs 4 GRG) durch die Vorleistungspflicht der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung teilweise dekungsgleich gewesen sind (s § 565 Abs 1 Satz 2 RVO aF; vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl S 981b, c, d und e). Darüber hinaus werden beide Sozialleistungsträger auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung durch Rechtsbeziehungen besonderer Art verbunden, wie sie zB in den §§ 1501, 1502, 1503 und 1510 RVO geregelt sind, und nicht nur allgemein dadurch, daß sie einem Versicherten gegenüber aufgrund ein und desselben Leistungsgrundes zu Leistungen verpflichtet sein können, die sich gegenseitig ausschließen (s § 565 Abs 1 Satz 2 RVO aF, § 11 Abs 4 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch -SGB V-).
Das so gestaltete Rechtsverhältnis der Klägerin gegenüber dem Beklagten gibt ihr das eigenständige und von der sachlich-rechtlichen Regelungskompetenz des Beklagten unabhängige Recht, unter bestimmten Voraussetzungen Kostenerstattung von dem Beklagten zu verlangen. Das Recht steht ihr nach § 1504 RVO aF zu, wenn ihre Aufwendungen wegen Leistungen für eine Krankheit entstanden sind, die Folge eines vom Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfalls ist. Dementsprechend beschränkt sich die Regelungskompetenz des Beklagten auf Entscheidungen im Rahmen des Versicherungsverhältnisses zu dem Verletzten. Der Senat hat entschieden, daß die Leistungsbescheide des Trägers der Unfallversicherung im Rechtsverhältnis zum Versicherten noch nicht einmal in das Mitgliedschaftsverhältnis desselben Trägers zum beitragsverpflichteten Unternehmer übergreifen und dort eine unmittelbar das Mitglied bindende Drittwirkung entfalten können; dazu bedarf es einer gesetzlichen Regelung, die insoweit fehlt (Urteil vom 28. August 1990 - 2 RU 5/90 -in HV-Info 1990, 2163). Das verdeutlicht, daß die im Unfallversicherungsverhältnis erteilten Leistungsbescheide gegenüber dem an den Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung eigens beteiligten Träger der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem gleichen Grund ebensowenig eine unmittelbar bindende Drittwirkung entfalten können. Auch das Verhältnis ihrer Kompetenzen zueinander bestätigt dieses Ergebnis. Sie sind als Sozialleistungsträger gleichgeordnet und können ihre gegenseitigen Rechtsbeziehungen nicht durch bindende Verwaltungsakte regeln. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß der Entschädigungsanspruch eines Verletzten gegen den Träger der Unfallversicherung einerseits und der gegen letzteren gerichtete Erstattungsanspruch des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung zwei verschiedene Streitgegenstände darstellen, obwohl die Entscheidung über jeden von beiden jeweils verlangt, auch über ein und denselben Unfall zu urteilen (BSGE 62, 118, 123; SozR 2200 § 776 Nr 8; Beschluß vom 2. November 1988 - 2 BU 110/88 -, jeweils mwN).
Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 19. März 1985 vermag die Klägerin deshalb nicht nach § 77 SGG in der Sache zu binden.
Die aufgezeigte Rechtsposition der Klägerin auf dem Aufgabengebiet der gesetzlichen Unfallversicherung unterscheidet sich auch wesentlich von denjenigen Fällen, in denen der 4. und der 7. Senat des BSG eine abgeschwächte Bindungswirkung angenommen haben, eine Pflicht jeweils der Krankenkasse, die Entscheidungen des Rentenversicherungsträgers oder des Trägers der Arbeitslosenversicherung im Leistungsverhältnis zu deren Versicherten zu akzeptieren. Der Senat kann es deshalb, ohne von der Rechtsprechung dieser beiden Senate abzuweichen (§ 42 SGG), offenlassen, ob Krankenkassen die Regelungsbefugnis anderer Sozialversicherungsträger zu akzeptieren haben; das trifft jedenfalls auf die bezeichneten Regelungen der Unfallversicherungsträger nicht zu. Davon sind auch der 4. und 7. Senat des BSG ausgegangen, die in ihren Entscheidungen ebenfalls keine Abweichung von der schon lange vorher entwickelten Rechtsprechung des 2. Senats des BSG (s die Nachweise in BSGE aaO) gesehen haben.
Zutreffend haben auch das SG und das LSG erkannt, daß die Voraussetzungen des § 1504 Abs 1 RVO aF für den Klageanspruch erfüllt sind, insbesondere, daß der Verletzte einen Arbeitsunfall iS § 548 Abs 1 RVO erlitten hat, den der Beklagte nach § 657 Abs 1 Nr 7 RVO entschädigen muß. Der Unfall ereignete sich bei einer nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Tätigkeit. Danach sind gegen Unfall ferner Personen versichert, die wie ein nach Abs 1 Versicherter tätig werden.
Dazu hat das LSG in dem angefochtenen Urteil folgende tatsächlichen Feststellungen getroffen, an die das BSG gebunden ist, weil der Beklagte dagegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat (§ 163 SGG). Soweit er die Beweiswürdigung des LSG für falsch hält, greift er die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG an, ohne auch nur schlüssig darzulegen, daß dem LSG dabei Verfahrensfehler unterlaufen sind.
Nach den Feststellungen des LSG begab sich der Verletzte am Morgen des Unfalltages, eines Sonnabends, von seinem Wohnort Z aus nach K zum Haus seiner Nichte und ihres Ehemannes, um daran das holzverschalte Gesims des überstehenden Daches mit einem Imprägnierungsmittel zu streichen. Sobald er angekommen war, kletterte er auf das Dach der an das Haus angebauten Garage und versah ungefähr eine bis anderthalb Stunden lang die vorgenommenen Anstreicharbeiten. Dann wollte er über eine Leiter vom Garagendach herabsteigen; dabei verunglückte er. Der Ehemann der Nichte des Verletzten brauchte später zwei Stunden, um die Imprägnierungsarbeiten auf der anderen Seite des Hauses zu vollenden.
Der vom LSG in Bezug genommenen Sitzungsniederschrift vom 18. April 1990 ist des weiteren zu entnehmen, daß der Verletzte handwerkliche Fähigkeiten hatte und Bauleiter bei einem Fassadenunternehmen gewesen war. Die Imprägnierungsarbeiten waren zuvor verabredet worden und die Nichte des Verletzten hatte die Arbeitsmittel dafür besorgt. Der Verletzte hatte die vereinbarten Imprägnierungsarbeiten noch nicht beendet, sondern er sollte verabredungsgemäß das Gesims auch auf der anderen Seite des Hauses streichen. Deshalb schickte er sich an, vom Garagendach herabzusteigen.
Danach sind alle Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO erfüllt. Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß in dem Handeln des Verletzten eine ernstliche, dem Unternehmen der Hauseigentümer dienende und ihrem Willen entsprechende Tätigkeit zu sehen ist. Das Unternehmen bestand darin, am Haus kurzfristige nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten (s § 657 Abs 1 Nr 7 RVO) durchzuführen. Diese Tätigkeit des Verletzten kann grundsätzlich von Arbeitnehmern verrichtet werden. Aus der Tatsache, daß er zur vereinbarten Zeit nur seine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hatte und es den Hauseigentümern oblag, nach dem Ausfall des Verletzten für den Abschluß der Imprägnierungsarbeiten zu sorgen, ist mit den Vorinstanzen entgegen der Meinung des Beklagten auf eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit des Verletzten zu schließen.
Zu Recht haben die Vorinstanzen auch entschieden, daß die Imprägnierungsarbeiten des Verletzten ihr Gepräge nicht wesentlich durch die verwandtschaftlichen Beziehungen zu seiner Nichte erhalten haben (s BSG SozR 2200 § 539 Nr 134). Sie sind nicht als die Erfüllung gesellschaftlicher, nicht rechtlicher Verpflichtungen anzusehen, die bei besonders engen Beziehungen zwischen Verwandten, Freunden oder Nachbarn typisch, üblich und deshalb zu erwarten sind (s das Urteil des Senats vom 29. November 1990 - 2 RU 18/90 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Dabei ist nach der Rechtsprechung des Senats für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO die Tätigkeit des Verletzten nicht allein nach der unmittelbar zum Unfall führenden Verrichtung zu beurteilen, nicht allein nach der bisher für das Unternehmen ausübten Tätigkeit, sondern nach dem Gesamtbild des ausgeführten und beabsichtigten Vorhabens (Urteil des Senats vom 24. Januar 1991 - 2 RU 44/90 - zur Veröffentlichung bestimmt). Danach kommt es darauf an, ob die zwischen dem Verletzten und den Hauseigentümern vereinbarte Dienstleistung, die insgesamt etwa drei Stunden in Anspruch genommen hätte, nach Art, Umfang, Zeitdauer und Verwandtschaftsgrad oder tatsächlicher Enge der verwandtschaftlichen Beziehungen wesentlich durch letzteres ihr Gepräge erhalten hat. Dazu hat das LSG festgestellt, daß ähnliche Dienstleistungen des Verletzten für seine Nichte nicht üblich waren und seine persönlichen Besuche sich auf etwa ein bis zwei im Monat beschränkt haben; Anlaß dazu gab es insbesondere dann, wenn der Verletzte sich im Blumengeschäft seiner Nichte Blumen holen wollte. Unter diesen Umständen sind die Imprägnierungsarbeiten von etwa drei Stunden Dauer, die der Verletzte seiner Nichte erbringen wollte, nicht durch die verwandtschaftliche Beziehung dritten Grades in der Seitenlinie geprägt worden. Unter den festgestellten Umständen sind solche Leistungen weder typisch noch üblich und deshalb auch nicht als selbstverständlich zu erwarten.
Die Beziehungen unter Brüdern, auf die sich der Hinweis der Revision bezieht, können demgegenüber viel enger sein und unter dem Gesichtspunkt dessen, was aufgrund solcher engen Beziehungen als typisch und üblich zu erwarten ist, auch umfangreichere Leistungen besonders prägen (s BSG, Urteil vom 30. Juli 1987 - 2 RU 17/86 - in USK 8757).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen