Prof. Dr. jur. Tobias Huep
Der Arbeitnehmer muss krankheitsbedingt arbeitsunfähig sein. Krankheit und Arbeitsunfähigkeit sind zu unterscheiden. Nicht jede Krankheit führt automatisch zur Arbeitsunfähigkeit (ein gebrochener Knöchel führt z. B. zur Arbeitsunfähigkeit eines Kraftfahrers, nicht jedoch einer Bürokraft). Unbeachtlich ist darüber hinaus die Ursache der Krankheit. Dies gilt in Fällen suchtbedingter Krankheit, aber auch einer adipositasbedingten Erkrankung. Allerdings kann die Ursache in bestimmten Fällen ein tatbestandsausschließendes "Verschulden" darstellen.
Wichtige Beurteilungsgrundlage für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit ist die "Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie" des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) der Krankenkassen. Die Richtlinie fasst die Vorgaben zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zusammen. Gemäß § 2 Abs. 1 AU-Richtlinie liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen. Nicht erforderlich sind Heilbarkeit oder Behandlungsfähigkeit des Leidens.
Arbeitsunfähigkeit liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer symptomlos positiv auf Corona getestet ist und nicht im Homeoffice arbeiten kann. Auch eine behördlich angeordnete Quarantäne lässt den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht entfallen.
Keine Arbeitsunfähigkeit begründen Schönheitsoperationen, sofern diese nicht zwingend medizinisch begründet sind. Dies kann auch aus einem psychischen Leidensdruck bei einer rein kosmetischen Entstellung resultieren.
Zwischen Krankheit, Arbeitsunfähigkeit und Nichterbringung der Arbeitsleistung muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Zudem muss die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sein (sog. Monokausalität der Arbeitsunfähigkeit). Tritt neben die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eine weitere Ursache für den Arbeitsausfall, entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Wichtige Fälle in der Praxis:
- Im Fall von Kurzarbeit entfällt der Entgeltfortzahlungsanspruch in dem Umfang, in dem die Kurzarbeit Ursache des Arbeitsausfalls ist.
- Beim Zusammentreffen von Urlaub und Krankheit werden gemäß § 9 BUrlG die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der AU auf den Jahresurlaub nicht angerechnet – an Stelle des Urlaubsentgelts entsteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Gleiches gilt für die Teilnahme am Bildungsurlaub.
- Erkrankt der Arbeitnehmer während einer Streikteilnahme oder während einer Aussperrung, entsteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch.
- Im Fall eines Beschäftigungsverbots nach § 11 MuSchG entsteht ebenfalls kein Anspruch. Stattdessen erhält die Arbeitnehmerin Vergütung nach § 11 MuSchG.
- Strittig ist, ob der Verdacht einer Ansteckung, der zu einer behördlichen Quarantäneanordnung führt, den Entgeltfortzahlungsanspruch entfallen lässt. Dies wird teilweise verneint. Richtigerweise entfällt der Anspruch, der Arbeitnehmer hat einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG.
- Im Zeitraum eines titulierten Weiterbeschäftigungsanspruchs entstehen keine Entgeltfortzahlungsansprüche, wenn sich die Kündigung nachträglich als unwirksam erweist.
- Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, entsteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer erkrankt, da er in diesem Fall seine Arbeitskraft nicht anbieten kann.
Negativvoraussetzung ist das fehlende Verschulden des Arbeitnehmers an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Eine Legaldefinition fehlt. Es handelt sich um kein Verschulden i. S. d. § 276 BGB, sondern ein anspruchsbeseitigendes "Verschulden gegen sich selbst" i. S. d. § 616 BGB. ähnlich einer Obliegenheitsverletzung. Die Rechtsprechung bejaht schuldhaftes Verhalten, wenn der Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Ausreichend ist, dass das Verhalten die Erkrankung erschwert oder verlängert und sich so auf die Arbeitsunfähigkeit auswirkt. Die Feststellung des Verschuldens ist in starkem Maße einzelfallabhängig, nicht jedes vom Arbeitnehmer eingegangene Risiko genügt hierfür. Bei Verstößen gegen jegliche Art von Verkehrs- oder Unfallverhütungsvorschriften liegt ein Verschulden regelmäßig nahe, ebenso bei alkoholbedingt verursachter Arbeitsunfähigkeit – dabei ist grundsätzlich zwischen spontanem, steuerbaren Alkoholmissbrauch und krankhafter Alkoholsucht zu unterscheiden.
Ein Versch...