Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Richtlinie 2000/78/EG. Art. 2 Abs. 5. Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Art. 19. Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Art. 26. Soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen. Persönlicher Assistenzdienst für Menschen mit Behinderungen. Stellenangebot, das die Angabe eines Mindest- und eines Höchstalters der gesuchten Person enthält. Berücksichtigung der Wünsche und Interessen des Menschen mit Behinderung. Rechtfertigung
Beteiligte
Tenor
Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist im Licht von Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde,
dahin auszulegen, dass
er dem nicht entgegensteht, dass die Einstellung einer Person, die persönliche Assistenz leistet, in Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, nach denen die individuellen Wünsche der Person berücksichtigt werden, die wegen ihrer Behinderung Anspruch auf Leistungen der persönlichen Assistenz hat, von einer Altersanforderung abhängig gemacht wird, wenn eine solche Maßnahme zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Beschluss vom 24. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 2022, in dem Verfahren
J. M. P.
gegen
AP Assistenzprofis GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von J. M. P., vertreten durch Rechtsanwalt T. Nick,
- der AP Assistenzprofis GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt O. Viehweg,
- der griechischen Regierung, vertreten durch V. Baroutas und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa und A. Pimenta als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und E. Schmidt als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Juli 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35) im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde (im Folgenden: VN-Übereinkommen).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J. M. P. und der AP Assistenzprofis GmbH, einer Anbieterin von Assistenz- und Beratungsdienstleistungen für Menschen mit Behinderungen, über die Zahlung einer von J. M. P. geforderten Entschädigung wegen einer Altersdiskriminierung im Rahmen eines Einstellungsverfahrens.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
In der Präambel des VN-Übereinkommens heißt es:
„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens –
…
c) bekräftigend, dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind und dass Menschen mit Behinderungen der volle Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden muss,
…
h) ebenso in der Erkenntnis, dass jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung eine Verletzung der Würde und des Wertes darstellt, die jedem Menschen innewohnen,
…
j) in Anerkennung der Notwendigkeit, die Menschenrechte aller Menschen mit Behinderungen, einschließlich derjenigen, die intensivere Unterstützung benötigen, zu fördern und zu schützen,
…
n) in der Erkenntnis, wie wichtig die individuelle Autonomie und Unabhängigkeit für Menschen mit Behinderungen ist, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen,
…”
Rz. 4
Art. 1 („Zweck”) des VN-Übereinkommens bestimmt:
„Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigt...