Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer. Arbeitszeitgestaltung. Begriff ‚Arbeitszeit’. Tägliche Mindestruhezeit. Arbeitnehmer, die mehrere Arbeitsverträge mit demselben Arbeitgeber geschlossen haben. Anwendung pro Arbeitnehmer
Normenkette
Richtlinie 2003/88/EG Art. 2-3
Beteiligte
Academia de Studii Economice din Bucureşti |
Academia de Studii Economice din Bucureşti |
Organismul Intermediar pentru Programul Operaţional Capital Uman – Ministerul Educaţiei Naţionale |
Tenor
Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind dahin auszulegen, dass die in diesem Art. 3 vorgesehene tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammengenommen und nicht für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Bucureşti (Landgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 24. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 2. August 2019, in dem Verfahren
Academia de Studii Economice din Bucureşti
gegen
Organismul Intermediar pentru Programul Operaţional Capital Uman – Ministerul Educaţiei Naţionale,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos (Berichterstatter) und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Academia de Studii Economice din Bucureşti, vertreten durch N. Istudor, D. G. Dumitrescu und E. Găman,
- der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane, A. Rotăreanu und S.-A. Purza als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck, M. Jacobs und S. Baeyens als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, zunächst vertreten durch J. Nymann-Lindegren, P. Ngo und M. S. Wolff, dann durch J. Nymann-Lindegren und M. S. Wolff als Bevollmächtigte,
- der lettischen Regierung, zunächst vertreten durch V. Soņeca und L. Juškeviča, dann durch V. Soņeca als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der finnischen Regierung, zunächst vertreten durch A. Laine, dann durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
- der norwegischen Regierung, vertreten durch I. Thue und J. T. Kaasin als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch C. Gheorghiu und M. van Beek, dann durch C. Gheorghiu als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. November 2020,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 1, Art. 3 und Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Academia de Studii Economice din Bucureşti (Akademie für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge Bukarest, Rumänien, im Folgenden: ASE) und dem Organismul Intermediar pentru Programul Operaţional Capital Uman – Ministerul Educaţiei Naţionale (Zwischengeschaltete Stelle für das operationelle Programm „Humankapital” – Ministerium für Bildung, Rumänien, im Folgenden: OI POCU MEN) wegen einer Finanzkorrektur, die Letzterer im Rahmen eines Finanzierungsprogramms vorgenommen hatte, weil die ASE die Höchststundenzahl, die eine Person pro Tag arbeiten darf, nicht eingehalten hatte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.
(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind
- die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie
- bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.
(3) Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG [des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1)].
…”
Rz. 4
In Art. 2 der Richtlinie 2003/88 heißt es:
„Im Sinne dieser Richtlinie sind:
- Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkei...