Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Massenentlassungen. Begriff ‚Entlassungen’. Gleichstellung von ‚Beendigungen des Arbeitsvertrags …, die auf Veranlassung des Arbeitgebers … erfolgen’ mit Entlassungen. Einseitige Änderung der Arbeits- und Entgeltbedingungen durch den Arbeitgeber. Feststellung der ‚Absicht’ des Arbeitgebers, Entlassungen vorzunehmen
Normenkette
Richtlinie 98/59/EG Art. 1 Abs. 1, Art. 2
Beteiligte
II Szpital Miejski im. L. Rydygiera w Łodzi, obecnie Szpital Ginekologiczno-Położniczy im dr L. Rydygiera sp. z o.o. w Łodzi |
Tenor
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ist dahin auszulegen, dass eine einseitige Änderung der Entgeltbedingungen durch den Arbeitgeber zulasten der Arbeitnehmer, die im Fall ihrer Ablehnung durch den Arbeitnehmer zur Beendigung des Arbeitsvertrags führt, als „Entlassung” im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann. Art. 2 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber zur Durchführung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Konsultationen verpflichtet ist, wenn er beabsichtigt, eine solche einseitige Änderung der Entgeltbedingungen vorzunehmen, soweit die in Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Łodzi, VII Wydział Pracy i Ubezpieczen Społecznych (Bezirksgericht Łódz/Lodz, VII. Abteilung für Arbeitsrecht und Sozialversicherungssachen, Polen) mit Entscheidung vom 30. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 2. August 2016, in dem Verfahren
Malgorzata Ciupa,
Jolanta Deszczka,
Ewa Kowalska,
Anna Stanczyk,
Marta Krzesinska,
Marzena Musielak,
Halina Kazmierska,
Joanna Siedlecka,
Szymon Wiaderek,
Izabela Grzegora
gegen
II Szpital Miejski im. L. Rydygiera w Łodzi, obecnie Szpital Ginekologiczno-Położniczy im dr L. Rydygiera sp. z o.o. w Łodzi,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet und F. Biltgen (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des II Szpital Miejski im. L. Rydygiera w Łodzi, obecnie Szpital Ginekologiczno-Położniczy im dr L. Rydygiera sp. z o.o. w Łodzi, vertreten durch B. Marchel, radca prawny,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Stobiecka-Kuik, L. Baumgart und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Malgorzata Ciupa und der anderen Berufungskläger gegen ihren Arbeitgeber, den II Szpital Miejski im. L. Rydygiera w Łodzi, obecnie Szpital Ginekologiczno-Położniczy im. dr L. Rydygiera sp. z o.o. w Łodzi (L. Rydygier-II. Stadtklinik in Lodz, jetzt Dr. L. Rydygier-Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Lodz, Polen) (im Folgenden: Klinik Lodz), wegen dessen Entscheidung, gegenüber den Arbeitnehmern Änderungskündigungen auszusprechen, was zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter Arbeitnehmer führte, ohne dass das Verfahren eingehalten worden wäre, das in dem zur Umsetzung der Richtlinie 98/59 erlassenen nationalen Gesetz vorgesehen ist.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 98/59
Rz. 3
In Art. 1 „Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich”) der Richtlinie 98/59 heißt es:
„(1) Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) ‚Massenentlassungen’ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen
i) entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen
- mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,
- mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,
- mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,
ii) oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind,
beträgt;
b) ‚Arbeitnehmervertreter’ sind di...