Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung. Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten. Gesundheitsdaten. Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eines Angestellten. Medizinischer Dienst der Krankenkassen, der Gesundheitsdaten seiner eigenen Mitarbeiter verarbeitet. Zulässigkeit und Voraussetzungen einer solchen Verarbeitung. Haftung und Recht auf Schadenersatz. Ersatz eines immateriellen Schadens. Ausgleichsfunktion. Auswirkung des Verschuldens des Verantwortlichen
Normenkette
EUVO 679/2016; EUVO 679/2016 Art. 6 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1-3, Art. 82 Abs. 1
Beteiligte
Krankenversicherung Nordrhein |
Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Nordrhein, Körperschaft des öffentlichen Rechts |
Tenor
1.Art. 9 Abs. 2 Buchst. h der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
ist dahin auszulegen, dass
die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme unter dem Vorbehalt, dass die betreffende Datenverarbeitung die in Buchst. h und in Art. 9 Abs. 3 ausdrücklich vorgeschriebenen Voraussetzungen und Garantien erfüllt, auf Situationen anwendbar ist, in denen eine Stelle für medizinische Begutachtung Gesundheitsdaten eines ihrer Arbeitnehmer nicht als Arbeitgeber, sondern als Medizinischer Dienst verarbeitet, um die Arbeitsfähigkeit dieses Arbeitnehmers zu beurteilen.
2.Art. 9 Abs. 3 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
der für eine auf Art. 9 Abs. 2 Buchst. h dieser Verordnung gestützte Verarbeitung von Gesundheitsdaten Verantwortliche gemäß diesen Bestimmungen nicht verpflichtet ist, zu gewährleisten, dass kein Kollege der betroffenen Person Zugang zu den Daten über ihren Gesundheitszustand hat. Eine solche Pflicht kann dem für eine solche Verarbeitung Verantwortlichen jedoch gemäß einer von einem Mitgliedstaat auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 4 dieser Verordnung erlassenen Regelung oder aufgrund der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. f dieser Verordnung genannten und in ihrem Art. 32 Abs. 1 Buchst. a und b konkretisierten Grundsätze der Integrität und der Vertraulichkeit obliegen.
3.Art. 9 Abs. 2 Buchst. h und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
sind dahin auszulegen, dass
eine auf die erstgenannte Bestimmung gestützte Verarbeitung von Gesundheitsdaten nur dann rechtmäßig ist, wenn sie nicht nur die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Anforderungen einhält, sondern auch mindestens eine der in Art. 6 Abs. 1 genannten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen erfüllt.
4.Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
der in dieser Bestimmung vorgesehene Schadenersatzanspruch eine Ausgleichsfunktion hat, da eine auf diese Bestimmung gestützte Entschädigung in Geld ermöglichen soll, den konkret aufgrund des Verstoßes gegen diese Verordnung erlittenen Schaden vollständig zu ersetzen, und keine abschreckende oder Straffunktion erfüllt.
5.Art. 82 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
zum einen die Haftung des Verantwortlichen vom Vorliegen eines ihm anzulastenden Verschuldens abhängt, das vermutet wird, wenn er nicht nachweist, dass die Handlung, die den Schaden verursacht hat, ihm nicht zurechenbar ist, und dass Art. 82 zum anderen nicht verlangt, dass der Grad dieses Verschuldens bei der Bemessung der Höhe des als Entschädigung für einen immateriellen Schaden auf der Grundlage dieser Bestimmung gewährten Schadenersatzes berücksichtigt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache C-667/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Beschluss vom 26. August 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 8. November 2021, in dem Verfahren
ZQ
gegen
Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Nordrhein, Körperschaft des öffentlichen Rechts,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra, M. Safjan, N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von ZQ, vertreten durch Rechtsanwalt E. Daun,
- – des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein, Körperschaft des öffentlichen Rechts, vertreten durch Rechtsanwalt M. Wehner,
- – von Irland, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, A. Joyce und M. Lane als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, BL,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, Avvocato dello Stato,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, M. Heller und H. Kranenborg als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung...