Rz. 1
§ 1 Abs. 1 MiLoG beinhaltet einen gesetzlichen Anspruch auf den Mindestlohn, der neben einen eventuell bestehenden Anspruch auf Tariflohn tritt. Das bedeutet, dass der Mindestlohnanspruch für jedes Arbeitsverhältnis gilt und damit auch unabhängig davon, ob (tarif-)vertraglich ein über dem Mindestlohn liegendes Arbeitsentgelt vereinbart ist. § 1 Abs. 1 regelt dies eindeutig: "Jeder" Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts in Höhe des Mindestlohns. Der Mindestlohn gilt für alle Arbeitgeber, unabhängig von der Größe des Betriebs oder der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer. Auch auf den Umfang der Arbeitszeit oder die Dauer des Arbeitsverhältnisses kommt es nicht an.
Rz. 2
Die Höhe des Mindestlohns ergibt sich aus § 1 Abs. 2 Satz 1.
Durch Rechtsverordnung der Bundesregierung können auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission), die alle 2 Jahre etwaige Anpassungen der Höhe des Mindestlohns beschließt, Änderungen erfolgen. Ziel des Mindestlohns ist die Gewährleistung eines "angemessenen" Mindestschutzes der Arbeitnehmer. Aufgrund einer solchen Rechtsverordnung wurde der Mindestlohn zum 1.1.2020 auf 9,35 EUR, zum 1.1.2021 auf 9,50 EUR, zum 1.7.2021 auf 9,60 EUR, zum 1.1.2022 auf 9,82 EUR, zum 1.7.2022 auf 10,45 EUR und zum 1.10.2022 auf 12 EUR brutto je Zeitstunde erhöht. Seit dem 1.1.2024 beträgt der Mindestlohn 12,41 EUR brutto pro Stunde. Eine weitere Erhöhung soll zum 1.1.2025 auf 12,82 EUR erfolgen.
Rz. 3
Gem. § 1 Abs. 3 gehen die Regelungen des AEntG, des AÜG und der auf deren Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen den Regelungen dieses Gesetzes vor, jedoch nur insoweit, als die Höhe des Mindestlohns nicht unterschritten wird. Nach Außerkrafttreten der Übergangsregelungen in § 24 Abs. 1 MiLoG gilt der Vorrang des gesetzlichen Mindestlohns uneingeschränkt erst seit dem 1.1.2018.
1.1 Mindestlohn in Deutschland – bisherige Situation
Rz. 4
Einen durch Gesetz festgelegten, für jeden in Deutschland tätigen Arbeitnehmer geltenden, allgemeinen Mindestlohn kannte das deutsche Recht vor Einführung dessen nicht. Zwingend für das Arbeitsverhältnis zu beachtende Löhne ergaben sich nach bisheriger Rechtslage nur dann, wenn auf das Arbeitsverhältnis nach § 3 TVG ein Tarifvertrag Anwendung fand. Das setzt aber grundsätzlich die beiderseitige Tarifgebundenheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus, die in Deutschland rückläufig ist. Dadurch werden immer weniger Arbeitsverhältnisse durch die zwingenden Regelungen eines Tarifvertrages gestaltet. Unabhängig von einer beiderseitigen Tarifgebundenheit fanden Tarifverträge nur dann Anwendung, wenn diese für allgemeinverbindlich erklärt wurden, vgl. § 5 TVG oder aber das Arbeitsverhältnis entsprechend den Regelungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz normativ wirkenden Rechtsverordnungen unterworfen war.
Rz. 5
Insoweit gab es auch in der Vergangenheit die Möglichkeit, durch einen staatlichen Akt branchenbezogene Mindestlöhne festzusetzen. Hierfür standen 2 Wege zur Verfügung:
- Nach § 5 TVG können Tarifverträge auf Antrag einer der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklärt werden, sodass sie für alle Arbeitgeber und alle Arbeitnehmer, die unter ihren fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereich fallen, verbindlich gelten. Die Allgemeinverbindlicherklärung ersetzt die fehlende Tarifgebundenheit von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer und schafft auf diese Art und Weise im Geltungsbereich des Tarifvertrags nicht nur einen Mindestlohn, sondern insgesamt einheitliche Mindestarbeitsbedingungen.
- Zum anderen besteht nach dem AEntG für bestimmte Branchen die Möglichkeit, durch Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags über Mindestarbeitsbedingungen (§ 3 AEntG) oder durch den Erlass einer Rechtsverordnung (§§ 7, 7a AEntG) Mindestentgelte für alle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer festzusetzen, und zwar auch solche, die von ausländischen Arbeitgebern nur vorübergehend nach Deutschland entsandt worden sind. Der bisherige Branchenbezug des AEntG wurde mit Wirkung zum 30.7.2020 aufgehoben; es gilt nun branchenunabhängig. Darüber hinaus gibt es Sondervorschriften über die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche, die ebenfalls durch eine Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales festgelegt worden sind (§ 10 AEntG), inzwischen durch die Fünfte Pflegearbeitsbedingungenverordnung.
Rz. 6
Eine dritte Möglichkeit bestand schließlich nach dem MiArbG, das jedoch durch das sog. Tarifautonomiestärkungsgesetz aufgehoben wurde. Nach diesem Gesetz gab es die Möglichkeit, auf Empfehlung eines Expertengremiums in bestimmten Wirtschaftszweigen durch Rechtsverordnung einen Mindestlohn festzusetzen, wenn in dem Wirtschaftszweig bundesweit die an Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber weniger als 50 Prozent der unter den Geltungsbereich dieser Tarifverträge fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Wenn das Experten...