nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertragssozialplan. Friedenspflicht. Koalitionsfreiheit. Streikbeschluss
Leitsatz (amtlich)
1. Der von einer Gewerkschaft im Jahre 2003 um den Abschluss eines Tarifvertragssozialplans geführte Arbeitskampf war nicht rechtswidrig.
2. Im Rahmen der vom klagenden Arbeitgeberverband gestellten Globalanträge auf Unterlassung von Streiks um Tarifvertragssozialpläne (unternehmensbezogene Verbandstarifverträge) konnte nicht festgestellt werden, dass solche Streiks in jedem Fall gegen die Friedenspflicht oder Koalitionsfreiheit des Unternehmens oder des Arbeitgeberverbandes verstoßen. Die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbandes wird regelmäßig nicht unzulässig beeinträchtigt, wenn mit diesem um generelle Regelungen in einem Verbands(flächen)manteltarifvertrag verhandelt wird und gleichzeitig ein Sozialplantarifvertrag erstreikt wird, der sich auf eine bestimmte, nur ein einzelnes Unternehmen betreffende Betriebsänderung bezieht.
3. Die §§ 111 ff. BetrVG entfalten im Hinblick auf sog. Tarifsozialpläne keine Sperrwirkung. § 112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG setzt solche Tarifverträge voraus.
4. In einer Situation, in der die Existenz von zahlreichen Arbeitsplätzen auf dem Spiel steht, verstoßen auch sehr weitreichende Tarifforderungen nicht gegen die von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Unternehmensautonomie und sind als Erschwernisse der Durchsetzung von Unternehmensentscheidungen nicht unzulässig, solange die Streikforderung nicht auf die Verhinderung der unternehmerischen Maßnahme selbst gerichtet ist. Maßgeblich für die Beurteilung ist die Streikforderung auf der Grundlage des Streikbeschlusses der Gewerkschaft.
5. Auch eine weit überzogene Tarifforderung führt grundsätzlich nicht zur Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfes, da es nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte ist, korrigierend in die Höhe einer Tarifforderung einzugreifen, solange diese auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet ist. Die Höhe einer Tarifforderung unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle.
Normenkette
GG 9 III; GG 12 I; TVG 2 I; TVG 4 V; BetrVG 111; BetrVG 112; BGB 823
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. März 2005 – 5 Ca 4542/04 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen.
Der Kläger ist der seit dem 1. Juli 1977 bestehende Arbeitgeberverband A im Bezirk B und Umgebung sowie C mit rund 280 Mitgliedsunternehmen. Die Beklagte ist die für die Unternehmen der A tarifzuständige Gewerkschaft mit Hauptsitz in D. Sie ist ständige Tarifpartnerin des Klägers.
Mitglied des Klägers ist auch die Firma E AG. Sie befasst sich mit der Produktion und Montage digitaler Druckmaschinen sowie der Entwicklung und Produktion von Geräten und Software für die Druckvorstufe. Im Oktober 2002 fasste der Vorstand des Unternehmens den Entschluss, die Montage der Digitaldruckmaschinen in F zu konzentrieren und die Endmontage von Depressgeräten an den Hauptproduktionsstandort nach G zu verlagern. Die Betriebsänderung betraf den Wegfall von 562 Arbeitsplätzen am Standort H. In der Folgezeit versuchte die Unternehmensleitung, mit dem Betriebsrat Gespräche über einen Interessenausgleich aufzunehmen. Am 16. Dezember 2002 übergab sie dem Betriebsrat eine Präsentation der geplanten Betriebsänderung.
Zu den zwischen den Parteien abgeschlossenen Tarifverträgen gehört der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in C, B und Umgebung vom 20. April 2000. Dieser enthält in seinem § 14 Regelungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2002 kündigte die Beklagte die Bestimmungen des § 14 Ziff. 1, 2 und 5 des Manteltarifvertrages zum 31. Januar 2003. Mit gleichem Schreiben stellte die Beklagte folgende Tarifforderungen auf:
- „Neufassung der tariflichen Kündigungsfristen auf der Basis der gesetzlichen Regelung (§ 622 Abs. 1 – 3 BGB)
- Tarifliche Öffnungsklausel, nach der die für den Arbeitgeber geltenden Kündigungsfristen durch betrieblichen Ergänzungstarifvertrag verlängert werden können. Klarstellung, dass die anderweitige Regelung der Kündigungsfristen durch Ergänzungstarifvertrag nicht der Friedenspflicht unterliegt.”
In der Folgezeit verhandelten die Parteien über eine Neufassung der tariflichen Kündigungsfristen. Eine erste Verhandlung zwischen den Tarifpartnern fand am 4. März 2003 statt. Zu dem Neuabschluss einer Tarifregelung ist es bislang nicht gekommen.
Gleichfalls mit Schreiben vom 18. Dezember 2002 (Anlagenband Bl. 15, 16) forderte die Beklagte den Kläger auf, mit ihr in Verhandlungen über einen auf den H Betrieb der E AG bezogenen Verbandstarifvertrag einzutreten. Der geforderte Tarifvertrag sollte für den Fall gelten, dass es trotz der Bemühungen des Betriebsrates...