Entscheidungsstichwort (Thema)
Lebensaltersstufen. Benachteiligung durch tarifliches Vergütungssystem
Leitsatz (amtlich)
1. Die Staffelung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen gemäß § 27 A Abs. 1 BAT i.V.m. dem Anwendungstarifvertrag des Landes Berlin vom 31.07.2003 und dem Vergütungstarifvertrag Nr. 35 stellt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.d. §§ 1, 3 AGG dar. Diese unmittelbare Benachteiligung ist nicht nach den §§ 10, 5, 8 AGG gerechtfertigt. Die tarifvertragliche Staffelung der Grundvergütung ist gem.
2. Bei Verstößen gegen die Benachteiligungsverbote des § 1,3 AGG sind die leistungsgewährenden, nicht benachteiligenden Tarifvertragsbestimmungen auf diejenigen Personen zu erstrecken, die entgegen den Benachteiligungsverboten von den tariflichen Leistungen ausgeschlossen wurden. Das ist solange anzunehmen, bis die Tarifvertragsparteien selbst eine diskriminierungsfreie Regelung schaffen.
3. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes führen vorliegend zu keinem anderen Ergebnis, weil zum einen lediglich der Fall einer sog. unechten Rückwirkung vorliegt und zum anderen ein geschützter Vertrauenstatbestand nicht gegeben ist. Weiter war die Entwicklung der Rechtslage aufgrund der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78/EG vorhersehbar.
Normenkette
AGG §§ 1, 3, 7 Abs. 2, § 8 Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 22.08.2007 – 86 Ca 1696/07 – teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 01.09.2006 gem. Vergütungsgruppe 1a des BAT in Verbindung mit dem TV zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (Anwendungstarifvertrag Land Berlin vom 21 Juni 2003) entsprechend der Lebensaltersstufe 47 zu vergüten.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land ¾, der Kläger ¼ zu tragen.
III. Die Revision wird für den Kläger und für das beklagte Land zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe der Vergütung des Klägers. Der am …1967 geborene, 39-jährige Kläger, der zu 60% schwerbehindert ist, ist seit dem 16.03.1998 bei dem Land Berlin beschäftigt. Die Parteien vereinbarten arbeitsvertraglich die Geltung der Tarifverträge des Landes Berlin. Das beklagte Land, das nicht mehr Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder ist, wendet den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) auf die Arbeitsverhältnisse seiner Beschäftigten an. Zuletzt geschah dies auf der Grundlage des Tarifvertrages zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (Anwendungs-TV vom 31.07.2003 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 25.08.2004). Der Kläger erhielt als Geschäftsführer eines landeseigenen Pflegeheimbetriebes eine Vergütung gemäß Vergütungsgruppe 1a BAT. Seine Grundvergütung betrug 3.336,09 EUR brutto (Lebensaltersstufe 39). Er erhielt weiter einen Ortszuschlag der Stufe 1 in Höhe von 497,45 EUR brutto. Die Grundvergütung der Lebensaltersstufe 47 betrug 3.787,14 EUR, der Ortszuschlag Stufe 3 671,23 EUR brutto. Die Tarifvertragsparteien nahmen am 18. Januar 2006 Sondierungsgespräche auf. Anlass war der für den Bereich Bund/VKA abgeschlossene Tarifvertrag (TVöD). Das beklagte Land wies im Rahmen der Sondierungsgespräche insbesondere darauf hin, dass lediglich ein bisher noch nicht vorliegender Abschluss der TdL eine Verhandlungspflicht nach dem Anwendungs-TV auslöse. Nach weiteren Sondierungsgesprächen und nach der Tarifvereinbarung zwischen ver.di und der TdL im Mai 2006 (TV-L) traten die Tarifvertragsparteien am 15.12.2006 in Tarifverhandlungen ein. In einer Verhandlungsrunde am 12.07.2007 erklärte das beklagte Land, eine Übernahme des TV-L sei unter Berücksichtigung von Berliner Besonderheiten denkbar. Bezügeerhöhungen seien allerdings nicht möglich. Insbesondere müssten vier Problemkreise, nämlich hinsichtlich der praktischen Umsetzung von Leistungsentgelten, hinsichtlich Arbeitszeit, bezüglich einer Unterscheidungen zwischen Tarifkreis West und Ost und einer Beendigung der Differenzierung der Tarifregelungen für Angestellte und der Gruppe der früheren Arbeiter bewältigt werden. Am 23.08.2007 bot das beklagte Land die Übernahme des TV-L in den Anwendungs-TV an, mit Ausnahme der Entgelttabellen und sonstiger von allgemeinen Bezügeerhöhungen beeinflusster Bezüge. Dies wurde durch die Gewerkschaften abgelehnt. Wegen der Weigerung des beklagten Landes über Einkommenserhöhungen der Arbeitnehmer zu verhandeln, erklärten die Gewerkschaften mit Schreiben vom 01.Februar 2008 bzw. 21. April 2008 die Tarifverhandlungen für gescheitert. Die Gewerkschaften ergriffen Streikmaßnahmen zur Erzwingung von Vergütungsverbesserungen.
Der Kläger verlangte von dem beklagten Land die Zahlung der Vergütungsdifferenz zwischen seine...